Hunger 1 - Schräge G´schichten: Hunger auf Geschmack
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Schräge G´schichten: Hunger auf Geschmack

Meine achte schräge G´schicht in der Kategorie … aber das ist eine andere Geschichte für die Zeichen-Challenge #30SkizzenimNovember macht Appetit und hat eine Botschaft: Es ist nicht immer alles so, wie man es sich denkt. Vor allem, wenn man hungrig denkt. Was eigentlich gar nicht geht. Aber lest selbst.

Alle Skizzen, von anderen und von mir, findet ihr auch auf Instagram, Facebook oder Twitter unter dem Hashtag #30SkizzenimNovember, meiner ist zusätzlich #schrägeGschichten.

30 Skizzen = 10 schräge Geschichten – Nr. 8:

Hunger auf Geschmack

Ich habe Hunger.
Richtig, großen Hunger.
Nicht auf Essen.
Essen hatte ich schon und es hätte mich vermutlich ernährt, wenn ich es gegessen hätte. Es war glutenfrei, laktosefrei, ballaststoffrei und geschmacksneutral. Mein Essen war so von allem befreit, dass es ein Wunder war, dass ich es überhaupt gesehen habe. Es hatte vermutlich auch Kalorien. Aber soweit sind wir nicht gekommen. Wäre es ein Bild auf Tinder gewesen, hätte ich es wenigstens wegwischen können – kein Interesse.
So habe ich es einfach stehen gelassen. Es hat dann noch trauriger ausgesehen und ich hatte sogar den Hauch eines schlechten Gewissen. Aber mein Magen hat sich geweigert dem traurigen Kalorienkonvolut Unterschlupf zu gewähren und in solchen Dingen bin ich meinem Bauchgefühl hörig.

Still und schweigend habe ich es wieder zurück getragen, in den Wagen, mit dem es und seine Kollegen auf der Station gelandet ist. Einzig das Schild mit meinem Namen habe ich entfernt. Mein Mitgefühl mit dem nun noch traurigerem traurigem Essen war ein wenig kleiner, als ich es zu seinen anderen, gleichfalls verweigerten Kollegen in den Wagen geschoben habe. Es war wenigstens nicht allein. Der Nahrungsmitteltinderpapierkorb dürfte heute wieder voll werden.

Das Kaloriendesaster ist vom Tisch, aber mein Magen hat dennoch Bedarf. Und dann hab ich ja auch noch Hunger. Auf Essen, dass wie Essen aussieht. Das einen Geruch hat, wie gutes Essen riechen sollte. Das mit einem Hauch Liebe angerichtet wurde oder zumindest nach optischen Kriterien, die auf visuellen Geschmack schließen lassen. Ich will erkennen, was das für eine Gemüse ist, will etwas haben, worauf ich beißen kann, es darf Salz drin sein und gerne eine Reihe klassischer und exotischer Gewürze. Ich will Vitamine, Kohlehydrate und Spurenelemente – in Form von Nahrung, die auch der Seele gut tun und den Mund dazu bringt, es mit einem Lächeln zu kauen, damit die Speiseröhre sich freut, es zu schlucken und der Magen ein Stündchen später noch glücklich gluckert.
Das ist die Sorte Hunger, die ich gerade habe. Aber das trifft leider genau nicht auf die Sorte Essen zu, die ich hier im Krankenhaus erwarten darf. Selbst mit allen Tricks der Diätassistentin ist das leider nicht möglich.

Was ein Problem darstellt, denn ich habe eben gerade diesen Hunger und wenn ich diese Art Hunger habe, dann werde ich sehr unleidlich, wenn der nicht zu meiner Zufriedenheit gestillt wird. Was sich dann auf die weitere Umgebung auswirken kann und gesundheitliche Probleme verurschen könnte, nicht nur bei mir. Die Diva-Werbung eines bestimmte Schokoriegels deutet in etwa an, wohin sowas führen kann. Das wäre in meinem Fall aber die sanfte Version. Ich will nicht, dass das ausartet, weil ich weiß, wie es dann ausarten kann und das will ich weder den anderen, noch mir zumuten.

Es wirkt wie eine Pattsituation, aus der es keinen Ausweg gibt. Denn ich bin ja im Spital, stationär aufgenommen, als Patientin. Ich kann nicht eben mal beim Wirtshaus gegenüber einkehren und mir das 1er-Menü bestellen. Abgesehen davon, dass das, was ich will, was mir schmeckt und was ich vertrage, gegenüber nicht zu bekommen ist.

Ich kann nicht raus, das Essen muss zu mir. Und zwar rasch, denn mit jeder Minute wird die Stimmungslage labiler und die Monsterdiva scharrt in den Startlöchern.
Es ist somit ein klassischer Fall von selbstverteidigender Fürsorge, dass ich mich an die Instanz wende, die in solchen Fällen einzig und allein helfen kann: den Lieferdienst.
Zwei Apps sind auf meinem Smartphone für solche Fälle installiert und ich danke an dieser Stelle meinen wunderbaren Kindern, dass sie mir diese Art der Nahrungsjagd als Nothelfer empfohlen haben.
Nun ist es soweit, ich muss das Notfallprogramm starten. Die Auswahl ist immens, aber ich brauche etwas, das in der Nähe ist (weil schneller da), was ich vertrage und im Idealfall von einem Lokal, das ich kenne, denn dann weiß ich, ob es gut ist.
Mein Glück, dass ich in einem Krankenhaus in Wien bin, relativ zentral gelegen, wo die Auswahl der gelisteten Lokale somit auch ein paar Asiaten auflistet, bei denen ich schon das Vergnügen hatte gut gegessen zu haben. Insofern ist es nur noch eine kleine Qual der Wahl, welchen und was ich auswähle.

Während ich die Bestellung abschicke, richte ich ein stilles Dankgebet an den Erfinder des Internet, die Entwickler dieser App und meine lukullischen Schutzengeln. Und hoffe, dass der Koch Dampf macht und der Bote Vollgas gibt.

Das Schöne und zugleich Fiese an dieser App: Ich kann den Weg mitverfolgen. Quasi mit sabbernden Lefzen über dem Bildschirm hängen, alle paar Minuten auf Aktualisieren klicken und mit knurrendem Magen die Minuten bis zum Eintreffen des Boten zählen. 30 Minuten, in meinem Fall. Das ist schnell und langsam zugleich.
Und es lässt mir genug Zeit, mich auf den Weg zum Treffpunkt zu begeben. Denn aus Gründen des Datenschutzes (ich will nicht, dass die halbe Station und die gesamte medizinische Belegschaft mitbekommt, dass ich mir was Nahrhaftes aufs Zimmer liefern lasse) (oder es an die Diätassistentin verpetzen) (oder mir wegessen … was aktuell meine größte Angst ist) … jedenfalls: aus Gründen des Datenschutzes habe ich mir die Lieferung zur Rezeption unten hinbestellt und hoffe, das zu dieser späteren Stunden Flaute beim Eingang herrscht.

20 Minuten vor Eintreffen meiner Futterschüssel halte ich es im Zimmer nicht mehr aus. Ich flüster der diensthabenden Schwester zu, dass ich „ein bisserl im Haus spazierengehe“ und stapfe Richtung Rezeption. Vielleicht irrt die App ja und der Bote kommt früher. Oder war schon da! Also schnell runter und die Lage im Auge behalten.

Der Bereich rund um die Rezeption ist weniger leer, als ich vermutet und erhofft habe. Es steht zwar niemand für eine Aufnahme an, aber es lungern genug Leute herum, damit man nicht von unbelebt reden kann.

Allerdings wirken die alle so, als würden sie ohnehin nichts von ihrer Umgebung mitbekommen: Jeder hängt über seinem Handy. Wunderbare neue Welt, ich bin von Smombies umgeben  – Smartphone-Zombies.
Ich suche mir einen Platz mit gutem Blick auf den Eingang, zücke mein Handy und prüfe, wie weit mein Futter im Abendverkehr schon gekommen ist. 15 Minuten bis zum Einschlag.

Ein paar Meter rechts von mir sitzt ein junger Mann, sichtlich Patient, die Füße überschlagen und zappelig. Ich kann es nicht leiden, wenn jemand dauernd mit dem Fuß wippt, das macht mich nervös. Er zappelt mit dem Fuß und streicht immer wieder fahrig über sein Handy. Dann und wann hebt er den Kopf und blickt sehnsuchtsvoll zum Eingang. Dann seufzt er und glotzt wieder auf seinen Kommuniktationsknochen. Wartet vermutlich auf einen späten Besuch, denke ich mir, und so hoffnungsvoll, wie er zum EIngang blickt, wird es vielleicht seine Liebste oder sein Liebster sein. Ein Romeo, der auf Julia oder Julius wartet. Romantik im Spital ist was Schönes, ihm sei das Fußgezappel verziehen. Liebe und Ungeduld gehören nunmal zusammen.

Schnell ein Blick auf meine App – das Paket nähert sich, 10 Minuten. Seit wann dauert denn das so lange? Vor kurzem waren 5 Minuten viel schneller um, momentan zieht es sich echt. Ich aktualisiere noch zweimal, aber es ändert sich kaum was.

Seufzend hebe ich meinen Blick und lasse ihn schweifen. Links von mir sitzt eine Grüne. Entweder aus der Chirurgie oder einem anderen operativen Bereich. Ob Ärztin, ob Schwester, ob Studentin – keine Ahnung. Grüne knielange Hose, grünes Wams, grünes OP-Käppi … und ein zappelnder Fuß, der ähnlich wie beim jungen Mann rechts von mir, permanent am Wippen ist. Doch gänzlich anders als beim junge Mann ist dieser Fuß mitsammt der Wade bestrumpft. Mit grünen Kniestrümpfen, auf denen sich viele weiße und ein paar schwarze Schafe tummeln. Was in Kombination mit dem wippenden Fuß zum Eindruck führt, die Schafe würden sich bewegen und es herrscht viel Getummel auf der Weide.
Vielleicht habe ich aber auch schon Halluzinationen vor lauter Hunger.
Die Wahl der Socken lässt mich vermuten, dass die Grüne in der Anästhesie arbeitet. Vielleicht ist das ja ein Insidertrick, um die Einschlafzeit der Patienten vor der OP durch Sockenschäfchenzählen zu verkürzen.

Hunger 2 - Schräge G´schichten: Hunger auf Geschmack

Die grüne Schafsockenträgerin hat ihr Handy gleichfalls fest im Griff. Am Tisch neben ihr steht eine Cola, der Blick vom Handy hebt sich regelmäßig, einmal zur Cola, dann zum Eingang. Ich vermute mal, dass sie auf die Ablösung wartet.

Zeit um mal wieder den Lieferstatus zu prüfen – 5 Minuten. Es wird Zeit. Ich hebe den Blick und lasse ihn über das Grüppchen der anderen Anwesenden schweifen. Ein buntes Sammelsurium wartender Menschen, die in ihrer Zusammensetzung klassisch für ein Krankenhaus sind. Patienten, medizinisches Personal, in Summe um die 15 Personen. Alle sitzend, alle mit dem Handy in der Hand. Von Zeit zu Zeit hebt wer den Blick, sieht zum Eingang, senkt ihn wieder und wischt über das Handy. Bei den meisten zappelt ein Fuß und ich merke auf einmal, dass auch mein Fuß wippt. Kunststück, der hat sich anstecken lassen. Ich stoppe das Wippen und stehe auf. Stehende Füße können nicht wippen. Dafür werden sie aber zappelig und ich beginne herumzugehen. In konzentrischen Kreisen nähere ich mich der Rezeption. Mein Bote müsste jeden Moment hier eintreffen. Himmel, ich hoffe, er hatte keinen Unfall! Nicht auszudenken …

In diesem Moment kommen zwei junge Männer herein, beide tragen unübersehbar Essenslieferdiensttaschen. „Die Pizza ist da!„, ruft der eine.

Pizza? Wieso Pizza?? Ich hab doch keine Pizza bestellt!
Habe ich mich vertippt?
Ich zücke hektisch mein Handy, während ich gleichzeitig auf den Boten zu gehe. Aber da überholt mich ein Schatten von rechts – der junge Mann mit dem zappelnden Fuß, der auf seine Liebe wartet. „Endlich, danke! Das ging schnell, ich hab schon so einen Hunger!
Ein Geldschein wechselt seinen Besitzer, die Pizzaschachtel wechselt zum jungen Mann, der sie liebevoll, mit glücklichem Gesicht an seine Brust drückt und Richtung Aufzug stapft.

Ich stehe verdattert da und schaue zum anderen Lieferdienstmann, der eben seine Box in die wartenden Hände der Schäfchensocken-Lady entleert.

Äh …

Ich schaue mich um – alle, die hier gewartet haben, blicken zu den beiden Boten. Ein paar haben sich halb erhoben, ihr Handy in der Hand, zwei stehen und waren sichtlich am Weg zu den beiden.
Der Ausdruck in ihrem Gesicht muss meinem ähneln und fällt unter die Kategorie: Blöd aus der Wäsche gucken.

Während ich langsam beginne die Zusammenhänge in meinem Kopf neu zu ordnen, betritt ein dritter Bote den Raum. „Butter Chicken, Mangocreme, Karottensaft und Muffins?“ fragt er in die Runde. Ich trete wie in Trance auf ihn zu, nicke, reiche ihm das Geld und nehme mein Päckchen Glück entgegen. Der schönste Moment des Tages. Ich halte meine wohlverdiente Beute in Armen, warm und köstlich duftend. Ich weiß nun, wie der Himmel duftet und das es sich lohnt auf dieses Gefühl zu warten.

Die anderen wartenden Hungerleider sind vergessen, ich wandere wie auf Wolken zum Aufzug, versuche nicht zu sehr zu sabbern und meinen Schatz gut festzuhalten.

Oben angekommen packe ich aus und haue rein. Bei der Nachspeise beginne ich im Kopf zu kalkulieren, wieviel Umsatz die Lieferdienste allein heute abend hier gemacht haben und ob es nicht eine ideal Geschäftsidee wäre, eine Sammelapp für hungrige Krankenhäusler zu machen, womit man die Anreise öokologischer und ökonomischer gestalten kann – denn dann müsste nur ein Lieferwagen kommen und nicht 15 verschiedene Boten. Andererseits würde das dann vermutlich länger dauern. Die Idee ist noch nicht ganz ausgereift.

Beim Wegräumen der Überreste grüble ich, ob ich morgen einen Abstecher zu den Anästhesisten mache und versuche die Schafsockenträgerin zu finden. Wenn ich es recht in Erinnerung habe, hatte sie ein Curry. Wenn es gut war, bestell ich mir eins für morgen Abend.

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