Schräge G´schichten: Der traurige Haken
Die fünfte schräge G´schicht in der Kategorie … aber das ist eine andere Geschichte, inkl. zweier dazugehöriger Zeichnungen für die#30SkizzenimNovember, die Zeichenaktion der Freiraumfrau. Und es ist eine philisophische Geschichte rund um sich auf seltsame Weise offenbarende Erkenntnisse.
Alle Skizzen findet ihr auch auf Instagram, Facebook oder Twitter unter dem Hashtag #30SkizzenimNovember, meiner ist zusätzlich #schrägeGschichten.
30 Skizzen = 10 schräge Geschichten – Nr. 5:
Der traurige Haken
Das Leben ist manchmal ungerecht und Monsieur Karma kann sich fallweise als echte Bitch erweisen. Nicht nur bei Menschen, Tieren oder Pflanzen. Auch für Dinge gibt es Schicksale, die man nur als traurig bezeichnen kann. Ob die Dinge das auch so sehen, ist eine andere Sache.
Bei dem kleinen Haken am WC sieht es jedenfalls so aus, als hätte er ein sehr trauriges Los im Lebenstopf gezogen. Ich sehe in täglich mehrmals, aus crohnischen Gründen. Denn Handyempfang und Wlan sind am Krankenhausklo mager bis gering. Abgesehen davon soll man sich ja hier aufs Wesentliche konzentrieren, unhygienisch ist es auch usw. usf.
Also schweift der Blick umher und wenn man dank lieben Herrn Crohn viel Zeit an solchen Orten verbringt, registriert Frau auch die kleinen Dinge. Wie eben den grauen, ehemals silbrigen Haken, der rechts von der Klomuschel und in seltsamer Höhe montiert ist. Nicht oben an der Wand, damit man Bademantel oder Tasche aufhängen kann. Nicht in Waschbeckenhöhe, für allfällige Toilettebeutel. Nein, er hängt ca. einen halben Meter vom Boden entfernt optisch sinnlos rum.
Tagein, tagaus, bei jedem Klobesuch grübel ich, was er für einen Sinn im Dasein hat. Und verfluche zugleich den, der ihn montiert hat, denn mein pedantisches Monkauge kreischt jedesmal auf: die Fliesenfuge ist nicht mittig. Bzw. der Haken ist nicht mittig auf ihr montiert.
Das. geht. gar. nicht.
Entweder mittig in die Fuge oder mittig in die Fliese oder zumindest in einem gefälligen Abstand zur Fuge, idealerweise im goldenen Schnitt.
Aber verdammt nochmal doch nicht einfach so! Es tut weh, es verursacht mir Stress, mehr als man an diesem Ort haben sollte. Aber es passt auch zum Rest der hakenden Erscheinung.
Er wurde sichtlich schon lange nicht genutzt. Vielleicht weil keiner eine Ahnung hat, wofür er gedacht ist. Die obere Schraube wirkt wie ein Zyklopenauge, dass schon viel zu viel gesehen hat. Was auf Krankenhaustoiletten schnell passiert. Die untere Schraube sieht aus wie ein verschlossener Mund, einsilbig, resigniert, mit müde hängenden Mundwinkeln.
Ich habe ihn zuerst für eine Einzelerscheinung gehalten. Im Sinne von: „Da war noch ein Haken über, Chef, ich hab ihn einfach irgendwo montiert.“ – „Passt, alles klar. Nun hängen Sie noch die Klopapierrollen verkehrt auf und Feierabend.“
Aber der traurige Haken hat Kollegen in den anderen Toiletten. Neben jeder einzelnen Stationsmuschel ist ein trauriger, mattsilbriger Haken montiert und alle blicken resigniert, als hätten sie mit ihrem Hakendasein abgeschlossen. Es muss also einen Sinn geben für diese Metalloktopusse, die mit zwei wartenden Armen auf etwas Unbekanntes warten, um es sicher zu halten.
Das Rätsel um den Sinn dieses Hakens beschäftigt mich – ich habe allerdings auch nicht viel anderes zu tun hier. Lesen, Videos schauen, Untersuchungen absolvieren, Infusionen inhalieren, aufs nächste Essen (und eine entsprechende Verbesserung desselben) warten … und über den traurigen Haken am Klo nachdenken.
Die großen Rätsel der Menschheit sind im Krankenhaus weit weg. Brainfog und Fatigue sorgen dafür, dass man sich mit tieferer Philosophie in kleinem Ausmaß beschäftig und trostlose Haken bieten ausreichend Raum dazu.
Des Rätsels Lösung, der Sinn der Hakenexistenz erhellt sich mir ein paar Tage später per Zufall und wie so oft liegt die Antwort näher, als man denkt.
„So gnä Frau, jetza gemma aufs Klo. Bring Sie gleich rüber, den Katheterbeutel nemma mit, ja klar. Schaugns, da simma schon, gleich sitz ma am Thron – Ha Ha – und daaaaa häng ma das Sackerl auf. Wenns fertig sind läutens bidde!„
Ich stehe im Gang, am Weg zu meinem Thron und werde unfreiwillig Ohrenzeugin dieses Dialogs.
Man sagt, dass die Erleuchtung oft wie ein Sonnenaufgang über einen kommt. Manche erleben diesen Moment in einer Art mentalem Cinemascope, mit konzertanter Musik. Ein Vorhang hebt sich, Wolken lösen sich auch, die Nebel des Geistes lichten sich und man sieht die Lösung, erkennt die Antwort, versteht das Unverständliche, ist dem ultimativen Wissen einen Schritt näher. Ohm.
Ich steh einfach nur mitten am Gang, eingefroren in der Bewegung, und blicke blicklos eine mausbeige Wand an, während in meinem Inneren der Groschen fällt und das auch noch hämisch kichernd. Die Reinigungskraft winnert den Boden um mich herum und wundert sich nicht über die Statue im Weg – solche katatonische Erkenntisstarren dürften hier öfter passieren.
Klar, ganz klar – der Haken hält den Katheterbeutel für die, die den Rest des Stoffwechsels am Locus erledigen wollen und können. Er ist der Pissbeutelhalter. Darum die Höhe, darum der Eindruck, dass der Haken kaum bis nie genutzt wird. Darum der frustrierte, traurig-resignierte Gesichtsausdruck mit dem unsichtbaren Motto, dass sowieso schon alles egal ist, man nicht tiefer sinken kann.
Weil der kleine trostlose Haken sich in seinen Nicht-Mal-Scheiß-Job drein gefunden hat.
Aber immerhin hat er für manche eine tragende Funktion inne.