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Allgemein, Briefe aus dem Leben mit CED

Die, die nix darf.

Hallo,

Gestatten, dass ich mich vorstelle:
Ich bin die, die nix darf.

Also eigentlich darf ich eh viel, abgesehen davon, dass ich laktosefrei essen soll, auf Weizen allergisch bin und mir glutenfrei besser bekommt. Ansonsten muss ich bei ein paar Gemüse- und Obstsorten aufpassen. Aber weil das alles viel zu kompliziert ist, bin ich meist einfach die, die nix darf.

Ich weiß, dass ich damit Probleme verursache, vor allem in Restaurants, Imbissen, Gasthäusern und Hotels und mir ist bewusst, dass es für die, die alles dürfen, unangenehm ist, wenn ich auch da bin und meine Spompanadeln, was Essen und so betrifft, verkünde.

Besonders unangenehm ist es natürlich für Köche/Köchinnen, die ich mit meinen unverschämten Fragen, was denn in der Suppe und anderen Speisen so alles drin ist, belästige. Ich weiß, das tut man nicht, das fällt unter Betriebsgeheimnis und überhaupt:
Gegessen wird das, was auf den Tisch kommt.

Habe ich verstanden.

Ich verspreche daher, dass ich mich soweit als möglich zurücknehme und bringe mir mein Brot selber mit – alles ok, da muss man sich keine Gedanken machen. Ich versuche auch, die herausgepulten Salatgurken, die sich dann doch am Teller finden (… ist ja nur Deko, kannst ja wegschieben …) und den Paprika (… das ist schon vorgerichtet, da kann ich nichts mehr ändern …) so unauffällig wie möglich unter der Serviette zu verstecken. Will ja niemanden vor den Kopf stoßen damit. Meine Nachspeise nehm ich mir gerne selber mit und esse das komische Zeug dann verschämt in einer Ecke. Sicherheitshalber allein, damit sich niemand davor ekeln muss.

Wenn mir dann übel wird, weil da dann doch Mehl oder Knoblauch oder sonstwas von meinen „Spompanadeln“ in der Suppe war, dann ist das allein meine Vergnügen und ich verstecke es unter krampfhaftem Grinsen. Das Nouvelle Cuisine Geschmackserlebnis geht über alles, da haben solche Fisimatenten keinen Platz.

Ich bin auch gern bereit, demütig die Lacher und Bonmonts auf meine Kosten zu übernehmen und es mit einem gesenkten Haupt zu gutieren, dass man sich über mich, bzw. meinen „Ernährungsspleen“, lustig macht. Es sind ja nur Flachsereien, nix Böses, muss man schon verstehen.

Natürlich ist es auch vollkommen ok, wenn mir wer, der mich gerade mal vor 5 Minuten kennen gelernt hat, langatmig erklärt, was an dem, wie ich lebe und esse falsch, dumm, nicht in Ordnung ist. Völlig klar – meine über 50 jährige Kenntnis meinereiner und meine gut 15 Jahre Erfahrung mit meiner Erkrankung und den damit einhergehenden Einschränkungen sind NICHTS im Vergleich zu der umfassenden Lebensweisheit eines mir völlig unbekannten Menschen, der mir nur einen Blick zuwerfen muss, damit er/sie mir sagen kann, was ich bisher alles falsch gemacht habe.

Aus lauter Rührung über diese Erkenntnis verstumme ich dann nur leider immer wieder und kann die übermittelten Infos, a la …

  • „Da kann ich dir genau sagen, was du tun musst, …“
    oder
  • Ich hab auch was hinter mir. Da kenne ich wen, der legt dir die Hand auf …“
    oder
  • „… na, dein Arzt ist aber sehr streng mit dir. Solltest wechseln.
    usw. usf.

… nicht so wertschätzend bedanken, wie sie sicher gemeint sind.

Bitte es mir dann nachzusehen, wenn ich ob dieser unfassbar neuen Erkenntnisse und Tipps schweigend meinen Rückzug antrete. Ich muss diese Infos dann vermeditieren, um mein Glück über die nun endlich erfolgte Erlösung aus meinem unverständlichen Leiden verarbeiten zu können.

Ich bedanke mich auch innig sehr über die wohlgemeinten Schulterklopfer, in Form von …

  • „Jetzt schau aber mal dazu, dass du den Scheiß los wirst!
    oder
  • „Na hoffentlich wird das endlich besser bei dir!“
    und
  • „Ist ja auch kein Leben“
    usw. usf.

Die muntern mich immer ganz dolle auf.

Ich bedanke mich also, lächle lieb, wie ichs vorm Spiegel geübt habe, und sage auch nur noch ganz, ganz selten, dass es mir vor nicht allzu langer Zeit verdammt und sehr beschissen arg viel schlechter gegangen ist.
Das ich ein paarmal dem alten Hoppser gerade noch von der Schaufel gesprungen bin und nichts gegen ein vorzeitiges Eingraben gehabt hätte (weils mir so dreckig ging, dass ein paar Schaufeln Erde über mir eine wundervolle Erlösung gewesen wären)
Oder das ich unheimlich stolz bin, aus diesem tiefen Loch mental und physisch wieder heraussen zu sein.
Oder das diese Essens-Einschränkungen und das Auf-mich-selber-Rücksicht-nehmen für mich keinen Behinderung, sondern Selbstfürsorge ist.

Sag´ ich alles nicht.
Oder nur ganz selten.
Zum Beispiel wenn es mir gerade nicht so gut geht. Weil das Essen, dass man mir, die ich ja nix darf, netterweise zusammengebraut hat, ein wenig im Magen liegt. Weil doch nicht alles so verträglich war, wie es lasch angekündigt wurde. Dann kanns sein, dass meine Synapsen gerade ein wenig behindert sind, weil ihnen der Schädel brummt, und dann rutschen mitunter so Aussagen raus.

Für die ich mich hiermit entschuldige.
Meine Schuld.

Hätte mir ja ein anderes Karma suchen können.
Oder nicht überall „hier“ schreien sollen. Weil das hab ich sicher, so oft wie man es mir schon gesagt hat. Die Mehrheit hat sicher recht, geht nicht anders.
Habe ich ja auch schon von Ärzten gehört.
Muss also stimmen.

Danke auch für die immer wieder belehrenden Infos, dass meine „Diät“ so nicht stimmt.
Weil: Wenn wer angeblich keine Laktose verträgt, aber dennoch Butter und Schlagobers und harten Käse isst – dann kann das ja wohl nur eine Farce sein, weil das wird ja auch aus Milch gemacht, nicht wahr?!1!!

Dass diese Milchproduke so gut wie keine Laktose mehr enthalten, auch kaum mehr ein Protein drin ist, sie an sich nur noch aus Fett bestehen … geh´ bitte, wer will denn da so kleinlich sein. Das sind Korinthenkackereien und geschwafeltes Wissenschaftsgewäsch. Man weiß doch, dass Milch von Kühen kommt und daher nicht vegan ist. Also muss sich die Laktoseunverträglichkeit auf alle Milchprodukte ausweiten. Vollkommen logisch.

Wenn ich dann versuche anzumerken, dass ich weder Veganerin noch Vegetarierin bin, und diese faszinierende, unheimlich logische Schlussfolgerung leider nicht nachvollziehen kann (bin sichtlich zu blöd dafür) oder gar anmerke, dass auch ErnährungsberaterInnen und entsprechende ÄrztInnen der Meinung sind, dass Butter, Sahne und harter Käse bei Laktoseunverträglichkeit annehmbar sind … dann ist es absolut ok, wenn man mich verbal niederbügelt, lächerlich macht und die einmal erstellte Meinung um keinen Punkt zurücknimmt.

Als ob man mir zutrauen könne, dass ich weiß, was gut für mich ist!
Hah!
So verkrankt wie ich nun mal bin, so mit Diagnosen überschüttet, von denen man die Hälfte nicht kennt und den Rest nicht weiß, wie mans aussprechen soll – also so wie ich bin, kann ich doch gar nicht wissen, was mit mir los ist und was mir wirklich gut tut.

Kurkuma* zu Beispiel.
Oder Weihrauch**.
Oder Yoga *** .
Oder ordentlich Knoblauch ****.
Weil der putzt durch und wirkt reinigend.
Oder so Zeug halt, von dem man volksmedizinisch weiß, dass es den Tod und alles andere besiegen kann.

Ich muss halt einfach aufgeschlossener werden, diesen Alternativen gegenüber, und mir endlich zugestehen, dass meine schloddrigen Vorleben an allem Schuld sind. Weil ich sicher mehrmals verflucht wurde und nichts habe anbrennen lassen, in meinen früheren Existenzen. Dieses Dasein hier ist nun die Strafe dafür und es geschieht mir vollkommen recht.

Es tut mir auch sehr leid, dass ich immer, egal wohin ich komme, mehr Klopapier als andere verbrauche. Ich habe zwar meist eine Ersatzrolle mit und, sofern ein entsprechendes Geschäft in der Nähe ist, kaufe ich auch selbst welches nach. Aber erwarte dummerweise immer noch, dass der Beherbergungsbetrieb für das Nachfüllen der WC-Papierbestände zuständig ist. Auch der höherer Wasserverbrauch tut mir leid – wer öfter muss, verpritschelt leider auch mehr vom kostbaren Nass. Sorry.

Ich verstehe auch, dass man Schmarotzern, die solche Papiermengen verschwenden, einen Riegel vorschieben muss und deshalb nur WC-Papier der Marke „Fichte sägerauh“ verwendet. Vollkommen klar: Wenns am Po ordentlich raspelt, dann nimmt man weniger und verkneift sich das Geschäft.

Wenn man das noch kann, das Kneifen.
Ich kanns leider nimmer und muss sofort, wenns Müssen ansteht. Wurscht wo ich gerade bin.

Aber ich bin ja auch ein besonders mühsamer Fall, uneinsichtig und zu kompliziert, aus eigener Schuld.

Ach ja, fast hätt´ ichs vergessen: Das ich mir das alles nur einbilde, diesen komischen Morbus, mit dem Crohn und dem Sjögren, und was da sonst noch so auf meinem Sündenregister steht, ist sicher richtig. Denn das weiß man ja, dass solche Dinge von den Pharmafirmen erfunden wurden und psychisch instabile Persönlichkeiten auf sowas abfahren. Hypochonder wohin man schaut und überhaupt:
Ich sollte viel mehr froh sein, dass ich keinen Krebs habe.
Weil – Hallo!? – denen gehts ja WIRKLICH dreckig, elend und schlecht. Das sollte mich glücklich machen.
Obwohl die Krebstypen ja auch nur das Falsche essen und einfach nur positiver denken sollten. Aber das ist eine andere Geschichte.

Also was ich sagen wollte:
Es tut mir leid für die Umstände, die ich immer mache, wenn ich es wage, woanders als zu Hause zu essen, zu schlafen, zu sein.

Ich entschuldige mich sehr herzlich und fast aufrichtig dafür.

Und ich erzähle euch im Gegenzug nicht, wie oft ich jemanden gern die Pest, Ruhr und Cholera an den Hals wünschen würde, für diese Ignoranz und Überheblichkeit.

Oder wieviele Löcher ich anderen schon in die Aura geflucht habe (was ich nieeee tun würde! Herz aufs Hand!).

Oder wie sehr mir solche Aussagen und Übergriffe weh tun … und wie viel Überwindung es mich danach kostet, mich nicht dauerhaft in meiner Höhle zu verkriechen, sondern trotzdem immer wieder raus zu gehen, woanders zu sein, auf Reisen zu gehen.

Ich lächle einfach nur müde, unterdrücke den Impuls zu schreien, lasse es, so gut es geht, an mir abprallen und wundere mich nicht mehr, dass ich dadurch immer wieder blaue Flecken habe.

Danke daher hier nochmal für die ganzen wunderbaren Tipps und Infos und die zumindest angedachte Rücksichnahme auf meine absonderlichen Befindlichkeiten.
Ich verspreche: Im nächsten Leben mach ichs besser.

Herzlichst (fast ehrlich gemeint, ich bemühe mich wirklich),

Michaela

*Kurkuma mag ich an sich sehr, vertrags auch gut. Nehme es gern als Gewürz und da so, wie man Gewürze nehmen soll: In Maßen. Nicht eimerweise.

**Weihrauch habe ich schon zur Genüge ausprobiert – als Kapseln, als Harz, gegessen, geräuchert … letzteres gerne nach wie vor hin und wieder.

***Yoga mache ich so gut wie täglich.  Ausser mir gehts so besch***, dass ich nicht mal aufstehen kann. Anders würde ich den Alltag (und die meisten meiner Mitmenschen) nicht überstehen.

****Knoblauch ist leider der absoluten Obergrausehammer – vermutlich bin ich ein Vampir oder so. Ich liebe diese Knolle, aber sie hasst mich. Das er durch putzt stimmt übrigens: Der räumt mich von innen heraus weg.

6 thoughts on “Die, die nix darf.

  1. Hatte ich dir eigentlich schon Urin-Therapie empfohlen?

    Den Tipp habe ich neulich gratis von einer sehr netten Dame bekommen, die auf meine Frage „Ach, sie haben auch Eierstock-Schnieptröte und konnten sich mit Eigenurin heilen?“ antwortete: „Nein, ich habe nix, weil ich immer meinen Mittelstrahl trinke. Sie müssen sich lediglich überwinden!“

    Prösterchen!

    1. Na endlich rückst du mit den guten Tipps raus! Jetze wird alles jut – hoch die Tassen! … oder nimmt man da Sektflöten? Weingläser? Cocktaildingens? Ich sags aber gleich: NUR mit Schirmchen. Weil sonst isses stillos und würgt … äh, wirkt nicht 🙂

      Slainté, Prost und wohl bekomms!

  2. Herrlich geschrieben!
    Leide zum Glück nicht am Crohn und kenne doch so vieles des Beschriebenen! Manchmal müsste man sich die ein oder andere Antwort aufs Shirt drucken lassen… doch die, die das lesen sollten, würden es eh nicht tun…
    Andere wissen ja immer soooo viel besser, was einem fehlt und was man tun muss…
    das beste ist immer das „positiv Denken“, was ja gerne mal entgegnet wird. Ja ach ne, wenn ich das nicht täte, würde ich wahrscheinlich eh schon in aller Seelenruhe die Radieserl von unten betrachten!
    Danke dir für den tollen Text!

    1. Vielen Dank für deinen Kommentar und dein Feedback! Freu mich sehr darüber und auch die Bestätitung, dass es auch anderen mitunter so geht, wenn auch mit andren Ursachen.
      Sorry wegen dem späten Freischalten, hatte eine OP an der Hand und war ein paar Tage im wahrsten Sinn des Wortes ge-hand-icapt 😉

  3. Hallo Frau Michaela Schara
    Mein Name ist Norbert Klose und ich finde die Beschreibungen spritzig, ironisch, sehr treffend und irgendwie auch tieftraurig. In einigen Passagen erkenne ich mich wieder. Ich hatte es aber leichter.
    Deshalb zuerst etwas zu meiner Person. Ich habe Chemie und Lebensmitteltechnologie studiert und war bis zu meiner Pensionierung am Berufskolleg Königstrasse in Gelsenkirchen für die Bildungsgänge Bäcker und Fachkräfte für Lebensmitteltechnik zuständig. Ich kann daher sehr gut nachvollziehen, welche Lebensmittelinhaltstoffe ich esse.
    Bei mir wurde vor vielen Jahren eine Autoimmunerkrankung festgestellt. Angeregt durch eine Untersuchung über den Zusammenhang von Morbus Crohn und gehärteten (hydrierten) Fetten (Transfettsäuren), habe ich Transfettsäuren von meinem Speiseplan gestrichen und damit Erfolg gehabt. Aus Dankbarkeit darüber, dass ich dies entdecken konnte, schreibe ich Ihnen.
    Natürlich habe ich auch Ernährungsfehler begangen und daraus gelernt, dass geringste Mengen an Transfettsäuren bei mir eine Entzündungsreaktion auslösen. Warum soll es bei anderen Menschen und anderen Autoimmunerkrankungen nicht genau so sein?
    Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass Sie irgendeine Ernährungsempfehlung noch ernst nehmen können.
    Trotz der Studie der Medizinischen Hochschule Hannover (Mit gehärteten Fette gefütterte Schweine bekamen Entzündungen, die dem Morbus Crohn ähnelten) hat bisher noch kein Morbus Crohn Patient dezidiert auf den Konsum von gehärteten Fetten (Transfettsäuren) verzichtet, es sei denn im Rahmen einer speziellen und erfolgreichen Diät, wobei zufällig auch auf Transfettsäuren verzichtet wurde.
    Viele Grüße
    Norbert Klose

    1. Lieber Norbert,
      Vielen Dank für deine Ausführungen und dass Du dich auf meinen Seiten über Morbus Crohn informierst!

      Ich freue mich für dich, dass du DEINE Diät gefunden hast, die DIR hilft und bei der DU dich wohl fühlst – und auch, dass du verstehst, dass jeder seine Ernährungsform für sich finden muss, egal ob es sich um vegan, vegetarisch, gluten/laktose/weizen/…-frei oder fern von Transfetten handelt.

      Ich bin sicher, dass auch andere Erkrankte bereits ähnliche Erfahrungen gemacht haben, mit unterschiedlichen Erfolgen. Weil ja nicht nur Morbus Crohn zu den Erkrankungen zählt, die sehr speziell sind und für jeden andere Nahrungs- und Medikationsversionen bereit halten.

      Alles Gute weiterhin und schöne Grüße
      Michaela

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