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Post-Kolo-Depri

Hält mein Crohn die Klappe, ist also in Remission, gehe ich alle zwei Jahre zur Koloskopie, plus Becken-MR, um Dickdarm und Umgebung kontrollieren zu lassen. Im Jahr dazwischen geht es zum MR Enteroklysma, wo der Dünndarm beäugt wird.

Die Kolo mache ich stationär im Krankenhaus. Aus diversen Gründen, aber hauptsächlich weil mein Kreislauf sich früher als ich hinlegt und ich beim „Spülmittel“ schlucken regelmäßig mit Übelkeit kämpfe. Nebenbei werden dann auch gleich ein paar andere Untersuchungen mit erledigt. Ein Full-Service sozusagen.

Das Highlight der Aktion:
Die erlösende Spritze vor der Untersuchung, damit ich von der restlichen Angelegenheit nichts mitbekomme. Das ist der Punkt, auf den ich mich ehrlich freue, denn damit ist das Drama davor erledigt und nun werde ich mit einem sanften Schlummer belohnt.

Was mir allerdings fehlt:
Eine Spritze für den Tag nach der Untersuchung. Wo es einem ja eigentlich gut gehen sollte, weil: alles erledigt. Man ist meist wieder daheim, hat gutes Futter im Bäuchlein und wieder Ruhe für zwei Jahre, im besten Fall. Gesetz dem Fall, dass die Befunde wonnig und heiter sind.

Irgendetwas mache ich da falsch, denn bis kurz nach der Untersuchung bin ich positiv motiviert, schmeiße Witzchen durch die Gegend, schäkere mit dem Pflegepersonal und muntere meine Zimmerkolleginnen auf, soweit möglich.

Kaum daheim, Koffer ausgepackt, am Sofa lümmelnd und die Füße am Couchtisch, kommt der mentale Hammerschlag: Kabumm – und die wonnigsonnige Laune verliert sich in einem Wasserfall aus Tränen. Da kann auch ein guter Befund nichts dran ändern. Wobei ein nur leidlich guter das Anschlussdrama selbstredend deutlich verschlimmert. Denn dann kommt noch die immer miese Frage nach dem „Wozu tue ich mir das überhaupt noch an?!“ hinzu.

Es ist nicht sehr motivierend, wenn der Crohn trotz Diätdisziplin, Medikamenten-Compliance, unterstützenden Therapien und allen anderen positiven, mich gesund erhaltenden Dingen beschließt, meine Darmschleimhaut mit seiner hässlichen Tapete zu versehen. Da sinkt die Moral auf einen Tiefpunkt, der dem im akuten Schub nahe kommt.
Auch wenn mein Hirn weiß, dass das nur eine kurze Momentaufnahme ist, es jedes Frühjahr so ist, weil ich da aus meinem Wintertief herauskomme und noch nicht so in die Frühlingsgänge gekommen bin usw. usf.

Befund hin oder her, im Anschluss an den All-inclusive-mit-Animation-aber-ohne-Essen-Aufenthalt spielt sich jedesmal das gleiche Drama ab: Die Seele leidet und will sich mit den guten Emotionen aus dem Staub machen – ich segle mit Vollgas in ein Nach-Koloskopie-Tief. Eine besondere, sehr individuelle Depressionsform, die ich noch in keinem Lehrbuch gefunden habe.

Am ehesten kann man es vermutlich mit „Entspannungstrauer“ übersetzten. Der Stress ist weg, die Anspannung vor der Untersuchung , die Hektik der Vorbereitung lassen einem keine Zeit für mentale Befindlichkeiten. Währenddessen ist Schlummerpause. Aber ist das Prozedere ist erledigt und wieder daheim, geht die Kellerschublade auf. Da werden vorweg und während der intensiven Stunden alle Bedenken, Ängste und Vorbehalte verstaut. Weil das Köfferchen fürs Spital schon voll war und man keinen zusätzlichen Reisekoffer für diesen Emotions-Krempel packen wollte.

Daheim, in trauter Ruhe, nach dem Spitalstrubel, geht besagte Lade auf und man erkennt, dass es gar keine kleine Schublade, sondern mehr eine Falltüre in ein tiefes Kellerabteil ist. Denn das, was da nun rausgekommen ist, passt in keine kleine Lade. Oder sind ist das in der Abgeschiedenheit so gewachsen?

Daheim, allein am Sofa, in der vertrauten, stillen Umgebung, kriechen sie monstergroß aus dem Kellerloch, setzen sich miefig und grummelig, mit verheulten Augen, zu mir auf die Couch und innerhalb von Minuten ist da kein Platz mehr für mein sonniges Ich, meine heiteren Gedanken, meine „Juhu, ich habs wieder geschafft„- Motivation. Die Luft wird knapp und der Rest davon so schwer, dass ich Mühe habe zu atmen. Am liebsten würde ich alles rauskotzen. Vor allem das grausige Abführmittel, dass ich zwar physisch schon lange losgelassen habe, aber irgendwie hängt es vom Gefühl her noch im Blut und ziept an den Nerven, die nun ohne Schlafspritze alles nachholen wollen, was ich im Krankenhaus so hübsch verdrängt habe.

Warum weinst du denn? Ist ja alles gut gegangen, der Befund ist ok, war schon mal besser, aber viel öfter schlechter. Sei doch froh, die Sonne scheint, du hast wieder Ruhe für zwei Jahre!

Ja, eh.
Aber so einfach geht das leider nicht.

Vom Gefühl her wird es mit jedem Mal schwieriger. Nicht die Untersuchung, nicht das Drumrum, nicht das Krankenhaus. Sondern die Motivation, sich das alles regelmäßig „anzutun“: Vorsorgeuntersuchungen, Kontrollen, Arzttermine, Infusionen, Medikamente … für den Rest des crohnischen Lebens?
Man kann es auch als Jammern auf hohem Niveau bezeichnen. Schlussendlich ist mein Crohn offiziell in Remission. Zwar nur dank der täglichen Tabletten, der sechswöchigen Infusionen und der ganzen Disziplin, was Essen, Leben, Dasein betrifft. Aber er gibt immerhin weitgehend Ruhe.

Man sagt Erfolg bedeutet, einmal mehr aufzustehen, als man hinfällt.
Im Crohnfall kommt noch hinzu, dass man aufsteht, obwohl man weiß, dass man wieder hinfallen wird. Dass man immer wieder zu Untersuchungen antreten muss. Dass man mit Schüben rechnen muss. Meist dann, wenn man am wenigsten damit rechnet. Dass man sich immer wieder, oft täglich daran erinnern muss, dass man seine Mediks nimmt und seine Termine rund um die Untersuchungen und Infusionen plant. Dass man mit dem verdammten Mistkerl bis ans Ende seiner Tage zusammen ist, ohne Aussicht auf Scheidung.

Zusammengefasst: Dass man sich immer wieder, fallweise mehrmals täglich, wie Münchhausen selbst an den Haaren aus einem individuellen Crohn-Sumpf herausziehen muss, damit man nicht in der Trauer ertrinkt und an den sinnlosen Fragen nach dem „Warum?“ erstickt.

Man sollte glaube, dass ich nach ungezählten, gefühlt 100 Koloskopien mittlerweile ein stimmiges Prozedere gefunden habe, das mich vor dieser Post-Kolo-Depri bewahrt.
Die Wahrheit ist: Das einzige, was mir hilft, ist es zuzulassen. Wenn die traurigen Gestalten aus der Kellerlade an die Türe klopfen, mache ich ihnen weit auf und schick sie gleich weiter auf die Couch. Da sitzen wir dann, heulen mitsammen, rotzen eine Packung Taschentücher voll und ackern das Feld, namens Selbstmitleid, gründlich um.

Wer es noch nicht weiß: Wer weint, der produziert ein Hormon, dass dem Morphium ähnlich ist. Vollkommen natürlich und sehr hilfreich, denn mit den Tränen legt sich ein sanfter Beruhigungsschleier um die wunden Seelenlöcher, die innere Spannung wird abgebaut, man kotzt sich quasi das Leid aus den Augen und damit von der Seele. Was auch dem Bauch gut tut.
Meine Patentante meinte auch, wer heult, muss weniger oft pinkeln. Keine Ahnung ob das wirklich so ist.

Ist der erste Tränenfluss versiegt, melden sich die höheren Emotionen: Wut klopft an.
Was immer besser ist als Trauer und Ohnmacht. Wut schmeisst den Rest der traurigen Gestalten bei der Tür hinaus, lüftet das Wohnzimmer und klopft die Polster auf der Couch energisch durch.
Wut beginnt grummelnd und meckernd die Krankenhaustasche auszuräumen, verstaut das Zeug, motzt kräftig rum und verbreitet zwar keine guten, aber doch bessere Vibrations als die anderen Kellergäste.
Irgendwann verraucht sie dann. Die Bude ist aufgeräumt und nun wird es Zeit, den Mut und die Zuversicht hervorzulocken. Die sind sehr sensibel und haben einen empfindlichen Magen. Das haben sie mit mir gemein, darum weiß ich auch, was und wie ich sie locken kann, damit sie zur Unterstützung antreten.
Das ist bei jedem anders und das muss auch jeder selbst für sich herausfinden. Mir hilft ein Besuch bei meiner Friseurin, ein paar Stündchen an der Nähmaschine, um irgendwas Verrücktes zu basteln, eine Packung Maischips oder Popcorn und ein Abend im Kino, mit einem schrägen Science-Fiction oder Fantasy-Film. Entweder alleine oder in heiterer Gesellschaft der Marke „Lass uns über was anderes reden oder zumindest blöd lästern, lachen, doof sein„. Alternativ wird ein Film am PC gestreamt, auf besagter Couch, die damit zu einem Kreuzfahrtschiff durch alle Lebensemotionsozeane wird.

Danach ist die Kellerlade wieder geschlossen und dicht, die dunklen Gestalten haben sich auf Ameisengröße zurückgezogen und werden im Garten ausgesetzt. Das Drama namens „Ich hatte eine Koloskopie und dabei den Sinn verloren“ ist beendet. Der Vorhang fällt, alles ist wieder da, wo es hingehört und ich habe im besten Fall meine Mitte wieder gefunden.

Bis zum nächsten Mal.

Das Gute und zugleich Schlechte daran: Ich weiß, was dann wieder auf mich zukommt. Und wenn ich besonders schlau wäre, würde ich mir schon im vorhinein einen Danach-Termin bei meiner Physiotherapie-Friseurin vereinbare, mir Maischips und weiche Taschentücher auf Lager legen und grübeln, welchen Film ich diesmal nehme. Aber da das alles ja erst wieder in zwei Jahren Thema sein sollte, versickert die Erkenntnis im Lauf der Zeit und taucht pünktlich wieder auf, sobald die Schlafspritze nachlässt und ich daheim bin.

Dann beginnt alles von vorne.
Keine Pointe.

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