Es gibt eine neue Kategorie im Blog: „Kranke Geschichten – Strange Stories„. Hier sammle ich kurze und längere Erlebnisse, die mir am Weg mit dem lieben Herrn Crohn begegnet sind. Der Beginn hier ist zugleich auch der Start der #30SkizzenimNovember, einer Zeichenaktion der Freiraumfrau (Angelika Bungert-Stüttgen), die um diese Zeit Interessierte zum Malen, Zeichnen, Skizzieren aufruft. Die Aktion läuft hauptsächlich auf Instagram, einfach dem Hashtag #30SkizzenimNovember folgen, meiner ist zusätzlich #schrägeGschichten.
Man kann nach eigenen Themen mitmachen oder Angelikas Vorschläge nutzen. Ich habe mich heuer dafür entschieden, meine „anderen“ Geschichten zu verzeichnen und beschreiben. Jeweils zwei Zeichnungen und eine Erzählung (weil man ja auch mit Worten etwas darstellen, in die Vorstellung zeichnen kann). Das sind dann Ende November 2019 (hoffentlich) insgesamt 10 ganze Geschichten.
Die Erlebnisse sind aus den letzten Jahren, einige liegen schon länger zurück, einige sind noch sehr frisch. Den Anfang machen bunte Socken, die mich fasziniert, begeistert und vor allem dazu motiviert haben, diese Geschichtenreihe zu beginnen.
30 Skizzen, 10 schräge Geschichten – Nr. 1:
Das ungeklärte Mysterium der orangen Ananassocken
Blass und hager, bekleidet mit dem unsäglich häßlichen Krankenhaushemd, das perfekte Modell für das Sinnbild eines leidenden Kranken, wandelt er gemessenen Schrittes durch den Flur. Manche Schritte tun sichtlich weh und es kostet ihn Kraft bis zum Endes des Ganges durchzuhalten. Er geht dennoch – trotzig, gefasst und tapfer. Am Ende dreht er um, die Hände am Rücken verschränkt, retour ans andere Ende. Wie ein Bahnenschwimmer, der sein Becken verloren hat und nun am Trockenen seine Runden abarbeiten muss.
Er wandert den Flur auf und ab, mit mehr Kraft, als seine Erscheinung vermuten lässt.
Er geht langsam, stetig und immer allein, äußerlich schwach, innerlich zuversichtlich.
Mit dunklen Ringen unter den Augen, einem traurigem Zug um den Mund, wenig Zukunft in seinem Schatten.
Aber er geht.
Und zu seinen braunen Birkenstock-Latschen trägt kreischorange Socken, mit lachend gelben Ananansmotiven.
Er ist mein Held des Tages.
Seine Sockenwahl versichert mir, dass er es überleben wird.
Was auch immer „es“ ist.
Aber vielleicht sind es in Wahrheit ja die Ananassocken, die gehen wollen? Ihn dazu zwingen, ihn aufrechthalten und Kraft zum Leben, zum Gehen geben? Möglicherweise sind es ja Supersocken, aus einem Geheimlabor oder einem Paralleluniversum, dazu da um Sonnenschein, Glück und einen Hauch Genesung zu verbreiten? Oder die Kontrolle über schwache Menschen zu übernehmen, um die Lage für eine zukünftige Weltherrschaft auszukundschaften: Die Regentschaft der kreischorangen Pinapple-Socks.
Nachdenklich betrachte ich meine eigenen Socken: rosa-weiß, mit etwas türkis und großen Einhörnern. Jede Socke ist anders, es gibt keine zwei gleichen, nicht wie bei den Ananassocken. Vielleicht stehe ich ja unter ihrer Kuratel, bin Teil des Einhornuniversum?
Und diese Begegnung am kranken Hausflur war die Schnittstelle zum Pinapple-Universum. Weil es im Flur des Krankenhauses nicht so schnell auffällt, wenn sich die Schleier zwischen den Paralleluniversen öffnen. Hier gibt es ohnehin schon genug Seltsamkeiten, über die man sich nicht mehr wundert.
Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich übernächtigt bin, erschöpft und vor allem Hunger habe, weil ich nüchtern sein soll und meine krausen Gedanken mich für den Kalorienentzug auf ihre phantasievolle Art trösten wollen.
Wer weiß das schon.
Vielleicht der alte Mann mit seinen mutigen Socken, der mir vormacht, wie man zu gehen hat: Aufrecht und mit Würde, egal wie die Füße gekleidet sind, wie beschissen die Lage ist, wie schwer der Tag. Er geht tapfer, er geht aufrecht, er geht immer weiter.
Zumindest bis zum Ende des Flures.