Hochsensibel - Hochsensibel? Vielleicht. Sicher aber ein Buchtipp.
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Hochsensibel? Vielleicht. Sicher aber ein Buchtipp.

Bin ich hochsensibel?

Ich gestehe: Ich habe ein Problem mit psychologischen Neuheiten. Vor noch nicht allzu langer Zeit wurden Kinder, die aufgeweckter als andere waren, viele Warum-Fragen stellten und sich nicht mit einem einfachen „Darum“ zufrieden stellen ließen, als ADHSler abgestempelt. Mit allen Konsequenzen. Noch früher hieß das Zappelphilipp oder man sprach davon, dass da ein Kind eben Hummeln im Hintern und Flausen im Kopf hatte.

Durch das, was man so gemeinhin „gesellschaftliche Entwicklung“ nennt, bekamen manche Kids dann noch andere Symptome aufgedrängt und eine Vermischung von dem, was behandelnswert wäre, und dem, was schlicht eine normale Entwicklung war, sorgte dafür, dass man eine bequeme Diagnose hatte, mit der man Kinder schubladisieren und Eltern, Lehrer, Aufsichtspersonen beruhigen bzw. abkanzeln konnte.

Die Grenzen waren schwammig und auch wenn Ritalin in Europa nicht so exzessiv verteilt wurde, hatten noch genug Familien mit dem Stigma bzw. der Auszeichnung zu kämpfen. Für manche war und ist es ein unstimmiges Urteil, für andere eine gute Ausrede und für weniger als vermutet eine richtige Diagnose.

Ein paar Jahre darauf gewann das Schlagwort „Asperger Autismus“ in der Diagnosenreihung an Ansehen und wenn man nicht plötzlich mindestens 5 Kinder im Umfeld hatte, die das als Ursache ihrer „gesellschaftlichen Auffälligkeiten“ im Lebenslauf stehen hatten, dann lebte man vermutlich auf einer abgeschiedenen Alm, als Eremit.

Ich möchte damit bitte ganz sicher nicht behaupten, dass es die beiden psychologischen Phänomene nicht gibt – im Gegenteil: ich bin sicher, dass die beiden Krankheitsbilder (darf man das so sagen?) tatsächlich existieren.
Aber es ist auch ein Fakt, dass man die beiden Begriffe gießkannenartig über all diejenigen geschüttet hat, die sich nicht in die üblichen Schubladen des Erziehungssystems pressen ließen (und lassen). Und die „üblichen Schubladen“ wurden in den letzten Jahren leider immer mehr auf ein stumpfes, bewegungsreduziertes, nicht-nachfragen-nur-akzeptieren-Niveau gedrückt.
Das ist meine sehr persönliche Meinung als Mutter, Tante und Mensch, die mit solchen Aussagen die eigene Schulzeit und die ihrer Kinder hindurch immer wieder zu Grundsatzdiskussionen aufgefordert wurde.

Ich habe aber auch noch die Aussage einer Betreuungslehrerin im Ohr, die man nach einigen nicht so prickelnden Vorfällen zwecks Supervision in die Volksschule holte: „Das ist ein ganz normales, liebes Kind und wenn`s wütend wird, ist das absolut nachvollziehbar. Das Problem liegt hier ganz woanders.

Und nun gibt es ein neues Schlagwort: Hochsensibel.

Du bist sicher auch hochsensibel, das erklärt alles – deine Erkrankung, deinen Umgang mit anderen, deine Lärm- und Nahrungsmittelempfindlichkeit, das du eben so bist, wie du bist …“

Geständnis Nr. 2: Bevor ich noch wirklich wusste, was das war, diese Hochsensibilität, war ich schon dagegen und fand das ganze unsympathisch.
Die nächste Schublade im Kästchendenken der Mitmenschen, ein weiterer Stempel, den man sich aufs Aug drücken lassen muss … oder will, je nachdem wie man dazu steht.

Ich habe eine recht lange Liste an Diagnosen, Morbus Crohn ist nur eine davon. Dazu kommen noch sog. Differential-Diagnosen. Das sind die, wo noch nicht ganz raus ist, ob sie auf mich zutreffen oder nicht, aber der begründete Verdacht besteht.

Hinzu kommt eine lange Liste an Allergien und Unverträglichkeiten, hauptsächlich was Medikamente betrifft. Meine Birken-Allergie hat sich in den letzten Jahren dafür immer mehr zurückgezogen. Ich vermute, die Dränglerei, wer nun grad dran ist mit Unannehmlichkeiten machen, war ihr zu viel.

Dann gibt es natürlich noch die psychologischen Hinweise, die sich mit dem Faktor Traurigkeit versus Depression beschäftigen und regelmäßig zu interessanten Diskussionen mit Psychologen und Psychotherapeuten führen. Ich bin ja der (überholten?) Meinung, dass man ein gewisses Recht auf Traurigkeit und Trauer hat, wenn einem das Leben unterm Arsch wegbröckelt. Und das man eben so seine Zeit braucht, damit man damit fertig wird. Sein Leben zu verlieren, während man noch lebt, ist ja schon eine der eher mühsamen Erfahrungen um Dasein. Sich dann ein neues aufzubauen, mit auf den Rücken gebundenen Händen (um das mal poetisch zu umschreiben), im Wissen das es jederzeit wieder den Bach runter gehen kann … also das sorgt in Summe dann doch für fallweise unfreudige Tage.

Meine Meinung, dass einem da Glückspillen weniger helfen, als eine 100er Packung Taschentücher und ein Freund, eine Freundin, die zum Hand halten und mitheulen bereit sind, wird leider nicht von allen psychologisch-therapeutisch-medizinisch Tätigen geteilt. Von der sich immer schneller drehenden Gesellschaft als ganzes fallweise noch weniger.

In Amerika soll sich die zugestandene Trauerzeit nach einem Todesfall im nahen, persönlichen Umfeld, auf ca. drei Wochen beschränken. Alles was darüber hinaus geht, wird als behandelnswerte Depression gesehen und mit ein paar Pillen wegtherapiert.

Ich bin ein Dinosaurier, was solche gesellschaftlichen Direktiven betrifft, und finde das schlichtweg vertrottelt. Ein Jahr war die Trauerzeit in früheren Tagen, nicht mehr und nicht weniger. Unter dem tu ichs bittschön auch nicht.

Das mag Hobby- und Berufspsychologen nun genussvoll schmatzen lassen, aber – Obacht liebe Leut! – zieht euch warm an, denn es kommt noch intensiver:

  • Ich war als Kind sehr schüchtern und auch wenn mir das keiner (mehr) glaubt: ich bin es noch. Ich verstecke es nur sehr gut und kaschiere es mit dem, was allgemein unter Selbstbewusstsein und „scheiß drauf“ bezeichnet wird.
  • Außerdem bin ich olfaktorisch leicht aus der Fassung zu bringen – starke Gerüche hauen mich sprichwörtlich um.
  • Ich hasse Lärm und das kann auch schon zu laute oder die „falsche“ Musik sein.
  • Ich hasse kratzende Pullis und scheuernde Etiketten am Hals – aber wer liebt die schon?
  • Menschenansammlungen sind mir ein Gräuel, speziell wenn es dann noch laut ist und die Luft zum Schneiden.
  • Einkaufstempel und Supermärkte sind für mich eine moderne Form der Folter, aber Genuss-Shoppen in kleinen Geschäften liebe ich.
  • Ich habe ein Faible für Ordnung, aber leider nicht die umfassende Begabung dafür. Will heißen: Ich habs schon gern hübsch, aufgeräumt, klar und sauber. Aber mein innerer Chaot ist meist mit dem Aufrechterhalten des Zustands überfordert, speziell wenn mehrere Menschen im Spiel sind, die so ihre eigene Form von Chaos mitbringen.
  • Ich bin tageweise extrem empfindlich, spüre die Emotionen anderer als wären es meine eigenen, reagiere manchmal aufbrausend, wenn mir alles zuviel wird, oder ziehe mich in ein dornrösiges Schneckenhaus zurück.
  • Social Media sind für mich Fluch und Segen zugleich. Gut, weil ich so auch aus horizontaler Krankenlage mit anderen in Kontakt treten kann und einen (wenn auch verzerrten) Blick in die Welt behalte. Schlecht, weil die Infoflut mein Hirn überschwemmt und mir bei den Bildern und Nachrichten, die da unreflektiert gepostet werden, in 70% der Fälle die Grausbirnen aufsteigen (ostösterr. Ausdruck für „das Grauen bekommen“).
  • Ich arbeite gern in einer ruhigen Umgebung, speziell wenn ich schreibe oder zeichne und wenn man mich dann öfter stört oder sich Störfaktoren einschleichen, reagiere ich mitunter sehr gnatschig und werde leicht unrund.

Bin ich also doch hochsensibel? 

Oder nur ein normaler Mensch, der mit der Welt und dem Dasein fallweise seine Zugangsprobleme hat?
Wenn es nach den Meinungen mancher Mitmenschen geht, die mit Schubladen schnell zur Hand sind, dann gehöre ich zu den sog. HSPs – Highly Sensitive Persons, also zu den Hochsensiblen Persönlichkeiten.

Meine Aversion wuchs jedenfalls in dem Ausmaß, als ich den unsensiblen Stempel als ultimative Erklärung für alles präsentiert bekam.

Dann kam Sabine.

Und ihre supertollen Bassets Wilma und Frieda (die sind ja sooo süß!!!)

Sabine Dinkel ist Coach und lebt in Deutschland, im hohen Norden. Kennengelernt hab ich sie via Twitter und später dann haben wir uns auch auf Facebook ausgetauscht. Wir kennen uns nur virtuell, aber sie ist einer der wenigen Menschen, bei denen das funktioniert und wo ich mir sagen traue, dass eine echte Freundschaft entstanden ist.

Sabine bekennt sich dazu hochsensibel zu sein und hilft anderen, denen es ähnlich geht. Aus ihrem Arbeitsdasein als Coach und Beraterin heraus hat sie nun in Zusammenarbeit mit dem Informations- und Forschungsverbund Hochsensibilität e. V. (hochsensibel.org) ein Buch herausgebracht: Hochsensibel durch den Tag.

Mach doch mal einen Test, sprich das doch mal bei deinen Ärzten an, les dich doch mal ein …“ usw. usf. bekam ich von Gutmeinenden immer wieder, immer häufiger gesagt und geschrieben. Insofern kam Sabines Buch gerade zum richtigen Zeitpunkt.
Ich habs heute mit den Geständnissen, darum gleich noch eines: Ich war sehr skeptisch. Lebensratgeber-geschüttelt und -gebeutelt stand mir der Sinn absolut nicht nach einem weiteren „So sollst du leben und nicht anders“-Buch. Darum habe ich via Leseprobe und auf ihrer Website erst ausgiebig ins Buch hineingeschaut, bevor ich es mir bestellt habe.

Angesprochen hat mich – neben dem sehr klaren und angenehmen Layout – der Satz: Raus aus der Reiz-Überflutung.
Holla die Waldfee – das klingt ja gleich ganz anders als „du bist hochsensibel und musst dich eben an diese oder jene Regel halten“.

Mein Fazit von „Hochsensibel durch den Tag“

Es ist egal ob man es ist oder nicht: das Buch hat viele hilfreiche Tipps für alle, die mit der einen oder anderen Alltagssituation fallweise überfordert sind.

Sehr angenehm ist der vorgeschlagene Ansatz, die Tipps und Infos als Buffet zu sehen, von dem man sich das nimmt, was einem aktuell hilfreich erscheint.
Damit das gut geht, sind die Tipps nach Situationen geordnet. Vom ganz normalen Alltag, über das Arbeiten im Home-Office oder am Arbeitsplatz. Partnerschaft und Netzwerken werden ebenso angesprochen wie – superfein! – der Besuch beim Arzt und die damit verbundenen Aufregungen.

Die Texte sind gut gegliedert, mit persönlichen Geschichten oder Erlebnissen vermenschlicht und es gibt immer eine Tippsammlung für Notfälle.

Der Test.

Und es gibt natürlich auch einen Test, wo man auf die Schnelle reinschnuppern kann, ob man sich nun zu den sog. HSPlern zählen soll-darf-muss-kann oder eher nicht.

Gekoppelt mit dem Hinweis, dass das kein Diagnose-Sheet ist, sondern nur eine erste Hilfestellung.

Wer nun darauf wartet, dass ich hier mein Testergebnis rausposaune: Sorry, es gibt Intimitäten die gehen nur me, myself and I an. Allenfalls vielleicht noch den Herrn Crohn, aber dem ist das herzlich wurscht (egal).

Mein Lieblingskapitel …

… ist übrigens „Schöne Dinge tun und Energie tanken“. Da hab ich einiges gefunden, was ich mal ausprobieren will und werde.

Fein fand ich auch die Hinweise auf andere Bücher, Websites und Infos im Netz, da kann man sich dann zielgerichtet weitere Tipps und Erklärungen holen. Unter anderem habe ich so herausgefunden, dass ich chronotypologisch ein „Leichter Frühtyp“ bin – das bedeutet, dass ich eigentlich zu den Lerchen zähle (Hah! In your face ihr quietschfidelen Early-Bird-Menschen!), auch wenn ich daseinstechnisch am frühen Morgen nicht zu denen gehöre, die frohgemut und munter auf der Suche nach dem frühen Wurm herumhoppsen. Sondern alle frohgemuten Hoppser mit Blicken und wenns sein muss auch verbal erstummen lasse. Aufstehen ist ok. Aber Gespräche bitte erst nach 10 Uhr. Der Morgen ist heilig, schreckhaft und sehr sensibel. Ich kann ihn verstehn, mir gehts genauso.

Buchtipp & Kaufempfehlung

Ich mag das Buch und hab es bei denen stehen, die ich immer wieder zwischendurch in die Hand nehme, was soviel bedeutet wie: es gehört nun zu meiner Liste an Nachschlagwerken, die ich auch gerne anderen in die Hand drücke, wenn mir Erklärungen rund um meine Spleens und Special Effects zu mühsam sind.

Ich denke, es ist ein gutes Buch für alle, egal ob man sich als hochsensibel empfindet oder nicht. Es kann einem helfen Klarheit darüber zu finden, aber mehr hilft es einem, einen mitunter anstrengenden Alltag in kleine, bekömmliche Happen zu teilen, damit einem der Tag am Abend nicht auf den Magen schlägt.

Speziell wenn man ohnehin schon eine diagnostische Liste an Besonderheiten angesammelt hat und ein klein wenig mehr Unterstützung im Dasein sucht, finden sich in den Tipps zahlreiche Hilfen, mit denen man sich die Umwelt besser gestalten kann.

Bin ich nun hochsensibel?

Möglicherweise.
Aber vielleicht ist nur das Leben und die Umwelt ein wenig zu unsensibel und ich eben ein verschrobener Dinosaurier der alten Zeit, mit einer Vielzahl an Spleens und Empfindlichkeiten, die sich sowohl in Zickereien und Grant äußern können, als auch im kompletten Verstummen und Rückzug.

Hochsensibel ist dann die Kurzbezeichnung, für mich und andere.

Hochsensibel durch den Tag

Sabine Dinkel
Verlag Humbold
ISBN 978-3-86910-514-7
19,99 € (D)

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Leseprobe und Verlag: Hochsensibel durch den Tag – Humboldt
Website & Blog von Sabine Dinkel: www.sabinedinkel.de
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