Kranke Geschichten – Strange Stories

Hier findest du kurze und längere Erlebnisse, die mir am Weg mit dem lieben Herrn Crohn begegnet sind. Es sind heitere, melancholisch, sarkastische und fallweise auch philosophische Geschichten, die nicht die Krankheit im Mittelpunkt haben. Es menschelt eben auch im Krankenhaus, am Krankenbett, beim Arztbesuch und überall da, wo man sich so lange aufhält, dass man (=ich) seine Mitmenschen beobachten kann.

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Outtake: Wenn man aufgeben will …

Ein weiteres „Outake“ aus meinem Buch  „Shitstorm im Darm“, das es aus Platzgründen nicht ins Buch geschafft hat. Diesmal ein Kapitel, das ein großes Tabu-Thema aufgreift: Aufgeben, nicht mehr wollen, nicht mehr können – wenn alles zuviel wird und man sich fragt, warum man sich das alles noch antun soll.

Ein schwieriges Thema, das sich einem im Leben mit einer chronischen Erkrankung irgendwann stellt. Und dann sind Tabus nicht hilfreich. Nachstehend daher der Text, den wir im Final-Cut schweren Herzens herausgenommen haben – aus Platzgründen. Und ich hoffe, dass er dir Mut macht, wenn Du mal an diesem Punkt ankommst oder du Verständnis hast, wenn du ihn bei anderen erlebst.

Wenn man aufgeben will

Alles tut weh, seit Wochen keine Besserung. Durchfall, Schmerzen ohne Ende und Nebenwirkungen von den Mediks und vom Crohn, die man seinem besten Feind nicht wünscht.
Schwester Hoffnung hat sich schon länger nicht blicken lassen und die Zuversicht hat gemeint, dass man sich melden soll, wenn es einem besser geht.
„Ich kann nicht mehr.“

Das ist ein Punkt, der einen dann und wann erreicht. Manche würden sagen, dass man den Punkt erreicht, wo man aufgeben will. Ich denke, dass es auch umgekehrt sein kann: Der Punkt kommt auf einen zu und ist plötzlich da.

Das muss nicht zur schlimmsten Zeit passieren. Das muss nicht mal während eines Schubes sein oder wenn man sich elend fühlt. Dieser Punkt ist hinterlistig und klopft mitunter dann an die Tür, wenn man ihn gar nicht erwartet.
Und dann liegt man da, zu müde um sich zu wehren, und fragt die tödlichste aller Fragen: Wozu soll ich mir das alles noch länger antun? Wäre es nicht einfacher loszulassen, alles hinter mir zu lassen, den Kampf beenden?

Das passiert öfter, als man denkt, und es passiert mehr Menschen, als man glaubt.
Wer die Diagnose einer chronischen, nicht heilbaren Autoimmunerkrankung bekommt, die wie der Crohn viele Bereiche des Körpers und des Lebens betrifft, der kann nicht immer fröhlich, motiviert und positiv gestimmt sein. Das ist man ja auch nicht, wenn man gesund ist.

Wobei:

„Ein Mensch, der gesund ist, wurde nur noch nicht lange genug untersucht.“

Hat mir einmal ein Homöopath erklärt.

Meist ist man dann auch alleine mit sich. Vielleicht ist es zusätzlich einer der Tage, die mittelmühsam sind, wo Madame Fatigue ihr Zepter schwingt und sogar das Kopfheben zu viel ist. Es gibt so Tage, da will man nicht aufstehen, weil man Angst hat, dass einen „der Tag“ erwischt. Liegenbleiben, sich unsichtbar machen, im Teppich versinken, ist mehr als verlockend.

Alle sagen, dass man das ja nicht tun soll. Denn diese Wozu-Frage darf man nicht groß werden lassen. 
Man muss positiv und an das Morgen denken – da könnte die Wende eintreten und das Glück ganz feste zuschlagen. Bekanntlich werden ja auch nur Briefe aufgegeben und wer daran denkt, dass mit sich und seinem Leben zu tun, der braucht psychologische Betreuung und ein paar bunte Glückspillen, um die tristen Gedanken zu vergessen.

Liebe „Alle“, die ihr das denkt und vorschlagt: das ist gut und hat dann und wann seine Berechtigung.
Aber genauso eine Berechtigung haben diese für euch so „dunklen“ Gedanken. Es ist logisch, dass man als chronisch kranker Mensch irgendwann den Faktor Endlichkeit beleuchtet. Man kann mit der Diagnose Morbus Crohn 99 oder älter werden. Das kann ein schönes Dasein sein. Oder eines, wo man permanent am Rande der Katastrophe dahin wankt. So geht es auch denen, die als gesund gelten.

Am Leben sein und leben wollen sind zwei paar Schuhe und die Frage, ob ein Leben lebenswert und schön ist, kann nur jeder einzelne für sich beantworten. Sich zu fragen, welches Paar Schuhe man gerade trägt, ist eine normale Reaktion. An manchen Tagen passen sie zum Outfit, an anderen hindern sie einem am Gehen.
Die wichtigere Frage ist, wie man trotz der dunklen Gedanken mit sich umgeht und was man tut. Das ist ein Punkt, der unter Resilienz fällt.

Bei einem Gespräch mit einer Psychologin im Krankenhaus, wo ich auf die Auswertung von ein paar nicht so tollen Befunden wartete, kam auch die Frage, ob ich schon mal an Selbstmord gedacht hätte.
„Natürlich, wer in meiner Situation hätte das nicht?“
„Und haben Sie dann auch konkrete Pläne gemacht?“, kam die höfliche und leicht angespannt gestellte Antwortfrage.
„Nein. Ich habe das immer auf den nächsten Tag verschoben und es dann vergessen oder weiter verschoben. War mir immer zu anstrengend.“

Die Psychologin vermerkte etwas in der Akte und wir sprachen über anderes.
Die meisten, denen ich diese Geschichte erzähle, lachen und meinen, dass ich eine witzige Pointe angebracht hätte.
Aber mir war selten eine Antwort so todernst wie diese. Denn genau so mache ich das, wenn diese Frage vor mir steht.

Dieser ominöse Punkt, der buchhalterisch „Break Even Point“ genannt wird, kommt immer wieder. Manchmal komme auch ich zu ihm. Manchmal begegnen wir uns in der Mitte.
Ich kenne ihn mittlerweile gut, aber ich würde nicht soweit gehen zu sagen, dass wir Freunde sind. Ich erkenne ich auch bei anderen, wenn sie ihn erreichen. Und ich war schon ein paar Mal über ihn hinweg, auf der Seite, wo sich alle weiteren Gedanken erübrigen, weil man weiß, dass der Punkt von selbst aktiv wird und die Führung übernimmt.

Einatmen, ausatmen, loslassen.
Ein absolutes Tabuthema in unserer Gesellschaft.
Ein Moment, den jeder chronisch Kranke irgendwann erreicht.
Ein Moment, der auf jeden Menschen irgendwann zukommt.

Viermal hab ich bereits mental losgelassen und damit das getan, was nicht ausgesprochen werden soll und schon gar nicht aktiv getan werden darf.
Ich bin nicht gestorben, aber ich war bereit dazu, weil ich nicht mehr konnte. Ich hatte gekämpft und alles probiert was in meiner Möglichkeit stand. Aber das Leben rann aus mir heraus, die Kräfte gingen zu Ende.
Und dann habe ich einfach innerlich losgelassen.
Nichts dafür und nichts dagegen getan.
Habe nur dagelegen und geatmet.
Ich war für alles zu erschöpft.
Einatmen, ausatmen und darauf warten, dass das Einatmen nicht mehr kommt.

Warum ich dennoch lebe?
Mich sehr lebendig fühle und dem lieben Herrn Crohn und seinen Genossen aufmüpfig den mentalen Stinkefinger zeige?
Weil jedesmal etwas – richtiger: jemand – von außen kam, mich nicht gehen ließ, aktiv wurde, etwas unternahm, für Aufschwung und Hoffnung sorgte und so verhinderte, dass es wirklich zu Ende ging.

In dieser Loslass-Situation, die nichts mit Selbstmord zu tun hat, sondern einfach das Öffnen der Tür zur Endlichkeit war, hatte ich keine Angst, fühlte kein Bedauern. Ich war nur unendlich müde und hoffte, bald tief und schmerzlos schlafen zu können.
Und dann ging es doch weiter. Und das ist gut so.

Aus der Sicht des Lebens betrachtet, wenn man auf der Seite steht, die grün und voller Hoffnung ist, aus dieser Sicht ist so ein „Aufgeben“ ein No-Go. Jeder, der auf dieser Seite steht, bekommt es mit der Angst zu tun, wenn da wer sagt, dass er oder sie nicht mehr will, das es nun genug ist.
Wer selbst an diesem Punkt stand und weiß, dass der öfter kommen kann, bis er irgendwann final da steht, der versteht, dass das ein natürlicher Prozeß ist, der in solch erschöpfenden Situationen logischerweise mal auf der Tagesordnung steht.

Wer weiß, wie grausam weh das Dasein mit Crohn sein kann, wie hilflos man sich fühlt, wenn bei jedem Klogang das Leben herausrinnt, der versteht den Wunsch und kennt den Blick, der damit verbunden ist. Der weiß, dass das keine depressive, traurige Verstimmung ist. Sondern ein stilles, erschöpftes „Ich kann nicht mehr“.

Manchmal wird dieser Satz zum Hilferuf, der das herbeiführt, was einem jetzt hilft.
Manchmal ist es ein Statement, dass sich kurz darauf wieder auflöst, weil eine Spur mehr Leben da ist.
Manchmal hilft es, wenn man es ausspricht, weil sich Klarheit einstellt, man wahrnimmt, wo man steht und das man auf Hilfe angewiesen ist, weil es anders nicht geht.
Manchmal ist es dann aus.
Aber meistens geht es weiter und das ist wunderschön.

Leben eben, mit allen Höhen und Tiefen.

Liebe/r Mit-Crohnie, 

Falls du an diesem Punkt stehst, möchte ich dir sagen, dass du damit nicht alleine bist. Das Erreichen dieses Punktes ist eine natürliche Reaktion auf das, was du durchgemacht hast und es passiert vielen, die in einer ähnlichen Lage sind.

Ich will nicht, dass du aufgibst – das will niemand.
Sei sanft und gütig zu dir in diesem Moment.
Es ist ok, jeder kommt mal hier an.
Und die meisten gehen dann wieder hier weg. So wie du.

Sprich es aus, teile es mit. Auch wenn es den anderen Angst macht. Es ist ein Hilferuf, der sie mehr als dich betrifft. 
Darum ist es wichtig, dass du es laut aussprichst, ihnen sagst und das du nicht alleine bist, wenn du an diesem Punkt angekommen bist.

Einzugestehen, dass man nicht mehr kann, nicht mehr will, ist ein Hilfeschrei und ein Bekenntnis, dass man es jetzt alleine nicht mehr schafft. Man hat alles probiert, mehr geht nicht. Wenn es nun weitergehen soll, dann braucht es einen Impuls und Unterstützung von außen.

Liebe Angehörige,

Ich weiß, so ein Satz macht Angst.
Bitte nehmt ihn ernst und wimmelt das nicht als schlechte Laune oder miesen Tag ab.

Es gibt auch einen feinen Unterschied zwischen „ich kann nicht mehr“ und „ich will nicht mehr“. Ersteres ist eher körperlich, letzteres mehr mental und damit anders.

Redet, nehmt die Situation ernst, handelt – da liegt jemand buchstäblich am Boden.
Was kann man tun um zu helfen, ohne zu quälen?

Bitte spart euch Floskeln wie „Das wird schon wieder“, „Reiß dich zusammen“, „Beiß die Zähne zusammen“ oder „Alles wird gut und wenns noch nicht gut ist …“ oder das furchtbar dämliche „… anderen geht es schlechter.“
Das verschlimmert die Sache und tut sehr weh.

Gesteht, dass euch das Angst macht. Sagt, dass ihr euch hilflos fühlt, aber dennoch da seid, um eine Hand zu halten, eine Träne zu entfernen und kräftig auf das Schicksal zu fluchen.
Oft reicht es auch völlig, wenn ihr einfach DA seid: Handy abgedreht, Hand halten, am Bett sitzen, in den Arm nehmen, mitsammen weinen, Verständnis zeigen.

Manchmal ist diese Aussage eine nicht ausformulierte, unbewusste Bitte, dass ein anderer die Regie übernimmt – dann werdet aktiv. Sprecht mit den Ärztinnen, dem Pflegepersonal, den Therapeuten.
Keiner fühlt sich zuständig? Sucht wen, der die Lage ernst nimmt, ohne sofort „Drohende Selbstmordgefahr, ruft auf der Psychiatrie an!“ zu brüllen.

Denn das ist keine Androhung von Selbstmord. Es ist eine simple Nachricht, dass man körperlich und geistig an einem Punkt angekommen ist, wo man keine Kraft und keine Hoffnung mehr hat für dieses Leben.
Danke fürs Zuhören.


ShitstormimDarm MichaelaSchara sm 197x300 - Outtake: Wenn man aufgeben will ...Weitere Infos rund um das Leben mit Morbus Crohn, wie man ExpertIn in eigener Sache wird, warum es wichtig ist, den Humor zu locken und auch über Nebenwirkungen abseits einer chronischen Erkrankung Bescheid zu wissen, kannst du in meinem Buch „Shitstorm im Darm – gut leben trotz Morbus Crohn“ nachlesen.
Alle Infos zum Buch findest du hier,  hier gehts zu einer Leseprobe und hier erfährst du, wo und wie du das Buch bestellen und kaufen kannst.

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Outtake: Über den Unterschied zwischen Arztsprech und Normalsprech

Mein Buch „Shitstorm im Darm“ war in der allerersten Version fast doppelt so dick. Ich bin eine Vielschreiberin und tu mir einfach leichter, wenn ich alles, was mir in den Sinn kommt, reinschreibe und dann (in diesem Fall mit Hilfe) auf ein vernünftig Maß reduziere.

Dem „Final-Cut“ sind aber auch ein paar Geschichten zum Opfer gefallen, wo es einfach schade wär, wenn man sie nicht erzählt. Darum gibt es im Blog immer wieder kleine „Outtakes“ aus meinem Buch und ich starte mit einer meiner liebsten Storys – die auch ein Grund war, warum es wichtig ist, sich mit medizinischem Vokabular auseinanderzusetzen.

Über den Unterschied zwischen medizinischem und „normalem“ Vokabular – Arzt : Mensch

Ich musste zu einer Kontrolle nach einer OP. Der Ort des Geschnippsels lag auf meinem Südpol, um es nett zu umschreiben. Der Chirurg, der mich operiert hatte, war anderweitig beschäftigt und hatte einen Kollegen gebeten, meinen Po zu kontrollieren.
Der Kollege war supernett, sehr empathisch und unterhielt sich mit mir vorweg, um mir die Scheu zu nehmen. Er hatte eine andere Muttersprache, sprach aber exzellentes Deutsch, mit leichtem Akzent.

Dann sollte mein Popöchen begutachtet werden und ich wurde auf die Liege gebeten. Eine Schwester reichte das Untersuchungsbesteck, der nette Chirurg warf einen kompetenten Blick auf meinen Allerwertesten, also auf die OP-Wunde, und sprach die epischen Worte:

Völlig reizlos!“

Er meinte die Wunde und der Fachbegriff für eine nicht entzündete, gut schließende Wunde ist im Medizinerjargon „reizlos“ oder „bland“.

Ich wusste das. Aber zu hören, wie ein Fachmann meinen Hintern als reizlos bezeichnete, war ein heftiger Angriff auf meine Lachmuskeln. Was ich mit aller Kraft unterdrückte, denn ich hatte keine Lust es dem netten Arzt zu erklären.

Ich bin mit mühsam unterdrücktem Grinsen und gewaltsam zurückgehaltener Lachtränen aus dem Untersuchungsraum gewankt und verkündete meiner Familie, dass es nun amtlich sei: Mein Arsch ist reizlos.

Was ich daraus gelernt habe:
Wenn einem ein Arzt sagt, dass ein bestimmter Körperteil reizlos ist, dann ist das nicht abwertend, sondern positiv gemeint. 


ShitstormimDarm MichaelaSchara sm 197x300 - Outtake: Über den Unterschied zwischen Arztsprech und NormalsprechWeitere Infos rund um das Leben mit Morbus Crohn, wie man ExpertIn in eigener Sache wird, warum es wichtig ist, den Humor zu locken und auch über Nebenwirkungen abseits einer chronischen Erkrankung Bescheid zu wissen, kannst du in meinem Buch „Shitstorm im Darm – gut leben trotz Morbus Crohn“ nachlesen.
Alle Infos zum Buch findest du hier,  hier gehts zu einer Leseprobe und hier erfährst du, wo und wie du das Buch bestellen und kaufen kannst.

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Schräge G’schichten: Zusammenfassung

Im November 2019 habe ich wieder bei der Zeichen-Challenge #30SkizzenimNovember von Angelika Bungert-Stüttgen, der Freiraumfrau, teilgenommen. Angelika will uns damit inspirieren beim Zeichnen dranzubleiben und täglich etwas zu tun – was ein Supertraining ist. In virtueller Gesellschaft mit anderen, so dass man sich nicht allein „durchkauen“ und motivieren muss, bringt das jedesmal einen schönen Kreativschub und am Ende des Monats merke ich, dass ich wieder ein gutes Stück weiter bin.

Heuer wollte ich vor allem schneller werden. Da ich mich oft in Details verliere, die mich endlos Zeit kosten, war mir das schon lange ein Anliegen. Zugleich aber wollte ich auch beim Schreiben ein Stück schneller und konkreter werden. Außerdem lagen da noch ein paar Ideen für Kurzgeschichten rum – Erlebnisse, die ich im crohnischen Leben hatte und die im Grunde wenig mit Morbus Crohn, aber viel mit dem Leben im Spital und dem Dasein an sich zu tun haben. Leben eben, wie ich es gerne nenne. Kleine Begebenheiten, die einem das Leben als Kirsche auf dem Sahnehaufen seiner Seltsamkeiten kredenzt. Vielleicht, damit man den trockenen Kuchen darunter leichter runterschlucken kann. Es sind auch Geschichten, die es nicht in mein Buch „Shitstorm im Darm“ geschafft haben und so eine Veröffentlichung bekommen sollen.

Angelika hat für die 2019er-Challenge eine Liste mit Themen rausgegeben, an der man sich orientieren konnte. Ich habe mich dann aber entschlossen, meine beiden Challenge-Wünsche zu kombinieren und die Herausforderung für mich dementsprechend anzupassen: an drei Tagen sollte jeweils eine Kurzgeschichte entstehen – an zwei Tagen jeweils eine Zeichnung, am dritten die Geschichte (geschrieben) dazu. Denn man kann ja auch mit Worten Bilder entstehen lassen.

Die wahre Herausforderung war dann das Tempo beizubehalten, als sich das Leben mal wieder in die Kurven legte. Ein lieber Freund, den ich gemeinsam mit anderen begleitet habe, starb in dieser Zeit. Meine Schwiegermutter war genau einen Monat davor verstorben. Zwei weitere Todesfälle kamen im nahen Umfeld dazu …
Meine Zeichenlaune war enden wollend, ich war zutiefst erschöpft, unfassbar traurig und zugleich war so viel zu tun in Zusammenhang mit Begräbnissen, Verabschiedungen und diesbezüglichen, organisatorischen Dingen.

Drei Tage setzte ich aus … und mich dann wieder an den Tisch, mit zusammengebissenen Zähnen – denn ich merkte, dass die Reise in die Geschichten in erster Linie mir gut tat. Das Zeichnen der Themen, das Formulieren der Erzählungen und der Zusammenbau, bis hin zur fertigen Kurzgeschichte entführte mich in eine heitere Welt, ließ mich beim Schreiben und Zeichnen lächeln und half mir, die tiefe Traurigkeit rundum ein wenig leichter für mich zu machen.
Ich gestehe, dass ich vermutlich am meisten über meine Geschichte gelacht habe – es war ein Riesenspaß sie zu verfassen, trotz der düsteren Zeit.

Trotz der Pause habe ich es dann geschafft meine 10 geplanten Geschichten in 30 Tagen fertig zu stellen. Und da war ich dann doch sehr stolz und froh. Das Schwierigste daran war allerdings zu entscheiden, welches Erlebnis „hinaus“ durfte.
Es sind alles durch die Bank echte Erlebnisse, nichts wurde erfunden. Ich habe lediglich die Worte zur Verfügung gestellt, um sie zu erzählen. Mag sein, dass ich da hin und wieder die Formulierung dahin gehend so gewählt habe, um die Dramaturgie ein wenig zu straffen 😉 Aber es wurden keine Geschichten erfunden, die Figuren gab und gibt es.

Herausgekommen ist ein heiter-bittersüßer Streifzug durch das ganz normale Leben im Krankenhaus, wo es genauso menschelt, wie anderswo. Und ich habe festgestellt, dass mir das Schreiben solcher Geschichten irr viel Spaß macht, Freude bringt und der Funke öfters auch übergesprungen ist – denn die Rückmeldungen waren sehr positiv. Auch andere konnten über die Erzählungen einen Ausflug in Richtung Lachen machen. Noch kann ich gar nix sagen, aber vielleicht wurde mit diesen 10 Geschichten der Grundstock für etwas Neues gelegt 😉

Hier aber nun die Übersicht meiner Stories, als Zusammenfassung und mit allen Bildern.

Alle aktuellen schrägen G´schichten sind hier zu finden:
… ABER DAS IST EINE ANDERE GESCHICHTE

  1. Das ungeklärte Mysterium der orangen Ananas-Socken
  2. Frau Doktor der dunklen Strümpfe
  3. Das mürbe Kipferl der Auferstehung
  4. Der herrliche Einhornschwamm
  5. Der traurige Haken
  6. Der rostige Heiligenschein
  7. Schatzimausi und der Schweinehund
  8. Hunger auf Geschmack
  9. Spaziergang der Kuscheltiere
  10. Ungeklärte Fragen

Ich wünsch beim Reinlesen viel Spaß und hoffe dich mit einem kleinen Grinsen anstecken zu können – auch wenn manche Geschichte dann doch ein wenig bittersüß und zartherb endet. Leben eben, wie gesagt.

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Schräge G´schichten: Ungeklärte Fragen

HALLELUJA! Die 10. Geschichte ist pünktlich fertig, ich habe meine Verspätung aufgeholt und damit habe ich mein persönliches November-Goal erreicht: 10 Geschichten, mit jeweils 2 Zeichnungen – macht 30 Skizzen (weil man ja auch mit Worten Bilder entstehen lassen kann) und das war das Ziel der #30SkizzenimNovember, der Zeichen-Challenge der Freiraumfrau.

Ich freu mich und bin nun doch ein bisschen sehr stolz auf mich. Auch wenn diese Geschichte eigentlich eine traurige ist. Vor allem weil eine wichtige Frage nicht geklärt werden konnte.

Alle Skizzen, von anderen und von mir, findet ihr auch auf Instagram, Facebook oder Twitter unter dem Hashtag #30SkizzenimNovember, meiner ist zusätzlich #schrägeGschichten.

30 Skizzen = 10 schräge Geschichten – Nr. 10:

Ungeklärte Fragen

Also das hat mich noch niemand gefragt …
Meine Ärztin starrt mich irritiert an. Wenn es eine Steigerung für fassungslose Verwunderung gibt: Sie sitzt mir gegenüber. Und sie ist sprachlos. Zumindest kurzfristig.
Ich gestehe, ich habe keine Ahnung …“ setzt sie fort und beginnt sichtlich zu grübeln.

Ich gebe zu, meine Frage war ungewöhnlich. Aber doch auch verständlich. Die liebe Frau Doktor hat mir ein paar Wochen zuvor einen Teil meines Dickdarms entfernt, aus wichtigen, crohnischen Gründen (eine andere Geschichte). Die OP war erfolgreich, mir ging es schlagartig besser, die Wundheilung schritt heiter voran und heute war Kontrolltermin. Zu dem ich meine, mir wichtige Frage mitgebrachte habe: Wo denn der herausgeschnippelte Teil gelandet ist?

Wir sitzen uns gegenüber und ich merke, dass ich mit meiner Frage chirurgisches Neuland betreten habe. Die Antwort ist noch nicht gefunden, es war noch kein Thema für irgendwen – frei nach dem Motto: aus dem Bauch, aus dem Sinn.

Der Hintergrund für mein Wissen-Wollen ist intim-spiritueller Natur. Was, wenn die Sache mit dem jüngsten Tag irgendwann doch akut wird und man dann mit seinen kompletten Körperteilen antreten muss, um das zu tun, was an diesem Tag auf der Tagesordnung steht?
Ich halte mich nicht für besonders religiös (weil ich noch keine Religion gefunden habe, bei der meine Vorstellungen passend wären), aber doch ein wenig oder mehr spirituell und irgendwie ist da auch ein Ordnungstrieb in mir: Ich würde gerne wissen, wo meine Körperteile landen. Auch wenn der jüngste Tag nur ein nischenreligiöser Marketinggag sein sollte.

Es hat etwas von Selbstfürsorge. Immerhin sind mein Darmteilchen und ich lange Jahrzehnte durch dick und dünn gegangen (Schlechter Wortwitz, ich weiß. Und Achtung, es geht so weiter:). Wir haben gute und schlechte Zeiten gehabt und am crohnischen Schlachtfeld ist mein Darmteilchen irgendwann zu einem Kollateralschaden mutiert, was eine Trennung notwendig gemacht hat – die Differenzen zwischen ihm und mir waren unüberwindbar. Im wahrsten Sinn des Wortes: Es hatte sich eine Stenose, eine Engstelle gebildet. Der Tunnel war immer enger geworden und damit ich nicht vorzeitig ins Licht am Ende einer anderen Röhre gehe, wurde schnippisch gekontert.

Doch ich hätte mich im Anschluss gerne irgendwie von ihm verabschiedet und vielleicht dann und wann einen Besuch gemacht, ein paar Blümchen an die Stelle gelegt, wo er-es nun liegt und über die guten Zeiten und den damit verbundenen Nachtisch geredet.
Nur wo?

Meine Chirurgin meinte, dass er nach der Op in die Pathologie gebracht wurde und danach … entzieht sich der weitere Verlauf ihrer Kenntnis.
Aber ich werde mich erkundigen und nun werfen wir vielleicht einen Blick auf die Narbe, denn wegen dem sind Sie ja schlussendlich hier.
In meinem Inneren bin ich ja schüchtern und erkenne schnell, wenn jemand einen finalen Themenwechsel vorschlagt und keine Umkehr zum ursprünglichen Gegenstand der Diskussion wünscht. Das Thema ist in mehrfacher Hinsicht vom Tisch.

Allein daheim grüble ich weiter. Denn dieses Problem der verlorenen, in der Welt verstreuten Körperteile betrifft ja auch andere, vor und nach mir. Zum Beispiel die Vielzahl der Heiligen, deren Knochen für diverse Reliquien verwendet wurden. Manche kommen in Summe gesehen zwar auf drei Hände und 24 Finger, andere vermissen dafür nur ein Zungenbein und so gut wie alle müssten ihre Knöchelchen erst aus irgendwelchen Samtverzierungen und Schreinen lösen, eventuelle Goldlegierungen abschaben, ehe sie ans finale Zusammenpuzzeln gehen könnten.
Das sind wahrlich keine schönen Aussichten und nicht nur deswegen vermute ich, dass es wahrscheinlich egal sein wird, ob man komplett auf den Tag des jüngsten Gerichts wartet oder mit deutlich weniger als 100% seiner physischen Körperteile auf die andere Seite wechselt. Aber ich wäre mir gern sicher.

Und was ist mit Zehennägeln? Die wirfst du ja auch einfach in den Müll und denkst nicht darüber nach. Und die Haare, die man verliert im Lauf der Zeit oder beim Friseur lässt?„, fragt eine Freundin rebellisch. „Die sind auch für immer weg, keiner weint ihnen nach und es ist egal, wo sie sind. Mach dir nicht soviele Gedanken. Abgesehen davon hat er ohnehin nur Probleme gemacht, die letzten Jahre. Nix als Qual und Bauchweh, kein Verlass auf den Mistkerl, ganz typisch auch irgendwie. Hatte nur eine einzige Aufgabe und die hat er vermasselt. Lag da nur rum und meckerte, wenn das Essen nicht mürbe genug für ihn war. Dann war er ewig und drei Tage beleidigt, bis man zu Kreuze kroch, weil man diesen Zustand nimmer aushielt ...“
Die Rede ginge noch weiter. Aber ich habe den Verdacht, dass sie mitten im Satz das Thema gewechselt hat – sie wurde vor kurzem geschieden. Als ich schüchtern frage, ob sie nun von meinem Darm oder ihrem Ex spricht, grummelt sie und meint finster „... dein Darm oder mein Ex – vollkommen egal, Arsch ist Arsch.
Was wiederum ein Wortspiel mit besonderer Finesse ist.

Ich habe allerdings bessere Gefühle für mein Dickdarmteilchen, als sie oder irgendjemand anderer für ihre schlechtere Hälfte und protestiere. Immerhin war der Grund meiner Trennung krankheitsbedingt. Aber ich merke, dass ich auch hier keine spirituelle Hilfe bekomme und in stillschweigendem Einvernehmen begraben wir beides bei einer Tasse Tee – ich meine Gedanken rund um meinen Bauchteil. Sie ihren Hass auf den, dessen Namen nicht mehr genannt werden darf. Zumindest vorübergehend.

Denn die Frage lässt mir keine Ruh. Mein Bauch ist gut geheilt, ich habe wieder Appetit, kann alles essen, ohne Krämpfe und vor allem ohne Angst. Und das verdanke ich der operativen Trennung. Wofür ich meinem Bauchbewohner danken möchte. Und ich hätte auch gern, dass ein ehemaliger Körperteil meinereiner nicht in einem kalten Tank auf einer Pathologie darben muss.

Also ich vermute mal, dass man das dann verbrennt.„, meint meine Gastroenterologin, die ich ein paar Tage darauf mit dieser Frage belästige. „Aber sicher bin ich mir nicht. Belastet es Sie sehr, nicht zu wissen, wo er ist?
Ja und Nein.
Ich weiß es nicht.

Es ist eine Phantomemotion. Das ist wie der Phantomschmerz, nur emotional und mehr in der Herzgegend. Der Ordnungstrieb in mir, der auf kontrollfreakige Weise gerne immer wissen will, wo alles ist, besteht aus organisatorischer Sicht auf einer Antwort.
Mein emotionales Ich widerum hätte gern eine kleine, intime Zeremonie abgehalten, mit einem kleinen Sarg, einer netten Rede und ja, auch ein paar Tränchen. Denn so ein Dickdarm wächst weder nach, noch auf Bäumen und er ist einzigartig. Also war.
Und mein Kopf-Ich fragt mich die ganze Zeit, ob ich noch alle Tassen in der Schublade habe, weil es einfach nur dämlich ist, wichtige Hirnkapazität mit einer so blöden Frage zu belasten.
Weg ist weg, meint es, und schwingt damit auf einer Linie mit meiner frisch-be-Ex-ten Freundin und dem stillschweigenden Rest derer, die ich mit meiner Frage gequält habe.

Worüber das Revolutions-Ich erwacht und meint, dass es ihm zwar auch da vorbei geht, wo man normalerweise drauf sitzt, aber soooo geht das nun dann doch nicht, dass sich keiner betroffen fühlt und niemand etwas weiß und mich vor allem keiner ernst nimmt.

Fragen 1 - Schräge G´schichten: Ungeklärte Fragen

Während mein inneres Team eine Mischung aus Klausurtagung und Soko bildet, versuch ich im Außen Nonchalance zu üben und verkneife mir die unheimliche Bauchfrage, die bei allen nur Befremden auslöst. Meine Erfahrung meint, dass es sich wie mit allen Dingen auch hier so verhalten wird, dass der interne Arbeitskreis meinereiner irgendwann seine Sitzungen einstellt, die Frage ungeklärt und ewig unbeantwortet bleiben wird, die Welt sich dennoch weiter dreht und die Phantomemotionen verblassen werden.

Dennoch, dann und wann, frage ich mich noch immer, ob es da einen kleinen Friedhof der Körperteile gibt. Wo sie ihren Frieden finden und ihren ehemaligen Trägern für die Trennung verziehen haben. Wenn ich merke, dass es mich traurig macht, dass der Verbleib meines Dickdarmteilchens so ganz und gar ungeklärt ist und niemanden interessiert, dann tröstet mich diese Vorstellung.

Und zugleich frage ich mich, ob mir nicht im Anschluss an die Narkose, im halbwachen Zustand, heftig den Kopf gestoßen habe, weil ich solche Gedanken habe und über solche Dinge ewig grüble. Was die logischste Erklärung für viele Dinge ist, über die ich mir dann und wann den Kopf zerbreche.

Cartoons, Kranke Geschichten - Strange Stories

Schräge G´schichten: Spaziergang der Kuscheltiere

Geschichte Nr. 9 im Rahmen der Zeichen-Challenge #30SkizzenimNovember und somit die aktuell vorletzte meiner schrägen Geschichten, ist eine Hommage an wichtige Begleiter im Krankenhausalltag – es geht um Kuscheltiere.

Alle schrägen Geschichten sind hier zu finden: … ABER DAS IST EINE ANDERE GESCHICHTE
Es ist mein Betrag zur Zeichen-Challenge der Freiraumfrau. Mein selbstgewähltes Thema ist diesmal jeweils 2 Zeichnungen und eine Geschichte zu „malen“ – weil man ja auch mit Worten Bilder entstehen lassen kann. In Summe sind das dann (hoffentlich) 10 Geschichten bis Ende November.
Alle Skizzen, von anderen und von mir, findet ihr auch auf Instagram, Facebook oder Twitter unter dem Hashtag #30SkizzenimNovember, meiner ist zusätzlich #schrägeGschichten.

30 Skizzen = 10 schräge Geschichten – Nr. 9:

Spaziergang der Kuscheltiere

„So ein liebes Mietzekatzi!“
Ich stehe am Gang, nahe meinem Zimmer, und habe eben versucht das Atmen mit meinem, ein wenig außer Kontrolle geratenen, Herzschlag zu koordinieren. Und habe ich das Gefühl im falschen Film zu sein.

Hier ist weit und breit kein Mietzekatzi.
Leider.

Ich wollt schon heut in der Früh was sagen, aber da habens gar ned gut ausgschaut. Jetzt hab ich Sie ansprechen müssen. Sooooo ein liebes Mietzekatzi da auf Ihrem T-Shirt! Wie putzig das dreinschaut!

Der Groschen (0,0714 Cent, ca. 10 Pfennig) fällt scheppernd in den Blechnapf, mein Hirn erinnert sich an seine vom Schicksal vorgesehene Funktion (Denken und Erinnern) und liefert mir das fehlende Puzzleteil: Ich habe heut morgen mein Katzenshirt angezogen.
Es war Notwehr, der Tag hat ziemlich herangegraut und für solche Fälle braucht es Gegenmaßnahmen. Der riesige Katzenkopf nimmt fast das ganze Shirt ein. Überlebensgroß, so nennt man das, und ich denke, es ist gut, dass es diese Katze nicht in echt gibt. Sie hätte die Weltherrschaft inne.

Es ist ein selbstgenähtes Shirt und es war Liebe auf den ersten Blick. Ich habe den Stoff gesehen, einen tiefen Blick in die Augen der Mietze geworfen und gewusst: Wir sind für einander bestimmt.
Dieser Blick – unbeschreiblich! Eine leicht kranke Mischung aus sophisticated und komplett durchgeknallt. Leicht nach schräg oben gerichtet und man sieht ihr an, was sie denkt: Soll ich schnurren oder ausrasten? Hat sie mich gerade „putzig“ genannt?
Ideale Kleidung für graue Tage im kranken Haus.

Sichtlich hat meine Mietze einen weiteren Fan gefunden. Vor mir steht eine kleine, ältere Frau. Wobei ich nur vermute, dass sie älter ist (als ich). Wer länger hier ist, bei dem Verschwimmen die Jahresringe und man weiß nicht mehr, ist es das Alter oder die Umgebung. Sie ist schon fast 4 Wochen hier und bleibt noch ein paar. Ein ausgebleichte, ursprünglich buntere Hose, ein beige-braunes Shirt mit irgendwelchen Ethnoaufdrucken. Graue, gekräuselte Haare, eine lustige Brille und eine Bauchtasche mit zwei Kuscheltieren.
Bis auf die Bauchtasche eine ganz normale Erscheinung. Wobei die Bauchtasche das Outfit perfekt ergänzt und auch die Kuscheltiere, ein Bärchen und ein Häschen, zum Rest passen.

Alles im Rahmen, schließlich sind wir hier im Krankenhaus und wo kann man seine Spleens besser ausleben, wenn nicht hier? Wobei die Intensität des Auslebens mitunter von diversen bunten Pillen gesteuert wird, mal in die eine, mal in die andere Richtung. Zu intensiv sollte man den inneren Hippie also auch hier nicht raushängen lassen. Es könnte sonst zu einem Flug übers Kuckucksnest führen.

Die Bauchtaschen-Lady ist noch im Rahmen, hat sich gut im Griff und schwärmt mir noch immer von der Begegnung mit meiner T-Shirt-Katze vor. Es dürfte das spirituelle Erlebnis des heutigen Tages für sie sein.

Ich merke, dass meine T-Shirt-Mietze zwischen Schnurren und Fauchen hin- und herüberlegt und bevor sie eine Entscheidung für mich trifft, deute ich auf die beiden Plüschis in der Bauchtasche und sage, leicht verkrampft lächelnd: „Die sind aber auch lieb, die zwei.
Ja, das sind meine Kinder, die trag ich gern mit mir herum.“
Ich nicke verständnisvoll.
Der Spleen, die Tabletten, die Umgebug.
Alles gut.

Also eigentlich sind es ja die alten Kuscheltiere meiner Buben. Die sind schon groß, Enkel hab ich auch schon. Aber ich seh sie alle so selten. Die leben weit weg, der eine sogar im Ausland. Also hab ich den Bärli vom Franz und das Haserl vom Georg, damit ich wenigstens so ein bisschen Kontakt zu ihnen halte. Und mir isses wurscht, wenn man mich für durchgeknallt hält, ich steh dazu.

Ich nicke wieder, nun auch innerlich und betroffen.
(Und in einem fernen Winkel meines Inneren schäme ich mich ein bisschen über das, was ich davor zu denken begonnen habe).

Ich trag sie halt gern mit mir herum, die zwei. Damit sie auch mal rauskommen aus dem Zimmer. Ich weiß, klingt schräg und jeder schaut mich an, als ob ich mir zuviel von den Pillen eingeworfen habe. Aber mir hilfts, mir geht es besser, wenn ich meine Babys bei mir habe. Dann erinner ich mich wieder an die schönen Zeiten, als die Kinder noch klein waren, als alles gut war. Das gibt mir Ruhe, damit ertrag ich den Rest von diesem Wahnsinn einfach besser.

Ich blicke auf die beiden Babys, Kopf gesenkt, damit man meine Tränen in den Augen nicht sieht. Aktuell bin ich etwas nah am Wasser gebaut und ja, die Lady hat mich an meinem schwachen Punkt erwischt. Ich bin gerührt, betroffen und habe einen sentimentalen Schub.
Leider habe ich auch Herzrhythmusstöruungen und Schwindel und meine Knie meinen, dass es mal wieder Zeit wäre, sich auszuklinken. Bevor ich wieder Richtung Boden abbiege (das hat man hier nicht ganz so gern, da wird die Pflegemannschaft immer ganz hektisch), murmel ich was von „isjaurlieb, gudeidee, sorry, mussinsbett, schwindlig“ und wanke wieder in mein Zimmer. Meine Katzenfrau am Shirt hält den Kopf für mich hoch, die Bauchtaschen-Lady winkt mir lustig nach und wandert weiter.

In meinem Zimmer lasse ich mich auf mein Bett fallen. Gerade noch rechtzeitig, die Knie machen Pause. Die Katzenlady ist wieder im Ruhezustand, ihr Auftrag ist erfüllt.

Kuscheltiere 2 - Schräge G´schichten: Spaziergang der Kuscheltiere

Am Galgen baumelt Berndi-Bär und winkt mir lustig zu. Da wird er immer hingehängt, wenn ich meinen Platz im Krankenzimmer einnehme. Er war schon in vielen Spitälern, genauso wie meine Maus Hartmann. Die aber nun schon so mürbe ist, dass ich ihr die Reisen nicht mehr zumuten will. Berndi-Bär ist der amtierende Talismann und mein Galgenschmuck, er kennt meine guten und meine schlechten Zeiten. Vor allem letztere erlebt er meist aus der Vogelperspektive, denn diese spielen sich eher im Krankenhaus ab.
Ich habe ihn beim Liegen immer im Blick und das hilft, den Fokus weg von der nicht unbedingt heimeligen Umgebung zu zentrieren. Mit Berndi-Bär vor der Pupille sieht auch ein Krankenzimmer nett und lustig aus. Berndi-Bär am Morgen vertreibt zwar keine Sorgen, aber er hilft dabei, sie auf später zu verschieben. Und Berndi-Bär am Abend sorgt dafür, dass der Sandmann seine Alpträume woanders abliefert (zumindest hoffe ich, dass der kleine Teddy dann seine Höhlenbär-Gene auspackt und fiese Sandmann-Attacken urgeschichtlich erledigt)

Doch wenn ich am Gang herumgehe, hängt er weiter da, allein am Galgen, im Wartemodus. Irgendwie ist das ungerecht, wird mir nun klar. Die Bauchtaschen-Lady hat recht: man muss auch seinen Kuscheltieren und Talismännern dann und wann einen Gesichtsfeldwechsel zugestehen. Ich denke, die kommende Tage werde ich mir den Bären umbinden. Mit einer Schnur, um den Hals. Da kann er dann mal woanders abhängen und in Anbetracht der Lage ist es auch schon egal, was der Rest der Leute hier von mir denkt.

Vielleicht bilde ich mir das nur ein, aber ich habe das Gefühl, er freut sich darauf die Umgebung zu verunsichern und mal rauszukommen.

Cartoons, Kranke Geschichten - Strange Stories

Schräge G´schichten: Hunger auf Geschmack

Meine achte schräge G´schicht in der Kategorie … aber das ist eine andere Geschichte für die Zeichen-Challenge #30SkizzenimNovember macht Appetit und hat eine Botschaft: Es ist nicht immer alles so, wie man es sich denkt. Vor allem, wenn man hungrig denkt. Was eigentlich gar nicht geht. Aber lest selbst.

Alle Skizzen, von anderen und von mir, findet ihr auch auf Instagram, Facebook oder Twitter unter dem Hashtag #30SkizzenimNovember, meiner ist zusätzlich #schrägeGschichten.

30 Skizzen = 10 schräge Geschichten – Nr. 8:

Hunger auf Geschmack

Ich habe Hunger.
Richtig, großen Hunger.
Nicht auf Essen.
Essen hatte ich schon und es hätte mich vermutlich ernährt, wenn ich es gegessen hätte. Es war glutenfrei, laktosefrei, ballaststoffrei und geschmacksneutral. Mein Essen war so von allem befreit, dass es ein Wunder war, dass ich es überhaupt gesehen habe. Es hatte vermutlich auch Kalorien. Aber soweit sind wir nicht gekommen. Wäre es ein Bild auf Tinder gewesen, hätte ich es wenigstens wegwischen können – kein Interesse.
So habe ich es einfach stehen gelassen. Es hat dann noch trauriger ausgesehen und ich hatte sogar den Hauch eines schlechten Gewissen. Aber mein Magen hat sich geweigert dem traurigen Kalorienkonvolut Unterschlupf zu gewähren und in solchen Dingen bin ich meinem Bauchgefühl hörig.

Still und schweigend habe ich es wieder zurück getragen, in den Wagen, mit dem es und seine Kollegen auf der Station gelandet ist. Einzig das Schild mit meinem Namen habe ich entfernt. Mein Mitgefühl mit dem nun noch traurigerem traurigem Essen war ein wenig kleiner, als ich es zu seinen anderen, gleichfalls verweigerten Kollegen in den Wagen geschoben habe. Es war wenigstens nicht allein. Der Nahrungsmitteltinderpapierkorb dürfte heute wieder voll werden.

Das Kaloriendesaster ist vom Tisch, aber mein Magen hat dennoch Bedarf. Und dann hab ich ja auch noch Hunger. Auf Essen, dass wie Essen aussieht. Das einen Geruch hat, wie gutes Essen riechen sollte. Das mit einem Hauch Liebe angerichtet wurde oder zumindest nach optischen Kriterien, die auf visuellen Geschmack schließen lassen. Ich will erkennen, was das für eine Gemüse ist, will etwas haben, worauf ich beißen kann, es darf Salz drin sein und gerne eine Reihe klassischer und exotischer Gewürze. Ich will Vitamine, Kohlehydrate und Spurenelemente – in Form von Nahrung, die auch der Seele gut tun und den Mund dazu bringt, es mit einem Lächeln zu kauen, damit die Speiseröhre sich freut, es zu schlucken und der Magen ein Stündchen später noch glücklich gluckert.
Das ist die Sorte Hunger, die ich gerade habe. Aber das trifft leider genau nicht auf die Sorte Essen zu, die ich hier im Krankenhaus erwarten darf. Selbst mit allen Tricks der Diätassistentin ist das leider nicht möglich.

Was ein Problem darstellt, denn ich habe eben gerade diesen Hunger und wenn ich diese Art Hunger habe, dann werde ich sehr unleidlich, wenn der nicht zu meiner Zufriedenheit gestillt wird. Was sich dann auf die weitere Umgebung auswirken kann und gesundheitliche Probleme verurschen könnte, nicht nur bei mir. Die Diva-Werbung eines bestimmte Schokoriegels deutet in etwa an, wohin sowas führen kann. Das wäre in meinem Fall aber die sanfte Version. Ich will nicht, dass das ausartet, weil ich weiß, wie es dann ausarten kann und das will ich weder den anderen, noch mir zumuten.

Es wirkt wie eine Pattsituation, aus der es keinen Ausweg gibt. Denn ich bin ja im Spital, stationär aufgenommen, als Patientin. Ich kann nicht eben mal beim Wirtshaus gegenüber einkehren und mir das 1er-Menü bestellen. Abgesehen davon, dass das, was ich will, was mir schmeckt und was ich vertrage, gegenüber nicht zu bekommen ist.

Ich kann nicht raus, das Essen muss zu mir. Und zwar rasch, denn mit jeder Minute wird die Stimmungslage labiler und die Monsterdiva scharrt in den Startlöchern.
Es ist somit ein klassischer Fall von selbstverteidigender Fürsorge, dass ich mich an die Instanz wende, die in solchen Fällen einzig und allein helfen kann: den Lieferdienst.
Zwei Apps sind auf meinem Smartphone für solche Fälle installiert und ich danke an dieser Stelle meinen wunderbaren Kindern, dass sie mir diese Art der Nahrungsjagd als Nothelfer empfohlen haben.
Nun ist es soweit, ich muss das Notfallprogramm starten. Die Auswahl ist immens, aber ich brauche etwas, das in der Nähe ist (weil schneller da), was ich vertrage und im Idealfall von einem Lokal, das ich kenne, denn dann weiß ich, ob es gut ist.
Mein Glück, dass ich in einem Krankenhaus in Wien bin, relativ zentral gelegen, wo die Auswahl der gelisteten Lokale somit auch ein paar Asiaten auflistet, bei denen ich schon das Vergnügen hatte gut gegessen zu haben. Insofern ist es nur noch eine kleine Qual der Wahl, welchen und was ich auswähle.

Während ich die Bestellung abschicke, richte ich ein stilles Dankgebet an den Erfinder des Internet, die Entwickler dieser App und meine lukullischen Schutzengeln. Und hoffe, dass der Koch Dampf macht und der Bote Vollgas gibt.

Das Schöne und zugleich Fiese an dieser App: Ich kann den Weg mitverfolgen. Quasi mit sabbernden Lefzen über dem Bildschirm hängen, alle paar Minuten auf Aktualisieren klicken und mit knurrendem Magen die Minuten bis zum Eintreffen des Boten zählen. 30 Minuten, in meinem Fall. Das ist schnell und langsam zugleich.
Und es lässt mir genug Zeit, mich auf den Weg zum Treffpunkt zu begeben. Denn aus Gründen des Datenschutzes (ich will nicht, dass die halbe Station und die gesamte medizinische Belegschaft mitbekommt, dass ich mir was Nahrhaftes aufs Zimmer liefern lasse) (oder es an die Diätassistentin verpetzen) (oder mir wegessen … was aktuell meine größte Angst ist) … jedenfalls: aus Gründen des Datenschutzes habe ich mir die Lieferung zur Rezeption unten hinbestellt und hoffe, das zu dieser späteren Stunden Flaute beim Eingang herrscht.

20 Minuten vor Eintreffen meiner Futterschüssel halte ich es im Zimmer nicht mehr aus. Ich flüster der diensthabenden Schwester zu, dass ich „ein bisserl im Haus spazierengehe“ und stapfe Richtung Rezeption. Vielleicht irrt die App ja und der Bote kommt früher. Oder war schon da! Also schnell runter und die Lage im Auge behalten.

Der Bereich rund um die Rezeption ist weniger leer, als ich vermutet und erhofft habe. Es steht zwar niemand für eine Aufnahme an, aber es lungern genug Leute herum, damit man nicht von unbelebt reden kann.

Allerdings wirken die alle so, als würden sie ohnehin nichts von ihrer Umgebung mitbekommen: Jeder hängt über seinem Handy. Wunderbare neue Welt, ich bin von Smombies umgeben  – Smartphone-Zombies.
Ich suche mir einen Platz mit gutem Blick auf den Eingang, zücke mein Handy und prüfe, wie weit mein Futter im Abendverkehr schon gekommen ist. 15 Minuten bis zum Einschlag.

Ein paar Meter rechts von mir sitzt ein junger Mann, sichtlich Patient, die Füße überschlagen und zappelig. Ich kann es nicht leiden, wenn jemand dauernd mit dem Fuß wippt, das macht mich nervös. Er zappelt mit dem Fuß und streicht immer wieder fahrig über sein Handy. Dann und wann hebt er den Kopf und blickt sehnsuchtsvoll zum Eingang. Dann seufzt er und glotzt wieder auf seinen Kommuniktationsknochen. Wartet vermutlich auf einen späten Besuch, denke ich mir, und so hoffnungsvoll, wie er zum EIngang blickt, wird es vielleicht seine Liebste oder sein Liebster sein. Ein Romeo, der auf Julia oder Julius wartet. Romantik im Spital ist was Schönes, ihm sei das Fußgezappel verziehen. Liebe und Ungeduld gehören nunmal zusammen.

Schnell ein Blick auf meine App – das Paket nähert sich, 10 Minuten. Seit wann dauert denn das so lange? Vor kurzem waren 5 Minuten viel schneller um, momentan zieht es sich echt. Ich aktualisiere noch zweimal, aber es ändert sich kaum was.

Seufzend hebe ich meinen Blick und lasse ihn schweifen. Links von mir sitzt eine Grüne. Entweder aus der Chirurgie oder einem anderen operativen Bereich. Ob Ärztin, ob Schwester, ob Studentin – keine Ahnung. Grüne knielange Hose, grünes Wams, grünes OP-Käppi … und ein zappelnder Fuß, der ähnlich wie beim jungen Mann rechts von mir, permanent am Wippen ist. Doch gänzlich anders als beim junge Mann ist dieser Fuß mitsammt der Wade bestrumpft. Mit grünen Kniestrümpfen, auf denen sich viele weiße und ein paar schwarze Schafe tummeln. Was in Kombination mit dem wippenden Fuß zum Eindruck führt, die Schafe würden sich bewegen und es herrscht viel Getummel auf der Weide.
Vielleicht habe ich aber auch schon Halluzinationen vor lauter Hunger.
Die Wahl der Socken lässt mich vermuten, dass die Grüne in der Anästhesie arbeitet. Vielleicht ist das ja ein Insidertrick, um die Einschlafzeit der Patienten vor der OP durch Sockenschäfchenzählen zu verkürzen.

Hunger 2 - Schräge G´schichten: Hunger auf Geschmack

Die grüne Schafsockenträgerin hat ihr Handy gleichfalls fest im Griff. Am Tisch neben ihr steht eine Cola, der Blick vom Handy hebt sich regelmäßig, einmal zur Cola, dann zum Eingang. Ich vermute mal, dass sie auf die Ablösung wartet.

Zeit um mal wieder den Lieferstatus zu prüfen – 5 Minuten. Es wird Zeit. Ich hebe den Blick und lasse ihn über das Grüppchen der anderen Anwesenden schweifen. Ein buntes Sammelsurium wartender Menschen, die in ihrer Zusammensetzung klassisch für ein Krankenhaus sind. Patienten, medizinisches Personal, in Summe um die 15 Personen. Alle sitzend, alle mit dem Handy in der Hand. Von Zeit zu Zeit hebt wer den Blick, sieht zum Eingang, senkt ihn wieder und wischt über das Handy. Bei den meisten zappelt ein Fuß und ich merke auf einmal, dass auch mein Fuß wippt. Kunststück, der hat sich anstecken lassen. Ich stoppe das Wippen und stehe auf. Stehende Füße können nicht wippen. Dafür werden sie aber zappelig und ich beginne herumzugehen. In konzentrischen Kreisen nähere ich mich der Rezeption. Mein Bote müsste jeden Moment hier eintreffen. Himmel, ich hoffe, er hatte keinen Unfall! Nicht auszudenken …

In diesem Moment kommen zwei junge Männer herein, beide tragen unübersehbar Essenslieferdiensttaschen. „Die Pizza ist da!„, ruft der eine.

Pizza? Wieso Pizza?? Ich hab doch keine Pizza bestellt!
Habe ich mich vertippt?
Ich zücke hektisch mein Handy, während ich gleichzeitig auf den Boten zu gehe. Aber da überholt mich ein Schatten von rechts – der junge Mann mit dem zappelnden Fuß, der auf seine Liebe wartet. „Endlich, danke! Das ging schnell, ich hab schon so einen Hunger!
Ein Geldschein wechselt seinen Besitzer, die Pizzaschachtel wechselt zum jungen Mann, der sie liebevoll, mit glücklichem Gesicht an seine Brust drückt und Richtung Aufzug stapft.

Ich stehe verdattert da und schaue zum anderen Lieferdienstmann, der eben seine Box in die wartenden Hände der Schäfchensocken-Lady entleert.

Äh …

Ich schaue mich um – alle, die hier gewartet haben, blicken zu den beiden Boten. Ein paar haben sich halb erhoben, ihr Handy in der Hand, zwei stehen und waren sichtlich am Weg zu den beiden.
Der Ausdruck in ihrem Gesicht muss meinem ähneln und fällt unter die Kategorie: Blöd aus der Wäsche gucken.

Während ich langsam beginne die Zusammenhänge in meinem Kopf neu zu ordnen, betritt ein dritter Bote den Raum. „Butter Chicken, Mangocreme, Karottensaft und Muffins?“ fragt er in die Runde. Ich trete wie in Trance auf ihn zu, nicke, reiche ihm das Geld und nehme mein Päckchen Glück entgegen. Der schönste Moment des Tages. Ich halte meine wohlverdiente Beute in Armen, warm und köstlich duftend. Ich weiß nun, wie der Himmel duftet und das es sich lohnt auf dieses Gefühl zu warten.

Die anderen wartenden Hungerleider sind vergessen, ich wandere wie auf Wolken zum Aufzug, versuche nicht zu sehr zu sabbern und meinen Schatz gut festzuhalten.

Oben angekommen packe ich aus und haue rein. Bei der Nachspeise beginne ich im Kopf zu kalkulieren, wieviel Umsatz die Lieferdienste allein heute abend hier gemacht haben und ob es nicht eine ideal Geschäftsidee wäre, eine Sammelapp für hungrige Krankenhäusler zu machen, womit man die Anreise öokologischer und ökonomischer gestalten kann – denn dann müsste nur ein Lieferwagen kommen und nicht 15 verschiedene Boten. Andererseits würde das dann vermutlich länger dauern. Die Idee ist noch nicht ganz ausgereift.

Beim Wegräumen der Überreste grüble ich, ob ich morgen einen Abstecher zu den Anästhesisten mache und versuche die Schafsockenträgerin zu finden. Wenn ich es recht in Erinnerung habe, hatte sie ein Curry. Wenn es gut war, bestell ich mir eins für morgen Abend.

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Schräge G´schichten: Schatzimausi und der Schweinehund

Ich bemühe mich meine kleine, mehrtägige Verspätung aufzuholen und darum Voilá: Meine siebte schräge G´schicht in der Kategorie … aber das ist eine andere Geschichte ist fertig, inkl. zweier Zeichnungen für die Zeichen-Challenge #30SkizzenimNovember. Diesmal beginnt es dramatisch und endet bittersüß romantisch.

Alle Skizzen, von anderen und von mir, findet ihr auch auf Instagram, Facebook oder Twitter unter dem Hashtag #30SkizzenimNovember, meiner ist zusätzlich #schrägeGschichten.

30 Skizzen = 10 schräge Geschichten – Nr. 7:

Schatzimausi und der Schweinehund

Ich sitze auf meinem Bett, meine Mutter mir gegenüber. Zusammen starren wir den Krug an. Der tut so, als würde er uns nicht sehen. Das Zeug, das er in seinem Inneren hat, soll in meinen Magen. Damit man dann im Röntgen was sieht. Das Zeug ist aber eklig und das hoch drei. Megaobergrauseeklig. Als hätte man Schnecken verquirrelt, mit viel synthetischem Geschmacks-nicht-Optimierer versehen und mit Mineralwasser aufgegossen.
Eklig in Form, Farbe, Geruch und generell.

Aber es hilft nichts, das Zeug muss in meinen Darm und darum sitzen wir hier. Meine Mutter, die mich ins Krankenhaus gebracht hat, und ich.
Immerhin sitzen wir hübsch. Also vom Zimmer her. Es ist ein nobles Privatspital, das ich mir nie hätte leisten können. Doch meine Mutter wollte, dass ich zu diesem bestimmten Arzt gehe und der vollbringt eben nur in diesem bestimmten Hospital sein Werk, das mehr einem Hotel, denn einem kranken Haus ähnelt. Das sein Werk ein sehr bescheidenes sein würde, mit falschem Ergebnis, wissen meine Mutter und ich da noch nicht.

Also sitze wir hübsch in diesem Zweibettzimmer, mit nettem Ambiente und einer bis dato sehr schweigsamen Mitpatientin. Sie hat uns nur stumm begrüßt und wird aktuell von zwei fürsorglichen Schwestern betütelt. Die Gnädige-Frau-Quote ist hoch. Der Sinn ihrer Tätigkeit sollte vermutlich dem Ankleiden und der körperlichen Reinigung dienen, doch sie kommen nicht wirklich weiter, denn die gnädige Frau weigert sich sehr ungnädig, bei diesem Ballett mitzumachen. Sie blickt nur stumm und starr, mit bohrendem Blick, mal zur einen, dann zur anderen und sitzt mit ihrem zartgelben Nachthemd auf ihrem königlichen Bette.

Meinem Krug ist die Szene wurscht, er hat sich mir keinen Zentimeter genähert und so muss ich selbst seufzend zur Tat schreiten – das erste Glas des Schneckensmoothies wird eingeschenkt. Augen zu, Nase zu, meine Mutter nickt aufmunternd, ich würge das Gschloder todesmutig hinunter.

Anmerkung: Gschloder, das
Wienerisch für grausiges Gesöff, unansehnlich im Aussehen, eklig im Geschmack.

Die nächsten Minuten konzentriere ich mich mit aller Gewalt darauf, das Zeug da zu behalten, wo es hingehört. Dann folgen 5 Minuten durchatmen und dann gehts weiter zum nächsten Glas.
Würg.

Madame im anderen Bette hat die Szene rund um sich nach wie vor im Griff, was soviel bedeutet wie: Die armen Schwestern sind keinen Zentimeter weiter in ihren hehren Bemühungen.
In diesem Moment öffnet sich die Tür, ein kleiner, älterer, magerer Mann betritt den Raum, grüßt höflich in die Runde und dreht sich zu Madames Bette um.

Der Vorhang hebt sich, Madames Mimik belebt sich, Trommelwirbel, eine unsichtbare Kapelle spielt einen unhörbaren Tusch. Madame schärft den Blick, fokussiert den kleinen, netten Mann und brüllt mit Stentorstimme:

„ELENDER SCHWEINEHUND!“

Die Schwestern stehen wie Lots Säulen, die Szene gefriert, meine Mutter und ich sitzen mit offenem Mund und ebensolchen, riesengroßen Augen da. Keiner wagt zu atmen oder sich zu bewegen.

Madame richtet sich zu ihrer vollen Größe auf, soweit das sitzend möglich ist, und brüllt noch einmal, mit tiefem Drama in ihrer Stimme, so dass der Boden bebt:

ELENDER SCHWEINEHUND!
WARUM HAST DU MIR DAS ANGETAN!!!“

Aller Augen richten sich auf den kleinen Herrn, der die Hände ringt, dabei seinen Hut würgt, aber ansonsten erstaunlich unbeeindruckt von dieser Rede wirkt.
Aber Schatzimaus, sowas sagt man doch nicht, das gehört sich aber nicht, nein, Schatzimaus, das ist doch nur zu deinem Besten, gell, Schatzimaus, weil du bist ja so krank geworden, dass ich nimmer gewusst hab, was ich tun soll und die netten Schwestern und der liebe Herr Doktor Soundso hier werden dir nun helfen, damit du wieder gesund wirst und dann, Schatzimausi, dann kannst wieder heim und …

Ein schwarzer Blick aus dunklen Augen, die bei genauerer Betrachtung einen leichten roten Rand haben, der sich bei weiterer genauer Betrachtung konstant vergrößert, würgt die zarte Rede ab.

Schatzimausi anim1 - Schräge G´schichten: Schatzimausi und der Schweinehund

 

„Du Hund.“

Das Urteil ist gefällt, der kleine Mann muss es annehmen. Die Schwestern senken das Haupt, sind stumme Zeugen und würden am liebsten im Boden versinken. Das geht leider nicht, also versuchen sie nun weiter das zu tun, was sie die ganze Zeit tun wollten.

Meine Mutter und ich wechseln einen Blick, ich spüle schnell mein zweites Glas hinunter. Popcorn wäre fein, aber wir sind ja nicht im Kino. Nur im Vorstadttheater.

Der kleine Herr Schweinehund nähert sich unbeeindruckt dem Bett und säuselt weiter, in einem konstanten Tonfall, der seine Wirkung nur langsam entfaltet. Madame Schatzimausi ist voll auf ihn konzentriert, die Blicke müssen wie Dolche schmerzen. Aber Herr Schweinehund ist mutig und weicht nicht aus. Die Schwestern schaffen es endlich Madame, Bett und Kleidung so zu richten, wie sie es sich zu Beginn der Prozedur erhofft hatten. Herr Schweinehund spricht sanft weiter und versichert seinem Schatzimausi, dass alles nur zu ihrem Besten geschieht, sie bald wieder gesund sein werden, man ihr Medizin und gute Behandlung anteil werden lässt, sie in guten Händen ist …

ELENDER MÖRDER!

Das vernichtende Urteil hat Madames Mund donnernd verlassen, die Schwestern schnappen erschrocken nach Luft. Mir wäre fast mein drittes Schnecken-Glas aus den Händen gerutscht und ich gurgel es schnell nabelwärts, bevor es mir abhanden kommt.

Nein, mein Mausi, also was du sagst, nein, sowas aber auch, nein, nein, Schatzimausi, ich will dir nur helfen! Niemand tut dir was Böses ...“

Madame Schatzimaus schnaubt ungnädig, ihr Busen wogt, die Bettdecke vibriert und die Schwestern weichen drei Schritte zurück – sie wird sich doch wohl nicht erheben?

Schatzimaus, beruhig dich wieder, sonst musst wieder husten und dein Blutdruck steigt und das ist nicht gut und nein, du kannst nicht aufstehen, das geht doch nicht, dein Rollstuhl ist ja gar nicht im Zimmer, du musst nur ein bisserl Ruh geben, damit du bald wieder gesund bist, deine Medikamente nehmen …

Meine Mutter, die Schwestern und ich atmen kurz auf bei dem Wort „Rollstuhl„. Eine Gefahr weniger. Aber ich fürchte, Madame könnte uns eines Besseren belehren und sich dennoch von ihrem Throne erheben, um als rächende Göttin ihre Blitze und die sieben Plagen auf uns herab zu beschwören. Die Bettdecke zittert nach wie vor.

Ich bemühe mich schnell ein viertes Glas Moét de Schneck wegstecken, sicher ist sicher.

Madame Schatzimausi jedoch hat ihr vernichtendes Urteil verkündet, es steht felsenfest, in Stein gemeißelt. Ihr lieber Mann redet weiter auf sie ein, lässt seinen Singsang wirken. Madame könnte ihn mit einem sachten Wink ihrer Hand gegen Boden und in die Unfallaufnahme schicken. Er steht in ihrer Reichweite, aber ohne Angst, hält wacker die Stellung, unbeeindruckt von ihrer Wut, ihrer Verachtung, ihren tödlichen Blicken, dem Geschnaube und den nun nur noch leise und sehr giftig geäußerten Flüchen.

Das fünfte Glas aus dem Krug des Grauens ist geleert, ich haben fertig. Der Krug kam zu mir als Brunnen, er geht unge- und unerbrochen und ich hoffe, dass dieser Zustand noch eine Weile anhält, damit die Untersuchung störungsfrei ablaufen kann. Meine Mutter verstaut ihr, vor Aufregung, zerdrücktes Taschentuch in ihrer Handtasche, nickt mir aufmunternd zu und meint, dass wir nun zum zweiten Teil des Dramas weitergehen können. Ich deute auf das Nachbarbett, aber sie meint die Untersuchung.

Madame Schatzimausi hat sich soweit beruhigt, dass die Spannung im Zimmer fast wieder Normalniveau erreicht hat. Herr Schweinehund darf sogar ihre Hand halten und streicheln, während er, nun leiser und langsamer, weiter mit ihr spricht. Sie hat beschlossen ihn mit Schweigen zu bestrafen, ignoriert ihn, blickt an ihm vorbei zum Fenster. Die roten Augen haben sich wieder zurückentwickelt.

Meine Mutter und ich verlassen das Zimmer, ich muss zur Untersuchung. Der kleine Herr geht ebenfalls, er hat sein Schatzimausi in die Contenance geredet, so dass nun wieder Friede herrscht und sie sich (vorerst?) in ihr Schicksal zu fügen scheint.

Am Gang nickt er uns zu, seufzt kurz, wirft einen Blick zur Tür und sagt entschuldigend, leise und sehr liebevoll: „Sie war nicht immer so. Sie weiß gar nicht, was sie da sagt. Sie ist eine so wunderbare Frau. Das ist nicht ihre Art … das ist diese Krankheit. Sie ist ein herzensguter Mensch … kann keiner Fliege was zu Leide tun.“ Er lüftet grüßend den Hut und eilt weiter.

Ich schlurfe hinter meiner Mutter Richtung Aufzug und merke, wie sich das Vorstadtdrama in eine bittersüße Romanze verändert. Schatzimausi und ihr herzensguter Schweinehund – eine Beziehung, bei der einem die Worte „in guten, wie in schlechten Zeiten“ auf allen Ebenen bewusst werden. Und uns als demütige Zuschauer mit vielen Gedanken zurücklassen.

Cartoons, Kranke Geschichten - Strange Stories

Schräge G´schichten: Der rostige Heiligenschein

Ich hab Verspätung – meine sechste schräge G´schicht in der Kategorie … aber das ist eine andere Geschichte, inkl. dazugehöriger Zeichnungen für die#30SkizzenimNovember, kommt nach einer kurzen Pause. Aus persönlichen Gründen habe ich ein paar Tage ausgesetzt und mir Ruhe geschenkt, zum Durchatmen. Musste sein, das Leben hatte eine Kurve nach unten im Drehbuch stehen. Ich bin dennoch zuversichtlich, dass ich mein geplantes Ziel, nämlich bis Ende November 10 schräge G´schichten mit jeweils 2 Zeichnungen zu veröffentlichen, schaffen werden.

Hier also Nr. 6 und ich muss vorwarnen: die ersten fünf waren heiter bis wolkig, diese hier ist zartbitter bis edelherb. Leben eben. Und wie alle anderen Geschichten: NICHT frei erfunden, sondern so erlebt. Denn das Leben schreibt Geschichten ins Drehbuch, da muss die Fantasie nochmal die Schulbank drücken.

Alle Skizzen, von anderen und von mir, findet ihr auch auf Instagram, Facebook oder Twitter unter dem Hashtag #30SkizzenimNovember, meiner ist zusätzlich #schrägeGschichten.

30 Skizzen = 10 schräge Geschichten – Nr. 6:

Der rostige Heiligenschein

Mir ist übel. Nicht wegen der Schmerzen und Krämpfe im Bauch. Nicht wegen der Medikamente. Auch nicht wegen dem Essen, um das ich aktuell freiwillig und verordnet einen großen Bogen mache, weil mein Darm mir spontan die Mitarbeit aufgekündigt hat und in Stillstand getreten ist.
Mir ist übel vor mangelnder Sympathie. Besser: mir ist schlecht, weil ich zugeschwafelt werde und die Senderin der Botschaften nicht unbedingt auf Platz 1 meiner Sympathieliste rangiert.

Es gibt Liebe auf den ersten Blick. Oder zumindest Sympathie. Also das man sich sieht und denkt, ok, derdiedas ist nett und man könnte ein paar Worte oder mehr austauschen mitsammen.
Und dann gibt es das genaue Gegenteil davon und man hofft, dass der Moment der Begegnung schnell vorüber ist. In meinem akuten Fall stehen die Chancen dafür leider schlecht.

Die alte Dame, die in „mein“ Zimmer eingezogen ist, wäre rein optisch reizend. Putzig, gepflegt, korpulent bis üppig, mit den klassichen Alte-Dame-Wasserwellen am Kopf, die durch den Spitalsaufenthalt schon etwas derangiert sind. Arm ist sie auch, sehr arm. Weil leidend, sehr leidend. Die geplante Tumor-Punktion ist schief gegangen, der Darm wurde perforiert. Tragisch, so etwas kommt leider manchmal vor. Man bekommt es als mögliches Risiko zur Unterschrift vorgelegt und hofft, dass dieses Übel an einem vorübergeht. Bei der alten Dame ist es eingetreten und nun leiden wir. Sie, ich und der Rest der Station.

Sie muss ein paar Tage über die Sonde ernährt werden. Die Heilung schreitet gut voran, Schmerzen hat sie keine mehr, eine weitere Punktion wäre möglich, damit man endlich feststellt, was denn das für ein Tumor ist. Aber sie hat schon beschlossen „das“ nicht mehr machen zu lassen, denn sie wird nun sterben. Hat sie beschlossen.
Was sie mir unaufgefordert munter erzählt, inklusive ihrer Lebensgeschichte, ohne Punkt und Komma. „Stream of Consciousness“ nennt man das, wenn man so schreibt und es ist eine literarische Erzähltechnik. Spannend und leicht anstrengend zu lesen.
Unerträglich und mühsam aber, wenn man es um die Ohren gesagt bekommt und zu wenig Mut oder Kraft hat, um sich dagegen zu wehren.

Wobei nicht explizit die Lebensgeschichte mühsam ist oder das Drama der misslungenen OP. Es ist die alte Dame an sich. Ihr Leben war so toll und so schön, sagt sie, so voller Glück und schöner Momente und sie hat ja auch immer mit vielen wichtigen – nein: mit den HÖCHSTEN! – und besten Menschen zu tun gehabt, für diese arbeiten dürfen, hatte Kontakte in die HÖCHSTEN und besten Kreise und das war oberhammeraffengeil (mein Wort, nicht ihres. NIEMALS ihres.). Sie war so gesegnet, so glücklich, immer am guten Weg und darum geht sie nun gern ins Sterben, auch in den Tod, wenns sein muss..

Weil operieren lässt sie sich niemals nimmer nicht mehr. Sieht man ja, wohin das führt. Nur Qual und ihr Essen muss sie nun über den Schlauch konsumieren. ÜBER EINEN SCHLAUCH! Dass es sowas gibt! Das man das kann! Essen über die Infusion! Mit einer Maschine! Einen ganzen Beutel für zwei Tage! Und trinken darf sie nur ein paar Schlucke Wasser, für die Tabletten. Unglaublich. Und den ganzen Infusionsständer muss sie dauernd mitschleppen, wenn sie wohin geht. Sogar aufs Klo. Und in die Dusche.
Aber duschen kann sie ja nicht, denn das darf ja nicht nass werden. Was für ein Elend. Das ist gegen die Natur, so soll man nicht Essen müssen. Oder duschen. Also nicht-duschen.

Und ob ich weiß, wie man den Fernseher aufdreht. Weil nachmittags um 4 läuft ihre Lieblingsserie und am Abend die Nachrichten. Das wäre schön. Das würde sie gern sehen.

Heiligenschein 2 - Schräge G´schichten: Der rostige Heiligenschein

Ich bin platt, paralysiert und habe Ohrensausen. Das Wochenende habe ich – unfassbares Glück! – allein in diesem Zimmer verbracht. Die Geräusche des Krankenhauses gedämpft wahrgenommen, und in einem heilsamen Ruhezustand mit meinen Magenkoliken verhandeln können. Der Redeschwall, der seit dem Eintreffen der alten Dame über mich hereingebrochen ist, ist mir schlicht zu viel. Soviel Information auf einmal – ich bin noch dabei die erhaltenen Sätze von vor 5 Minuten zu verarbeiten und unterdrücke tapfer den Reflex, auf ihre flotten Aussagen betreff Sterben und aus-dem-Schlauchessen zu antworten … und werde in einem fort mit Worten weiter zugeschüttet. Langsam wird die Luft knapp. Meine Nerven wimmern panisch.

Ich will nicht reden, ich will Ruhe.  Mir tut einfach alles weh, der Bauch, die Muskeln, der Kopf … aber vor allem die Ohren, die langsam zu klingeln beginnen und das Alarmsignal der Überlastung weitergeben, weil zu viel und zu laut. Denn sie ist schwerhörig und trägt ihre Rede mit Amphietheaterstimme vor. Man kann sie auch im Nachbarzimmer noch gut hören.

Sie wurde übersiedelt, von einem 6er-Zimmer hierher, in „mein“ 2er-Zimmer. Aber glücklich ist sie nicht darüber, nein, ganz und gar nicht. Das Zimmer drüben war schön, groß, mit einem Fernseher. Aber es ging ihr nicht gut und darum hat sie die Serie nicht vermisst. Aber hier wäre das doch sicher möglich. Wo sie doch auch gegen ihren Willen hierher transferiert wurde, aus dem schönen Zimmer weg musste. Das war so toll dort, aber dann hat man ihnen die dicke Negerfrau hineingelegt. Wegen der musste sie raus aus dem Zimmer. Wegen der ist sie nun hier. Das ging einfach nicht mehr. Leider. Die dicke Negerfrau hat sie so gestört. Unglaublich war das mit der. Also weniger mit ihr, als mit ihrer Familie. Alle da. ALLE! Jeden Tag! Also die 2 Tage, seit sie eingeliefert wurde. Also seid gestern, um es genau zu sagen. Und auf die Frau eingeredet haben sie. ANDAUERND. Die ganze dunkle Familie. Einfach unglaublich. Dauernd hat wer geredet. Unerträglich war das. Da kam man ja selber kaum zu Wort.

Und was ist nun mit dem TV? Ob ich wüßte, wie man das einschaltet? Und ob ich was dagegen hätte, wenn sie ihre Serie sehen könnte, wo sie schon mal da ist und da wenigstens ein TV ist, in diesem Zimmer.

Mein inneres Helfer-Ich war mental schon am halben Weg zur Fernbedienung. Beim Wort „Negerfrau“ ist es stehen geblieben, hat umgedreht und schaut nun beim Fenster hinaus.
Da ist eine verzweifelte Wespe, die flüchten will.
Ich kann sie verstehen.
Während mein Helfer-Ich mein Ich-Ich motiviert aufzustehen, um die Wespe beim Fenster rauszulassen – „Erschlagens das grausliche Viech, dann hamma Ruh. Am Ende werden ´s noch gestochen!“ – erkläre ich sehr bedauernd, dass ich selbst keinen Fernseher mehr habe, weil zuviel Stress, Reizüberflutung, nur Schmarrn und bad News zu sehen und Ruhe brauch ich auch. Aber vor allem habe ich leider keine Ahnung, wie man das Gerät hier einschaltet. Und sorry, aber ich muss jetzt ganz schnell aufs Klo.

Den Rückweg zögere ich hinaus. Drehe eine Runde durch die Station, gehe gedankenlos den Gang hinauf, zu den großen 6er-Zimmern. Wo eine betroffene Oberärztin den Angehörigen der alten, südländischen Dame, die vor kurzem eingetroffen ist, erklärt, dass man nur noch die Schmerzen stillen könne, sie umsorgen kann und „es“ vermutlich nicht mehr lange dauern wird. Man werde versuchen, ein ruhiges Zimmer für sie zu finden.
Tränen fließen, Hände werden gerungen, umklammern andere. Eine Familie im Ausnahmezustand.

Mir ist schlecht. Richtig schlecht. Ich spüre Tränen und Magensäure aufsteigen und weiß nicht, ob aus Wut oder wegen der greifbaren Trauer.
Es tut weh hinzusehen. Es tut weh es hören zu müssen und lässt sich doch nicht vermeiden. Der Gang ist zu eng hier, ich bin schon zu nah und habe zu spät gemerkt, was das für ein Gespräch ist. Eine junge Frau blickt zu mir herüber. Tränen im Gesicht, Tränen in den Augen. Unser Blicke treffen sich und ich nicke ihr leicht zu. Sie nickt zurück, hat die Botschaft verstanden und sich bedankt. Ohne Worte.

Im Zimmer retour fürchte ich eine weitere Redelawine. Aber die Krankenhaus-Seelsorgerin ist da und bekommt die Lebensgeschichte frisch serviert. Im ausführlichen Modus, mit allen Unterkapiteln und es werden nun auch Namen genannt. Also NAMEN! Von den HÖCHSTEN! Die Seelsorgerin ist eine bessere Zuhörerin als ich, gibt an passenden Stellen bedauernde Seufzer und mitfühlende Worte von sich, wofür ich sie rückhaltlos bewundere.
Ob ein Priester gewünscht wird, ist eine Frage, die sie in einer Redepause stellen kann. Und ob man der armen Frau für die Zeit, die sie im Krankenhaus sein müsse, täglich die Kommunion bringen solle. Ein Strahlen geht über das Gesicht der alten Dame, ein Glückslaut entfleucht und sie bedankt sie überschwenglich. Denn nun geht es ja ans Sterben, das muss so sein und sie hat keine Angst, denn das Leben war so gut zu ihr, hat ihr so viel gegeben. Sie geht mit leichtem Schritt und fröhlich. Und nun auch mit priesterlichem Segen und der heiligen Kommunion, täglich frisch serviert.

Mein Sarkasmus brennt mit Magensäure in meinem Hals um die Wette. Ich würge beide hinunter, ebenso den Spruch „So schnell stirbt es sich nicht„. Sie würde es nicht verstehen, vermutlich nicht mal hören. Hier steht kein Tod am Krankenbett, auch nicht im heiligen Schatten. Er ist am Ende des Ganges beschäftigt, im großen, „schönen“ 6er-Zimmer, wo eine Familie weinend die Hände ringt.

Ich nehme meine Kopfhörer raus und suche im Internet ein bestimmtes Lied, dass ich in Gedanken seit ein paar Minuten in Gedanken immer wieder höre – rostige Flügel. Alt und absolut „not my kind of town“, aber ich brauch das jetzt.
Und während die ersten Klänge meinen Gehörgang gegen den Redeschwall der alten Dame abdichten, überlege ich, ob auch ein Heiligenschein Rost ansetzen kann und was es braucht, damit er das tut.

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Schräge G´schichten: Der traurige Haken

Die fünfte schräge G´schicht in der Kategorie … aber das ist eine andere Geschichte, inkl. zweier dazugehöriger Zeichnungen für die#30SkizzenimNovember, die Zeichenaktion der Freiraumfrau. Und es ist eine philisophische Geschichte rund um sich auf seltsame Weise offenbarende Erkenntnisse.
Alle Skizzen findet ihr auch auf Instagram, Facebook oder Twitter unter dem Hashtag #30SkizzenimNovember, meiner ist zusätzlich #schrägeGschichten.

30 Skizzen = 10 schräge Geschichten – Nr. 5:

Der traurige Haken

Das Leben ist manchmal ungerecht und Monsieur Karma kann sich fallweise als echte Bitch erweisen. Nicht nur bei Menschen, Tieren oder Pflanzen. Auch für Dinge gibt es Schicksale, die man nur als traurig bezeichnen kann. Ob die Dinge das auch so sehen, ist eine andere Sache.

Bei dem kleinen Haken am WC sieht es jedenfalls so aus, als hätte er ein sehr trauriges Los im Lebenstopf gezogen. Ich sehe in täglich mehrmals, aus crohnischen Gründen. Denn Handyempfang und Wlan sind am Krankenhausklo mager bis gering. Abgesehen davon soll man sich ja hier aufs Wesentliche konzentrieren, unhygienisch ist es auch usw. usf.

Also schweift der Blick umher und wenn man dank lieben Herrn Crohn viel Zeit an solchen Orten verbringt, registriert Frau auch die kleinen Dinge. Wie eben den grauen, ehemals silbrigen Haken, der rechts von der Klomuschel und in seltsamer Höhe montiert ist. Nicht oben an der Wand, damit man Bademantel oder Tasche aufhängen kann. Nicht in Waschbeckenhöhe, für allfällige Toilettebeutel. Nein, er hängt ca. einen halben Meter vom Boden entfernt optisch sinnlos rum.

Tagein, tagaus, bei jedem Klobesuch grübel ich, was er für einen Sinn im Dasein hat. Und verfluche zugleich den, der ihn montiert hat, denn mein pedantisches Monkauge kreischt jedesmal auf: die Fliesenfuge ist nicht mittig. Bzw. der Haken ist nicht mittig auf ihr montiert.
Das. geht. gar. nicht.
Entweder mittig in die Fuge oder mittig in die Fliese oder zumindest in einem gefälligen Abstand zur Fuge, idealerweise im goldenen Schnitt.
Aber verdammt nochmal doch nicht einfach so! Es tut weh, es verursacht mir Stress, mehr als man an diesem Ort haben sollte. Aber es passt auch zum Rest der hakenden Erscheinung.

Er wurde sichtlich schon lange nicht genutzt. Vielleicht weil keiner eine Ahnung hat, wofür er gedacht ist. Die obere Schraube wirkt wie ein Zyklopenauge, dass schon viel zu viel gesehen hat. Was auf Krankenhaustoiletten schnell passiert. Die untere Schraube sieht aus wie ein verschlossener Mund, einsilbig, resigniert, mit müde hängenden Mundwinkeln.

Ich habe ihn zuerst für eine Einzelerscheinung gehalten. Im Sinne von: „Da war noch ein Haken über, Chef, ich hab ihn einfach irgendwo montiert.“ – „Passt, alles klar. Nun hängen Sie noch die Klopapierrollen verkehrt auf und Feierabend.
Aber der traurige Haken hat Kollegen in den anderen Toiletten. Neben jeder einzelnen Stationsmuschel ist ein trauriger, mattsilbriger Haken montiert und alle blicken resigniert, als hätten sie mit ihrem Hakendasein abgeschlossen. Es muss also einen Sinn geben für diese Metalloktopusse, die mit zwei wartenden Armen auf etwas Unbekanntes warten, um es sicher zu halten.

Das Rätsel um den Sinn dieses Hakens beschäftigt mich – ich habe allerdings auch nicht viel anderes zu tun hier. Lesen, Videos schauen, Untersuchungen absolvieren, Infusionen inhalieren, aufs nächste Essen (und eine entsprechende Verbesserung desselben) warten … und über den traurigen Haken am Klo nachdenken.
Die großen Rätsel der Menschheit sind im Krankenhaus weit weg. Brainfog und Fatigue sorgen dafür, dass man sich mit tieferer Philosophie in kleinem Ausmaß beschäftig und trostlose Haken bieten ausreichend Raum dazu.

Des Rätsels Lösung, der Sinn der Hakenexistenz erhellt sich mir ein paar Tage später per Zufall und wie so oft liegt die Antwort näher, als man denkt.

So gnä Frau, jetza gemma aufs Klo. Bring Sie gleich rüber, den Katheterbeutel nemma mit, ja klar. Schaugns, da simma schon, gleich sitz ma am Thron – Ha Ha – und daaaaa häng ma das Sackerl auf. Wenns fertig sind läutens bidde!

Ich stehe im Gang, am Weg zu meinem Thron und werde unfreiwillig Ohrenzeugin dieses Dialogs.

Man sagt, dass die Erleuchtung oft wie ein Sonnenaufgang über einen kommt. Manche erleben diesen Moment in einer Art mentalem Cinemascope, mit konzertanter Musik. Ein Vorhang hebt sich, Wolken lösen sich auch, die Nebel des Geistes lichten sich und man sieht die Lösung, erkennt die Antwort, versteht das Unverständliche, ist dem ultimativen Wissen einen Schritt näher. Ohm.

Ich steh einfach nur mitten am Gang, eingefroren in der Bewegung, und blicke blicklos eine mausbeige Wand an, während in meinem Inneren der Groschen fällt und das auch noch hämisch kichernd. Die Reinigungskraft winnert den Boden um mich herum und wundert sich nicht über die Statue im Weg – solche katatonische Erkenntisstarren dürften hier öfter passieren.

Haken 2 - Schräge G´schichten: Der traurige Haken

Klar, ganz klar – der Haken hält den Katheterbeutel für die, die den Rest des Stoffwechsels am Locus erledigen wollen und können. Er ist der Pissbeutelhalter. Darum die Höhe, darum der Eindruck, dass der Haken kaum bis nie genutzt wird. Darum der frustrierte, traurig-resignierte Gesichtsausdruck mit dem unsichtbaren Motto, dass sowieso schon alles egal ist, man nicht tiefer sinken kann.

Weil der kleine trostlose Haken sich in seinen Nicht-Mal-Scheiß-Job drein gefunden hat.
Aber immerhin hat er für manche eine tragende Funktion inne.

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Schräge G´schichten: Der herrliche Einhornschwamm

Die vierte schräge G´schicht in der Kategorie „… aber das ist eine andere Geschichteist ein wenig, nun ja, schlüpfrig. Was normal ist, denn sie spielt in der Dusche. Mit dabei die beiden Skizzen 10 und 11, was in Summe nun schon 12 Skizzen für die#30SkizzenimNovember sind, die Zeichenaktion der Freiraumfrau .
Alles Skizzen, meine und die von anderen, findet ihr auch auf Instagram, Facebook oder Twitter unter dem Hashtag #30SkizzenimNovember folgen, meiner ist zusätzlich #schrägeGschichten.

30 Skizzen = 10 schräge Geschichten – Nr. 4:

Der herrliche Einhornschwamm

Badezimmer im Spital – ein bittersüßes Drama, mal Komödie, mal Tragödie. Ich vergleiche das temporäre „Wohnen“ in Krankenhaus gern mit einem Campingurlaub. Es ist alles ein bisserl provisorisch, eher unbequem und man muss es mit anderen teilen. Zumindest wenn man auf Kasse logiert.

Wichtig ist unter anderem auch die Wahl des passenden Zeitpunkts für die Körperreinigung und der dazugehörigen Location. Dafür braucht es Taktik, abgestimmt auf den Reinigungsplan der Station, den internen Ablauf und das, für diesen Tag geplante, eigene Untersuchungsprogramm. Sonst steht man üppig eingeschäumt in der Dusche wenn die Visite anklopft oder der Pfleger einen für die Untersuchung holt. Beides erlebt, das kann nix und kaum wer ist dann bereit einem den Rücken einzuschmieren, damit es schneller geht.
Ein passendes Zeitfenster zu finden ist also nicht einfach, schließlich will man (=ich) ja zudem dann ins Bad, wenn die nächtlichen Katastrophen entfernt sind und die tagsüber eintretenden noch schlafen. Ein Wunsch, den alle teilen, die nicht auf Fremdhilfe bei der Morgentoilette angewiesen sind.

So steh ich nun da, meinen Waschbeutel in der einen, das dicke, flauschige Handtuch in der anderen Hand und überlege, welche Dusche ich ansteuern soll. Die Visite ist noch gut eine Stunde entfernt, das Frühstück ist für mich heute nicht wichtig – ich muss für eine Untersuchung nüchtern sein. Einzig das Eintreffen des mich abholenden Pflegers ist ein Risikofaktor, weil unkalkulierbar. Aber ich gehe davon aus, dass mein Platz in der Koloskopiereihenfolge nicht der erste sein wird und nach einer entsprechend intensiven Vorbereitung für das darmspiegelnde Ereignis ist es nun Zeit, sich das Elend der Nacht aus dem Geist und vom Körper zu spülen, damit zumindest der erste kehrseitige Eindruck ein positiver ist.

Aber meine bevorzugte Dusche ist besetzt.
Was eine Katastrophe und Sauerei zugleich ist.
Mein Zeitbudget ist labil und selbst wenn die duschende Lady da drin in nullkommanix fertig sein sollte: ich mag dann da nicht gleich rein. Das ist … zu intim. Und dampfig. Und es riecht nach Unmengen von ungewohntem Deo, Duschzeug und Dings. Und es gibt kein Fenster zum Lüften. Und überhaupt: Nein.

Die nächste Damendusche ist nur ein paar Schritte entfernt, aber sinnlos. Da hat dieser Tage jemand den Duschkopf abgeschraubt. Keiner weiß wer, keiner weiß warum, alle sind sauer, doch es nützt nix. Diese Dusche ist zwar sauber, leer und trocken. Doch zugleich unverwendbar.

Badeschamm 2 - Schräge G´schichten: Der herrliche Einhornschwamm

Mit meinem Toilettebeutelchen in der Hand stehe ich unschlüssig vor der Tür, die für den unweiblichen Teil der Menschheit vorgesehen ist, der ja auch duschen will und soll.
Aus Gründen, über die ich (und man) nicht lange nachdenken mag, sind die männliche Spitalsduschen hier meist blitzsauber, weil selten verwendet, oder komplett versifft und unter Quarantäne. Das klingt nach Geschlechtervorurteil, liegt aber darin begründet, dass meist weniger Männer als Frauen auf dieser internen Station liegen, und wenn, dann sind sie zum Ausnüchtern da oder haben diverse heftige Inkontinenzprobleme. Da es gleich viele männliche wie weibliche Duschen gibt, ist die Chance, als Mann eine freie zu finden, höher.

Die Herren im Zimmer nahe dieser Dusche schlafen noch. Was kein Wunder ist, sie haben die Station die halbe Nacht mit abwechselndem Schreien wach gehalten. Es ist kein Pappschild an der Tür, das auf eine Dusch-Sperre hindeuten würde, und es ist auch niemand drin.
Es ist meine Chance, den Zeitplan einzuhalten.

Ich bin bei solchen Dingen nicht schüchtern. Wenn Not bei der Frau ist, dann besetze ich auch ohne langes Nachdenken das Männerklo. Schließlich sind wir ja alle irgendwie gleich, vor allem beim Stoffwechsel.
Nun denn, rein in die herr-liche Dusche (Füße hoch, der Witz kommt flach). Nach einem schnellen Rundumblick schlüpf ich durch die Tür, verriegle sie und freu mich: Sie ist sauber, als wäre sie gerade erst gefliest worden.
Einziger Hinweis darauf, dass sie bereits zielführend verwendet wurde: In der Dusche hängt ein Badeschwamm.
Was heißt „ein“ – es ist DER ultimative Badeschwamm! In kreischpink, aus Tüll ähnlichem Material, an einer zarten Kordel aufgehängt und ich schwöre: ich kann sehen, dass im Inneren Einhornglitzer nur darauf wartet, sich über einen einzuschäumenden Körper zu verteilen.
Ein Badeschamm wie aus einem Barbiemärchen.
In der Männerdusche.

Ich atme erleichtert auf und interpretiere die pinke Präsenz als Zeichen, dass auch schon eine andere Frau hier geduscht hat. Und sich dazu den Badeschwamm ihrer lieber mit Matchboxautos spielenden Tochter geliehen hat. Oder es war eine Werbebeigabe. Oder … keine Ahnung.
Es ist ein pinker Badeschamm, das ist die Männerdusche, ich bin eine Frau und es könnte sein, dass wir beide füreinander bestimmt sind.
Oder besser wären: denn so verführerisch er auch da hängt – ich lass ihn wo er ist.
Es ist ein ungeschriebenes Gesetz: Badeschwämme sind monogam. Sie beginnen ihre Beziehung jungfräulich und bleiben ihrem Duschpartner treu bis ans Lebensende.
Da wird nicht geswitcht, geteilt oder geborgt.
Auch wenn er noch so punkig pink leuchtet und verführerisch einsam da hängt.

Abgesehen davon: ich hab nur Seife da, kein nach Kaugummi duftendes Duschschaumzeug. Ich bin am Ökotrip, mein aktuelles Duschding ist eine vollbiogische, schlichte Olivenölseife. Schon rein optisch ist da an keine mögliche Verbindung zwischen ihr und dem pinken Bademonster anzudenken. Sie würde aus Prinzip das Schäumen verweigern, das ist unter ihrer Würde. Leider.

Also machen wir, die Seife und ich, einen Bogen um den Schwamm bzw. halte ich Abstand. Körperlich.
Denn – Gedankenfreiheit, Baby! – mein Kopf hat nun denkfrei und findet sogleich eine passende Geschichte, bei deren Erinnerung ich grinsen muss. Der restliche Körper ist im automatischen Duschmodus.
Die Geschichte habe ich irgendwann mal auf englisch im Netz gefunden. Wenn sie nicht wahr ist, ist sie zumindest gut erfunden:

Eine Mutter hat mal wieder die jährliche Gyn-Kontrolle am Programm. Sie kommt diesen Kontrollen brav nach, der Termin für die nächste wird immer gleich ausgemacht, bei ihrem langjährigen Gynäkologen. Der aktuelle Termin fällt auf einen hektischen Tag. Keine Ahnung mehr was und wie alles passierte, aber es ging sich einfach keine Dusche mehr aus vor dem Gyn-Termin. Eine schnelle Katzenwäsche musste reichen.

Also ab ins Bad und hier passiert der Fehler: weil es schnell gehen muss, schnappt sie sich den Badeschwamm ihrer jüngsten Tochter. Alles sauber, alles gut, ab zum Arzt.

Bei der Untersuchung das übliche Prozedere – Augen zu, einatmen, ausatmen, in Gedanken das Thanksgiving-Dinner planen. Der Doktor tut, was er immer tut. Lediglich zu Beginn stutzt er und meint dann lächelnd: „Da hat sich aber heute wer Mühe gegeben.“
Die Frau hat keine Ahnung was er meint, murmelt etwas und konzentriert sich wieder auf die mögliche Truthahnfüllung.

Wieder daheim räumt sie flott das Bad auf, der töchterliche Schwamm wandert in die Waschmaschine und sie beginnt sich ums Dinner zu kümmern. Kurz darauf kommen die Kinder heim, werden zum Händewaschen nach oben geschickt.

„Mama?! Wo ist denn mein Schwamm?!!“ – „Liebes, der ist grad in der Wäsche, muss auch mal sein, nimm einen anderen.“ Gepolter, das Kind rennt die Stiege runter, steht mit entsetzten Augen in der Küche und sagt „Aber da hab ich doch heut morgen meinen ganzen Einhornglitter und Feenstaub hinein getan …!“

Ja, so kanns gehen, wenn man das ungeschriebene Gesetz der Badeschwammmonogamie missachtet. Ich kichere bei der Erinnerung wie ein listiger Idiot. Automatisch scannt mein Blick den Boden und die Umgebung, auf der Suche nach möglichem Einhorn- oder Feenstaub.
Nichts zu finden.

Mein Duschvorgang ist schnell vorbei. Eincremen, Haare ins Handtuch gewickelt, schnell in die frische Kleidung – das unsäglich hässliche Spitalshemd und mein maigrüner Bademantel – alles zusammenpacken und raus hier. Als ich die Tür öffne, steht ein junger Mann mit erhobener Hand vor mir – er wollte eben anklopfen.
Unsere Blicke treffen sich, Erkenntnis und Absolution treffen sich (Frau, Männerdusche, aha, egal, alles ok) und er sagt: „…‘tschuldign, meine Frau holt mich schon ab und ich hab hier irgendwo meinen Duschschwamm vergessen.

Ich starre ihn an, sprachlos, trete zur Seite, so dass er die Dusche sieht, wo der barbiepinke Schwamm unschuldig hängt.
Er sieht ihn und ein Leuchten erscheint auf seinem Gesicht. Die Sonne geht auf, Sphärenklänge erklingen, der Boden bebt, eine Horde Einhörner wiehert in der Ferne …
„Da ist er ja! Was hab ich den gesucht. Hätte mich sehr geärgert, wenn ich den verloren hätte.“
Mit einem glücklichen Seufzen ergreift er sein verlorenes Schwämmchen, winkt mir grüßend zu und geht zu seiner wartenden Frau.
Ein Topf, der seinen Deckel gefunden hat.

Ich stehe verdattert da und schäme mich. Bin in die Genderfalle getappt, wie ein Anfänger. Habe auf Grund einer Farbe auf die Zugehörigkeit geschlossen. Depp ich.

Langsam drehe ich mich um und werfe einen letzen Blick auf die nun sehr leer und trostlos wirkende Dusche. Vielleicht täusche ich mich ja und es ist Wunschdenken, aber ohne Brille sieht es so aus, als würde da, wo der pinke Schwamm hing, etwas glitzern.
Egal.
Not my circus, not my Glitzer.
Ich muss weiter, zu meinem Date mit Schläuchen. Ohne pink und ganz sicher ohne Feenstaub. Aber dafür mit einer Schlafspritze, die mir in die Regionen verhilft, wo ich die Horde Einhörner wiedersehe.

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