Schlagwort: #outtakes

Shitstorm im Darm

Outtake: Über das Klo und Klopapier, den Welttoilettentag und eine tolle Buch-Verlosung

Am 19. November ist Welttoilettentag. Initiiert wurde er 2001 von der Welttoilettenorganisation (ja, sowas gibt es) und am 24. Juli 2013 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen, auf Vorschlag Singapurs, einstimmig bestätigt.

Der Hintergrund für diese, auf den ersten Blick eher skurrile Aktion: 40% der Weltbevölkerung hat auch in heutiger Zeit keinen Zugang zu hygienischen Sanitäreinrichtungen – das sind ca. 2,5 Milliarden Menschen.

Buchvorstellung 070220 0015 300x225 - Outtake: Über das Klo und Klopapier, den Welttoilettentag und eine tolle Buch-VerlosungUnd der Grund für diese Info und diesen Blogbeitrag: Der CED-Kompass feiert diesen Tag und verlost nicht nur 5 Exemplare meines Buches „Shitstorm im Darm – gut leben trotz Morbus Crohn“, sondern auch – HALTET EUCH FEST! – 5 Rollen Klopapier, mit von mir gestalteter, absolut limitierte und nirgends käuflicher,  heiter-sarkastisch-crohnischer Verzierung (die man, im Gegensatz zum Klopapier, mehrfach verwenden kann ;-).

Alle Infos dazu gibt es am Ende dieses Blogbeitrages, denn ich will euch vorher noch ein paar wichtige Fakten und Infos rund um den Ort mitgeben, den angeblich auch der Kaiser zu Fuß aufsucht und der für Menschen mit CED im Schub zum Hauptaufenthaltsort werden kann.

Der Text ist weitgehend ein weiteres  „Outake“ aus meinem Buch  „Shitstorm im Darm“, der es aus Platzgründen nicht ins Buch geschafft hat. Alle Outakes findest du unter diesem Link: #outake

Das Klo: Der natürliche Lebensraum des Homo Crohniensis

Shitstorm - Outtake: Über das Klo und Klopapier, den Welttoilettentag und eine tolle Buch-Verlosung

Die Toilette ist ein Ort, den man mit CED im Bauch viel öfter besucht als andere. Will oder muss man dann und wann im Schub auch das eigene Heim verlassen, lernt man schnell, sich den Weg von da nach dort anhand frei zugänglicher WCs zu planen. Damit lernt man auch eine Welt und Kultur kennen, die man ohne Crohn & Co so nicht wahrgenommen hätte. Wer meint, dass das Innere einer Tasche oder ein Browserverlauf viel über einen Menschen aussagt, der wird erstaunt sein, was man anhand von Klo-Ambienten alles herauslesen kann.

Hier ein paar spannende Fakten rund um den sog. stillsten Ort, wo es bei Crohnies mitunter auch mal laut werden kann:

  • 3 Jahre seines Lebens verbringt ein gesunder Mensch im Badezimmer, davon ungefähr ein halbes Jahr auf dem Klo. Wie das bei Menschen mit CED ausschaut, hat noch keiner untersucht. Desgleichen inwieweit die Nutzung von Smartphones am WC diesen Zeitrahmen ausdehnt.
  • 48% aller ArbeitnehmerInnen nutzen die Toilette auch als Rückzug
    für eine stille Pause.
  • Die Angst vor dem Besuch einer öffentlichen Toilette
    nennt man „Paruresis“. Dabei geht es nicht darum, sich vor der möglicherweise nicht vorhandenen Hygiene zu ekeln, sondern das mitunter andere Menschen dort anwesend sein können, was unbeherrschbare Panik auslöst.
    Eine psychische Belastung, die eine Darmerkrankung brutal verschlimmern kann – denn wenn du dich nicht auf öffentliche Toilette wagst, stehen speziell im Schubfall die Chancen schlecht, dass du viel vor die Türe gehst und dein Heim verlässt.
  • Das höchste Klo der Welt steht am Mont Blanc, auf 4.260m. Also keine Angst, wenn du mal hoch hinaus willst: dort ist vorgesorgt.
  • Der Name „Klo“ , für Klosett, ist eine verdeutschte Abkürzung aus dem englischen „Water Closet“, was Wasserspülung bedeutet und der volle Text für die erleichternde Buchstabenkombination „WC“ ist.
  • Das Wort „Toilette“ kommt aus dem Französischen, wo es „kleines Tuch“ bedeutet. Das wurde nicht zum Wischen verwendet, sondern als Sichtschutz. Der Begriff „Toilette“ umfasst übrigens den Raum, in dem sich ein Klo befindet. Wohingegen das Klo nur das Klo meint, also den Porzellanstuhl mit Wasserspülung.
  • Andere Bezeichnung für den heiligen Ort des ultimativen Loslassens:
    Stilles Örtchen, Thron, Häusl (aus der Zeit, als es noch separat vom Wohnhaus, in Form eines Plumpsklos, also eines kleinen Häuschens, errichtet wurde), Lokus (lateinisch für „der Ort“), im amerikanischen „Rest Room“, in Italien „Gabinetto“, anderswo 00, Abort, Latrine, Leibstuhl (als man noch keine WCs kannte), Scheißhaus (vom mittelhochdeutschen schîzhûs) …Der nur mehr selten verwendete Begriff „Donnerbalken“ stammt aus dem Militärischen und bezeichnet eine sog. „Reihenklosett“ im Feld. Ich überlasse es deiner Fantasie, wie man sich das vorstellen darf. Im Raum Hamburg sagt man zum Klo fallweise auch „Tante Meier“. Dieser Begriff ist eine Verballhornung des Begriffes „Tente Majeure“, aus der Hamburger Franzosenzeit (1806-1814). Die französischen Besatzungssoldaten verschleierten den Gang zum Donnerbalken mit einer Umschreibungen: Tente majeure, das bedeutet Hauptzelt. Die Hamburger aber hörten „Tantmajör“, woraus sich „Tante Meier“ entwickelte.
  • Die ersten Toiletten mit Wasser sind aus dem Altertum überliefert. Damals hatten allerdings nur reiche Leute ein solche Einrichtung, wo die Körperausscheidungen sofort nach ihrem Austritt aus dem Körper weggespült wurden. Das war übrigens eine sehr gesellige Zeit, was diesen Akt betraf. In den öffentlichen, römischen Toiletten saß man ohne Trennwand nebeneinander und unterhielt sich gemütlich, auch beruflich, während man sein Geschäft erledigte. Was dem Begriff „Geschäftsbeziehung“ eine spannende Zusatznote gibt.Im Mittelalter ist das Wissen in Europa rund um diese hygienischen Maßnahmen komplett verschwunden. Man hatte mit Glück ein Plumpsklo, das bei herrschaftlichen Burgen fallweise auch als kleiner Anbau in hoher Höhe eingerichtet sein konnte, mit freiem Plumps nach weit unten. „Abtritt“ nannte man das dann, weil man hier zum „Austreten“ herkam, und wer sich zu weit vorgewagt hatte oder zu tief ins Loch sah, der tat mitunter genau das: abtreten, final.
  • Das erste moderne WC, wie wir es heute kennen, wurde um 1800 entwickelt und hat die sanitäre und hygienische Lage der Menschheit entscheidend verbessert.
  • Beim Spülen werden je nach Modell zwischen 12 und 6 Liter Wasser
    verbraucht.
  • Es gibt auch einen Schutzpatron der Latrinenreiniger: Papst Julius I.
    Vielleicht hilft es dir ja, wenn du ihn beim nächsten Mal Kloschrubben um spirituelle Unterstützung bittest.

Die Angst vorm fremden Klo

Viele fürchten sich aus hygienischen Gründen davor fremde oder öffentliche Toiletten zu benutzen. Man könnte sich hier ja mit was-weiß-ich anstecken.

Muss es dann doch mal sein, dass man wo muss, wo man nicht sein und schon gar nicht müssen will, werden entsprechende Schutzmaßnahmen getroffen: Man deckt den Sitz mit Unmengen Papier ab oder versucht, kraft der Beine, nicht mit ihm in Berührung zu kommen, was ein gutes Training für Bauch, Bein und Pomuskulatur ist.

Fakt ist: Beides beruhigt das Gemüt, hat aber kaum schützenswerten Sinn, denn es ist äußerst unwahrscheinlich, dass man sich auf fremden Toiletten mit Krankheiten infizieren kann – sofern man sich nach der Nutzung gründlichst die Hände wäscht.
Denn das ist die Methode, wie mögliche Krankheitserreger in uns gelangen könnten. Im Crohnfall und unter Immunsuppression empfiehlt es sich, zusätzlich die Hände nach dem Waschen zu desinfizieren.

Falls die Toilette jedoch sehr versifft oder von einem rüden Vorgänger massiv verunreinigt wurde – was auch einem Crohnie passieren kann, bei sehr eruptivem Stuhl – dann wärs gut, die Location zu wechseln und/oder zur Sicherheit so viel Abstand wie möglich zu halten. Zwar braucht es auch hier einen oralen Kontakt mit möglicherweise vorhandenen Krankheitserregern, damit man Schaden davon trägt. Aber der ist bei dermaßen verschmutzen Toiletten leichter möglich, als bei sauberen.

Hinzu kommt der Wohlfühlfaktor: es graust einen ganz einfach, Entspannung ist hier einfach nicht möglich.

Ein weiterer Punkt, der fallweise bedenklich sein kann, an den aber wenige denken, sind Handtaschen und ähnliches, was am Boden abgestellt werden. Auch wenn man seinen VorsitzerInnen die beste Gesundheit unterstellt, ist der Boden einer Toilette nicht der Ort, von dem man bedenkenlos speisen würde. Die Tasche aber steht da, wird dann wieder in die Hand genommen und hat so die Möglichkeit potentielle Erreger, auch nach gründlichem Händewaschen, weiterzugeben.

Sofern kein Haken vorhanden ist, wo man sein Täschchen aufhängen kann, wäre es besser, das gute Stück in Händen zu halten, sich sofern möglich umzuhängen oder einer allfälligen Begleitpersonen zu überlassen. Bist du alleine unterwegs, dann nimm statt einer Handtasche einen Rucksack. Damit hast du auch am stillen Örtchen in der Fremde die Hände frei und dein Zeug ist gut und sicher aufgehoben.

WASH YOUR f***ing HANDS!

Weil es wirklich wichtig ist, hier noch eine fachliche Experteninfo betreff „gründlich Hände waschen“:

Seife und Wasser in die Hände geben und 30 bis 60 Sekunden (2 Happy Birthday lang) gründlich schrubben, kneten, reiben – dann ebenso gründlich spülen und abtrocknen – in öffentlichen Toiletten besser mit Einmalpapierhandtüchern.

Schluss mit Häuslbesetzung: Räumt! Das! Klo!

Es gibt Menschen, die dünsten ewig auf der Muschel, surfen dabei durchs WWW oder lesen die Zeitung. Diese Menschen sind ein natürlicher Feind des Homo Crohnienensis: Sie blockieren das Klo.

Vielleicht braucht ihr Darm länger für den Download oder lässt sich nur nach gemütlicher Lektüre dazu bitten. Aber wenn nur ein Klo vorhanden ist, bewirkt die Sitzungsblockade eine Panikattacke bei denen, die auf flotten Zugang zum WC angewiesen sind.

Durchfall kann man nicht aufhalten, veratmen oder verschieben bis das Kapitel zu Ende oder das Handy stromlos ist. Wenn sich ein bekannter Langsitzer der Klotüre auch nur nähert, beginnt bei mir der Darm sofort zu rumpeln.

Bei mir und meinen WC-KonkurrentInnen, spielt beidseits eine psychische Komponente mit. Bei mir ist es Panik, keinen Zugang zu haben und mir in die Hose machen zu müssen.

Bei dem/der LangsitzerIn sind es antrainiertes Verhalten und die Flucht in eine Region, wo man endlich mal ungestört und alleine ist. Das entspannt, die Hockhaltung tut das ihre und während man sich durch die weite Welt liest, bequemt sich der Darm dazu, seine Arbeit zu erledigen.

Liebe Langsitzer: das ist Folter!

Grausam, schlimm und ganz sicher gegen die Menschenrechte. Lasst das Handy weg, legt das Buch zur Seite, sucht euch einen anderen Escape-Room. Wer mit Crohn im Darm lebt, braucht zu jeder Zeit ein freies Klo oder das Wissen, dass der Zugang nur KURZ eingeschränkt ist.

Wer auf gemütlichen Dauersitzungen nicht verzichten will, sollte die in der Zeit verrichten, wo man allein ist oder ein zweites Klo einbauen. Bei uns war es letzteres, was endlich für Entspannung auf allen Ebenen sorgte.

Danke!

Hero Kopie - Outtake: Über das Klo und Klopapier, den Welttoilettentag und eine tolle Buch-Verlosung

Klopapier

Wer seinen Po liebt, nimmt nur das weichste Papier zur Pflege und Säuberung. Erfahrene Crohnies haben ihre Lieblingsmarken, die sie mitunter auch auf Reisen mitnehmen. Bis vor gar nicht langer Zeit war das aber ein Luxus und darum hier eine kleine Geschichte dieses Kulturgutes, das nicht nur in Pandemiezeiten sehr geschätzt wird:

Das erste Klopapier wurde 1391 in China für den Kaiser entwickelt. Der Rest der Welt schrubbte bis ins 19. Jhdt. mit Gras, Blättern, Muschelschalen, Heu und Stroh, eingeweichten Maiskolben, Wolle, Schwämmen auf Stöckchen, flachen Steinen, Kokosnussrinde, Schnee, Moos … oder gar nicht. Im französischen Königshaus nahm man eine zeitlang sogar Seide.

Das erste industrielle WC Papier gab es 1857 in den USA. Joseph Gayetty ließ einzelne Blätter in Aloe Vera tränken und abpacken. Eine Wohltat für maiskolbenstrapazierte Pöpsche. Seit 1890 gibt es das Papier auf Rollen, erstmals hergestellt von der Scott Paper Company.

Schließen wir diese Helden in unsere Nachtgebete ein, sie haben den Nobelpreis verdient.

Erst ab1928 nutzte man auch im Raum Deutschland eigens produziertes Klopapier. Anfangs nur sehr widerwillig. Weil es vielen peinlich war, in den Geschäften nach Toilettepapier zu fragen, riet man den Kunden einfach nur die Marke zu nennen.

Das war damals aber noch kein vierlagiger Doppelflausch, sondern derber, rauher Krepp. Aber immer noch besser als das zu dieser Zeit übliche Zeitunspapier.

Klopapierorigami und Verbrauch

In Europa wird das Papier eher gefaltet, in Amerika geknüllt. Denn in den USA ist das Papier dünner und flacher und in Europa dicker, meist mit bauschiger Struktur versehen.

Im Durchschnitt verbraucht man 2.100 Rollen innerhalb der ersten 65 Jahre seines Lebens. Außer wenn man Morbus Crohn oder Colitis Ulcerosa und einen Schub hat. Dann ist es mehr.

Duftstoffe

Es gibt auch beduftetes Klopapier, das industriell mit chemischen Duftstoffen versetzt wird. Das klingt nett, ist aber für empfindliche Popos nicht zu empfehlen, denn mitunter kann es zu Reizungen kommen. Abgesehen davon sind manche Duftrichtungen grenzwertig: Vanillekipferlduft am Klo sorgt bei mir dafür, dass ich für den Rest des Advents keinen Bock mehr auf Kekse habe. Was möglicherweise gut für die Figur, aber mit Sicherheit schlecht für die Laune ist.

Die richtige Abrollrichtung!

Im Klopapier Originalpatent von 1891 ist die richtige Abrollvorrichtung vermerkt: Das Papier sollte vorne abgezogen werden, nicht hinten. Nur damit das auch ein für alle Mal klar ist.

fragezeichen 2 sm - Outtake: Über das Klo und Klopapier, den Welttoilettentag und eine tolle Buch-Verlosung

DIE VERLOSUNG!

Ich freu mich ganz viel sehr über die Buch-Verlosung des CED-Kompass und drück dir die Daumen. Die Teilnahmebedingungen sind recht simple, alle Infos dazu findet ihr auf Instagram, direkt im Account des CED-Kompass (Klick hier 🙂!


Buch mitZertifikat - Outtake: Über das Klo und Klopapier, den Welttoilettentag und eine tolle Buch-VerlosungWeitere Infos rund um das Leben mit Morbus Crohn, wie man ExpertIn in eigener Sache wird, warum es wichtig ist, den Humor zu locken und auch über Nebenwirkungen abseits einer chronischen Erkrankung Bescheid zu wissen, kannst du in meinem Buch „Shitstorm im Darm – gut leben trotz Morbus Crohn“ nachlesen.
Alle Infos zum Buch findest du hier,  hier gehts zu einer Leseprobe und hier erfährst du, wo und wie du das Buch bestellen und kaufen kannst.

Cartoons, Kranke Geschichten - Strange Stories, Shitstorm im Darm

Outtake: Wenn man aufgeben will …

Ein weiteres „Outake“ aus meinem Buch  „Shitstorm im Darm“, das es aus Platzgründen nicht ins Buch geschafft hat. Diesmal ein Kapitel, das ein großes Tabu-Thema aufgreift: Aufgeben, nicht mehr wollen, nicht mehr können – wenn alles zuviel wird und man sich fragt, warum man sich das alles noch antun soll.

Ein schwieriges Thema, das sich einem im Leben mit einer chronischen Erkrankung irgendwann stellt. Und dann sind Tabus nicht hilfreich. Nachstehend daher der Text, den wir im Final-Cut schweren Herzens herausgenommen haben – aus Platzgründen. Und ich hoffe, dass er dir Mut macht, wenn Du mal an diesem Punkt ankommst oder du Verständnis hast, wenn du ihn bei anderen erlebst.

Wenn man aufgeben will

Alles tut weh, seit Wochen keine Besserung. Durchfall, Schmerzen ohne Ende und Nebenwirkungen von den Mediks und vom Crohn, die man seinem besten Feind nicht wünscht.
Schwester Hoffnung hat sich schon länger nicht blicken lassen und die Zuversicht hat gemeint, dass man sich melden soll, wenn es einem besser geht.
„Ich kann nicht mehr.“

Das ist ein Punkt, der einen dann und wann erreicht. Manche würden sagen, dass man den Punkt erreicht, wo man aufgeben will. Ich denke, dass es auch umgekehrt sein kann: Der Punkt kommt auf einen zu und ist plötzlich da.

Das muss nicht zur schlimmsten Zeit passieren. Das muss nicht mal während eines Schubes sein oder wenn man sich elend fühlt. Dieser Punkt ist hinterlistig und klopft mitunter dann an die Tür, wenn man ihn gar nicht erwartet.
Und dann liegt man da, zu müde um sich zu wehren, und fragt die tödlichste aller Fragen: Wozu soll ich mir das alles noch länger antun? Wäre es nicht einfacher loszulassen, alles hinter mir zu lassen, den Kampf beenden?

Das passiert öfter, als man denkt, und es passiert mehr Menschen, als man glaubt.
Wer die Diagnose einer chronischen, nicht heilbaren Autoimmunerkrankung bekommt, die wie der Crohn viele Bereiche des Körpers und des Lebens betrifft, der kann nicht immer fröhlich, motiviert und positiv gestimmt sein. Das ist man ja auch nicht, wenn man gesund ist.

Wobei:

„Ein Mensch, der gesund ist, wurde nur noch nicht lange genug untersucht.“

Hat mir einmal ein Homöopath erklärt.

Meist ist man dann auch alleine mit sich. Vielleicht ist es zusätzlich einer der Tage, die mittelmühsam sind, wo Madame Fatigue ihr Zepter schwingt und sogar das Kopfheben zu viel ist. Es gibt so Tage, da will man nicht aufstehen, weil man Angst hat, dass einen „der Tag“ erwischt. Liegenbleiben, sich unsichtbar machen, im Teppich versinken, ist mehr als verlockend.

Alle sagen, dass man das ja nicht tun soll. Denn diese Wozu-Frage darf man nicht groß werden lassen. 
Man muss positiv und an das Morgen denken – da könnte die Wende eintreten und das Glück ganz feste zuschlagen. Bekanntlich werden ja auch nur Briefe aufgegeben und wer daran denkt, dass mit sich und seinem Leben zu tun, der braucht psychologische Betreuung und ein paar bunte Glückspillen, um die tristen Gedanken zu vergessen.

Liebe „Alle“, die ihr das denkt und vorschlagt: das ist gut und hat dann und wann seine Berechtigung.
Aber genauso eine Berechtigung haben diese für euch so „dunklen“ Gedanken. Es ist logisch, dass man als chronisch kranker Mensch irgendwann den Faktor Endlichkeit beleuchtet. Man kann mit der Diagnose Morbus Crohn 99 oder älter werden. Das kann ein schönes Dasein sein. Oder eines, wo man permanent am Rande der Katastrophe dahin wankt. So geht es auch denen, die als gesund gelten.

Am Leben sein und leben wollen sind zwei paar Schuhe und die Frage, ob ein Leben lebenswert und schön ist, kann nur jeder einzelne für sich beantworten. Sich zu fragen, welches Paar Schuhe man gerade trägt, ist eine normale Reaktion. An manchen Tagen passen sie zum Outfit, an anderen hindern sie einem am Gehen.
Die wichtigere Frage ist, wie man trotz der dunklen Gedanken mit sich umgeht und was man tut. Das ist ein Punkt, der unter Resilienz fällt.

Bei einem Gespräch mit einer Psychologin im Krankenhaus, wo ich auf die Auswertung von ein paar nicht so tollen Befunden wartete, kam auch die Frage, ob ich schon mal an Selbstmord gedacht hätte.
„Natürlich, wer in meiner Situation hätte das nicht?“
„Und haben Sie dann auch konkrete Pläne gemacht?“, kam die höfliche und leicht angespannt gestellte Antwortfrage.
„Nein. Ich habe das immer auf den nächsten Tag verschoben und es dann vergessen oder weiter verschoben. War mir immer zu anstrengend.“

Die Psychologin vermerkte etwas in der Akte und wir sprachen über anderes.
Die meisten, denen ich diese Geschichte erzähle, lachen und meinen, dass ich eine witzige Pointe angebracht hätte.
Aber mir war selten eine Antwort so todernst wie diese. Denn genau so mache ich das, wenn diese Frage vor mir steht.

Dieser ominöse Punkt, der buchhalterisch „Break Even Point“ genannt wird, kommt immer wieder. Manchmal komme auch ich zu ihm. Manchmal begegnen wir uns in der Mitte.
Ich kenne ihn mittlerweile gut, aber ich würde nicht soweit gehen zu sagen, dass wir Freunde sind. Ich erkenne ich auch bei anderen, wenn sie ihn erreichen. Und ich war schon ein paar Mal über ihn hinweg, auf der Seite, wo sich alle weiteren Gedanken erübrigen, weil man weiß, dass der Punkt von selbst aktiv wird und die Führung übernimmt.

Einatmen, ausatmen, loslassen.
Ein absolutes Tabuthema in unserer Gesellschaft.
Ein Moment, den jeder chronisch Kranke irgendwann erreicht.
Ein Moment, der auf jeden Menschen irgendwann zukommt.

Viermal hab ich bereits mental losgelassen und damit das getan, was nicht ausgesprochen werden soll und schon gar nicht aktiv getan werden darf.
Ich bin nicht gestorben, aber ich war bereit dazu, weil ich nicht mehr konnte. Ich hatte gekämpft und alles probiert was in meiner Möglichkeit stand. Aber das Leben rann aus mir heraus, die Kräfte gingen zu Ende.
Und dann habe ich einfach innerlich losgelassen.
Nichts dafür und nichts dagegen getan.
Habe nur dagelegen und geatmet.
Ich war für alles zu erschöpft.
Einatmen, ausatmen und darauf warten, dass das Einatmen nicht mehr kommt.

Warum ich dennoch lebe?
Mich sehr lebendig fühle und dem lieben Herrn Crohn und seinen Genossen aufmüpfig den mentalen Stinkefinger zeige?
Weil jedesmal etwas – richtiger: jemand – von außen kam, mich nicht gehen ließ, aktiv wurde, etwas unternahm, für Aufschwung und Hoffnung sorgte und so verhinderte, dass es wirklich zu Ende ging.

In dieser Loslass-Situation, die nichts mit Selbstmord zu tun hat, sondern einfach das Öffnen der Tür zur Endlichkeit war, hatte ich keine Angst, fühlte kein Bedauern. Ich war nur unendlich müde und hoffte, bald tief und schmerzlos schlafen zu können.
Und dann ging es doch weiter. Und das ist gut so.

Aus der Sicht des Lebens betrachtet, wenn man auf der Seite steht, die grün und voller Hoffnung ist, aus dieser Sicht ist so ein „Aufgeben“ ein No-Go. Jeder, der auf dieser Seite steht, bekommt es mit der Angst zu tun, wenn da wer sagt, dass er oder sie nicht mehr will, das es nun genug ist.
Wer selbst an diesem Punkt stand und weiß, dass der öfter kommen kann, bis er irgendwann final da steht, der versteht, dass das ein natürlicher Prozeß ist, der in solch erschöpfenden Situationen logischerweise mal auf der Tagesordnung steht.

Wer weiß, wie grausam weh das Dasein mit Crohn sein kann, wie hilflos man sich fühlt, wenn bei jedem Klogang das Leben herausrinnt, der versteht den Wunsch und kennt den Blick, der damit verbunden ist. Der weiß, dass das keine depressive, traurige Verstimmung ist. Sondern ein stilles, erschöpftes „Ich kann nicht mehr“.

Manchmal wird dieser Satz zum Hilferuf, der das herbeiführt, was einem jetzt hilft.
Manchmal ist es ein Statement, dass sich kurz darauf wieder auflöst, weil eine Spur mehr Leben da ist.
Manchmal hilft es, wenn man es ausspricht, weil sich Klarheit einstellt, man wahrnimmt, wo man steht und das man auf Hilfe angewiesen ist, weil es anders nicht geht.
Manchmal ist es dann aus.
Aber meistens geht es weiter und das ist wunderschön.

Leben eben, mit allen Höhen und Tiefen.

Liebe/r Mit-Crohnie, 

Falls du an diesem Punkt stehst, möchte ich dir sagen, dass du damit nicht alleine bist. Das Erreichen dieses Punktes ist eine natürliche Reaktion auf das, was du durchgemacht hast und es passiert vielen, die in einer ähnlichen Lage sind.

Ich will nicht, dass du aufgibst – das will niemand.
Sei sanft und gütig zu dir in diesem Moment.
Es ist ok, jeder kommt mal hier an.
Und die meisten gehen dann wieder hier weg. So wie du.

Sprich es aus, teile es mit. Auch wenn es den anderen Angst macht. Es ist ein Hilferuf, der sie mehr als dich betrifft. 
Darum ist es wichtig, dass du es laut aussprichst, ihnen sagst und das du nicht alleine bist, wenn du an diesem Punkt angekommen bist.

Einzugestehen, dass man nicht mehr kann, nicht mehr will, ist ein Hilfeschrei und ein Bekenntnis, dass man es jetzt alleine nicht mehr schafft. Man hat alles probiert, mehr geht nicht. Wenn es nun weitergehen soll, dann braucht es einen Impuls und Unterstützung von außen.

Liebe Angehörige,

Ich weiß, so ein Satz macht Angst.
Bitte nehmt ihn ernst und wimmelt das nicht als schlechte Laune oder miesen Tag ab.

Es gibt auch einen feinen Unterschied zwischen „ich kann nicht mehr“ und „ich will nicht mehr“. Ersteres ist eher körperlich, letzteres mehr mental und damit anders.

Redet, nehmt die Situation ernst, handelt – da liegt jemand buchstäblich am Boden.
Was kann man tun um zu helfen, ohne zu quälen?

Bitte spart euch Floskeln wie „Das wird schon wieder“, „Reiß dich zusammen“, „Beiß die Zähne zusammen“ oder „Alles wird gut und wenns noch nicht gut ist …“ oder das furchtbar dämliche „… anderen geht es schlechter.“
Das verschlimmert die Sache und tut sehr weh.

Gesteht, dass euch das Angst macht. Sagt, dass ihr euch hilflos fühlt, aber dennoch da seid, um eine Hand zu halten, eine Träne zu entfernen und kräftig auf das Schicksal zu fluchen.
Oft reicht es auch völlig, wenn ihr einfach DA seid: Handy abgedreht, Hand halten, am Bett sitzen, in den Arm nehmen, mitsammen weinen, Verständnis zeigen.

Manchmal ist diese Aussage eine nicht ausformulierte, unbewusste Bitte, dass ein anderer die Regie übernimmt – dann werdet aktiv. Sprecht mit den Ärztinnen, dem Pflegepersonal, den Therapeuten.
Keiner fühlt sich zuständig? Sucht wen, der die Lage ernst nimmt, ohne sofort „Drohende Selbstmordgefahr, ruft auf der Psychiatrie an!“ zu brüllen.

Denn das ist keine Androhung von Selbstmord. Es ist eine simple Nachricht, dass man körperlich und geistig an einem Punkt angekommen ist, wo man keine Kraft und keine Hoffnung mehr hat für dieses Leben.
Danke fürs Zuhören.


ShitstormimDarm MichaelaSchara sm 197x300 - Outtake: Wenn man aufgeben will ...Weitere Infos rund um das Leben mit Morbus Crohn, wie man ExpertIn in eigener Sache wird, warum es wichtig ist, den Humor zu locken und auch über Nebenwirkungen abseits einer chronischen Erkrankung Bescheid zu wissen, kannst du in meinem Buch „Shitstorm im Darm – gut leben trotz Morbus Crohn“ nachlesen.
Alle Infos zum Buch findest du hier,  hier gehts zu einer Leseprobe und hier erfährst du, wo und wie du das Buch bestellen und kaufen kannst.

Cartoons, Kranke Geschichten - Strange Stories, Shitstorm im Darm

Outtake: Über den Unterschied zwischen Arztsprech und Normalsprech

Mein Buch „Shitstorm im Darm“ war in der allerersten Version fast doppelt so dick. Ich bin eine Vielschreiberin und tu mir einfach leichter, wenn ich alles, was mir in den Sinn kommt, reinschreibe und dann (in diesem Fall mit Hilfe) auf ein vernünftig Maß reduziere.

Dem „Final-Cut“ sind aber auch ein paar Geschichten zum Opfer gefallen, wo es einfach schade wär, wenn man sie nicht erzählt. Darum gibt es im Blog immer wieder kleine „Outtakes“ aus meinem Buch und ich starte mit einer meiner liebsten Storys – die auch ein Grund war, warum es wichtig ist, sich mit medizinischem Vokabular auseinanderzusetzen.

Über den Unterschied zwischen medizinischem und „normalem“ Vokabular – Arzt : Mensch

Ich musste zu einer Kontrolle nach einer OP. Der Ort des Geschnippsels lag auf meinem Südpol, um es nett zu umschreiben. Der Chirurg, der mich operiert hatte, war anderweitig beschäftigt und hatte einen Kollegen gebeten, meinen Po zu kontrollieren.
Der Kollege war supernett, sehr empathisch und unterhielt sich mit mir vorweg, um mir die Scheu zu nehmen. Er hatte eine andere Muttersprache, sprach aber exzellentes Deutsch, mit leichtem Akzent.

Dann sollte mein Popöchen begutachtet werden und ich wurde auf die Liege gebeten. Eine Schwester reichte das Untersuchungsbesteck, der nette Chirurg warf einen kompetenten Blick auf meinen Allerwertesten, also auf die OP-Wunde, und sprach die epischen Worte:

Völlig reizlos!“

Er meinte die Wunde und der Fachbegriff für eine nicht entzündete, gut schließende Wunde ist im Medizinerjargon „reizlos“ oder „bland“.

Ich wusste das. Aber zu hören, wie ein Fachmann meinen Hintern als reizlos bezeichnete, war ein heftiger Angriff auf meine Lachmuskeln. Was ich mit aller Kraft unterdrückte, denn ich hatte keine Lust es dem netten Arzt zu erklären.

Ich bin mit mühsam unterdrücktem Grinsen und gewaltsam zurückgehaltener Lachtränen aus dem Untersuchungsraum gewankt und verkündete meiner Familie, dass es nun amtlich sei: Mein Arsch ist reizlos.

Was ich daraus gelernt habe:
Wenn einem ein Arzt sagt, dass ein bestimmter Körperteil reizlos ist, dann ist das nicht abwertend, sondern positiv gemeint. 


ShitstormimDarm MichaelaSchara sm 197x300 - Outtake: Über den Unterschied zwischen Arztsprech und NormalsprechWeitere Infos rund um das Leben mit Morbus Crohn, wie man ExpertIn in eigener Sache wird, warum es wichtig ist, den Humor zu locken und auch über Nebenwirkungen abseits einer chronischen Erkrankung Bescheid zu wissen, kannst du in meinem Buch „Shitstorm im Darm – gut leben trotz Morbus Crohn“ nachlesen.
Alle Infos zum Buch findest du hier,  hier gehts zu einer Leseprobe und hier erfährst du, wo und wie du das Buch bestellen und kaufen kannst.