Ich mache täglich mein Bett. Klopfe Matraze, Decken und Pölster aus, lege alles hübsch zusammen, Tagesdecke drüber. Fertig.
Das gibt mir das spießige Gefühl, zumindest einen Teil des Tages geschafft, etwas mit Sinn gemacht zu haben und man sieht auch gleich, dass sich was getan hat. Schaffe ich an diesem Tag nicht mehr als mein Bett, ist mir das zumindest am Abend ein schöner Anblick und eine leichte Beruhigung. Meist mache ich das Bett am frühen Vormittag. Später meist nur dann, wenn der Tag nicht so gut begonnen hat und die Steigerung eher in die Tiefe, als nach oben geht.
Außerdem sortiere ich die Bestecklade nach Größe und Form und habe mir dafür den Spitznamen Gabel-Monk eingehandelt. Egal, wenn ich in die Lade schaue, was mehrmals täglich passiert, habe ich das Gefühl, dass die Ordnung auf mich überschwappt und das beruhigt mich irgendwie. Auf diesen paar Quadratzentimetern ist das Leben geregelt, alles hat seinen Platz, alles ist im Rahmen. Ein zarter Anker in einer chaotischen Welt.
Das Bett und die Bestecklade halten den Tag für mich zusammen und sorgen dafür, dass ich mich nicht verliere. Was an den Tagen, wo ich das Bett spät oder gar nicht mache und die Lade ungeordnet ist, leicht passiert. Was weder am Bett oder an der Lade liegt, sondern am Tag und an mir.
Zwei Spleens, die mir Halt geben in einer Welt, in der ich mich immer weiter von vielem entferne. Corona, die Lockdowns und das neue Weltbild haben viel verändert und manches verschärft. Zum Beispiel mein Gefühl immer weiter wegzudriften vom Alltag meiner Mitmenschen, vom Teilnehmen am menschlichen Dasein rund um mich. Wobei Corona da eigentlich nicht viel dazu getan hat, was nicht schon vorher diesen Weg eingeschlagen hat. Aber es liefert zumindest eine gute Ausrede.
Ich werde Ende des Jahres 54 und bin seit 5 Jahren in Berufsunfähigkeitspension. Arbeitsunfähig war ich vorher schon. Der liebe Herr Crohn wurde damals zum Fulltime-Job und sorgte für mehr Überstunden, als ich jemals abbauen kann.
„Sei doch froh! Du kannst dir den Tag einteilen, kannst es dir gut gehen lassen, hast keinen Stress mehr und sowas wie Dauerurlaub, ha ha!“
Ja. Genau. So ist es (nicht).
Ich bin dankbar, weil es diese Möglichkeit in Österreich gibt. Aber froh bin ich nicht. Denn der Grund für das nicht Arbeiten können ist der gleiche, der meinen Alltag mühsam macht. Und es ist nicht immer nur der liebe Herr Crohn, der etwas dazu beiträgt.
Vor 7-8 Jahren hat mein altes Leben zu bröckeln begonnen. Es wurde dürr, leerer und vor 5-6 Jahren ist es ganz verschwunden. Mir war dabei nicht langweilig, ich habe mehrmals um meine Überleben gekämpft. Dabei blieb mein Berufsleben auf der Strecke. Ich wusste bis dahin nicht, dass man sein Leben verlieren kann ohne zu sterben. Und dass es eine Trauer über diesen seltsamen Verlust gibt, die man als einzige Hinterbliebene spürt und die einem von da an begleitet.
Ich bin dankbar, dass ich in Berufsunfähigkeitspension gehen konnte, weil es mir ein physisches Überleben ermöglicht hat und nach wie vor tut. Aber auch nach 5 Jahren ist da noch immer diese seltsame (egoistische?) Trauer. Sie veränderte sich zwar, weil andere Trauer dazu gekommen ist – „echte“ Trauer, die mit dem Verlust von innig geliebten Menschen zu tun hat, die mir lieb, wert und sehr nahe waren. Meine Lebens-Ego-Trauer hat sich davon in den Hintergrund schieben lassen und manchmal wirkt es so, als wäre sie nicht da. Aber sie schickt mir immer wieder Grüße und Erinnerungen. Einsamkeit ist eine davon.
Ich hatte ein intensives Berufsleben, dass mir – ich gestehe es heute offen- auch immer wieder zu viel wurde. Ich hatte unzählige Bekannte und viele FreundInnen, war gut vernetzt, aktiv und immer am Tun. Von diesem Dasein ist mir so gut wie nichts und – hard to write, harder to say – kaum jemand geblieben. Das kränkte zuerst, tat dann auf perverse Art „gut weh“ und dann rang sich das Verständnis durch, um den Boden für einen Abschluss dieser Lebensphase vorzubereiten. Es war und ist niemandes schuld, es ist eben Leben. Müßig darüber zu grübeln, müßig „was wäre wenn“ zu spielen oder sich die Gram zu Herzen zu nehmen. Es bringt nichts.
Klar gehören immer mindestens zwei dazu, wenn sich die Lebensumstände bei einer Seite ändern und man sich aus den Augen verliert. Es lag auch an mir, dass ich es nicht mehr geschafft habe, die Fäden zu halten. Ich war zu Beginn die meiste Zeit zu KO für alles. Der liebe Herr Crohn kann sehr imperativ sein, wenn es um die Einteilung von Zeit und Kraft geht. Als er sich dann beruhigt hatte, war der Abstand zu groß geworden und meine Angst vor bodenlosen Abgründen (Bathophobie) hat sicher auch etwas dazu beigetragen, dass mir der Mut fehlte, diesen Abstand zu überwinden.
Life is what happens while you are busy making other plans – nicht wahr?
A Crohns life happens und das mit dem „busy making“ bezieht sich meist auf was ganz anderes, als Gedanken über das Machen von Plänen.
Irgendwann wird leises Bedauern aus dem Hadern mit dem, was man nicht ändern kann, und das ist ein Zustand, der sich auf viele Bereiche des Lebens ausdehnen lässt. Leises Bedauern bedeutet, dass man nicht so viel Energie in Tränen investieren muss, denn die wären ja laut und das ist mehr als Bedauern. Leises Bedauern bedeutet auch, dass der Schmerz nur am Rande wahrnehmbar wird, wie eine sanfte Delle. Leises Bedauern bedeutet zudem, dass man sich rascher daran gewöhnt und mit jeder neuen Delle stellt sich einem eine alte Bekannte an die Seite – man kennt sich und weiß, dass man sich immer wieder begegnen wird. Leises Bedauern ist erträglich und darauf kommt es an, wenn vieles im Leben hart an der Grenze zum Unerträglichen laviert.
„Aber du dürftest dir ja was dazu verdienen, oder? Kleines bisschen, aber immerhin. Und du könntest dir Ehrenarbeit suchen, oder so…“
Yep, könnte ich beides.
Nur: Ich bin tatsächlich NICHT arbeitsfähig und weiß am Vortag nicht, was mir der Morgen zum Tagesbeginn an Kraft serviert und inwieweit sich die im Lauf des Tages verringert oder erhöht. Es ist immer spannend und unberechenbar, wie einem die Geschichte mit den Löffeln lehrt (findest du in meinem Buch auf deutsch oder hier auf englisch).
Ich bin froh, wenn ich meinen Haushalt (mit Hilfe) schaffe, mit dem Hundegirl täglich eine Runde drehen kann und das Bett täglich mache. Wenn sich mehr als das ergibt (Bestecklade & Co.), ist es ein üppiger, kraftvoller Tag und das bedeutet noch immer nicht, dass ich an diesem Tag das tun könnte, was man gemeinhin als „Arbeit“ bezeichnet. Geschweige denn, dass es ausreicht, um dafür Geld zu bekommen. Es geht einfach nicht und auch wenn ich mich wiederhole: Ich bin dankbar, dass ich nicht arbeiten muss und diesen Schutz habe. Aber es macht nicht glücklich und das wollte ich auch mal sagen … schreiben.
Ich bin zu jung
Alle anderen in meiner Generation sind intensiv im Arbeitsalltag eingebettet. Auch wenn sie nicht immer glücklich damit sind, mehr oder weniger darüber meckern und einige sich verändern wollen. Sie haben ihren Arbeitsalltag und das wird noch lange so bleiben.
Die Menschen rund um meinereiner, die in Pension sind, sind unisono in Alterspension.
Ich bin dazwischen, zu jung um zu den rüstigen PensionistInnen zu gehören (die zum Großteil viel, viel fitter und rüstiger als ich sind), zu arbeitsunfähig um mit den Leuten meines Alters mitzuhalten. Zu gesund, um intensiv krank zu sein. Zu krank um fit und gesund zu sein.
Ich bin zu alt
Zumindest zu alt um als Crohn-Fluencerin eine neue Lebensschiene aufzubauen und ich habe einfach nicht mehr die Kraft, mich mit dem heutigen Seiltanz zwischen social Shitstorms, Influencermarketing, Posting on the limit und den zahlreichen Kommunikations-Stolperfallen auseinander zu setzen. Ich muss immer öfter googlen um zu verstehen, was mit Schlagwörtern a la Cancel Culture und Co. gemeint ist.
Als ich meinen Crohn-Blog gestartet habe, gab es kaum Infoseiten im Netz, die sich mit CED & Co. beschäftigten. Mittlerweile gibt es unzählige DarmfluencerInnen, Bauch-Podcasts, CED-Blogs und Video-Channels – unglaublich viele und das ist richtig, richtig gut. Denn es braucht all diese und noch viele mehr, damit man die Erkrankung und ihr Umfeld bekannter macht und die Stigmata, die damit verbunden sind, abschafft. Also: Go guys, run the net und sorgt für ordentlichen Rumor!
Was mich aber zunehmend irritiert, ist die Abwesenheit von Menschen über 40, die auch in der CED-Bubble kaum präsent sind. Crohn gilt als „junge“ Erkrankung, weil der fiese Scheiß meist sehr früh im Leben zuschlägt. Allerdings bleibt der Crohn einem dann treu, bis ans Ende aller Tage und die können spät werden.
„Mit Crohn kann man 100 werden!“
… hat mir eine meiner Gastroenterologinnen mal gesagt, um mir Mut zu machen.
Ja eh, aber will man das auch?
Und in welchem Zustand?
Und wie schafft man es, die Zeit zu füllen?
Und wo sind diejenigen, die es geschafft haben oder am Weg dahin sind?
Wie geht es ihnen, wie gestalten sie den Alltag in Kombi mit dem lieben Herrn Crohn und all den Maladitäten, die einem durch Mediks, Crohn, OPs, soziale Uffs und Ächz und lebensbedingte Verschleißerscheinungen im Laufe der Jahre so zuwachsen?
Ein Crohn-Schub und Regelschmerzen in Kombi sind schlicht furchtbar. Aber wo verdammt noch mal sind z.B. die Infos, welche Auswirkungen sich im Zuge der Menopause auf crohnischer Seite ergeben? Oder wie man diese dreimal verfluchten, komplett sinnlosen, verf***** Schweißausbrüche, das Herzrasen, die elendigen Stimmungsschwankungen in den Griff bekommt, während man mit schweißnasser Hand Crohn-Mediks sortiert und überlegt, welche Nebenwirkungen die Supplements haben, die man zuhauf in sich reinwürgt, in der Hoffnung, das irgendwas davon Besserung bringt?
Oder Infos, wie man sich gegen die zunehmende Schlaflosigkeit wehrt, weil der Lebenssinn mal wieder einen auf Dauer-Ciao macht und sich die Nächte weigern geschlafen zu werden, trotz immenser Müdigkeit?
„Kannst dich ja eh tagsüber hinlegen und ausrasten. Schlaf halt am Nachmittag eine Stunde …“
Tagsüber schlafen macht es nicht besser, im Gegenteil. Selbst wenn ich es könnte, würde es die Nächte noch leerer machen und mir noch mehr von der Zeit einschränken, die mir einen Hauch von Normalität gibt.
Es kann doch nicht sein, dass ich die einzige bin, der es so geht? Die zu früh aus dem Alltag und zu tief in der crohnischen Sche…marrn-Partie gelandet ist? Wo sind die Midlife-Crohnies, die Berge erklimmen, Kreuzfahrten planen, die Welt retten, sie neu erfinden und tougher als tough beweisen, dass man auch mit diesem Scheiß dem Dasein einen großen Haxn ausreißen kann?
Ich hoffe sehr, dass sie nicht wie ich mit Bett und Lade kämpfen, um dem Alltag eine spießige Struktur zu geben. Aber ich vermute, dass wir einen gemeinsamen Endgegner haben: Diese immer präsente, zehrende Dauermüdigkeit, auch als Madame Fatigue bekannt, die sich auf Körper, Geist und Seele legt, mit viel Übergewicht und Steinen im Gepäck.
Das Fiese an dieser Trutschn: Sie unterscheidet nicht zwischen Alt und Jung, sie sucht alle gleichermaßen heim. Nur hat man mit zunehmenden Crohnjahren im Darm immer weniger Kraft, um der lästigen Lady einen Tritt ins Auweh zu verpassen.
Ich hatte die Befürchtung, dass meine Resilienz irgendwann mal in einem intensiven Crohn-Fight ein technisches KO einstecken und vor mir abtreten würde. Weil ein Krug auch nur eine begrenzte Zeit mit einem Sprung in der Schüssel zum Brunnen pilgern kann.
Stattdessen sehe ich ihr täglich beim schwächer Werden zu. Ich sollte ihr die Hand halten, sie aufmuntern und was von „Krone richten, weiterstolpern“ brummeln. Denn man gibt ja bekanntlich nur Briefe auf. Nur schreibt die kaum noch wer, weil alle Mails, WhatsApps und PNs, Sprachnachrichten oder Gifs senden und in ein paar Jahren wird niemand mehr wissen, was mit dieser abgedroschenen Brief-Metapher gemeint ist.
Ich bin aber zu müde, mir was Neues auszudenken und im Grunde genommen ist es egal. Meine Resilienz lebt zur Zeit von kleinen Alltagsroutinen (das Bett, die Lade, die Hunderunde … sagte ich schon, oder?) und hängt an matschigen Tagen abends mit mir auf der Couch ab, um Netflix leer zu schauen, damit die trotteligen Grübelgedanken nicht überhand nehmen. An den besseren tauchen wir gemeinsam in Büchern ab, von anderen Zeiten, anderen Welten träumend.
Ich geh mir selber auf die Nerven.
Ich mecker und sollte diese Energie lieber in was Sinnvolles stecken. Das Bett ist heute noch nicht gemacht, die Bestecklade braucht Struktur, das Hundemädel muss geflauscht werden und es gibt ja eh immer was zu tun. Yippiejaja yippie yippie yeah und so.
Ich sollte mich weiter im Dankbar sein üben, das Gefühl der Einsamkeit irgendwo in der Natur vergraben und glücklich sein, dass es mir besser geht als vielen anderen. Dass mein Crohn
eine Auszeit nimmt, dass ich bei Madame Migraine am Delogieren bin, dass meine Mediks gerade gut wirken, dass ich genug zum Essen habe, ein Dach über dem Kopf, die erste Covid-Impfung im Arm und was weiß ich noch.
Und das versuche ich auch. Aber dennoch geht mir fallweise einfach alles ganz gewaltig dahin, worauf man fällt, wenn einem das Leben Stolperfallen in den Weg schmeißt und man endlich weiß, warum der Körper ausgerechnet am Südpol gerne üppig Fett ansetzt: Damit das Steißbein gut geschützt ist.
Und überhaupt: Zu intensives Lachen belastet den Beckenboden extrem und was dann passieren kann … also darüber möchte ich nun nicht auch noch zusätzlich Buchstaben verlieren.
Ok, ich hör auf mit meinem Lamento und überhaupt: Das Bett, die Lade, you got it – ich muss meinen Tag in den Griff bekommen.
Hab es hübsch.