Schlagwort: Crohn + Alter

Crohnisch Alt

Wofür sind Frauen über 50 noch gut?

Ich habe vor ein paar Monaten beschlossen meinem Blog hier eine klein wenig neue, angepasstere Ausrichtung zu geben, getreu dem Motto: Crohnisch alt. Das ist jetzt … nun ja, paar Wöchlein her. Das Leben hatte zwischendurch ein paar andere Termine mit mir – gute und weniger gute, wie das halt so ist.

Anfang November, rund um meinen 55. Geburtstag, bin ich im Netz auf die Blogparade von Mia Brummer gestoßen und es hat „Klick“ gemacht – da muss ich was dazu schreiben! Denn Mia stellt ein paar spannende, provokante Fragen und wünscht sich ernsthafte Antworten dazu:

… wie wird man in der Gesellschaft als Frau 50+ wahrgenommen?
Wie darf man sein oder soll man sich verhalten? Was geht Dir dabei durch den Kopf?

Da ging mir einiges dazu durch den Kopf und spontan habe ich alle Fragen, die Mia als Beispiel für mögliche Beiträge gestellt hat, genommen und meine Antworten dazu geschrieben.

Voilá, hier nun meine Sicht zum großen Thema „Wofür sind Frauen über 50 noch gut?

Ist man mit 50 endlich erwachsen?

Wenn ich von mir ausgehe: Nein und ich glaube, dass ich das auch niemals werden möchte – im Sinne von dem, was ich als Kind unter dem gesellschaftlichen Status von „erwachsen“ verstanden habe. Meine Interpretation dieses Begriffes ist: Gesetzt, statisch, angepasst … auf Spur gebracht, ohne besondere Extravaganzen, die Emotionen sind unter Kontrolle und da bleiben wir, mit Fixanstellung, bis ans ultimative Ende. Furchtbar!

Dieses Bild ist mir zu statisch. Je älter ich werde, desto mehr wachse ich in mein inneres Kind hinein: Neugierig, immer am Lernen (in der guten Version, nicht in der schulischen!) und auf der Suche nach Geschichten. Mit den Jahren werden der Raum und die Freude, mit der ich mich auf dieser Reise sehen, immer mehr. Mit 30 hatte ich meine „Ich bin erwachsen geworden“-Phase und habe mich wie oben beschrieben gesehen. Inklusive „vernünftiger“ Schuhe und einer Kittelschürze, damit ich beim Kochen die gute Kleidung schone. Was bin ich froh, dass ich schon 2-3 Jahre später wieder weit weg davon war und seit damals von Jahr zu Jahr realisiere, dass ich noch so viele kindliche Anteile in mir habe, die darauf warten gelebt, bestaunt, erforscht zu werden. Wenn überhaupt, dann werde ich mit jedem Jahr immer weniger „erwachsen“ und das ist richtig toll – denn nun bin ich alt genug, damit ich mir das bewusst leisten und mir selbst beim Wachsen zusehen kann. Irgendwann wird sich dann hoffentlich, vielleicht, möglicherweise ein Status einstellen, der nix mit dem knöchrigen Erwachsenendasein zu tun hat, aber viel mit dem, was man unter einer weisen, wilden Alten versteht, die Hand in Hand mit ihrem inneren Kind Abenteuer erlebt – das lockt mich viel mehr.

Findest Du als junge Frau Frauen 50+ eher peinlich oder cool?

AlterCrohn sm 300x225 - Wofür sind Frauen über 50 noch gut?Ich transportiere diese Frage in die Vergangenheit und ja, da waren mir manche Ü50-Frauen peinlich. Seltsamerweise weniger die im eigenen Umfeld, Sondern eher die, die ich nicht näher kannte. Ich glaube auch, dass es weniger wegen des Alters war, denn wegen ihres Auftrittes und Charakters.

Die alten Frauen in meinem Familienumfeld waren für mich absolut nicht peinlich – sie waren Ikonen und Matriarchinnen, der Hafen meiner Kindheit und Jugend. Sie waren weise, kraftvoll von innen heraus, und wissend, über das theoretische Wissen hinaus. Klar hatten sie fallweise auch eine sehr robuste eigene Meinung, die meiner widersprach. Doch im Vergleich zu meinen Eltern habe ich mir von ihnen mehr sagen lassen und die Ratschläge wurden nie aufgezwungen.

Sie hatten unglaublich viel er- und überlebt und dennoch war da noch so viel wildes, waches, lachendes Leben – soviel Interesse an Neuem, soviel Flexibilität sich Neuem zu stellen und zugleich die Stabilität, die ich als Kind so hilfreich gefunden habe. Sie umsorgten ihr Umfeld und hatten zugleich ihren Platz im Leben gefunden, mit natürlicher Autorität, ohne innerlich auszubrennen. Ob sie sich als erwachsen gesehen hätten? Ich weiß es nicht.

Ich bin sehr glücklich, dass ich diese weisen Frauen in meinem Leben zur Unterstützung hatte. Aber als cool hätte und würde ich sie nicht bezeichnen – das wäre … unpassend, nicht stimmig. Sie waren tough, vif, klug, verschmitzt, listig, furios, gewitzt, liebevoll sarkastisch und mitunter auch ein wenig hantig – also vielleicht doch auch cool. Nur eben in anderen Worten.

MiAAvatar2020 262x300 - Wofür sind Frauen über 50 noch gut?Als meine Kinder in dem Alter waren, wo die Elter peinlich werden, habe ich die pubertären Ausrufe a la „MAMA!!! Du bist sooo peinlich!“ immer mit „Nix da – wenn schon peinlich, dann zumindest URPEINLICH, weniger ist nicht!“ quittiert und mich innerlich gefreut, dass ich etwas zu einer gesunden, normalen Kindesentwicklung beitragen darf und dabei auch noch meinen Spaß habe 🙂

Ich bezweifle aber sehr, dass mich das in den Memoiren meiner Kinder zu einer coolen Mutter macht.

Gewinnt das Leben jenseits der 50?

FuckingGreatJob 300x225 - Wofür sind Frauen über 50 noch gut?Ich denke nicht, dass man etwas gewinnt, denn das impliziert, dass man auch etwas verliert. Ich denke es verändert sich – es gibt mehr vom einen, weniger vom anderen. In Summe bleibt es gleich, aber vom Inhalt her ist es in vielen Bereichen anders. In meiner Vorstellung ist es wie bei einer guten Saucen-Reduktion: Die Erfahrung kocht sich ein, wird konzentrierter und damit gibt es mehr Raum für neue Interpretation, neue Erfahrungen aus angelerntem Wissen. Die Perspektive kann sich ja nur neu ausrichten, wenn man ihr diesen Raum zugesteht und das ist vermutlich das, was man als „Gewinn“ bezeichnen kann.

Wie erlebst Du diese Zeit?

Fordernd, wild, unberechenbar – manche Tage sind grausam, weil der Körper mir klar zu verstehen gibt, dass Ü50 und mehrere chronische Erkrankungen eine miese Kombination sind. Das sind Tage, da fühle ich mich sehr sterblich und das ist erschöpfend.

Andere Tage sind reiner Genuss, weil ich Zeit, Kraft und die Möglichkeit habe, in mein Tempo, meine Interessen zu sinken. Dazwischen sind die Tage mal so, dann wieder anders und um es mit den Worten meiner nun auch schon über 50jährigen Schwägrin zu sagen: „Das letzte Mal war mir, glaub ich, in den 70ern langweilig.

Ich habe einerseits einen unglaublichen Lernhunger. Ich will endlich all die Orte besuchen, die ich schon lang auf meiner Löffelliste habe, all das Lesen und Lernen, was mich interessiert. Zugleich aber weiß ich, dass ich weise wählen und behutsam planen muss, alles geht einfach nicht. Nicht nur wegen meiner Gesundheit, sondern primär wegen der Kosten – der materiellen und der Nicht-Materiellen. Erholphasen einzuplanen ist mittlerweile immens wichtig. Diese Erkenntnis, dass ich neue Erfahrungen mit viel Ruhe ausgleichen muss, damit Körper und Geist alles verarbeiten können, ist etwas, wo ich noch Training brauche. Aber wie gesagt: Ich will noch so viel lernen … vielleicht finde ich ja auch Geduld am Weg 😉

Welche Vision hast Du für Deine Zeit 50+?

MichaelaSchara Profilbild2022 SW 300x300 - Wofür sind Frauen über 50 noch gut?

Auch diese Frage lege ich in die Vergangenheit. Meine Vision vor dem Überschreiten dieser „magischen“ Grenze war sehr schwammig. Ich dachte, dass es einfach so weitergeht wie bisher, nur eben mit mehr Jahren am Buckel und rein körperlich ist man das leidige monatliche Bluten los. Halleluja.

Das es nicht so einfach ist, hat mich der Wechsel gelehrt. Meine tiefste Hochachtung gebührt dem Wunderwerk des weiblichen Köpers, der am Ende der so called „fruchtbaren Jahre“ einen kompletten Umbau vornimmt. Das ist definitiv nix für Feiglinge und so individuell, wie Menschenfrauen eben sind – für jede also anders. Ich hatte keinen Erfahrungsschatz, der mich auf die Pubertät des Alters vorbereitete – auch nicht in meinem Umfeld. Ich wusste auch nicht, dass ich mir beizeiten einen hätte zulegen sollen, um vorbereitet zu sein.
Dummerweise hatte (und habe, seuzf) ich die Schranken des antrainierten guten Benehmens intus, was im Gegensatz zur jugendlichen Pubertät doch eine Beschränkung ist, wenn man nach 4-5 Jahrzehnte wieder in der Hormonbaustelle andet. Wutanfälle, depressive Verstimmungen und alles, was mit hormonellen Wirbelstürmen einhergeht, kann man als Jugendliche normalerweise leichter ausleben. Mit Beginn der Lebensmitte hat man meist gelernt sich im Griff zu haben und solche Probleme mit sich allein, zuhause, im stillen Kämmerchen, auszumachen.

Eine rückblickend sehr blöde Ausgangslage, die nicht hilft. Austausch mit anderen wäre zu diesem Zeitpunkt sehr, sehr willkommen und hilfreich gewesen. Ich hatte 2-3 ältere Freundinnen, die ich fallweise en passent gefragt habe, aber eher nur am Rande, dezent, in der Hoffnung in kein Fettnäpfchen zu steigen. Denn schließlich trägt kaum eine Frau ein Schild „Vorsicht Leute, ich bin im Wechsel!“ am Revers und manch eine, der man es innerlich unterstellt hat, ist noch meilenweit davon entfernt. Es ist also ein wenig ein Minenfeld.

In besonders bittersüßer Erinnerung ist mir die Antwort einer Freundin, die mir einige Jahre voraus hat, die ich nach der Dauer der elenden Hitzewallungen gefragt habe. Ihre Antwort: „Ich sags dir, wenn sie bei mir vorbei sind.“ Das hat mir dann zwar bestätigt, dass auch andere mit weit mehr Lebenserfahrung als ich damit kämpfen. Aber betreff Motivation wars dann weniger hilfreich.

Heute weiß ich: Auch da gibt es kein „Reglement“ – das verläuft bei jeder so was von anders, dass der Crohn im Vergleich dazu ein durchstrukturierte, grundstabiler und höchst pedantischer Zeitgenosse ist.

Kommt denn Deiner Ansicht noch was nach 50?

LebenLernen sm 300x225 - Wofür sind Frauen über 50 noch gut?Na aber Hallo! Sicher doch – und zwar sowas von 🙂

Ich hab seit einiger Zeit das Gefühl, als würde ich erst jetzt in die Schuhe hineinwachsen, die mich auf meinen Lebensweg bringen. Wohin der geht? Keine Ahnung, aber ich weiß, dass da noch einiges an besonderen Stationen am Weg wartet. Schönes, Spannendes, Wildes, Trauriges, unglaublich Lustiges, unglaublich Schmerzvolles – eine Mischung so bunt wie das Herbstlaub im Indian Summer. Leben eben.

Lebt man jenseits der 50 nur noch in der Vergangenheit?

Wenn man nicht bereit ist dem Wandel die Tür zu öffnen, dann bleibt einem gar nichts anderes über, als in der Suppe der Vergangenheit zu dünsten. Manchen reicht das und manche klammern sich panisch an jeden Zentimeter dieser Zeit, besonders was Äußerlichkeiten betrifft. Andere wieder verschließen die Tür vor Neuerungen, egal ob technischer oder gesellschaftlicher Natur. Ihnen reichen die Erkenntnisse und Errungenschaften „ihrer“ Zeit.

Wandel ist eine schwierige Sache und man wird nicht wirklich flexibler, wenn man in jungen Jahren schon unflexibel war. Wandel macht Angst, lotst er einen doch in unbekanntes Gelände. Da kann man schnell stolpern, sich die Knie verletzten und das Aufstehen dauert einfach länger, je älter man wird.

UnterbergHuettenhang 300x300 - Wofür sind Frauen über 50 noch gut?Ich stehe im Winter manchmal am Rande von Schipisten, bei denen ich vor Jahrzehnten nicht mal ansatzweise gestoppt hätte. Mit einem „Hurra!“ hätte ich mich die schwärzeste Piste hinunter gestürzt. Vollgas natürlich, denn wer bremst ist feig. Helme hatten wir damals noch nicht, was soll schon groß passieren? Stürze wurden mit einem Achselzucken abgetan, sie waren die Medaillen am Ende des Tages – wenn sie gut ausgegangen sind.

Heute graut mir vor dem steilen Stück. Ich wähle bewusst eine sanftere Route oder gleite am Rande des Steilstücks hinunter. Ich weiß wie weh die Eisplatten tun, wenn man auf ihnen aufschlägt, wie es sich anhört, wenn ein Band im Knie reißt, wie lange es dauert, bis ein Cut auf der Stirn verheilt. Ich habe meinen Anteil an Verletzungen erlebt – es reicht. Ich weiß wieviel Kraft es mich kostet, wenn ich mir hier etwas Ernsteres zuziehe und wie wenig mir mein labiler Rücken verzeiht. Aber ich weiß auch, dass ich nichts verliere, wenn ich stattdessen auf der gemütlichen Piste die Aussicht in meinem Tempo genieße. Unten angekommen warte ich mit allen anderen darauf, wieder nach oben gebracht zu werden und da fragt keiner, welchen Weg ich hinunter genommen habe.

Unterberg Gipfelkreuz 300x225 - Wofür sind Frauen über 50 noch gut?Wer sich mit Ü50 dazu entschließt solche Dinge aufzugeben, hat vermutlich eine vernünftige Entscheidung getroffen. Ob sie einem auch glücklich machen, ist eine andere Geschichte. Und genauso ist es mit der Entscheidung, ob man in der Vergangenheit leben mag oder nicht. Aus meiner Sicht gibt es auch im Leben ab 50 schwarze, rote und blaue Pisten – also die Möglichkeit sich den Weg zu suchen, bei dem man gut mitkann und die rasanten, wilden Strecken denen zu überlassen, der Knie noch heile Bänder haben oder denen die Konsequenzen weniger ausmachen. Schlussendlich enden alle Pisten im Tal und man hat immer die Wahl, wie man das nächste Mal abfährt.

Gibt es überhaupt noch ein Leben jenseits der 50?

Natürlich, sonst wären die Friedhöfe ja voll mit lauter Menschen, die an der 50er-Schwelle den Löffel abgegeben haben 😉

Die Frage ist nur, ob sie auch wirklich ein Leben leben, mit allen Konsequenzen, oder nur am Leben sind, mit aktiven Vitalfunktionen, aber innerlich … leer.

Für was sind Frauen ab 50 überhaupt noch gut?

Dazu fällt mir spontan dieses Zitat ein 😉

Keiner ist unnütz, man kann immer noch als schlechtes Beispiel dienen.

Ich denke aber auch, dass das eine Frage ist, die man Männern in diesem Zusammenhang (Überschreiten der 50er-Schwelle) kaum bis nicht stellt. Da sind Phrasen wie „Je älter der Wein, desto mehr Charakter hat er“ eher gebräuchlich. Warum hört man das nie in Zusammenhang mit älteren Frauen?

Aus meiner Erfahrung und Beobachtung heraus weiß ich, dass Frauen mit dem Älterwerden deutlich besser zurechtkommen als Männer. Auch wenn ein Lebenspartner wegfällt, ist die Resilienz auf der weiblichen Seite stärker ausgeprägt, als bei Männern.

img 1041 300x224 - Wofür sind Frauen über 50 noch gut?Frauen haben Zeit ihres Lebens mit unzähligen Umbrüchen und Veränderungen zu tun, auf körperlicher Seite, gesellschaftlich, familiär. Damit liegt uns die Flexibilität in den Genen, wir mussten uns schon sehr früh immer wieder anpassen und haben gelernt, das alles neben dem „normalen“ Leben zu schaukeln.

Insofern kann die Gesellschaft von der Fähigkeit der weisen Alten nur profitieren und die wahre Frage sollte eher lauten: Warum wird dieses Potential noch so gar nicht bis kaum genutzt? Warum wird es klein geredet, mies gemacht, ins Lächerliche gezogen – woher kommt die Angst vor den alten Frauen? Wann haben wir die Kraft der weisen Alten ausgeblendet aus dem Reigen des Lebens und vor allem: Warum? Vielleicht ist es endlich an der Zeit, hier klar Schiff zu machen, denn wir brauchen diese Kraft einfach – nicht nur wir Frauen, sondern alle. Darüber könnte man zum Bespiel bei einem Glas alten Weines philosophieren 😉


Liebe Mia, 

vielen Dank für die tolle Idee und den „virtuellen“ Schubbser, mal wieder schreibend aktiv zu werden 😉 Ich bin schon sehr auf die anderen Beiträge und dein Resümee gespannt!

Herzliche Grüße, 
Michaela (oder auch MiA – fallweise 😉 )


Alle Infos rund um Mia Brummers Blogparade findest du hier:

Blogparade: für was sind Frauen ab 50 überhaupt noch gut?

Hast du andere Antworten auf die obigen Fragen? Oder Ergänzungen? Dann schreib es in die Kommentare  – ich bin gespannt auf deine Sicht der Dinge!

Crohnisch Alt

Neuausrichtung: Crohnisch-alte Schachtel

Crohnisch alt – darüber habe ich schon mal einen (eher weinerlichen) Blogbeitrag verfasst.
Warum das Thema also nochmal aufgreifen?

Vielleicht ist es mehr als eine (vielleicht) „coole“ Überschrift, vielleicht reicht ein Blogbeitrag dazu nicht aus. Schließlich geht es ja um eine ganze Lebensphase. Möglicherweise ist es auch ein Statement, unter Umständen ein Ruf, mit Sicherheit aber ein Fakt und allein gesehen eine sehr klare Aussage.

Ich bin es jedenfalls.
Ich habe Crohn, ich bin alt.
Ich bin crohnisch alt.

„Aber mit 55 ist man doch noch nicht alt!!1!“
Sagen die, die in etwa das gleiche Alter haben, kurz davor sind oder kurz danach.
Oder die, die noch weit weg davon sind, aber einfach höflich sein wollen. Oft gefolgt von einem „.. und so alt siehst du auch nicht aus …

Und ehrlich gesagt: Alt fühl ich mich auch nicht. Im Gegenteil, ich hab innerlich das Gefühl, als wäre ich knapp vor der Pubertät. Leider sagt mir mein Körper dann täglich, dass dem nicht so ist. Aber das ist einerseits dem Crohn und seinen fiesen Kumpels geschuldet und andererseits der Tatsache, dass man mit dem, was ich habe und was ich erlebt habe, jeden Morgen eine Körper-SMS mit der Erinnerung an das biologische Alter geschickt bekomme. Wortlos, stumm und deutlich wahrnehmbar.

Alt bin ich, weil unsere Gesellschaft es so sagt, wir es so leben, es so kommuniziert wird, verbal und non-verbal.

Alt bin ich, weil jeder, der die 35 hinter sich hat, jenseits der Jugend steht – zumindest wenn man denen glauben mag, die rund um die 30 sind und nun laut erklären, dass es zu Ende geht mit ihrem jugendlichen Life.
Das ist lieb, aber let me tell you: Das ist kompletter Schwachsinn, auch wenn ein wahrer Kern dahinter steckt. Die Jugend, wo man glaubt, dass mit 30 das schöne, fröhliche Dasein endet und danach nur noch das grausige Greisenleben droht, mit Gesundheitsschuhen und vernünftigen Gedanken, diese Jugend endet und das ist gut so.

Wenn man diese Mid- oder Quater-Life-Crisis dann hinter sich hat, beginnt das Dasein, wo man innerlich wieder jung wird und der Körper sich in Richtung finaler Größe wandelt. Lustige Ideen und jugendliche Gedanken, hat man auch dann noch mehr als genug. Auch steigt die Anzahl kreativer Ideen, bei gleichzeitigem Erkennen, dass man nicht alle umsetzen kann. Womit sich der Fokus zentriert und man sich zunehmend dafür entscheidet, den ultimativen Lebenstraum in Angriff zu nehmen, den man in der „Jugend“ auf später verschoben hat und mit Mitte 30 kurz als „geht sich eh nicht mehr aus“ trantütig besoffen hat.

Alt bin ich, weil ich mich an manchen Tagen so fühle als wäre ich körperlich eine ältere Schwester meiner Großmutter und hätte mein Sterbdatum verpasst. „Ich bin knackig – alle Gelenke knacken mir ein guten Morgen zu!“ ist die lustige Umschreibung von etwas, was ohne diesem Bonmot kaum für Humor sorgt, wenns passiert. Das ist ein Zustand, der sich aus meinem physischen Alter ergibt und dem, was ich von Haus aus mitbekommen habe.
Altersbedingte Verschleißerscheinungen“, sagt man ärztlicherseits und wenn man das zum ersten Mal in einem Befund liest, dann … nun ja, das ist auch eine Art Meilenstein. Nur halt einer, den man von der anderen Seite aus betrachtet und sich fragt, wann man den passiert hat.

Alt bin ich, weil ich nicht jung gestorben bin – ein unglaublich erfrischender Fakt, den man sich an bestimmten Tagen mehrmals täglich sagen sollte, mit dankbaren Gefühlen und Stolz. Denn das bedeutet, dass man etwas überlebt hat, was in den berühmt-berüchtigten früheren Zeiten zu einem Ausschluss aus der Evolutionsstufe geführt hätte, und zwar lange bevor man sich mit der pseudo-deprimierenden 30er-Grenze beschäftigen musste.

Alt bin ich, weil ich weniger Jahre vor mir, als hinter mir habe. Zumindest rein statistisch und ich habe ehrlich gesagt kein Animo mit 110 und älter über diesen Text hier herzhaft zu lachen. Außer von einer Daseinsstufe aus, die man als jenseitig bezeichnen kann.

Crohnisch alt hingegen ist eine andere Qualität, denn das wird man nur, wenn man Crohn hat und dem entwachsen ist, was man als „jugendlich“ bezeichnen kann.
Alt zu werden mit einer Erkrankung, die als „betrifft hauptsächlich junge Menschen“ bekannt ist, ist eine spezielle Herausforderung. Denn dann wird einem klar, dass das man mit so einer Erkrankung auch nicht jung bleibt und irgendwann die üblichen Alterssachen hinzu kommen, in vollem Umfang. Plus dem lieben Herren Crohn, den Nebenwirkungen der Erkrankungen und denen der Medikamente und allem, was aus der unglücklichen Kombination dieser Faktoren ergibt.

Da wird einem dann auch klar, dass es ein Glück war, in „jungen Jahren“ die Diagnose bekommen zu haben. Denn wenn man das ein halbes Jahrhundert nach seiner Geburt oder noch später gesagt bekommt, wird die Resilienz in besonderer Art und Weise gefordert. So ist man mit dem lieben Herrn Crohn mitgewachsen, im besten Fall.

Crohnisch alt werden bedeutet auch, dass man noch unsichtbarer wird in der Gesellschaft. Nein, das ist keine Einbildung und auch keine persönliche Emotion. Es ist ein Fakt. Wenn du mir nicht glaubst, dann schau dich auf den einschlägigen CED-Infoseiten um, schau dir die Bilder an. Schau dir die Profile der CED-InfluenzerInnen auf FB und Instagram an. Schau in die Broschüren, die von CED-Ambulanzen, Pharmafirmen und allen, die CED-Infos drucken, ausgegeben werden.
Du wirst kaum bis keine Darstellungen von Menschen „jenseits der Lebensmitte“ finden.
Man könnte glauben, dass man mit Crohn nicht alt wird.

Doch zum Glück ist dem nicht so und darum bin ich an den meisten Tagen froh, dass ich crohnisch alt bin.
Diese Unsichtbarkeit tut manchmal weh. Mit Demut erkenne ich dann, dass auch ich das meine dazu beigetragen habe, dass der Crohn das Stigma ewiger Jugend trägt. Damals, als ich noch „jung“ war und nicht daran dachte, dass ich ein advokates Ablaufdatum überschreiten könnte.
Dieses Datum, ab dem man still und sanft optisch aussortiert wird. Ein Prozess, der nicht aktiv, sondern unbewusst und schleichend passiert.

Ein Prozess, der auch davon genährt wird, dass man irgendwann keinen Bock mehr darauf hat, sich als Patient-Advokat in den Vordergrund zu spielen und mitzukämpfen, bei den Awareness-Kampagnen und Aktionen. Man lässt lieber die „Jungen“ ran, die noch Feuer in den Knochen haben (ich mein kein Fieber, sondern brennendes Engagement). Man zieht sich zurück auf die Admin-Front, auf die stillschweigende Unterstützung, die sanft immer passiver wird.

Das liegt auch daran, dass man einen Punkt erreicht, wo man innerlich auch den Crohn emotional herabstuft. Er ist zu einem voll integrierten Lebenspartner geworden, an den man sich gewöhnt hat. Man mag ihn nicht, mochte ihn nie, aber man hat sich an ihn gewöhnt, weil Scheidung gibts in diesem Setting keine.
Man kennt seine individuellen Eigenheiten, weiß was ihn triggert und wenn er dann spontan Probleme macht, dann kostet einen das nur ein Schulterzucken. Irgendwann hat man auch den größten Mistkerl auf eine Stufe gesenkt, wo er einem zwar physisch weh tun kann, aber emotional nicht mehr so flasht. Man hat eben gelernt ihn in die Schranken zu weisen, kennt Mittel und Wege, weiß wo man sich Hilfe holen kann … man ist ja schließlich Profi. Same procedure as eh-schon-wissen.

Und das ist die größte Gefahr dabei. Denn damit wird man müde und läuft Gefahr, die Zeichen zu übersehen, sie nicht ernst zu nehmen oder auch bewusst zu ignorieren. Weil man müde ist und nicht schon wieder in die Ambulanz, zur Ärztin oder CED-Schwester zu gehen mag. Man will nicht schon wieder „darüber“ reden müssen, einem neuen, jungen Ambulanzarzt die Lebensgeschichte beibringen. Man hat schon viel zu viel, viel zu oft darüber gesprochen im Lauf der Jahre. Also wird man stumm und vermeidet, ignoriert Situationen, wo man darüber sprechen muss und sollte. In der Hoffnung, dass man von den darauf folgenden Problemen übersehen wird.

Was leider keine Lösung ist und selten funktioniert.
Aber es ist verständlich.

Crohnisch alt zu werden ist eine besondere Herausforderung – auf vielen, sehr vielen Ebenen. Eine davon ist Lernen und man lernt vor allem, dass man auch als Crohn-VeteranIn noch viel zu lernen hat, lernen muss. Unter anderem über seinen Körper, was sich ein bisschen wie Verrat anfühlt. Schließlich ist das ein Partner, den man nun wirklich schon ein ganzes Leben kennt und wo man dachte, dass man alle Einzelheiten weiß. Vor allem was er verträgt, wie er sich beträgt, was ihm zuträglich ist und was nicht.
Und dann beginnt er sich in einer Art und Weise zu verändern, dass man meint, man wäre in ein neues Lebenshaus einzogen. Diese Veränderung beginnt sanft und langsam, man realisiert sie meist erst wenn sie schon weiter fortgeschritten ist. Dann macht es plötzlich Rums und man liegt geistig auf der Schnauze weil man wie gewohnt in einen Gang abgebogen ist, einen Weg eingeschlagen hat, den man seit 50 Jahren kennt und der plötzlich anders verläuft. Wie zum Beispiel die Sache mit dem Stoffwechsel. Oder das mit den Hormonen. Oder dem, was die Haut verträgt, der Magen, der Kopf, die Haare …

Sogar der Geschmack kann sich verändern, auch der Geruchsinn und damit was (und wer) einem unter die Nase geht und was nicht.

Lange bevor das Gehör nachlässt, kann (und will) man vieles nicht mehr hören, in metaphorischer Hinsicht und von der Frequenz her.

Lange nachdem man erkannt hat, was und wieviel man essen kann, erfährt man buchstäblich am eigenen Leib, dass sich die Bedürfnisse geändert haben, in der Zusammensetzung und der Menge.

Lange bevor man das realisiert, hat der Körper es schon in einer Art umgesetzt, die man klassisch als „Altersspeck“ bezeichnet und der kann auch bei Menschen mit Konfektionsgröße Extrasmall zu wachsen beginnen. An Stellen, wo man das nie erwartet hätte.

Apropos wachsen: Ich habe mal gehört, dass Nase und Ohren bis ans Lebensende wachsen. Dem ist aber nicht so. Es ist lediglich das Bindegewebe, das nachlässt, womit Nase und Ohrläppchen immer weiter Richtung Boden absacken. Was der Grund sein soll, warum viele ältere Menschen größere Nasen und Ohren haben.

Und wenn wir schon bei Äußerlichkeiten sind: Die Sache mit den Falten und den weißen Haaren wird komplett überbewertet und schon deutlich früher und sowieso bei jedem anders. Ich kenne unter 35jährige, die sich seit 10 Jahren die Haare färben, um graue und weiße Haare zu überdecken.

Crohnisch alt – tja, da bin ich nun angelangt. Jahrgang 67 (voriges Jahrtausend, Nachkriegsware), mit einigen Ecken und Dellen in der Karosserie, den üblichen Verschleißerscheinungen und einigen, die sich aus dem „crohnisch“ bei „crohnisch alt“ ergeben haben. Dazu zunehmend immer mehr werdende weiße Haare am oberen Ende meiner Karosserie, die sich jedes einzeln selbstverwirklichen wollen – so sehen sie jedenfalls aus. Gedreht, gezackt, in mehr Himmelsrichtungen wachsend, als mir bis dato bekannt sind.

Ich lieb sie, ehrlich, und begrüße jedes einzelne davon, denn sie erinnern mich daran, dass ich schon öfter vor der Wahl stand die mickrigen Haarüberbleibsel abzurasieren, weil die Medikamente und/oder die crohnisch bedingte Mangelernährung mir den Boden unter den Haarwurzeln vermiest haben. Sie kamen immer wieder und erinnern mich nun daran, dass man zwar in der Masse mit anderen aufwächst, aber auch mit dem Adjektiv „alt“ im Lebensdasein noch schräge Sachen machen kann. Zm Beispiel neue Wege beschreiten und sich mit dem, was einem wichtig ist, nicht nach der Masse richten, sondern (wie meine weißen Haare im ansonsten geordneten Schopf) hervorstechen kann.

„Weißt du, woher der Begriff alte Schachtel kommt?“, hat mich eine Freundin vor einiger Zeit süffisant grinsend gefragt. Um es mir gleich darauf zu erklären: Der Begriff stammt aus der Jägersprache. Mit „alte Schachtel“ werden ältere, weibliche Rehe, Gamsen bzw. Rotwild betitelt, die keine Jungen mehr führen. Also quasi in der Menopause sind.

Ich schätze mal, dass diesen Status nicht sehr viele Tiere erreichen, aus den klassischen evolutionär bedingten Gründen und weil das Leben in der Wildnis kein Altersheim oder -pflege beinhaltet. Wenn man also einer alten, wilden Schachtel begegnet, dann würde ich meinen, dass die einiges drauf hat. Denn nur dann überlebt sie. Damit habe ich für mich Frieden geschlossen, mit diesem Begriff. Ich finde ihn nach wie vor nicht wertschätzend. Aber ich habe durch dieses Wissen nun einiges an Argumentationskraft gewonnen und wenn mir wer altersabwertend kommt, dann wird aufgeklärt. Mit Wumms.

Crohnisch alt – das ist auf den ersten Blick vielleicht eine Sackgasse. Aber es ist auch ein Status, den man sich verdienen, den man buchstäblich erleben muss und damit wird es zu einer Herausforderung und zugleich zu einem Status, der Anerkennung einfordert. Alte, crohnische Schachteln lassen sich nicht gern in Schubladen stecken oder in den Keller abschieben und beinhalten mehr als nur überlebtes, verschrobenes Zeug. Da steckt noch einiges an Ideen und Überraschungen drin, unverstaubt und originalverpackt. (Auch wenn die Garantie vielleicht schon abgelaufen ist)

Meine weißen Haare zeigen mir neue Lebensrichtungen. Mein Körperchen ächzt und stöhnt, aber das tut es schon lang. Von den alten, weiblichen Waldbewohnerinnen habe ich mir Mut und Gerissenheit abgeschaut. Mag sein, dass ich mir das nun schön rede, aber egal. Und nachdem ich lt. Jägersprache „Keine Jungen mehr führe“ hab ich mehr Zeit mich um meine Belange zu kümmern.

Warum ich dich mit diesem crohnisch-alt-Gelabber volltexte?
Weil ich eine Einleitung und ein Statement gesucht habe, mit dem ich mich aus der Nachdenk-Blogpause zurückmelde.

Ich möchte mich in Zukunft inhaltlich mehr auf die Bereiche konzentrieren, wo es um das Problem Crohn + Alt werden/sein geht.

Mir ist klar, dass ich damit von der Zielgruppe her ein Splitting vornehme. Was bei einer Zielgruppe, die durch den Faktor „seltene Erkrankung“schon eher klein ist, ein Wagnis sein kann. Aber nachdem ich diesen Blog hier zu meinem Vergnügen betreibe und Kooperationsanfragen aus diversen Gründen kaum bis nie reinkommen bzw. frühere auf Grund meines Alters (kein Scherz) nicht mehr in Frage kommen (und auch aus diesem Grund abgesagt wurden), hab ich die absolute Freiheit frei von der Leber weg das zu schreiben, was mir ein- und auffällt.

Wenn du dich nicht alt fühlst und überlegst, ob du hier nun fehl am Platz hier bist: Keine Sorge, du wächst da auch noch hinein! Das wünsch ich dir jedenfalls von Herzen. Denn nur wer crohnisch alt wird überlebt das crohnisch Jung sein. Zudem geht es ja auch darum den Weg für die zukünftigen alten Crohn-Schachteln zu bereiten, damit die, die heute noch als jung gelten, sich morgen nicht ganz so schwer tun.

Ich nehm dich in Zukunft mit auf meiner Reise als crohnisch-alte Schachtel durch den wilden Wald des Lebens. Mag sein, dass ich langsamer hatsche als früher, mir öfter die Luft ausgeht und ich fallweise falsch abbiege, weil ich die Brille nicht rechtzeitig aufgesetzt habe. Aber Umwege erhöhen bekanntlich die Ortskenntnis und ich vertraue auf meine Instinkte, dass sie mich blind, mittels intuitivem Wissens, dahin bringen, wo ich sein will.

Mal sehen, ich glaube, das wird lustig. 

Allgemein, Cartoons

Crohnisches Altern

Ich mache täglich mein Bett. Klopfe Matraze, Decken und Pölster aus, lege alles hübsch zusammen, Tagesdecke drüber. Fertig.
Das gibt mir das spießige Gefühl, zumindest einen Teil des Tages geschafft, etwas mit Sinn gemacht zu haben und man sieht auch gleich, dass sich was getan hat. Schaffe ich an diesem Tag nicht mehr als mein Bett, ist mir das zumindest am Abend ein schöner Anblick und eine leichte Beruhigung. Meist mache ich das Bett am frühen Vormittag. Später meist nur dann, wenn der Tag nicht so gut begonnen hat und die Steigerung eher in die Tiefe, als nach oben geht.

Außerdem sortiere ich die Bestecklade nach Größe und Form und habe mir dafür den Spitznamen Gabel-Monk eingehandelt. Egal, wenn ich in die Lade schaue, was mehrmals täglich passiert, habe ich das Gefühl, dass die Ordnung auf mich überschwappt und das beruhigt mich irgendwie. Auf diesen paar Quadratzentimetern ist das Leben geregelt, alles hat seinen Platz, alles ist im Rahmen. Ein zarter Anker in einer chaotischen Welt.

Das Bett und die Bestecklade halten den Tag für mich zusammen und sorgen dafür, dass ich mich nicht verliere. Was an den Tagen, wo ich das Bett spät oder gar nicht mache und die Lade ungeordnet ist, leicht passiert. Was weder am Bett oder an der Lade liegt, sondern am Tag und an mir.

Zwei Spleens, die mir Halt geben in einer Welt, in der ich mich immer weiter von vielem entferne. Corona, die Lockdowns und das neue Weltbild haben viel verändert und manches verschärft. Zum Beispiel mein Gefühl immer weiter wegzudriften vom Alltag meiner Mitmenschen, vom Teilnehmen am menschlichen Dasein rund um mich. Wobei Corona da eigentlich nicht viel dazu getan hat, was nicht schon vorher diesen Weg eingeschlagen hat. Aber es liefert zumindest eine gute Ausrede.

Ich werde Ende des Jahres  54 und bin seit 5 Jahren in Berufsunfähigkeitspension. Arbeitsunfähig war ich vorher schon. Der liebe Herr Crohn wurde damals zum Fulltime-Job und sorgte für mehr Überstunden, als ich jemals abbauen kann.

„Sei doch froh! Du kannst dir den Tag einteilen, kannst es dir gut gehen lassen, hast keinen Stress mehr und sowas wie Dauerurlaub, ha ha!“
Ja. Genau. So ist es (nicht).

Ich bin dankbar, weil es diese Möglichkeit in Österreich gibt. Aber froh bin ich nicht. Denn der Grund für das nicht Arbeiten können ist der gleiche, der meinen Alltag mühsam macht. Und es ist nicht immer nur der liebe Herr Crohn, der etwas dazu beiträgt.

Vor 7-8 Jahren hat mein altes Leben zu bröckeln begonnen. Es wurde dürr, leerer und  vor 5-6 Jahren ist es ganz verschwunden. Mir war dabei nicht langweilig, ich habe mehrmals um meine Überleben gekämpft. Dabei blieb mein Berufsleben auf der Strecke. Ich wusste bis dahin nicht, dass man sein Leben verlieren kann ohne zu sterben. Und dass es eine Trauer über diesen seltsamen Verlust gibt, die man als einzige Hinterbliebene spürt und die einem von da an begleitet.

Ich bin dankbar, dass ich in Berufsunfähigkeitspension gehen konnte, weil es mir ein physisches Überleben ermöglicht hat und nach wie vor tut. Aber auch nach 5 Jahren ist da noch immer diese seltsame (egoistische?) Trauer. Sie veränderte sich zwar, weil andere Trauer dazu gekommen ist – „echte“ Trauer, die mit dem Verlust von innig geliebten Menschen zu tun hat, die mir lieb, wert und sehr nahe waren. Meine Lebens-Ego-Trauer hat sich davon in den Hintergrund schieben lassen und manchmal wirkt es so, als wäre sie nicht da. Aber sie schickt mir immer wieder Grüße und Erinnerungen. Einsamkeit ist eine davon.

Ich hatte ein intensives Berufsleben, dass mir – ich gestehe es heute offen- auch immer wieder zu viel wurde. Ich hatte unzählige Bekannte und viele FreundInnen, war gut vernetzt, aktiv und immer am Tun. Von diesem Dasein ist mir so gut wie nichts und – hard to write, harder to say – kaum jemand geblieben. Das kränkte zuerst, tat dann auf perverse Art „gut weh“ und dann rang sich das Verständnis durch, um den Boden für einen Abschluss dieser Lebensphase vorzubereiten. Es war und ist niemandes schuld, es ist eben Leben. Müßig darüber zu grübeln, müßig „was wäre wenn“ zu spielen oder sich die Gram zu Herzen zu nehmen. Es bringt nichts.

Klar gehören immer mindestens zwei dazu, wenn sich die Lebensumstände bei einer Seite ändern und man sich aus den Augen verliert. Es lag auch an mir, dass ich es nicht mehr geschafft habe, die Fäden zu halten. Ich war zu Beginn die meiste Zeit zu KO für alles. Der liebe Herr Crohn kann sehr imperativ sein, wenn es um die Einteilung von Zeit und Kraft geht. Als er sich dann beruhigt hatte, war der Abstand zu groß geworden und meine Angst vor bodenlosen Abgründen (Bathophobie) hat sicher auch etwas dazu beigetragen, dass mir der Mut fehlte, diesen Abstand zu überwinden.

Life is what happens while you are busy making other plans – nicht wahr?
A Crohns life happens und das mit dem „busy making“ bezieht sich meist auf was ganz anderes, als Gedanken über das Machen von Plänen.

Irgendwann wird leises Bedauern aus dem Hadern mit dem, was man nicht ändern kann, und das ist ein Zustand, der sich auf viele Bereiche des Lebens ausdehnen lässt. Leises Bedauern bedeutet, dass man nicht so viel Energie in Tränen investieren muss, denn die wären ja laut und das ist mehr als Bedauern. Leises Bedauern bedeutet auch, dass der Schmerz nur am Rande wahrnehmbar wird, wie eine sanfte Delle. Leises Bedauern bedeutet zudem, dass man sich rascher daran gewöhnt und mit jeder neuen Delle stellt sich einem eine alte Bekannte an die Seite – man kennt sich und weiß, dass man sich immer wieder begegnen wird. Leises Bedauern ist erträglich und darauf kommt es an, wenn vieles im Leben hart an der Grenze zum Unerträglichen laviert.

„Aber du dürftest dir ja was dazu verdienen, oder? Kleines bisschen, aber immerhin. Und du könntest dir Ehrenarbeit suchen, oder so…“
Yep, könnte ich beides.

Nur: Ich bin tatsächlich NICHT arbeitsfähig und weiß am Vortag nicht, was mir der Morgen zum Tagesbeginn an Kraft serviert und inwieweit sich die im Lauf des Tages verringert oder erhöht. Es ist immer spannend und unberechenbar, wie einem die Geschichte mit den Löffeln lehrt (findest du in meinem Buch auf deutsch oder hier auf englisch).

Ich bin froh, wenn ich meinen Haushalt (mit Hilfe) schaffe, mit dem Hundegirl täglich eine Runde drehen kann und das Bett täglich mache. Wenn sich mehr als das ergibt (Bestecklade & Co.), ist es ein üppiger, kraftvoller Tag und das bedeutet noch immer nicht, dass ich an diesem Tag das tun könnte, was man gemeinhin als „Arbeit“ bezeichnet. Geschweige denn, dass es ausreicht, um dafür Geld zu bekommen. Es geht einfach nicht und auch wenn ich mich wiederhole: Ich bin dankbar, dass ich nicht arbeiten muss und diesen Schutz habe. Aber es macht nicht glücklich und das wollte ich auch mal sagen … schreiben.

Ich bin zu jung

Alle anderen in meiner Generation sind intensiv im Arbeitsalltag eingebettet. Auch wenn sie nicht immer glücklich damit sind, mehr oder weniger darüber meckern und einige sich verändern wollen. Sie haben ihren Arbeitsalltag und das wird noch lange so bleiben.
Die Menschen rund um meinereiner, die in Pension sind, sind unisono in Alterspension.
Ich bin dazwischen, zu jung um zu den rüstigen PensionistInnen zu gehören (die zum Großteil viel, viel fitter und rüstiger als ich sind), zu arbeitsunfähig um mit den Leuten meines Alters mitzuhalten. Zu gesund, um intensiv krank zu sein. Zu krank um fit und gesund zu sein.

Ich bin zu alt

Zumindest zu alt um als Crohn-Fluencerin eine neue Lebensschiene aufzubauen und ich habe einfach nicht mehr die Kraft, mich mit dem heutigen Seiltanz zwischen social Shitstorms, Influencermarketing, Posting on the limit und den zahlreichen Kommunikations-Stolperfallen  auseinander zu setzen. Ich muss immer öfter googlen um zu verstehen, was mit Schlagwörtern a la Cancel Culture und Co. gemeint ist.

Als ich meinen Crohn-Blog gestartet habe, gab es kaum Infoseiten im Netz, die sich mit CED & Co. beschäftigten. Mittlerweile gibt es unzählige DarmfluencerInnen, Bauch-Podcasts, CED-Blogs und Video-Channels – unglaublich viele und das ist richtig, richtig gut. Denn es braucht all diese und noch viele mehr, damit man die Erkrankung und ihr Umfeld bekannter macht und die Stigmata, die damit verbunden sind, abschafft. Also: Go guys, run the net und sorgt für ordentlichen Rumor!

Was mich aber zunehmend irritiert, ist die Abwesenheit von Menschen über 40, die auch in der CED-Bubble kaum präsent sind. Crohn gilt als „junge“ Erkrankung, weil der fiese Scheiß meist sehr früh im Leben zuschlägt. Allerdings bleibt der Crohn einem dann treu, bis ans Ende aller Tage und die können spät werden.

„Mit Crohn kann man 100 werden!“

… hat mir eine meiner Gastroenterologinnen mal gesagt, um mir Mut zu machen.
Ja eh, aber will man das auch?
Und in welchem Zustand?
Und wie schafft man es, die Zeit zu füllen?
Und wo sind diejenigen, die es geschafft haben oder am Weg dahin sind?
Wie geht es ihnen, wie gestalten sie den Alltag in Kombi mit dem lieben Herrn Crohn und all den Maladitäten, die einem durch Mediks, Crohn, OPs, soziale Uffs und Ächz und lebensbedingte Verschleißerscheinungen im Laufe der Jahre so zuwachsen?

Ein Crohn-Schub und Regelschmerzen in Kombi sind schlicht furchtbar. Aber wo verdammt noch mal sind z.B. die Infos, welche Auswirkungen sich im Zuge der Menopause auf crohnischer Seite ergeben? Oder wie man diese dreimal verfluchten, komplett sinnlosen, verf***** Schweißausbrüche, das Herzrasen, die elendigen Stimmungsschwankungen in den Griff bekommt, während man mit schweißnasser Hand Crohn-Mediks sortiert und überlegt, welche Nebenwirkungen die Supplements haben, die man zuhauf in sich reinwürgt, in der Hoffnung, das irgendwas davon Besserung bringt?

Oder Infos, wie man sich gegen die zunehmende Schlaflosigkeit wehrt, weil der Lebenssinn mal wieder einen auf Dauer-Ciao macht und sich die Nächte weigern geschlafen zu werden, trotz immenser Müdigkeit?

„Kannst dich ja eh tagsüber hinlegen und ausrasten. Schlaf halt am Nachmittag eine Stunde …“

Tagsüber schlafen macht es nicht besser, im Gegenteil. Selbst wenn ich es könnte, würde es die Nächte noch leerer machen und mir noch mehr von der Zeit einschränken, die mir einen Hauch von Normalität gibt.

Es kann doch nicht sein, dass ich die einzige bin, der es so geht? Die zu früh aus dem Alltag und zu tief in der crohnischen Sche…marrn-Partie gelandet ist? Wo sind die Midlife-Crohnies, die Berge erklimmen, Kreuzfahrten planen, die Welt retten, sie neu erfinden und tougher als tough beweisen, dass man auch mit diesem Scheiß dem Dasein einen großen Haxn ausreißen kann?

Ich hoffe sehr, dass sie nicht wie ich mit Bett und Lade kämpfen, um dem Alltag eine spießige Struktur zu geben. Aber ich vermute, dass wir einen gemeinsamen Endgegner haben: Diese immer präsente, zehrende Dauermüdigkeit, auch als Madame Fatigue bekannt, die sich auf Körper, Geist und Seele legt, mit viel Übergewicht und Steinen im Gepäck.
Das Fiese an dieser Trutschn: Sie unterscheidet nicht zwischen Alt und Jung, sie sucht alle gleichermaßen heim. Nur hat man mit zunehmenden Crohnjahren im Darm immer weniger Kraft, um der lästigen Lady einen Tritt ins Auweh zu verpassen.

Ich hatte die Befürchtung, dass meine Resilienz irgendwann mal in einem intensiven Crohn-Fight ein technisches KO einstecken und vor mir abtreten würde. Weil ein Krug auch nur eine begrenzte Zeit mit einem Sprung in der Schüssel zum Brunnen pilgern kann.
Stattdessen sehe ich ihr täglich beim schwächer Werden zu. Ich sollte ihr die Hand halten, sie aufmuntern und was von „Krone richten, weiterstolpern“ brummeln. Denn man gibt ja bekanntlich nur Briefe auf. Nur schreibt die kaum noch wer, weil alle Mails, WhatsApps und PNs, Sprachnachrichten oder Gifs senden und in ein paar Jahren wird niemand mehr wissen, was mit dieser abgedroschenen Brief-Metapher gemeint ist.
Ich bin aber zu müde, mir was Neues auszudenken und im Grunde genommen ist es egal. Meine Resilienz lebt zur Zeit von kleinen Alltagsroutinen (das Bett, die Lade, die Hunderunde … sagte ich schon, oder?) und hängt an matschigen Tagen abends mit mir auf der Couch ab, um Netflix leer zu schauen, damit die trotteligen Grübelgedanken nicht überhand nehmen. An den besseren tauchen wir gemeinsam in Büchern ab, von anderen Zeiten, anderen Welten träumend.

Ich geh mir selber auf die Nerven.

Ich mecker und sollte diese Energie lieber in was Sinnvolles stecken. Das Bett ist heute noch nicht gemacht, die Bestecklade braucht Struktur, das Hundemädel muss geflauscht werden und es gibt ja eh immer was zu tun. Yippiejaja yippie yippie yeah und so.

Ich sollte mich weiter im Dankbar sein üben, das Gefühl der Einsamkeit irgendwo in der Natur vergraben und glücklich sein, dass es mir besser geht als vielen anderen. Dass mein Crohn
eine Auszeit nimmt, dass ich bei Madame Migraine am Delogieren bin, dass meine Mediks gerade gut wirken, dass ich genug zum Essen habe, ein Dach über dem Kopf, die erste Covid-Impfung im Arm und was weiß ich noch.

Und das versuche ich auch. Aber dennoch geht mir fallweise einfach alles ganz gewaltig dahin, worauf man fällt, wenn einem das Leben Stolperfallen in den Weg schmeißt und man endlich weiß, warum der Körper ausgerechnet am Südpol gerne üppig Fett ansetzt: Damit das Steißbein gut geschützt ist.

Und überhaupt: Zu intensives Lachen belastet den Beckenboden extrem und was dann passieren kann … also darüber möchte ich nun nicht auch noch zusätzlich Buchstaben verlieren.

Ok, ich hör auf mit meinem Lamento und überhaupt: Das Bett, die Lade, you got it – ich muss meinen Tag in den Griff bekommen.

Hab es hübsch.