Liebes Leben, wir müssen reden.
Liebes Leben,
die letzten Wochen hatten wir so etwas wie eine on-off-Beziehung: Du bist mir unterm Arsch davon galoppiert und ich dir mühsam hinterher gehechelt. Habe ich dich eingeholt oder hast du an einer Ecke, ungeduldig zappelnd, auf mich gewartet, sind wir uns kurz begegnet, auf ein paar Minütchen, selten Stunden. Ich hechelnd, atemlos und froh, mal wieder einen Zipfel von dir zu erhaschen. Du schon wieder am Sprung wohin, wo ich dir nur in Gedanken folgen konnte.
Gerne wäre ich mitgelaufen, in dieses „wohin“. Hätte Neues entdecken, Altes belebt, dies und das mitgemacht. Aber du warst mir einfach zu schnell. Mir geht grad flotter die Puste aus, als ich „Halt, warte auf mich!“ rufen kann. Wobei das Rufen Kraft erfordern würde und die ist zur Zeit auf Urlaub. Also würde es eher ein Flüstern werden.
So habe ich versucht, dir aus der Ferne zuzusehen. Aus meinen vier Wänden heraus, fallweise vom Garten, über den Zaun spickend. Selten, sehr selten im Geschehen außerhalb dieser geschützten Werkstätte, wie ich meine heimelige Komfortzone auch betiteln könnte.
Ein wenig habe ich dann und wann auch via Internet bei dir vorbei geschaut. Ok, war fallweise mehr als nur ein wenig und eher öfter täglich, als dann und wann. Zumindest an den Tagen, wo mein Kopf kein migränegrantiges Veto eingelegt hat und meine Kraft nicht schon vorher für anderes drauf gegangen ist. So oft, wie mir die in den letzten Wochen flöten ging, hätte ich eigentlich schon ein mehrstimmiges Konzert mit vollem Orchester geben können.
Zum Spuren hinterlassen oder selber mitzwitschern, instagrummeln oder fazebucken hat es nicht gereicht. Im Gegenteil: Allein der Gedanke, was zu posten oder zu kommentieren, war absurd weit weg – K. e. i. n. e. Kraft dafür.
Nur das riesengroße Bedürfnisse, mir eine dunkle Höhle zu suchen, um drei Jahre Winterschlaf auf einmal nachzuholen. Leider gibts kaum noch Bären, also auch keine entsprechenden Höhlen, die nun, im Frühling, für so eine Aktion frei geworden wären. Abgesehen davon sind wir Menschen keine Winterschlafianer. Leider. Würde viele Probleme gar nicht erst entstehen lassen.
Madame Fatigue war das alles herzlich wurscht. Die hat sich ohne Höhle, ohne Einladung und ohne Scham bei mir ausgebreitet und es gar nicht gern gesehen, wenn ich mit dir geliebäugelt habe.
Eifersüchtige Trutschn.
Habe ich mich einmal unter ihrer Fuchtel wegstehlen können, hat sie mir die Folgetage gemeinsam mit Mrs. Migraine zur Hölle gemacht. Das war keine Szene mehr, dass war ein 72 Stunden-Blockbuster, mit Zugaben.
Diese migränige Bissgurn hat ja nicht alle Tassen im Schrank, mit Verlaub. So hysterisch, besitzergreifend und mit derart lang anhaltendem Kopfgezetter, wie diese Funsen sich die letzten Monate ausgetobt hat ! Einfach unpackbar, kein Benehmen, nicht mal Ansätze von Contenance und nur mit massiven Hämmern in den Griff zu bekommen. Uff.
Aber ich komme schon wieder ins Sudern*. Dabei will ich dir doch nur sagen, dass ich es schön fände, wenn wir wieder mal was gemeinsam machen würden. Eisessen, Kino gehen, Kulturelles beäugen, Nasenbohren oder eine Runde wandern. Nicht alles auf einmal, nicht unbedingt allein (außer dem Nasenbohren), mit ausreichend Erholzeit davor, dazwischen und danach.
Aber irgendwie bist du einfach zu schnell für mich. Kaum habe ich den Gedanken einer Idee, was ich mit dir gerne zusammen machen würde, bist du schon wieder drei Tage weiter oder hast mir zwischen Tür und Angel eine Rede im Schnellsprech dagelassen, die ich mir erst noch fertig anhören muss, ehe ich mich daran machen kann, ihren Inhalt zu verstehen. Bis ich eine Antwort darauf gefunden habe, ist die Sache verjährt. Sofern ich es zwischendurch nicht wieder vergesse.
Das liegt nicht an mir, sondern am Dings, dem … du weißt schon was … liegt mir auf der Zunge … warte, gleich hab ichs … ja, so zappel doch nicht rum! Und Augen verdrehen hilft auch nix, da fällt mir das Dings ja nie ein! Ah, jetzt hab ichs, schnell raus damit: Wortfindungsstörung. So nennt man das. Ist aber auch ein schweres Dings. Also Wort.
Ausgelöst vom berüchtigten Brainfog: Nebel im Oberstübchen, durch Fatigue, chronische Erschöpfung, Überlastung, Crohn, Sjögren, Eisenmangel, Migräne, Medikamente, was-auch-immer-Dings hervor gelockt.
Der Nebelzwerg hockt zwischen den Ganglien und zieht hämisch kichernd die Synapsenstecker, wodurch es mir mitten im Satz den Strom abdreht und ich nur noch „Dings“ stottern kann oder PunktPunktPunkt. Immerhin gut, dass es das Dingswort gibt. Müsste man sonst erfinden. Stress und zappelnde Gegenüber machen das Dings größer und wer dann noch versucht, mir mit Worten auszuhelfen, der drückt damit auf die „delete anything“-Taste.
Ja, so schauts aus.
Aber was wollt ich dir eigentlich sagen?
Also schreiben? …?
Ah, ja, genau: Ich sitz an der Ecke, wo du vor drei Tagen vorbeigekommen bist, als du auf dem Weg zum Tanz in den Mai warst, und ich nur mal kurz noch aufs Klo wollte-musste, aber du schon weg warst, als ich Stunden später wieder rauskam. Ich hab dann auch nicht gleich nachkommen können. Musste erst noch zu einem Kopfdoktor nach Wien, was auch Sidney oder der Mann im Mond hätte sein können, weil: Weltreise.
Dem hab ich dann das Dings, also die Migräne, auf die Couch gelegt, damit er mit ihr ein ernstes Wort spricht. Hat er dann aber mehr mit mir getan, weil die olle Trulla nicht zuhören wollte und stattdessen Stepptanz in meiner Stirnhöhle trainiert hat.
Jedenfalls haben der Herr Doktor und ich mal gründlich alle Fakten auf den Tisch gelegt und diskutiert, was es – außer Rübe ab – für Möglichkeiten gibt, mir die Oberhoheit über Hirn, Kopf und Synapsen wieder zurück zu erobern.
Der langen Rede kurzer Dings: nicht viele. Eigentlich nur zwei.
Und die eine davon hab ich mir nun auf die Stirn geklebt. Ein elektronisches Dings, dass die Oberstübchennerven mittels Strom daran erinnert, dass es noch andere Schönheiten gibt, abseits der migränischen Funsen, auf die sie hören könnten.
Klingt ein bisserl nach elektrischem Stuhl und Folter, nur am oberen Ende des Körpers. Tut aber gar nicht mal sehr weh, nur ein bisschen und das eher von der guten Sorte. Schaut dafür sehr spacig aus und ich hoffe, ich vergesse nicht es regelmäßig nach der Behandlung abzunehmen. Denn wenn ich damit auf die Straße gehe oder dem Postboten so die Tür öffne, könnte eine kleine Massenpanik im Sinne von „SIE sind unter uns! Die Aliens! Die Androiden! Die Körperfresser! Die Steuereintreiber!“ ausbrechen.
Oder jemand versucht das Dings zu hacken und übernimmt meinen Kopf mittels Fernsteuerung. Was in manchen Momenten vielleicht gar nicht so schlecht wäre.
Egal.
Jedenfalls: ich britzel mir also nun meine Trigeminusnerven auf Vorderfrau und versuche so die Migränische aus dem Kopf zu vertreiben. Weil das immer noch besser ist als die zweite Methode, die der Hirn & Nervenprofessor in Wien vorgeschlagen hat.
Und darum schreib ich dir, damit du weißt, dass ich noch immer daran interessiert bin, mit dir zusammen zu sein. Zwar werde ich auch ohne Kopfgewitter nicht mehr die Flotteste werden und auf Dauer nur schwer bis selten mit dir Schritt halten können. Zuviel Gedöns, Trubel, Hektik und mehr Menschen, als Finger an meinen Händen, sind nicht mehr so mein Dings. Da hüpft schnell die Panik ins Nervenkostüm und bettelt schnappatmig darum abgeholt zu werden.
Dazu hab ich einfach zu viel anderes im Rucksack, wie den lieben Herrn Crohn und den alten Schweden Herre Sjögren. Aber wenn du ein bisserl langsamer rennst und ich an manchen Tagen ein bisserl schneller unterwegs bin, dann könnten wir uns ja mal treffen und gemeinsam was machen. Was meinst du, liebes Leben, wäre das eine Idee?
Ich warte dann mal weiter an der Ecke von vor drei Tagen und wandere langsam hinter dir her. Zwischen den Britzeltherapien, mit meinen ungeliebten BegleitgenossInnen und dem schweren Rucksack. Vielleicht sehen wir uns bald mal wieder und bis dahin: habs gut und vergiss mich nicht!
Alles Liebe liebes Leben,
MiA
P. S.: Falls du vor hast umzukehren und mich an der Ecke abholen willst, gib bitte Bescheid. Denn falls ich am Weg eine leere Bärenhöhle finde, probiere ich die Idee von oben aus und versuch den Winterschlaf ins Menschendasein hinein zu evolutionieren.
*Sudern: Klassisches Ostösterreichisch für raunzen, jammern, mieselgranteln. Nur mit mehr Geknautsche.
Liebe MiA,
so sehr ich deine Bekanntschaft mit Herrn Crohn, Mrs Migraine und Co bedauere, mich heitern deine „Briefe“ ungemein auf. ich hoffe, du und das Leben habt euch in den letzten Tagen mal häufiger getroffen.
Liebe Grüße!
Britta
Liebe Britta, innigen Dank für deine lieben Worte!
Und sorry, weils Freischaten und Antworten mal wieder länger gedauert hat – that´s life, wie es geschrieben steht 😉
Was die Beziehung zum Leben betrifft: Wir sind in Mediation und es schaut gut aus 😉
Herzliche Grüße, MiA
Liebe MiA,
Danke für deine Kraft und Kreativität!
Ich kann mitreden, mitfühlen und bin getröstet.
Danke!
Liebe Grüße aus dem Norden
Gitte
Danke liebe Gitte, für deine herzlichen Worte!
Alles Gute für dich und liebe Grüße aus den österreichischen Bergen,
MiA