Cartoons

Alle Beiträge, wo meine Cartoons und Zeichnungen rund um Morbus Crohn, den lieben Herr Crohn und das Leben mit einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung zu finden sind. Querbeet durch den Blog und kunterbunt durch alle Themen hindurch.

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Phil-klo-sphie: Über den Geburtsort manch kreativer Gedanken

Manche behaupten, die besten Ideen hätten sie beim Duschen oder Zähneputzen gehabt. Gelehrte Menschen merken dann gerne an, dass man eben da alleine mit sich und nicht abgelenkt ist, womit die Kreativität Zeit und Raum zum Landen hat. 

Für Menschen mit CED ist der Ort, wo man am häufigsten ganz mit sich alleine ist und die Gedanken frei herumfliegen können, das Klo. Vermute ich, wenn ich von mir auf andere schließe.

Die Qualität der Gedanken ist denen beim Duschen ähnlich. Wenn auch die Anzahl verwertbaren Gedankenguts geringer geworden ist, seit man auf den meisten Toiletten akzeptablen Internetempfang hat. Der chronisch entzündliche Haupttatort ist das sogenannte „Häusl“.  Hier sind wir unter uns, jede/r für sich, mit dem gesamten inneren Team. Ungestört, einsam und alleine. 

Wenn man sich nicht aufs Handy konzentriert, haben die Gedanken frei, da der Körper die Hauptrolle übernimmt und die Aussicht rundum überschaubar ist. In Schubzeiten ist diese gedankliche Freiheit von Schmerzen und dem blockiert, was sich einem ungefragt in den Kopf denkt und das sind nicht immer nette Dinge. Doch in Remissionszeiten und den „nicht ganz Schub, noch nicht Remission“-Phasen dazwischen hat man mehr als genug Zeit um alle Gedanken, die man irgendwann mal begonnen hat, in Ruhe zu Ende zu denken. Fallweise finden sich da überraschende Wendungen, schnulzige Happy Endings und mehr als nur eine kreative Luftblase, die bei Betätigung der Spülung vielleicht schon wieder zerplatzt. Schön war sie dennoch und da Gedanken bekanntlich frei sind, durfte sie sich hier, am stillen Ort, gefahrlos ausbreiten. Es gibt schlimmere Nebenwirkungen, die bei einem chronisch-entzündlichen Klogang entstehen können. 

Damit bekommt das stille Örtchen für manche Menschen eine kreative Aufwertung, wenn man so will. Schließlich begann jedes Kunstwerk auf der Welt, jede geniale Erfindung irgendwann mit dem ersten, kreativen Gedanken. Im Smalltalk kommt es allerdings nicht so gut, wenn man den geografischen Geburtspunkt einer genialen Idee mit „am Klo gefunden“ definiert. 

Warum nur ist das Klo so ein negativer Ort, im gesellschaftlichen Sprachgebrauch? Ich glaube, dass es jedem bewusst denkendem Menschen klar und logisch erscheinen sollte, dass man das, was man oben reinfüllt, irgendwann auch wieder unten abgeben muss. Sofern der Weg zwischen oben und unten frei und durchgängig ist. (CED-Menschen wissen, dass sich da mitunter Hürden auftun können, aber das ist ein anderes Thema). Meine liebe, selige Schwiegermutter meinte bei einer randvollen Windel ihrer Enkelkinder stets lapidar: „Sind wir froh, dass es gut funktioniert.“ 

„Das“ war in diesem Fall die Verdauung und ja, das ist ein wunderbarer Grund zur Freude, wenn die gut klappt. Die Freude über dieses Wunder der Natur wissen besonders jene zu schätzen, die das Gegenteil nur zu gut kennen. 

Die Wertschätzung dieser unvergleichlich wichtigen Körperfunktion hat im Laufe der Geschichte einen krassen Paradigmenwechsel erfahren. Im alten Rom saß man noch in Gruppen gemeinsam, gemütlich und oft sehr lange am Donnerbalken. Beim fröhlichen Gruppenkacken wurden nicht nur Geschäfte verrichtet, sondern auch neue angebahnt. Der Spruch „Geld stinkt nicht“ (Pecunia non olet) stammt übrigens von Kaiser Vespasian (69 – 79 n. Chr.), der mit diesem Zitat die Besteuerung der Bedürfnisanstalten verordnete und damit die hygienischen Zustände verschlechterte (weil man dann lieber andernorts und gratis ihr-wisst-schon-was). 

Heutzutage Zeit versuchen israelische Wissenschafter den Klogang erneut kommerziell zu verwerten. Sie träumen davon, eine Toilette zu entwickeln, mit der man Energie gewinnt statt sie zu verbrauchen. Die Wundermuschel soll aus dem, was so verpönt ist, innerhalb kurzer Zeit Kohle entstehen lassen. Das ist an sich auch ein natürliches Ausgangsmaterial für die Entstehung von Kohle. Allerdings dauert es normalerweise viel länger. Das israelische Wunderklo soll das in weniger als zwei Stunden erledigen können. Neben der Reduktion von Treibhausgasemissionen erzeugt man mit diesem Verfahren sogar einen Energieüberschuß. 

Sobald dieses Wunderklo marktreif wird, hat es einen Stammplatz bei mir und ich tretet in direkter Konkurrenz zur Photovoltaikanlage am Dach. Vielleicht reicht es nur für ein wärmendes Feuerchen im Kamin, egal. Hauptsache die Sitzung am heiligen Ort hat ein Ergebnis, das nicht nur meine Gastroenterologin und mich erfreut (oder erschüttert, je nach Status).

Der weiße Porzellanthron, den weiland schon der Kaiser allein und in Abgeschiedenheit bestieg, und die dort erfolgende Verrichtung haben im Laufe der Zeit also einen sehr weiten Weg durch die gesellschaftlichen Werte erfahren. Heutzutage spricht man nicht darüber. Es ist pfui. Das Örtchen selbst muss still, stets sauber und optisch unbenutzt wirken. Als wäre es reine Dekoration. Die Tätigkeit an sich sollte ebenso erfolgen, vor allem still und unauffällig. Was, wie nicht nur CED-Menschen wissen, meist ein Ding der Unmöglichkeit ist. Weswegen wir alle immer so tun, als wäre da nix. 

Gar nix. Weder zu sehen, noch zu hören, noch zu … egal.
Da ist nix. 

In Japan gibt es Toiletten die Musik spielen oder man hört ein liebliches Bächlein rauschen, damit man nur ja nix von dem hört, was man unter keinen Umständen hören soll.  Nonchalant drücken es die feinen Engländer aus. Da geht man nicht aufs Klo. You go and wash your hands. Und das dafür zuständige Örtchen ist der „Washroom“. Die eher veraltete deutsch-europäische Version dieser Phrase war für Menschen weiblichen Geschlechts das Pudern der Nase. 

Zurück zum Fundort kreativer Gedanken: Wenn ich gefragt werden, wo und wie ich zu meinen Ideen kommen, beim Schreiben oder Zeichnen, und wie ich auf die Idee kam ein Buch zu schreiben bzw. wo der Inhalt dieses Buches seinen kreativen Geburtsmoment hatte, dann antworte ich meist neutral mit „… bei der Morgentoilette“. Das ist nicht gelogen und kaschiert den tatsächlichen Tatort ausreichend. Sensible Gemüter sehen vor ihrem geistigen Auge die Dusche, andere schlussfolgern Zähneputzen oder Haare zwirbeln.  Auch der Zeitraum passt, denn selbst wenn der Gedanke später am Tag kam oder gar nächtens: Irgendwo auf der Welt ist immer Morgen. 

Würde ich hingegen mit „die Idee dazu kam mir am Klo“ antworten, wäre das vielleicht noch bei pubertären GesprächspartnerInnen ein Bonmont. Alle anderen würden es mit der Tätigkeit an besagtem Ort verbinden. Das wäre dann im buchstäblichen Sinn Scheiße und das ist vermutlich keine gute Idee.


Dieser Text und der dazugehörige Cartoon sind vorweg im ÖMCCV-Crohnicle Mai 2022 erschienen.

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Crohnisches Altern

Ich mache täglich mein Bett. Klopfe Matraze, Decken und Pölster aus, lege alles hübsch zusammen, Tagesdecke drüber. Fertig.
Das gibt mir das spießige Gefühl, zumindest einen Teil des Tages geschafft, etwas mit Sinn gemacht zu haben und man sieht auch gleich, dass sich was getan hat. Schaffe ich an diesem Tag nicht mehr als mein Bett, ist mir das zumindest am Abend ein schöner Anblick und eine leichte Beruhigung. Meist mache ich das Bett am frühen Vormittag. Später meist nur dann, wenn der Tag nicht so gut begonnen hat und die Steigerung eher in die Tiefe, als nach oben geht.

Außerdem sortiere ich die Bestecklade nach Größe und Form und habe mir dafür den Spitznamen Gabel-Monk eingehandelt. Egal, wenn ich in die Lade schaue, was mehrmals täglich passiert, habe ich das Gefühl, dass die Ordnung auf mich überschwappt und das beruhigt mich irgendwie. Auf diesen paar Quadratzentimetern ist das Leben geregelt, alles hat seinen Platz, alles ist im Rahmen. Ein zarter Anker in einer chaotischen Welt.

Das Bett und die Bestecklade halten den Tag für mich zusammen und sorgen dafür, dass ich mich nicht verliere. Was an den Tagen, wo ich das Bett spät oder gar nicht mache und die Lade ungeordnet ist, leicht passiert. Was weder am Bett oder an der Lade liegt, sondern am Tag und an mir.

Zwei Spleens, die mir Halt geben in einer Welt, in der ich mich immer weiter von vielem entferne. Corona, die Lockdowns und das neue Weltbild haben viel verändert und manches verschärft. Zum Beispiel mein Gefühl immer weiter wegzudriften vom Alltag meiner Mitmenschen, vom Teilnehmen am menschlichen Dasein rund um mich. Wobei Corona da eigentlich nicht viel dazu getan hat, was nicht schon vorher diesen Weg eingeschlagen hat. Aber es liefert zumindest eine gute Ausrede.

Ich werde Ende des Jahres  54 und bin seit 5 Jahren in Berufsunfähigkeitspension. Arbeitsunfähig war ich vorher schon. Der liebe Herr Crohn wurde damals zum Fulltime-Job und sorgte für mehr Überstunden, als ich jemals abbauen kann.

„Sei doch froh! Du kannst dir den Tag einteilen, kannst es dir gut gehen lassen, hast keinen Stress mehr und sowas wie Dauerurlaub, ha ha!“
Ja. Genau. So ist es (nicht).

Ich bin dankbar, weil es diese Möglichkeit in Österreich gibt. Aber froh bin ich nicht. Denn der Grund für das nicht Arbeiten können ist der gleiche, der meinen Alltag mühsam macht. Und es ist nicht immer nur der liebe Herr Crohn, der etwas dazu beiträgt.

Vor 7-8 Jahren hat mein altes Leben zu bröckeln begonnen. Es wurde dürr, leerer und  vor 5-6 Jahren ist es ganz verschwunden. Mir war dabei nicht langweilig, ich habe mehrmals um meine Überleben gekämpft. Dabei blieb mein Berufsleben auf der Strecke. Ich wusste bis dahin nicht, dass man sein Leben verlieren kann ohne zu sterben. Und dass es eine Trauer über diesen seltsamen Verlust gibt, die man als einzige Hinterbliebene spürt und die einem von da an begleitet.

Ich bin dankbar, dass ich in Berufsunfähigkeitspension gehen konnte, weil es mir ein physisches Überleben ermöglicht hat und nach wie vor tut. Aber auch nach 5 Jahren ist da noch immer diese seltsame (egoistische?) Trauer. Sie veränderte sich zwar, weil andere Trauer dazu gekommen ist – „echte“ Trauer, die mit dem Verlust von innig geliebten Menschen zu tun hat, die mir lieb, wert und sehr nahe waren. Meine Lebens-Ego-Trauer hat sich davon in den Hintergrund schieben lassen und manchmal wirkt es so, als wäre sie nicht da. Aber sie schickt mir immer wieder Grüße und Erinnerungen. Einsamkeit ist eine davon.

Ich hatte ein intensives Berufsleben, dass mir – ich gestehe es heute offen- auch immer wieder zu viel wurde. Ich hatte unzählige Bekannte und viele FreundInnen, war gut vernetzt, aktiv und immer am Tun. Von diesem Dasein ist mir so gut wie nichts und – hard to write, harder to say – kaum jemand geblieben. Das kränkte zuerst, tat dann auf perverse Art „gut weh“ und dann rang sich das Verständnis durch, um den Boden für einen Abschluss dieser Lebensphase vorzubereiten. Es war und ist niemandes schuld, es ist eben Leben. Müßig darüber zu grübeln, müßig „was wäre wenn“ zu spielen oder sich die Gram zu Herzen zu nehmen. Es bringt nichts.

Klar gehören immer mindestens zwei dazu, wenn sich die Lebensumstände bei einer Seite ändern und man sich aus den Augen verliert. Es lag auch an mir, dass ich es nicht mehr geschafft habe, die Fäden zu halten. Ich war zu Beginn die meiste Zeit zu KO für alles. Der liebe Herr Crohn kann sehr imperativ sein, wenn es um die Einteilung von Zeit und Kraft geht. Als er sich dann beruhigt hatte, war der Abstand zu groß geworden und meine Angst vor bodenlosen Abgründen (Bathophobie) hat sicher auch etwas dazu beigetragen, dass mir der Mut fehlte, diesen Abstand zu überwinden.

Life is what happens while you are busy making other plans – nicht wahr?
A Crohns life happens und das mit dem „busy making“ bezieht sich meist auf was ganz anderes, als Gedanken über das Machen von Plänen.

Irgendwann wird leises Bedauern aus dem Hadern mit dem, was man nicht ändern kann, und das ist ein Zustand, der sich auf viele Bereiche des Lebens ausdehnen lässt. Leises Bedauern bedeutet, dass man nicht so viel Energie in Tränen investieren muss, denn die wären ja laut und das ist mehr als Bedauern. Leises Bedauern bedeutet auch, dass der Schmerz nur am Rande wahrnehmbar wird, wie eine sanfte Delle. Leises Bedauern bedeutet zudem, dass man sich rascher daran gewöhnt und mit jeder neuen Delle stellt sich einem eine alte Bekannte an die Seite – man kennt sich und weiß, dass man sich immer wieder begegnen wird. Leises Bedauern ist erträglich und darauf kommt es an, wenn vieles im Leben hart an der Grenze zum Unerträglichen laviert.

„Aber du dürftest dir ja was dazu verdienen, oder? Kleines bisschen, aber immerhin. Und du könntest dir Ehrenarbeit suchen, oder so…“
Yep, könnte ich beides.

Nur: Ich bin tatsächlich NICHT arbeitsfähig und weiß am Vortag nicht, was mir der Morgen zum Tagesbeginn an Kraft serviert und inwieweit sich die im Lauf des Tages verringert oder erhöht. Es ist immer spannend und unberechenbar, wie einem die Geschichte mit den Löffeln lehrt (findest du in meinem Buch auf deutsch oder hier auf englisch).

Ich bin froh, wenn ich meinen Haushalt (mit Hilfe) schaffe, mit dem Hundegirl täglich eine Runde drehen kann und das Bett täglich mache. Wenn sich mehr als das ergibt (Bestecklade & Co.), ist es ein üppiger, kraftvoller Tag und das bedeutet noch immer nicht, dass ich an diesem Tag das tun könnte, was man gemeinhin als „Arbeit“ bezeichnet. Geschweige denn, dass es ausreicht, um dafür Geld zu bekommen. Es geht einfach nicht und auch wenn ich mich wiederhole: Ich bin dankbar, dass ich nicht arbeiten muss und diesen Schutz habe. Aber es macht nicht glücklich und das wollte ich auch mal sagen … schreiben.

Ich bin zu jung

Alle anderen in meiner Generation sind intensiv im Arbeitsalltag eingebettet. Auch wenn sie nicht immer glücklich damit sind, mehr oder weniger darüber meckern und einige sich verändern wollen. Sie haben ihren Arbeitsalltag und das wird noch lange so bleiben.
Die Menschen rund um meinereiner, die in Pension sind, sind unisono in Alterspension.
Ich bin dazwischen, zu jung um zu den rüstigen PensionistInnen zu gehören (die zum Großteil viel, viel fitter und rüstiger als ich sind), zu arbeitsunfähig um mit den Leuten meines Alters mitzuhalten. Zu gesund, um intensiv krank zu sein. Zu krank um fit und gesund zu sein.

Ich bin zu alt

Zumindest zu alt um als Crohn-Fluencerin eine neue Lebensschiene aufzubauen und ich habe einfach nicht mehr die Kraft, mich mit dem heutigen Seiltanz zwischen social Shitstorms, Influencermarketing, Posting on the limit und den zahlreichen Kommunikations-Stolperfallen  auseinander zu setzen. Ich muss immer öfter googlen um zu verstehen, was mit Schlagwörtern a la Cancel Culture und Co. gemeint ist.

Als ich meinen Crohn-Blog gestartet habe, gab es kaum Infoseiten im Netz, die sich mit CED & Co. beschäftigten. Mittlerweile gibt es unzählige DarmfluencerInnen, Bauch-Podcasts, CED-Blogs und Video-Channels – unglaublich viele und das ist richtig, richtig gut. Denn es braucht all diese und noch viele mehr, damit man die Erkrankung und ihr Umfeld bekannter macht und die Stigmata, die damit verbunden sind, abschafft. Also: Go guys, run the net und sorgt für ordentlichen Rumor!

Was mich aber zunehmend irritiert, ist die Abwesenheit von Menschen über 40, die auch in der CED-Bubble kaum präsent sind. Crohn gilt als „junge“ Erkrankung, weil der fiese Scheiß meist sehr früh im Leben zuschlägt. Allerdings bleibt der Crohn einem dann treu, bis ans Ende aller Tage und die können spät werden.

„Mit Crohn kann man 100 werden!“

… hat mir eine meiner Gastroenterologinnen mal gesagt, um mir Mut zu machen.
Ja eh, aber will man das auch?
Und in welchem Zustand?
Und wie schafft man es, die Zeit zu füllen?
Und wo sind diejenigen, die es geschafft haben oder am Weg dahin sind?
Wie geht es ihnen, wie gestalten sie den Alltag in Kombi mit dem lieben Herrn Crohn und all den Maladitäten, die einem durch Mediks, Crohn, OPs, soziale Uffs und Ächz und lebensbedingte Verschleißerscheinungen im Laufe der Jahre so zuwachsen?

Ein Crohn-Schub und Regelschmerzen in Kombi sind schlicht furchtbar. Aber wo verdammt noch mal sind z.B. die Infos, welche Auswirkungen sich im Zuge der Menopause auf crohnischer Seite ergeben? Oder wie man diese dreimal verfluchten, komplett sinnlosen, verf***** Schweißausbrüche, das Herzrasen, die elendigen Stimmungsschwankungen in den Griff bekommt, während man mit schweißnasser Hand Crohn-Mediks sortiert und überlegt, welche Nebenwirkungen die Supplements haben, die man zuhauf in sich reinwürgt, in der Hoffnung, das irgendwas davon Besserung bringt?

Oder Infos, wie man sich gegen die zunehmende Schlaflosigkeit wehrt, weil der Lebenssinn mal wieder einen auf Dauer-Ciao macht und sich die Nächte weigern geschlafen zu werden, trotz immenser Müdigkeit?

„Kannst dich ja eh tagsüber hinlegen und ausrasten. Schlaf halt am Nachmittag eine Stunde …“

Tagsüber schlafen macht es nicht besser, im Gegenteil. Selbst wenn ich es könnte, würde es die Nächte noch leerer machen und mir noch mehr von der Zeit einschränken, die mir einen Hauch von Normalität gibt.

Es kann doch nicht sein, dass ich die einzige bin, der es so geht? Die zu früh aus dem Alltag und zu tief in der crohnischen Sche…marrn-Partie gelandet ist? Wo sind die Midlife-Crohnies, die Berge erklimmen, Kreuzfahrten planen, die Welt retten, sie neu erfinden und tougher als tough beweisen, dass man auch mit diesem Scheiß dem Dasein einen großen Haxn ausreißen kann?

Ich hoffe sehr, dass sie nicht wie ich mit Bett und Lade kämpfen, um dem Alltag eine spießige Struktur zu geben. Aber ich vermute, dass wir einen gemeinsamen Endgegner haben: Diese immer präsente, zehrende Dauermüdigkeit, auch als Madame Fatigue bekannt, die sich auf Körper, Geist und Seele legt, mit viel Übergewicht und Steinen im Gepäck.
Das Fiese an dieser Trutschn: Sie unterscheidet nicht zwischen Alt und Jung, sie sucht alle gleichermaßen heim. Nur hat man mit zunehmenden Crohnjahren im Darm immer weniger Kraft, um der lästigen Lady einen Tritt ins Auweh zu verpassen.

Ich hatte die Befürchtung, dass meine Resilienz irgendwann mal in einem intensiven Crohn-Fight ein technisches KO einstecken und vor mir abtreten würde. Weil ein Krug auch nur eine begrenzte Zeit mit einem Sprung in der Schüssel zum Brunnen pilgern kann.
Stattdessen sehe ich ihr täglich beim schwächer Werden zu. Ich sollte ihr die Hand halten, sie aufmuntern und was von „Krone richten, weiterstolpern“ brummeln. Denn man gibt ja bekanntlich nur Briefe auf. Nur schreibt die kaum noch wer, weil alle Mails, WhatsApps und PNs, Sprachnachrichten oder Gifs senden und in ein paar Jahren wird niemand mehr wissen, was mit dieser abgedroschenen Brief-Metapher gemeint ist.
Ich bin aber zu müde, mir was Neues auszudenken und im Grunde genommen ist es egal. Meine Resilienz lebt zur Zeit von kleinen Alltagsroutinen (das Bett, die Lade, die Hunderunde … sagte ich schon, oder?) und hängt an matschigen Tagen abends mit mir auf der Couch ab, um Netflix leer zu schauen, damit die trotteligen Grübelgedanken nicht überhand nehmen. An den besseren tauchen wir gemeinsam in Büchern ab, von anderen Zeiten, anderen Welten träumend.

Ich geh mir selber auf die Nerven.

Ich mecker und sollte diese Energie lieber in was Sinnvolles stecken. Das Bett ist heute noch nicht gemacht, die Bestecklade braucht Struktur, das Hundemädel muss geflauscht werden und es gibt ja eh immer was zu tun. Yippiejaja yippie yippie yeah und so.

Ich sollte mich weiter im Dankbar sein üben, das Gefühl der Einsamkeit irgendwo in der Natur vergraben und glücklich sein, dass es mir besser geht als vielen anderen. Dass mein Crohn
eine Auszeit nimmt, dass ich bei Madame Migraine am Delogieren bin, dass meine Mediks gerade gut wirken, dass ich genug zum Essen habe, ein Dach über dem Kopf, die erste Covid-Impfung im Arm und was weiß ich noch.

Und das versuche ich auch. Aber dennoch geht mir fallweise einfach alles ganz gewaltig dahin, worauf man fällt, wenn einem das Leben Stolperfallen in den Weg schmeißt und man endlich weiß, warum der Körper ausgerechnet am Südpol gerne üppig Fett ansetzt: Damit das Steißbein gut geschützt ist.

Und überhaupt: Zu intensives Lachen belastet den Beckenboden extrem und was dann passieren kann … also darüber möchte ich nun nicht auch noch zusätzlich Buchstaben verlieren.

Ok, ich hör auf mit meinem Lamento und überhaupt: Das Bett, die Lade, you got it – ich muss meinen Tag in den Griff bekommen.

Hab es hübsch.

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Deppensprüche: 2 Aussagen, die kein Schwein braucht.

Deppenspruch Nr. 1:
„Sie sollten Stress vermeiden“

Ich. hasse. diesen. Spruch.

Und ich hasse ihn sooo unfassbar sehr, dass ich mich jedesmal sehr, sehr heftig beherrschen muss, um nicht ein sehr, sehr lautes „F***DICHDUBL*DERAR**H!1!“ rauszuschreien, wenn dieser Trottelspruch fällt.
Ja, das klingt deftig und übertrieben und mehr als nur ein bisschen passiv-aggressiv.
WEIL ES ABER AUCH VERDAMMT NOCHMAL EIN VETROTTELT BLÖDER SPRUCH IST! Und in Summe mehr, viel mehr Stress macht, als er seiner Aussagen nach eigentlich tun sollte.

Mal ehrlich:
Gab es schon einen Fall, EINEN EINZIGEN FALL, wo dieser Spruch dafür gesorgt hat, dass man subito in einen Entspannungszustand fällt und sich überschwänglich bedankt, ENDLICH den richtigen Fingerzeig, den ultimativen Tipp bekommen zu haben?

Hat dieser Spruch jemals dafür gesorgt, dass beim Empfänger ein helles, sanftes Goldlicht aufgeht und er-sie beglückt haucht: „Hach! Ja! Natürlich, DAS ist DIE Lösung – jetzt, wo Sie es sagen, fällt es mir wie Schuppen aus den Haaren! Innigen Dank, nun weiß ich endlich, wie ich meinen Shit gebacken kriege und alle, ALLEALLEALLE Probleme des Seins vermeide, gesund bleibe, fit werde und für den Rest meiner Tage täglich Schritt für Schritt der ultimativen Seligkeit zuschreite!!! “ Oder so ähnlich.

Hat dieser Spruch jemals in der Geschichte der Menschheit dafür gesorgt, dass der Stress aufgehört hat? Das man sein Leben umkrempelt? Sich mit Hilfe der Worte am Riemen reißt und fürderhin jedem Stressor ein „Vade Satanem! Hinfort mit dir, du elender Wicht! In meinem Leben hast du keinen Auftritt mehr“ entgegen geschmettert hat? Und damit das erwünschte Ergebnis erzielen konnte?

Die Sache mit dem Stress, dem Vermeiden und dem ganzen Rest

STRESS ist etwas, was zum Leben dazu gehört. Und wie bei allem gibt es auch bei Stress ein Zuviel und Zuwenig davon. Auf Ersteres zielt der Spruch ab: Zuviel ist ungesund.
Das gilt übrigens genauso für Zucker, Alkohol, Fülle, Leere, Fett, Social Media, Menschen, Nähe, Distanz, Kohlenhydrate, Schokolade, Stress, Weihnachten, Ostern, Luft, Erde, Feuer, Wasser und dem Rest dessen, was im Universum existiert.

Zuwenig Stress bewirkt, dass man zu wenig Lebensstimulans hat. Der Antrieb fehlt, der Sinn hat keinen Motor oder bekommt einen faden Geschmack.

Denn es gibt guten und bösen Stress – Eustress und Distress. Das eine ist geil, das andere nicht. Die Grenze dazwischen ist fließend, mäandert von Ufer zu Ufer und existiert fallweise nicht, den manche Dinge bzw. Situationen lösen beides aus.

Stress ist in vielen Fällen hausgemacht – aber NICHT in allen. Wenn dann argumentiert wird, dass hausgemachter Stress unter die Kategorie „Selbst verursacht, lass es halt sein“ fällt, tappt man in die Eigenschuldfalle und fühlt sich mies.

Der zweite Deppenspruch in der Kategorie „Aussagen, die kein Schwein braucht“ ist übrigens:

Deppenspruch Nr. 2:
„Reg dich nicht auf …“

Ja Himmel-Ar**h-und-Wolkenbruch! Das regt einem sowas von jetzt und sofort auf!!! Als ob sich jemals ein Wesen unter der Sonne bei diesen Worten beruhigt hätte, seinen inneren Frieden fand und seinem Gegenüber für diesen Rat gedankt hätte.
Im Gegenteil: Man bekommt einen noch dickeren Hals, weil man sich in seinen Emotionen weder wahrgenommen noch wertgeschätzt fühlt.

Es ist nun mal so, dass sich Menschen über unterschiedlichen Themen aufregen, begeistern, echauffieren, in Rage geraten oder in Verzückung. Was mir buchstäblich am Südpol vorbeigeht, lässt meinen Mann explodieren. Wo mir der Kragen platzt oder der Angstschweiß Wellen schlägt, chillen meine Kinder eine Extrarunde und sind completely relaxed. Wo die Familie sich verwundert zurücklehnt und distanziert aus der Loge zusieht, toben die andere, schwenken Transparente oder werfen mit Pflastersteinen.

Isso und war schon immer so.
Die Themen, die den Wutknopf drücken sind bei jedem anders. Und genauso ist es mit Stress.

Meditation, Entspannungstraining, Psychotherapie, Aufstellungsarbeit, Innere-Kind-Glaubenssatz-Heilreisen usw. usf. können möglicherweise den Deckel vom Topf nehmen, so dass der Kessel darunter nicht gleich Wumms explodiert. Fallweise können sie den Vorhang lüften und einem erklären, warum man so und nicht anders reagiert. Fallweise kann man dann da ansetzen und üben, um es in Zukunft besser in den Griff zu bekommen und diesen Wutknopf außer Dienst setzen.

Aber das wars.

Medikamente, die beruhigen sollen, helfen lediglich der Umgebung – wer sie nimmt wirkt ruhiger, weil die Kraft zum Aufregen fehlt. Stattdessen geht die Aufregung ins Innere. Denn irgendwohin muss sie ja. Und was sie dann dort mit einem macht, ist nicht schön. Gar nicht schön.

Man kann lernen, aus Wut-Stress-Kreisläufen auszusteigen (sofern man rechtzeitig erkennt, dass man zu kreislaufen beginnt). Man wird älter und weiser und erkennt selbst, dass frühere Emotionsgewitter heute nur noch ein Schulterzucken verursachen. Man wächst aus manchen Dingen raus und anderes bekommt mehr Gewicht.

Aber niemals, NIEMALS, war der im besten Fall lieb gemeinte Spruch „Sie sollten Stress vermeiden“ oder „Reg dich nicht auf“ JEMALS der hilfreiche Punkt für den Wandel, den sich der/die SenderIn erhofft hat. Sofern dabei überhaupt vorweg nachgedacht wurde. Völlig egal ob der Spruch von ÄrztInnen, TherapeutInnen, BeraterInnen, FreundInnen, Fremden, Bekannten oder sonstwem kam.

Das einzige, was er bewirkt, ist das Gegenteil von dem, was er aussagt: Man hat Stress. Man regt sich auf. Man möchte sein Gegenüber dahin treten, wo es weh tut. Man würgt dieses Bedürfnis runter und hat damit noch mehr Stress, noch mehr Aufregung und noch mehr Magenschmerzen. Und das Gegenüber ist in Gedanken schon lange woanders, während man noch Tage danach daran würgt.

Lasst es. Bitte, bitte, bitte LASST ES.

Liebe Ärztinnen und Ärzte,
Liebe Therapeutinnen und Therapeuten,
Liebe Freunde, Bekannte, Fremde,

Sagt. Es. Nicht.

Bitte.

Das ist das ultimativ Dümmste, was man sagen, meinen, empfehlen kann.

Die Betroffenen wissen in 98,99% der Fälle ohnehin selbst, dass es gut wäre sich nicht aufzuregen und diesen Stresskelch an sich vorüber gehen zu lassen. Und man würde es auch tun, wenn es möglich wäre. Und man tut es auch, sofern man dazu in der Lage ist. Die meisten bemühen sich wirklich auszusteigen aus diesem Rad. Vor allem, wenn man schon länger am Rotieren ist.

Bitte streicht diese beiden Sprüche aus eurem Wortschatz. Stattdessen könnt ihr fragen:

  • „Hast du gerade viel Stress? Kann ich dir helfen?“
  • Oder „Was regt dich auf? Erklär es mir bitte, damit ich dich und deinen Standpunkt auch verstehe und nachvollziehen kann.“
  • Oder „Was würde dir jetzt helfen? Willst du darüber reden oder sollen wir gemeinsam irgendwas kaputt schlagen?“

Oder ähnliches.

Ihr müsst keine Lösung anbieten, es nicht zu eurem eigenen Stress oder Aufreger machen, es nicht mal verstehen. Es reicht, wenn ihr die Gründe/euer Gegenüber ernst nehmt, zuhört und nicht wertet.

Glaubt mir, das hilft viel, viel mehr, als Deppenspruch 1 und 2 und nimmt gaaaanz viel Stress, viel Aufregung, viel Druck. Es hat sogar die Macht, heilsam auf die, durch zu viel Stress und Aufregung entstandenen Wunden einzuwirken. Das kann mitunter den Weg zur Heilung weisen und damit das zu bewirken, was die lapidaren Deppensprüche vermutlich ursprünglich hätten bewirken sollten.

Danke, verbindlichst.
Fürs Lesen und Beherzigen, um die Welt für uns alle zu einem besseren Ort zu machen. Ohne viel Stress 😉

Ich vermeide nun meinerseits weiteren Stress in dieser Sache, habe mich ausgiebig entemotionalisiert und gehe mich mit dem beschäftigen, was MIR persönlich hilft, wenn ich am Explodieren, Rumstressen und Aufregen bin.
Aber das ist eine andere Geschichte 😉

Herzlichst,

MiA

Allgemein, Cartoons

An diesen Tagen …

Diese Tage, wo du am Morgen bleischwer wach wirst und hoffst, dass es schon Abend ist und du einfach liegen bleiben kannst. Doch an diesen Tagen musst du aufstehen, ein Termin wartet. Einer wo du nicht nur wach, sondern munter, orientiert und vor allem aus dem Bett raus musst.

An diesen Tagen drückt das Wetter auf Gemüt und Kreislauf gleichermaßen. Das Geschirr zerscherbt am Boden, der Tee landet neben der Tasse, die Strumpfhose hat eine Laufmasche und die Schuhe drücken.

An diesen Tagen ist alles dreifach mühsam und viermal kompliziert.

An diesen Tagen ist alles und jeder, ist die ganze Welt anstrengend, nervend und zum Schreien. Weswegen der Kopf zu wimmern beginnt und die Muskeln im Nacken sich zum Verkrampfen treffen.

An diesen Tagen willst du einfach nur flüchten, willst nichts mehr als deine Ruhe, samtene Stille, Frieden und abends, beim Heimkommen nur noch schnell noch eine Runde mit dem Hund gehen. Zum Kopf lüften, Chaos ablegen, den sicheren Boden unter den Füßen spüren und du freust dich auf eine schöne Tasse Tee beim Heimkommen.

An diesen Tagen wälzt sich der Hund in Scheiße.

Immer.

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Cheerio Thyrio: Madame Butterfly muss gehen

My dear Lady Butterfly,

wir hatten einen Deal. Ausgehandelt damals, vor mehr als 30 Jahren, als du beschlossen hast, dich spontan aufzuplustern, wichtig zu machen und wir anschließend ein paar Jährchen gebraucht haben, um uns wieder zusammen zu raufen, damit wir uns den Platz in meinem Hals aufs Neue, ohne würgen, teilen können.
Damals, vor vielen, vielen Jahren haben wir einen guten Kompromiss vereinbart: So lange du friedlich bist, so bleibst, wie du bist, bin ich´s auch und wir teilen uns den Kragen.

Das hat fast 30 Jahre lang gehalten und zwischendurch hab ich lange Zeit überhaupt vergessen, dass es dich gibt und da mal „etwas“ war: Das Würgen im Hals, das einen die Augen leicht rausdrückt. Das Gefühl, als wär da ein enger Kragen, ohne das ein Kragen da ist. Die wackeligen Laborwerte und das Gemurmel der ÄrztInnen a la „relative Op Indikation“, „heiße Knoten“, „vergrößert“, „zystisch“ … etc.
Ich gestehe: da waren in weiterer Folge ein paar andere Haudegen, die meine geistige und körperliche Präsenz vereinahmt haben, sehr rüppelig und komplett kompromissslos. Und wir beide hatten ja diesen Deal: Du hältst den Status Quo und ich lass dich bleiben. Hat geklappt.

Und nun?

Was war´s? Hm? Der Wunsch nach Veränderung in Zeiten, die sich so rasch ändern, dass das Update von Mitternacht um kurz nach 0 Uhr schon wieder uuuuralt ist?
Mieses Timing, kann ich nur sagen.
Andererseits gibt es für manche Dinge kein perfektes Timing. Manch ein Zeitpunkt ist immer schlecht gewählt und insofern ist dieser vielleicht besser als ein anderer. Also schreiten wir beide zum Trennungsamt, aka Krankenhaus/Abteilung Chirurgie, und beenden eine mehr als 53jährige Gemeinschaft, die mir in unemotionaler Hinsicht den Hals hat schwellen lassen.

Letztes Jahr im Herbst hast du spontan beschlossen, dich mal wieder zu melden. Mit wackeligen Blutwerten und einer neuen, minimalen Raumforderung. Nix Gefährliches, alles cool bzw. heiß bzw. leer und harmlos in diesem Fall und daher: Nur eine zarte Veränderung in einer Sache, die seit 30 Jahren eisern stabil war. Nix Tragisches, nicht mal medikamentös behandlungswürdig, einfach nur ein „Schlenkerer“ im stabilen Sein und aus.
Aber der Wink mit diesem Zaunpfahl war eindeutig: Der Waffenstillstand ist beendet, du hast möglicherweise andere Zukunftspläne und der Zeitpunkt ist gekommen, sich mit dieser Sache auseinanderzusetzen. Müsste ich vielleicht nicht, will ich aber.

Zu warten, bis du massiver wirst, in deinem Drängen nach Wahrnehmung, ist nicht meins. Es zu erledigen, solange die Werte und mein Zustand stabil sind, vermeidet möglicherweise einen Akut-Zustand, der für alle Beteiligten unhübsch werden könnte und wo das Timing deutlich mieser ist. Besser wird es nicht mehr, aber möglicherweise schnell mühsam und „mühsam“ ist etwas, was ich momentan wirklich sehr vermeiden will.

Also lass uns Abschied nehmen.

Zumindest teilweise.

Vielleicht war dieses Würgen im Hals damals ja der Beginn deiner Verpuppung, am Weg von der Raupe Nimmersatt zum Schmetterling Tausendschön?

Vielleicht gehörst du ja zu den Noblen, die mit Zurückhaltung warten, bis Zeit und Ort besser für ihren Auftritt passen, damit die Aufmerksamkeit ganz dir gehört und die Bühne frei von Störungen ist?

Vielleicht ist es nun an der Zeit loszulassen, nicht nur dich, sondern auch noch ein paar andere Handicaps, die mit deinem wackeligen Zustand möglicherweise, unter Umständen, vermuteterweise verbunden sein könnten?

Drei Vielleichts, viele Vermutungen und einige Ängste. Aber alles ganz normal und im Rahmen. Jedenfalls: Der Termin steht fest und wenn dieser Online-Brief ins Netz flattert, bist du bereits frei gesetzt und ich lerne gerade, mich auf mein Leben mit ohne dir bzw. mit dem Rest von dir einzustellen.

Liebe Schilddrüse, werte Madame Butterfly,

ich wünsche dir das Allerbeste auf deinem weiteren Weg! Keine Ahnung wohin dich der führen wird. Aber solltest du dort den Teil meines Dickdarms sehen, der vor 5 Jahren ausgewandert wurde, dann lass ihn herzlich grüßen. Mir geht es seither viel, viel besser und das Gleiche wünsch ich ihm.

Möglicherweise findest du ja auch meine Mandeln da drüben, die sich schon als Kind von mir verabschiedet haben,. Dann könnt ihr eine Dicker-Hals-Revival-Party feiern und so richtig die Sau rauslassen. Es wird mir nimmer weh tun, wenn ihr grölt und krächzt bis in die Puppen.

Mag sein, dass wir uns irgendwann, früher oder später, wiedersehen und ich dann den Prozess durchmache, den jede durchmachen muss, um im Jenseits wieder mit all den Dingen vereint zu werden, die ihm und ihr im Lauf des Lebens chirurgisch oder so abhanden gekommen sind. Eine Vorstellung, bei der ich immer Unmengen christlicher Heilige durch die Welt hirschen sehe, auf der Suche nach ihren Fingerknöchelchen, Gebeinen, Schädeldecken und sonstigen Reliquien. Was mich jedesmal sehr erheitert, ich gebs zu.

Möglicherweise oder vielleicht sogar ziemlich sicher irre ich mich und es ist vollkommen wurscht, wie komplett man sich auf die andere Seite beamt. Schlussendlich geht es ja final darum, das Stoffliche hinter sich zu lassen und frei für Neues zu sein.

Nun denn, um den makabren Teil abzuschließen: Ich wünsche dir, wie gesagt, das Allerbeste. Und ich hoffe, du findest den Himmel frei zum Fliegen und hast auch mit nur einem Flügel ordentlich Spaß dabei, der Sonne die Nase zu kitzeln.

Ich werde mich mit dem Rest von dir arrangieren und versuchen meine irdischen Höhenflüge in Zukunft einflügelig zu meistern. Da ich ohnehin lieber mit zwei Beinen am Boden stehe, wird das schon gut klappen und wenn mich die Sonne an der Nase kitzelt und zum Niesen bringt, weiß ich, dass du mir einen zarten Gruß geschickt hast. Hatschi, same same!

In Zukunft weiß ich dann auch, dass ein Würgen im Hals kein Zaunpfahlwink von dir ist, sondern mir der Hals aus anderen, möglicherweise wut-zentrierte Gründen schwillt. Und wie man gegen diese Probleme ankämpft, weiß ich gut: Mit Löwengebrüll und irrem Blick.
Rein theoretisch natürlich.

Mit den leicht abgewandelten Worten von Georg Christoph Lichtenberg beschließe ich meinen Abschiedsbrief an dich, liebe Madame Butterfly:

Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn du weg bist.
Aber es muss anders werden, damit es nicht schlechter wird und vielleicht besser werden kann.

Cheerio Thyrio und guten Flug,

herzlichst

MiA

Ergänzung & Nachtrag

  • Die Schilddrüse (SD)hat die Form eines Schmetterlings, daher meine Assoziation mit „Madame Butterfly“
  • Thyroid ist die lateinische Bezeichnung für Schilddrüse
  • SD-Erkrankungen sind relativ häufig, vor allem in den Alpenländern.
  • Die Schilddrüse kann in vielerlei Hinsicht erkranken. So kennt man Über- und Unterfunktion der Schilddrüse, eine Autoimmunerkrankung namens Hashimoto, eine andere Namens Morbus Basedow, Schilddrüsenentzündung und (selten aber doch) Schilddrüsenkrebs.
  • Fallweise entstehen in der SD Knoten, die man in heiß/warm und kalt unterscheidet.
  • Heiße Knoten in der SD sind sog. „Akkordarbeiter“, die intensiv SD Hormone produzieren
  • Kalte Knoten in der SD produzieren hingegen keine Hormone und gelten als gefährlicher als heiße Knoten
  • Die Schilddrüsenhormone spielen bei einer große Anzahl an Vorgängen im Körper eine extrem wichtige Rolle. Sie sind quasi die Herrinnen und Masterminds über das endokrine System. Womit Probleme in diesem Bereich zu einer Vielzahl an Problemen im ganzen Körper führen können, die man oft nicht mal ansatzweise mit der kleinen, zarten Schilddrüse in Verbindung bringen würde.

Weitere Infos dazu gibt es zum Beispiel hier:

Allgemein, Cartoons

#Makeitvisible: Ich und mein Wolkenbauch

Im dritten Teil meiner 3-teiligen Glücksliste komme ich zu dem Bereich, der mich – ich gestehe es offen – die meiste Überwindung gekostet hat. Aus dem sich aber eine sehr intensive, sehr glückliche Erinnerung ergeben hat. Es geht um die CED-Kompass Kampagne #makeitvisible.

Ich und mein Bauch: Beziehungsstatus kompliziert

Dieser Satz trifft es voll und ganz und in dieser Beziehung steckt noch einiges an Arbeit, auch wenn mein Wölkchen und ich schon viel mitsammen geschafft habe. Neben der teilweise sehr fragwürdigen inneren Werte, bei denen primär der liebe Herr Crohn die Rolle des ungeladenen Querulanten spielt, sind auch Optik und Konsistenz meiner Mitte so, dass ich sehr hart daran arbeite, mich gängigen Schönheitsidealen tapfer zu widersetzen und die Baustelle so wertschätze, wie sie nun mal ist. Immerhin ein gewichtiges Argument wenn es darum geht, diese sog. Schönheitsideal zu hinterfragen.

Andererseits: Zwei Schwangerschaften, gut 16 Jahre intensive Kolateralschadens-Beziehung mit Herrn Crohn, unzählige Auf- und Ab-Kilos, insgesamt 7 crohnbedingte OPs, davon eine mit umfassendem Innenumbau, etc. … Ja, Wölkchen und ich haben viel erlebt, sind durch dünn, mager, cortison-rund, extrem mager, drollig-mollig und mehr gegangen. Momentan steht die Lage stabil und weil es immer gut ist, wenn man funktionierende Systeme belässt, wie sie sind, habe ich mich mit dem Status Quo arrangiert.

Die zusätzlichen, kleinen Hüftgoldstücke sind als „sicher ist sicher, für crohnische und andere Notfälle“ eingestuft. Die Dellen rundum fallen unter „heiter bis wolkig“ und das herausragende Profil passt immerhin gut zu meiner „prominenten“ Nase. Zudem verlagert es den Schwerpunkt Richtung Erde und sorgt auf diese Weise für Stabilität in den Wirren des Daseins.

Es ist kein schöner Bauch. Im Sinne aktueller Frauenmagazinweisheiten und sog. „Schönheitsideale“.
Aber es ist ein toller Bauch, der viel er- und überlebt hat und dem man das getrost ansehen darf. Wäre es anders, wär´s nicht echt, wär´s nicht meiner.

Für die gemeinsame erlebte Biographie ist er super in Schuss, macht genau das, was er soll und das ist viel mehr als ich während der Crohn-Schubzeiten erwarten durfte. Die aktuelle Download-Rate ist stabil, gefestigt und im einstelligen Bereich, sogar oft unter 5 und hey: Das ist echt, echt toll! Die regelmäßigen Biologika-Spritzen, die ich mir seit einiger Zeit mittels Pen selbst verabreiche, übernimmt er anstandslos (da können sich die Herren und Damen Venen in den Armen bitte mal ein Beispiel nehmen!), verarbeitet Einstich und Wirkstoff umgehend. Kurz: Er ist zur Zeit einer der toughsten, stabilsten und unaufgeregtesten MitarbeiterInnen in meinem körperlichen Gesamtkonstrukt.

Wenn mein Wölkchen also beschließt, sich mit einem haptischen Weichzeichner zu umgeben: Ich gönn es ihm und mir. Darunter gibt es Muskeln, die brav regelmäßig trainiert werden und wir wissen ja, dass die „schönen“ Muskeln außer schön sein nix können. Im Gegensatz zu den tieferen Schichten, die wirklich einen Job zu erledigen haben und das auch tun. Soweit, so fit.

Und darum war meine Bereitschaft zur Teilnahme an der MakeItVisible-Kampagne des CED Kompass schnell da. Was soll schon sein, Bäuchlein raus und erledigt. Ja, aber dann wars soweit und die Muffen begannen hurtig zu sausen.

Unbegründet, denn die Leute rundum waren einfach toll. Angefangen bei der Organisatorin Claudia Fuchs, über die bestestesten-Lady, die uns am oberen Ende dezent behübschte und das sehr, sehr toll machte, bis hin zur wunderbaren, erdigen und lustigen Fotografin Barbara Wirl. Das Umfeld war hell und heiter, das Timing toll und die Sache in nullkommanix erledigt. Inklusive viel Lachen. Am längsten dauerte die Auswahl der Bilder und da kamen dann wieder die alten, sozial erlernten, eingeprägten Bedenken hoch. Aber da nimmt man dann einfach seine geistige Keule und wummert den ungeladenen „Kann man das so rausgeben?„, „Ist das nicht peinlich?“ und „Was sollen sich die Leut von mir denken?„- Gedanken mit Schmackes eines vor den Latz. Sie haben mit Sicherheit noch heute Hohlraumsausen.

Jedenfalls ;-):

Das Ziel des Ganzen war und ist, dass man einer unsichtbaren Krankheit ein Gesicht gibt und das haben wir gemeinsam getan. Eine bunte, couragierte Gruppe CEDler, die sich vor die Kamera gewagt haben und im Einzelnen jede und jeder mit seinem/ihrem Bauch gemeinsam ein kraftvolles Statement abgaben. Mit und ohne Stoma, mit und ohne Narben, mit und ohne Wolken, Dellen, Flecken – eine riesige Menge wunderschönster Bauchkunstwerke, die mit ihren Menschen stolz durchs Leben gestapft sind, durch Höhen und Tiefen. Meine Wolken-Mitte und ich mitten drin.

Angenehmer Nebeneffekt: einmal mehr kam die Bestätigung, dass Bäuche so unterschiedlich wie Menschen sind und das, was man in Zeitschriften als „Bauch“-Sujet serviert bekommt, ein komplett unrealistisches, photogeshoptes, verdreht vermittelt, doof-falsches Bild ist. Werbebäuche haben keine chronisch entzündliche Darmerkrankung, Schwangerschaften, Therapie-Hochschaubahnen, Operationen und Lebenskrisen überlebt. Sie sind nur leere, künstliche, unechte, plastische Hochglanzhüllen und würden im grausamen Alltag nicht mal das Mittagessen überleben, geschweige denn eine ernsthafte Lebenskrise oder Erkrankung. Im echten Leben braucht es richtige, lebensgeprüfte Baucherl und Wampen und solche Heldenbäuche kann man im Zuge dieser Kampagne bewundern.

Herzliche Credits und inniger Dank gehen an:

Weitere Links und Infos zur Make it Visible Kampagne gibt es hier.


Allgemein, Cartoons

(M)eine kleine Geschichte des Scheiterns

Neues Jahr, alte Zores – so könnte man es subsummarisch zusammenfassen.
Wenn es so einfach wäre.
Aber vielleicht ist es das ja und ich mache es mir nur selbst so kompliziert?

Egal.

Ich bin erschöpft, müde und matsch. Aber ich wollte endlich wieder einen Blogbeitrag hier veröffentlichen, weil ich das Gefühl habe, es schuldig zu sein. Mir in erster Linie. Aber auch auch all denen, die hier dann und wann mitlesen. Und die vermutlich mehr Nachsicht mit mir und meiner Matschigkeit haben, als ich mit mir und meinereiner 😉

Neues Jahr, neuer Kalender. Und wie sich alle rundum gefreut haben, dass das alte, das miese, das besch….eidene, garstige, traurige und böse 2020 endlich abgedankt hat! Und nun haben wir ein nigelnagelneues, funkelndes, unbelastetes und wasweißichnoch-alles schönes neues 2021. Und der erste Monat davon ist auch schon geschafft.

Nur leider haben sich die Probleme mit dem kalendarischen Impeachment des alten Jahres nicht aufgelöst. Dummerweise rotzt da immer noch dieses kac…tastrophale C-Virus durch die Welt. Mieserweise dauert es noch immer, bis die Menschenherde immun gegen das mutierende Big-C, Katastrophen, Blödheit und Verschwörungstheorien ist.
Wobei eine Impfung ja nur die Nr. 1 am Newsmarkt (=Big C) regelmentieren würde. Um den Rest müssen wir uns auch in 2021 und danach selbst kümmern.

Und dann wären da noch die alten Zores, die nicht loslassbaren Probleme und das, was jeder einzelne mit sich schleppt. Auch das ist gut mit ins neue Jahr gerutscht, hat sich schon gemütlich eingerichtet, neben den demnächst zu entsorgenden Neujahrsvorsätzen, die auch in 2021 wenig Chance auf Umsetzung haben werden.

Habe ich nun jeder und jedem ein wenig oder mehr schlechtes Gewissen verabreicht?
Ausreichend bad Vibes versprüht und für Unbehagen gesorgt?

Sorry, aber ich versuch nur von meiner eigenen Trauertütigkeit abzulenken, die sich von Jahreswechseln und dergleichen noch nie hat beeindrucken lassen.

New Year, old story: Ich bin erschöpft, innerlich und äußerlich.
U.n.f.a.s.s.b.a.r. müde hoch x, mit ganz vielen Nullen dahinter und einem Komma, das nicht mehr zu sehen ist. Weswegen es das Alltagskoma so leicht hat, sich bei mir einzunisten.

Dabei habe ich noch soooo viele tolle Pläne und Ideen und Gedankenblitze vom letzten Jahr übrig! Die meisten nigelnagelneu und weitgehend ungebraucht. Blöderweise aber zu sehr personalisiert, als dass ich sie auf Will(deinen-Schrott)Haben gewinnbringend verscherbeln könnte.

Ich wollte doch soooo gern …

… eine Video-Serie starten – und habe sogar ein 2,5 Folgen geschafft: MimiMiA

Nur war das Ansinnen, einmal die Woche konstruktiv vor der Kamera zu sudern, leider nicht mit meinem internen Kraft- und Energiehaushalt kompatibel. Wobei ich da vielleicht noch was hätte mobilisieren können, wenn … ja, wenn nicht Madame Migraine beschlossen hätte, dass es nun an der Zeit wäre, die Herrschaft über meine Tage zu übernehmen.

Mit 10-15 Migräneattacken im Monat ist es nimmer lustig Videos zu basteln. Da kommt man auch ohne bewegte Bildererstellung sehr an seine Grenzen und fordert zugleich die gesamte Kompetenz seiner NeurologInnen und der anderen, die einen medizinisch unterstützen sollen, bis zur Neige aus. „Chronische Migräne“ ist etwas, das man nicht mal seinem schlimmsten Feind oder gar dem Ex-Washingtoner Semmelkopf wünscht.

Nachdem sich eine Lösung dieses Problems mangels vorhandener, noch verbleibender Optionen nicht mal ansatzweise am Horizont zeigt und die Möglichkeiten, die ich schon probiert habe, auf schul- und paraschulmedizinischer Seite, nichts gebracht haben, tue ich mir gerade sehr schwer, meinen altbewährten Münchhausentrick anzuwenden, um mich aus dem Sumpf der Trostlosigkeit zu ziehen.

Resilienz ist wunderbar und toll und super und ich bin, glaube ich, recht fit in diesem Programm. Aber zur Zeit dominiert das Gefühl in einer Einbahn-Sackgasse zu stecken, ohne Umkehrplatz in Aussicht. Dafür kommt die Wand, an der diese Straße endet, immer näher und ich sag mal so: Schön ist die nicht.

Und ich wollte doch soooo gerne …

mein Buchbaby promoten, überall bekannt machen, Lesungen halten und einfach allen und jedem davon erzählen, die es auch nur ansatzweise interessieren könnte!

Ein Jahr ist es nun her, dass mein erstes Buch „Shitstorm im Darm“ im Handel erhältlich ist. Ein Jahr, das für die gesamte Menschheit prägend, gesellschaftlich verändern, schmerzhaft und sehr herausfordernd war. Das ist kein Klima, in dem ein kleines Buchbaby gut aufwachsen, groß und stark werden kann.
Um es im Crohn-Jargon zu sagen: Das Thema CED-Awareness und damit verbundene Publikationen geht den meisten grad da vorbei, wo die Sonne nie scheint und man dank Home-schooling-office-staying die meiste Zeit draufsitzt. Außer denen, die auch in dieser Zeit den bequemen Bürostuhl allzu oft mit dem weißen Porzellanthron tauschen müssen.
Denn Funfact: der Rest der kranken Dinge macht auch in Corona-Zeiten KEINE Pause. Ja! Wirklich! Die chronisch Kranken sind noch IMMER krank. Wer vor Big-C gesundheitliche Probleme hatte, wurde NICHT durch die Pandemie davon erlöst.

Das einzige was sich geändert hat: es ist noch mühsamer. In vielen, viel zu vielen Belangen. Angefangen von Arztterminen, Kontrolluntersuchungen, Behandlungen, Reha und Kuraufenthalten … bis hin zu Rücksichtnahme, Akzeptanz, Bewusstmachung.

Ein lieber Freund, der letztes Jahr den Weg über die Regenbogenbrücke gehen musste (#fuckcancer), hatte diesbezüglich sehr spezielle Aha-Erlebnisse. Zum Beispiel als er im Zuge seiner Chemo mit anhören durfte, wie ein Arzt zur DGKS der Station gesagt hat, dass sie nun schauen müssten, dass die Betten leer werden. Damit man endlich Platz für die „richtigen Kranken“ habe.

Toll. (nicht)

Da verrottet einem das Motivationskonfetti in der Tasche und man möchte nur noch eines: Jemanden finden der dem Doofkopp ordentlich eins hinter die akademischen Löffeln knallt, damit der Dachschaden schnellst möglich behoben ist.
Leider. Keiner da und damit darf so ein Medizinerchen weiter durchs kranke Haus gurken.

Und dann wollte ich noch sooooo gerne …

… ganz viel mehr. Vor allem solche Sachen, die Freude machen.
Und was Neues lernen.
Und was Neues anfangen. Schreibend, zeichnend, lustig lebend …

Und dann war ich am Ende des Jahres vor allem eines:

Dankbar.

Weil trotz alledem, was da so passiert ist, trotz dem vielen Müll, der einem vor die Füße gefallen ist, trotz den vielen so unendlich traurigen Dingen, die da passiert sind … trotz alledem und alledem auch soooo viel Schönes da war:

  • Das alle in der Familie soweit fit und gesund sind und waren und bitte bleiben.
  • Das mein Buch trotzdem seinen Weg in die Welt derer gefunden hat, für die ich es geschrieben habe, und es tapfer und ohne viel Unterstützung von mir weiter in die große Weite Welt wandert und seine Kreise zieht.
  • Das mein Crohn trotz Mistmigräne seine Klappe gehalten und in Remission geblieben ist.
  • Das sich neue Projekte, bei denen ich teilnehmen bzw. etwas beitragen konnte, spontan ergeben haben und ihren Weg in die Realisierung geschafft habe. Unter anderem eine tolle Ernährungsbroschüre für CED PatientInnen und eine super informative Fistel-Broschüre und eine sensationell gei…tolle Fotosession namens #makeitvisible, wo ich und andere ihr Bäuchlein in die Kamera gehalten haben … usw. usf.

ALL DAS und noch einiges mehr war auch möglich, trotz alledem und alledem, was da rundum passiert ist oder nicht geschehen konnte. Und das ist schön, das macht Mut, das gibt Kraft und das füttert meine Resilienz. Und dafür bin ich sehr, sehr dankbar. Weil es mir Hoffnung macht und damit die Tage, an denen ich migräne-frei habe, mit Zuversicht anreichert. Die dringend notwendig ist, damit die anderen Tage überstanden werden können.

Wenn sich nun noch wie in einem schönen Hollywoodfilm-Ende das oben beschriebene Sackgassenende in einen Vorhang verwandelt, hinter dem die sehnsüchtig erhoffte, endlich wirklich wirksame Therapie gegen das anhaltende neurologische Kopfgewitter auf mich wartet, dann beginne ich auch wieder brav an Wunder zu glauben und lasse sie gerne geschehen.

Bis dahin teste ich meine, schon dringend nach der besten Friseurin der Welt schreiende, Haarpracht, ob sie noch stabil genug ist, damit ich mich an den straßenköterblonden Strähnen aus dem Trauersumpf ziehen kann, wie weiland mein liebstes Resilienz-Vorbild Baron Münchhausen.
Weil das am besten mit kleinen Schritten geht, sehe ich den ersten Blogbeitrag heuer mal als Erfolg an und versuche in Bälde weitere nachzuschieben. Schließlich verlangen die schönen Dinge des letzten Jahres (wie oben ansatzweise aufgezählt) nach Anerkennung und Publikation. Vielleicht lassen sich dann die zaghaften Ideen dessen, was da noch so in meinem kreativen Hinterstübchen schlummert, an der migränischen Dauertrutsche vorbei, ans Licht lotsen.

Ohne Stress, ohne Druck, einfach so, aus Spaß an der Freude.
Das wäre schön.

Allgemein, Cartoons

Bine ist im Regenbogenland

Liebe Bine,

heute mittag hast du die letzte Etappe deiner Reise ins Regenbogenland angetreten.
Begonnen hast du sie vor vielen Wochen, Monaten, vielleicht sogar schon Jahren. Dein wunderbarer Mann Alexej und die zauberhaften Bassetinen Wilma und Frieda geleiten dich, wie sie dich schon seit Wochen, Monaten, Jahren begleitet haben.
Aus nah und fern kommen jede Menge guter Wünsche, Tränen, Dörtschn-Grüße und Umarmungen für euch alle – auch von mir.

Mein Gefühl, meine Hoffnung sagen mir, dass es Dir jetzt gut geht, die Schmerzen vorbei sind und der nächste Abschnitt des Seins gut begonnen hat.

Mein Gefühl, meine Hoffnung sagen mir, dass Du den Übergang, das Finden des Durchschlupfes (deine Worte), unfassbar toll und gut gemeistert hast. Du hast, was den Umgang mit diesem Übergang (auch Sterben genannt) betrifft, ein Level vorgegeben, von dem ich meinerseits hoffe, zumindest in Sichtweite zu deinem zu kommen.

Mein Gefühl, meine Hoffnung sagen mir, dass alles soweit gut ist. Was auch die Trauer, die Tränen, den Schmerz und alles andere, was man so gemeinhin nicht als „gut“ bezeichnen würde, betrifft.

Es ist gut zu trauern, zu weinen, den Schmerz, den Verlust zu spüren – wärs anders, wärs noch schlimmer. Mein Gefühl und meine Hoffnung sagen mir all das und noch viel mehr.

Dennoch tropfen Tränen auf meine Tastatur, die mehr sind als Trauertränen, Verlusttränen, Schmerztränen. Ich bin wütend, fassungslos, enttäuscht und will ein teueres, 120-teiliges Porzellanservice zerdeppern. Ich muss verdammt nochmal was kaputt machen, es mit Wumms zerscherben (Fachbegriff aus der Archäologie, wenn man den Toten der Urzeit Keramik mitgab, indem man dafür sorgte, dass auch sie „starb“). Ich will laut und hysterisch schreien und das eine oder andere Teil mit extra viel Verve an die Wand knallen. Es soll krachen und die Bine-Leere in mir füllen, damit ich zumindest ein Bine-Echo höre.

Und bin zu müde dazu, zu traurig, zu … wasweißich.

Ich habe gedacht, dass ich mehr als genug „Erfahrung“ im Umgang mit Trauer hab, viel mehr als genug, gewonnen in den letzten vier Jahren und nochmal viel zu intensiv aufgefrischt im letzten Herbst. Diese Wunden schmerzen noch sehr, tun noch länger weh.

Und jetzt bist Du am Weg ins Regenbogenland, wo Du, wie ich sehr hoffe, den Wolken ein neues Design verpasst. Ich erwarte und erhoffe mir Nasenmännchen-Wolken, Basset-Wolken, kichernde Regenbögen (kann man die mal umdrehen? Also mit dem Bogen nach unten hängen lassen?), Dörtschn-Wolken – eben Design-by-Bine-Wolken.

#FuckCancer ist nur ein lahmer Abklatsch von dem, was ich eigentlich brüllen will. Und zu müde dafür bin. Zu traurig. Zu … wasweißich.

Ohne dich ist alles doof …

Ein alter Spruch und der war noch nie so wahr wie jetzt.

Social Media ist doof, wenn deine Bilder, deine Cartoons, deine Strandgut-Poesie, deine zart-wild-wunderbaren Postings und die damit verbundenen Gespräche fehlen.

Lieber Mark & Co, ihr könnt Insta, Twitter und FB jetzt schließen. Bine ist im Regenbogenland und dort gibts kein Wlan, das mit unserem Internet kompatibel wäre. Was besseres kommt nicht mehr.

Das real Life ist doof. Denn nun fehlt die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit dir – wie vor einem Jahr in Stralsund: Du, Wilma, Frieda und ich, mit Kuchen und fancy Matcha-Soja-Latte, spontanem Second-Hand Boutiquebesuch, überall und andernorts kichernd Strandgutpoesie-Aufkleber verteilend, aufklebend … übers Leben und alles andere philosophierend, lachend, denkend, sinnierend … Bine eben.

SabineDinkelundMiaSchara 2019Stralsund - Bine ist im Regenbogenland
… zwei Nasenmännchen in Stralsund, am Weg zum nächsten Dörtschn.

Kirschen sind doof. Weil sie mich an #Kirschpeng erinnern und #Kirschpeng bist DU – deine Social-Media-Hashtags für deine gewünschte Freude-Leben-Unterstützung, die sich bei besonders tollem #Kirschpeng in #Glückspeng verwandelte.

Strand ist doof. Denn ohne Deine unfassbar riesig-gewaltige Phantasie beim Finden von Figuren und Geschichten aus Strandmüll ist alles, was man nun an einem Strand findet, leer und lau und einfach doof.

Doof ist doof. Weil es viel zu sehr verniedlicht und dem Gefühl, das damit verbunden ist, nicht gerecht wird.

Wir weinen, wir schicken Herzen, wir schicken virtuelle Umarmungen, essen Dir zu Ehren und mit den besten Gedanken an Dich üppige Dörtschn. Und manchmal kann man sanft kann hinter der gemeinsamen Trauer den Trost spüren, der darauf wartet, sich wie Balsam auf den Seelenschmerz zu legen.

Ich bin zu müde, mich zum Geschirrzerdeppern aufzuraffen. Bin zu müde um meine Wut über diese Ungerechtigkeit hinauszuschreien, dass es von allen wunderbaren Menschen ausgerechnet DICH hat treffen müssen, die wunderbarste weit und breit.
Bin sogar zu müde um zu weinen. Weil diese Müdigkeit ein ganz besonderer Schmerz ist, der da ist, seit du den Weg ins Regenbogenland gefunden hast. Eine sanfte, tiefe, schmerzstillende Müdigkeit, die auf eine sehr verdrehte Weise hilft und tröstet, wo man mit Worte und kaputtem Geschirr nichts trösten kann.

Ich hör dich auf der anderen Seite leise lächeln, einen Wolkenbasset kraulen und Kirschen mümmeln. Ich sehe dich am Wolkenstrand sitzen, im Ringelpulli, Strandgutpoesie der himmlischen Art kreieren und ganz besondere Wolkenmännchen entwerfen. Deine Hochsensibilität, deine Einfühlsamkeit, dein besonderes Bine-Sein nun in neue Gefilde tragen.

Und ich höre wie der Trost sich von diesen Bildern ermutigen lässt, der Wut in mir sanft die Tür zu weisen und sie zum Abschied in den Arm zu nehmen. Sie meint es ja nicht böse, sie kann halt auch nicht aus ihrer Haut heraus und will mir auf ihre Art nur helfen, die doofe Doofheit loszulassen. Sie ist deiner Hildegard, wie du deine besondere, hilfreiche Angst genannt hast, nicht unähnlich. Nur etwas ruppiger und wilder im Auftreten.

Ach Bine, du fehlst so unfassbar sehr und überall und ganz besonders … ich kann es nicht mal ansatzweise in Worte fassen.

Danke, dass du uns an deinem Weg hast teilnehmen lassen und sicher nicht nur mir gezeigt hast, wie man wirklich, voll und ganz und ernsthaft-heiter LEBT. Trotzdem einem das Schicksal ein paar fulminante Arschkarten ins Kartendeck geschummelt hat.

Danke für deine Herzlichkeit, dein Lachen, deinen Schabernack, deine Ideen und deine Unterstützung in jeder Hinsicht.

Danke, dass ich ein paar winzig kleine Momente deines Lebens mit dir teilen durfte und diese kostbaren Erinnerungssterne sind es, die meinen Trost füttern und mir sagen, dass da ein großer, tiefer Sinn dahinter stecken könnte. Der vielleicht aus heutiger Sicht nur unglaublich doof klingt, aber irgendwann einen sinnvollen Sinn ergeben mag. Oder auch nicht.

Jedenfalls liegt es an dir, dass ich nun noch lieber in den Himmel schaue und die Wolken einer kritischen Prüfung unterziehe – um nur ja keine von deinen zu verpassen.

Liebe, wunderbare Bine,

alles Gute am weiteren Weg und wenn es eine Möglichkeit gibt, uns wissen zu lassen, was wir deiner Meinung nach wissen sollen, dann lass es uns bitte wissen!

Bring die Regenbögen zum Kichern, du wunderbare, wortgewaltige, zauberhafte Zauberfrau und reservier mir bitte einen Platz in deiner Nähe, damit ich irgendwann, wenn es für mich soweit ist meinen Durchschlupf zu suchen, weiß, dass es da drüben eine gibt, die mich mit Kirschen und zwei Bassets erwartet, um mir den neuesten Wolkenschabernack zu zeigen und mit mir ein üppiges Dörtschn verschanbuliert.

Alles Liebe Bine-Sonnenschein,
ganz innig herzlich,
Michaela – MiA

About Sabine Dinkel

Sabine Dinkel ist … war Coachin und Autorin von 5 besonderen, sehr empfehlenswerten Büchern:

SabineDinkelBuecher - Bine ist im Regenbogenland

Ihr letztes Buch „Gute Tage trotz Krebs!“ ist dieser Tage im Humboldt-Verlag erschienen. Sie hat es in den letzten Monaten vor ihrem Durchschlupf zusammen mit ihrem wunderbaren Mann  Alexej Lachmann geschrieben. Vier der fünf Bücher sind nach ihrer Diagnose Eierstockkrebs entstanden.

„Nebenbei“ ist sie auch eine der Patinnen meines Buches „Shitstorm im Darm“. Ohne ihre Unterstützung und Motivation würde es mein Buch nicht geben.
Bei ihrem ersten Schnieptröte-Buch „Krebs ist, wenn man trotzdem lacht“ durfte ich eine der ProbeleserInnen sein und habe ein paar kleine Wortspenden beitragen dürfen. Das Buch ist der beste, hilfreichste und heiterste Ratgeber zum Thema Krebs & Co. Eine absolute Leseempfehlung für alle, die selbst oder am Rande von diesem FuckCancer betroffen sind.

Das Aufstellbuch „Strandgutpoesie“ ist nicht nur Buch, sondern auch Inspiration und Deko zugleich: Kichern zum Aufstellen und das Beste, was man aus rumliegenden Strandmüll machen kann.

Sabine Dinkel ist eine der wenigen Menschen, die man getrost als Lebens-Sonnenschein und Resilienz-Wegweiser für einen besseren Umgang mit besch**** Lebenssituationen bezeichnen darf. Ihr Vermächtnis sind, neben unzähligen Mutmach-Begegnungen und Dialogen, diese 5 besonderen Bücher, wo sie der Welt wertvolle Tipps, Tricks und Heiterkeiten für eben diese besch**** Lebenssituationen hinterlassen hat:

Alle Bücher sind auf ihrer Website zu finden und bitte auch über die dort beschriebenen Möglichkeiten zu kaufen. Damit kann man ihr Werk und ihren Mann und die beiden Hunde am besten unterstützen.

Sie starb am 20/21. Juli 2020 in einem Hamburger Hospiz, im Alter von 53 Jahren, im Beisein ihres Mannes und der beiden Bassets.

Cartoons, Kranke Geschichten - Strange Stories, Shitstorm im Darm

Outtake: Wenn man aufgeben will …

Ein weiteres „Outake“ aus meinem Buch  „Shitstorm im Darm“, das es aus Platzgründen nicht ins Buch geschafft hat. Diesmal ein Kapitel, das ein großes Tabu-Thema aufgreift: Aufgeben, nicht mehr wollen, nicht mehr können – wenn alles zuviel wird und man sich fragt, warum man sich das alles noch antun soll.

Ein schwieriges Thema, das sich einem im Leben mit einer chronischen Erkrankung irgendwann stellt. Und dann sind Tabus nicht hilfreich. Nachstehend daher der Text, den wir im Final-Cut schweren Herzens herausgenommen haben – aus Platzgründen. Und ich hoffe, dass er dir Mut macht, wenn Du mal an diesem Punkt ankommst oder du Verständnis hast, wenn du ihn bei anderen erlebst.

Wenn man aufgeben will

Alles tut weh, seit Wochen keine Besserung. Durchfall, Schmerzen ohne Ende und Nebenwirkungen von den Mediks und vom Crohn, die man seinem besten Feind nicht wünscht.
Schwester Hoffnung hat sich schon länger nicht blicken lassen und die Zuversicht hat gemeint, dass man sich melden soll, wenn es einem besser geht.
„Ich kann nicht mehr.“

Das ist ein Punkt, der einen dann und wann erreicht. Manche würden sagen, dass man den Punkt erreicht, wo man aufgeben will. Ich denke, dass es auch umgekehrt sein kann: Der Punkt kommt auf einen zu und ist plötzlich da.

Das muss nicht zur schlimmsten Zeit passieren. Das muss nicht mal während eines Schubes sein oder wenn man sich elend fühlt. Dieser Punkt ist hinterlistig und klopft mitunter dann an die Tür, wenn man ihn gar nicht erwartet.
Und dann liegt man da, zu müde um sich zu wehren, und fragt die tödlichste aller Fragen: Wozu soll ich mir das alles noch länger antun? Wäre es nicht einfacher loszulassen, alles hinter mir zu lassen, den Kampf beenden?

Das passiert öfter, als man denkt, und es passiert mehr Menschen, als man glaubt.
Wer die Diagnose einer chronischen, nicht heilbaren Autoimmunerkrankung bekommt, die wie der Crohn viele Bereiche des Körpers und des Lebens betrifft, der kann nicht immer fröhlich, motiviert und positiv gestimmt sein. Das ist man ja auch nicht, wenn man gesund ist.

Wobei:

„Ein Mensch, der gesund ist, wurde nur noch nicht lange genug untersucht.“

Hat mir einmal ein Homöopath erklärt.

Meist ist man dann auch alleine mit sich. Vielleicht ist es zusätzlich einer der Tage, die mittelmühsam sind, wo Madame Fatigue ihr Zepter schwingt und sogar das Kopfheben zu viel ist. Es gibt so Tage, da will man nicht aufstehen, weil man Angst hat, dass einen „der Tag“ erwischt. Liegenbleiben, sich unsichtbar machen, im Teppich versinken, ist mehr als verlockend.

Alle sagen, dass man das ja nicht tun soll. Denn diese Wozu-Frage darf man nicht groß werden lassen. 
Man muss positiv und an das Morgen denken – da könnte die Wende eintreten und das Glück ganz feste zuschlagen. Bekanntlich werden ja auch nur Briefe aufgegeben und wer daran denkt, dass mit sich und seinem Leben zu tun, der braucht psychologische Betreuung und ein paar bunte Glückspillen, um die tristen Gedanken zu vergessen.

Liebe „Alle“, die ihr das denkt und vorschlagt: das ist gut und hat dann und wann seine Berechtigung.
Aber genauso eine Berechtigung haben diese für euch so „dunklen“ Gedanken. Es ist logisch, dass man als chronisch kranker Mensch irgendwann den Faktor Endlichkeit beleuchtet. Man kann mit der Diagnose Morbus Crohn 99 oder älter werden. Das kann ein schönes Dasein sein. Oder eines, wo man permanent am Rande der Katastrophe dahin wankt. So geht es auch denen, die als gesund gelten.

Am Leben sein und leben wollen sind zwei paar Schuhe und die Frage, ob ein Leben lebenswert und schön ist, kann nur jeder einzelne für sich beantworten. Sich zu fragen, welches Paar Schuhe man gerade trägt, ist eine normale Reaktion. An manchen Tagen passen sie zum Outfit, an anderen hindern sie einem am Gehen.
Die wichtigere Frage ist, wie man trotz der dunklen Gedanken mit sich umgeht und was man tut. Das ist ein Punkt, der unter Resilienz fällt.

Bei einem Gespräch mit einer Psychologin im Krankenhaus, wo ich auf die Auswertung von ein paar nicht so tollen Befunden wartete, kam auch die Frage, ob ich schon mal an Selbstmord gedacht hätte.
„Natürlich, wer in meiner Situation hätte das nicht?“
„Und haben Sie dann auch konkrete Pläne gemacht?“, kam die höfliche und leicht angespannt gestellte Antwortfrage.
„Nein. Ich habe das immer auf den nächsten Tag verschoben und es dann vergessen oder weiter verschoben. War mir immer zu anstrengend.“

Die Psychologin vermerkte etwas in der Akte und wir sprachen über anderes.
Die meisten, denen ich diese Geschichte erzähle, lachen und meinen, dass ich eine witzige Pointe angebracht hätte.
Aber mir war selten eine Antwort so todernst wie diese. Denn genau so mache ich das, wenn diese Frage vor mir steht.

Dieser ominöse Punkt, der buchhalterisch „Break Even Point“ genannt wird, kommt immer wieder. Manchmal komme auch ich zu ihm. Manchmal begegnen wir uns in der Mitte.
Ich kenne ihn mittlerweile gut, aber ich würde nicht soweit gehen zu sagen, dass wir Freunde sind. Ich erkenne ich auch bei anderen, wenn sie ihn erreichen. Und ich war schon ein paar Mal über ihn hinweg, auf der Seite, wo sich alle weiteren Gedanken erübrigen, weil man weiß, dass der Punkt von selbst aktiv wird und die Führung übernimmt.

Einatmen, ausatmen, loslassen.
Ein absolutes Tabuthema in unserer Gesellschaft.
Ein Moment, den jeder chronisch Kranke irgendwann erreicht.
Ein Moment, der auf jeden Menschen irgendwann zukommt.

Viermal hab ich bereits mental losgelassen und damit das getan, was nicht ausgesprochen werden soll und schon gar nicht aktiv getan werden darf.
Ich bin nicht gestorben, aber ich war bereit dazu, weil ich nicht mehr konnte. Ich hatte gekämpft und alles probiert was in meiner Möglichkeit stand. Aber das Leben rann aus mir heraus, die Kräfte gingen zu Ende.
Und dann habe ich einfach innerlich losgelassen.
Nichts dafür und nichts dagegen getan.
Habe nur dagelegen und geatmet.
Ich war für alles zu erschöpft.
Einatmen, ausatmen und darauf warten, dass das Einatmen nicht mehr kommt.

Warum ich dennoch lebe?
Mich sehr lebendig fühle und dem lieben Herrn Crohn und seinen Genossen aufmüpfig den mentalen Stinkefinger zeige?
Weil jedesmal etwas – richtiger: jemand – von außen kam, mich nicht gehen ließ, aktiv wurde, etwas unternahm, für Aufschwung und Hoffnung sorgte und so verhinderte, dass es wirklich zu Ende ging.

In dieser Loslass-Situation, die nichts mit Selbstmord zu tun hat, sondern einfach das Öffnen der Tür zur Endlichkeit war, hatte ich keine Angst, fühlte kein Bedauern. Ich war nur unendlich müde und hoffte, bald tief und schmerzlos schlafen zu können.
Und dann ging es doch weiter. Und das ist gut so.

Aus der Sicht des Lebens betrachtet, wenn man auf der Seite steht, die grün und voller Hoffnung ist, aus dieser Sicht ist so ein „Aufgeben“ ein No-Go. Jeder, der auf dieser Seite steht, bekommt es mit der Angst zu tun, wenn da wer sagt, dass er oder sie nicht mehr will, das es nun genug ist.
Wer selbst an diesem Punkt stand und weiß, dass der öfter kommen kann, bis er irgendwann final da steht, der versteht, dass das ein natürlicher Prozeß ist, der in solch erschöpfenden Situationen logischerweise mal auf der Tagesordnung steht.

Wer weiß, wie grausam weh das Dasein mit Crohn sein kann, wie hilflos man sich fühlt, wenn bei jedem Klogang das Leben herausrinnt, der versteht den Wunsch und kennt den Blick, der damit verbunden ist. Der weiß, dass das keine depressive, traurige Verstimmung ist. Sondern ein stilles, erschöpftes „Ich kann nicht mehr“.

Manchmal wird dieser Satz zum Hilferuf, der das herbeiführt, was einem jetzt hilft.
Manchmal ist es ein Statement, dass sich kurz darauf wieder auflöst, weil eine Spur mehr Leben da ist.
Manchmal hilft es, wenn man es ausspricht, weil sich Klarheit einstellt, man wahrnimmt, wo man steht und das man auf Hilfe angewiesen ist, weil es anders nicht geht.
Manchmal ist es dann aus.
Aber meistens geht es weiter und das ist wunderschön.

Leben eben, mit allen Höhen und Tiefen.

Liebe/r Mit-Crohnie, 

Falls du an diesem Punkt stehst, möchte ich dir sagen, dass du damit nicht alleine bist. Das Erreichen dieses Punktes ist eine natürliche Reaktion auf das, was du durchgemacht hast und es passiert vielen, die in einer ähnlichen Lage sind.

Ich will nicht, dass du aufgibst – das will niemand.
Sei sanft und gütig zu dir in diesem Moment.
Es ist ok, jeder kommt mal hier an.
Und die meisten gehen dann wieder hier weg. So wie du.

Sprich es aus, teile es mit. Auch wenn es den anderen Angst macht. Es ist ein Hilferuf, der sie mehr als dich betrifft. 
Darum ist es wichtig, dass du es laut aussprichst, ihnen sagst und das du nicht alleine bist, wenn du an diesem Punkt angekommen bist.

Einzugestehen, dass man nicht mehr kann, nicht mehr will, ist ein Hilfeschrei und ein Bekenntnis, dass man es jetzt alleine nicht mehr schafft. Man hat alles probiert, mehr geht nicht. Wenn es nun weitergehen soll, dann braucht es einen Impuls und Unterstützung von außen.

Liebe Angehörige,

Ich weiß, so ein Satz macht Angst.
Bitte nehmt ihn ernst und wimmelt das nicht als schlechte Laune oder miesen Tag ab.

Es gibt auch einen feinen Unterschied zwischen „ich kann nicht mehr“ und „ich will nicht mehr“. Ersteres ist eher körperlich, letzteres mehr mental und damit anders.

Redet, nehmt die Situation ernst, handelt – da liegt jemand buchstäblich am Boden.
Was kann man tun um zu helfen, ohne zu quälen?

Bitte spart euch Floskeln wie „Das wird schon wieder“, „Reiß dich zusammen“, „Beiß die Zähne zusammen“ oder „Alles wird gut und wenns noch nicht gut ist …“ oder das furchtbar dämliche „… anderen geht es schlechter.“
Das verschlimmert die Sache und tut sehr weh.

Gesteht, dass euch das Angst macht. Sagt, dass ihr euch hilflos fühlt, aber dennoch da seid, um eine Hand zu halten, eine Träne zu entfernen und kräftig auf das Schicksal zu fluchen.
Oft reicht es auch völlig, wenn ihr einfach DA seid: Handy abgedreht, Hand halten, am Bett sitzen, in den Arm nehmen, mitsammen weinen, Verständnis zeigen.

Manchmal ist diese Aussage eine nicht ausformulierte, unbewusste Bitte, dass ein anderer die Regie übernimmt – dann werdet aktiv. Sprecht mit den Ärztinnen, dem Pflegepersonal, den Therapeuten.
Keiner fühlt sich zuständig? Sucht wen, der die Lage ernst nimmt, ohne sofort „Drohende Selbstmordgefahr, ruft auf der Psychiatrie an!“ zu brüllen.

Denn das ist keine Androhung von Selbstmord. Es ist eine simple Nachricht, dass man körperlich und geistig an einem Punkt angekommen ist, wo man keine Kraft und keine Hoffnung mehr hat für dieses Leben.
Danke fürs Zuhören.


ShitstormimDarm MichaelaSchara sm 197x300 - Outtake: Wenn man aufgeben will ...Weitere Infos rund um das Leben mit Morbus Crohn, wie man ExpertIn in eigener Sache wird, warum es wichtig ist, den Humor zu locken und auch über Nebenwirkungen abseits einer chronischen Erkrankung Bescheid zu wissen, kannst du in meinem Buch „Shitstorm im Darm – gut leben trotz Morbus Crohn“ nachlesen.
Alle Infos zum Buch findest du hier,  hier gehts zu einer Leseprobe und hier erfährst du, wo und wie du das Buch bestellen und kaufen kannst.

Cartoons, Kranke Geschichten - Strange Stories, Shitstorm im Darm

Outtake: Über den Unterschied zwischen Arztsprech und Normalsprech

Mein Buch „Shitstorm im Darm“ war in der allerersten Version fast doppelt so dick. Ich bin eine Vielschreiberin und tu mir einfach leichter, wenn ich alles, was mir in den Sinn kommt, reinschreibe und dann (in diesem Fall mit Hilfe) auf ein vernünftig Maß reduziere.

Dem „Final-Cut“ sind aber auch ein paar Geschichten zum Opfer gefallen, wo es einfach schade wär, wenn man sie nicht erzählt. Darum gibt es im Blog immer wieder kleine „Outtakes“ aus meinem Buch und ich starte mit einer meiner liebsten Storys – die auch ein Grund war, warum es wichtig ist, sich mit medizinischem Vokabular auseinanderzusetzen.

Über den Unterschied zwischen medizinischem und „normalem“ Vokabular – Arzt : Mensch

Ich musste zu einer Kontrolle nach einer OP. Der Ort des Geschnippsels lag auf meinem Südpol, um es nett zu umschreiben. Der Chirurg, der mich operiert hatte, war anderweitig beschäftigt und hatte einen Kollegen gebeten, meinen Po zu kontrollieren.
Der Kollege war supernett, sehr empathisch und unterhielt sich mit mir vorweg, um mir die Scheu zu nehmen. Er hatte eine andere Muttersprache, sprach aber exzellentes Deutsch, mit leichtem Akzent.

Dann sollte mein Popöchen begutachtet werden und ich wurde auf die Liege gebeten. Eine Schwester reichte das Untersuchungsbesteck, der nette Chirurg warf einen kompetenten Blick auf meinen Allerwertesten, also auf die OP-Wunde, und sprach die epischen Worte:

Völlig reizlos!“

Er meinte die Wunde und der Fachbegriff für eine nicht entzündete, gut schließende Wunde ist im Medizinerjargon „reizlos“ oder „bland“.

Ich wusste das. Aber zu hören, wie ein Fachmann meinen Hintern als reizlos bezeichnete, war ein heftiger Angriff auf meine Lachmuskeln. Was ich mit aller Kraft unterdrückte, denn ich hatte keine Lust es dem netten Arzt zu erklären.

Ich bin mit mühsam unterdrücktem Grinsen und gewaltsam zurückgehaltener Lachtränen aus dem Untersuchungsraum gewankt und verkündete meiner Familie, dass es nun amtlich sei: Mein Arsch ist reizlos.

Was ich daraus gelernt habe:
Wenn einem ein Arzt sagt, dass ein bestimmter Körperteil reizlos ist, dann ist das nicht abwertend, sondern positiv gemeint. 


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