Briefe aus dem Leben mit CED

„Lieber Herr Crohn“ – und andere Briefe aus dem Leben mit einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung.

Hier findest du eine Auswahl an Briefen, die ich während eines schweren Schubes angefangen habe zu schreiben. Die Adressaten sind keine Personen in dem Sinne. In den meisten Fällen ist es ein Brief an meinen Crohn, den ich mit „Lieber Herr Crohn“ personalisiert habe. Ich musste die Dinge, die mir nicht aus den Kopf gehen wollten, irgendwo und irgendwie niederschreiben.

Ursprünglich war das auch die Grundidee für mein nach wie vor angedachtes Crohn-Buch. Aus diversen Gründen wird das aber nun anders und darum wandern die damals verfassten Briefe nun peu a peu auf diese Weise in die Welt.

Und wer weiß, vielleicht landen sie ja dann auch irgendwann mal bei denen, an die ich sie ursprünglich geschrieben habe.

Briefe aus dem Leben mit CED

Psychoheiler via Dr. Google

Lieber Herr Crohn,

gestern habe ich gegoogelt. Mich so richtig durch die Szene gewühlt, einmal querbeet die Foren überflogen, auf Amazon schräg gelesen und auf den Websites selbsternannter HeilerInnen die Angebote studiert.

Alles mit dem Stichwort: Morbus Crohn.
Ergänzt durch: Alternative Heilung.

Ich sag´s dir: Cool ist das. Und wenn die alle recht haben, dann muss ich dir ernsthaft Abbitte leisten für die Anschuldigungen, mit denen ich dich unkorrekterweise überhäuft habe.

Denn Schuld an allen crohnischen Übeln bist nicht du, sondern ich. Ich allein. Mea culpa, mea maxima culpa. (Hier musst du dir ein paar Schläge mit der neunschwänzigen Katze auf meinem Rücken vorstellen.)

  • Weil ich meinen Lebensweg, der mir kosmisch zugeteilt wurde, verlassen oder noch nicht gefunden habe.
  • Weil ich zuviel und überhaupt Fleisch esse.
  • Weil ich zuwenig Fleisch esse.
  • Weil ich das falsche Fleisch esse.
  • Weil ich mich nicht wie ein Neandertaler ernähre.
  • Weil meine Nahrungsgewohnheiten steinzeitlich sind.
  • Weil ich kein oder nur geringes Selbstbewusstsein habe.
  • Weil ich weißen Zucker zu mir nehme.
  • Weil ich nicht vegan lebe.
  • Weil ich überhaupt noch esse.
  • Weil ich mich an (m)eine Diät halte.
  • Weil ich mich an die falsche Diät halte.
  • Weil ich nicht esse, wonach ich Lust und Laune habe.
  • Weil ich esse, worauf ich Lust und Laune habe.
  • Weil ich Medikamente nehme. Natürlich die falschen.
  • Weil ich den Lügen der Mediziner glaube, denn du existierst in Wahrheit gar nicht.
  • Weil ich nicht bereit bin, an dem zu arbeiten, was ich los werden will, denn da liegt mein Problem.
  • Weil ich ein Schleimscheißer bin (im wörtlichen und im übertragenenen Sinn).
  • Weil ich einen schweren, schleichenden Konflikt im Reserveverwertungsbereich meines Dünndarms habe. (Du bist bei mir zwar im Dickdarm unterwegs, aber das ist Korinthenkackerei. Alles eins, ein Darm ist ein Darm und Schluss).
  • Weil ich Umwege gehe und Engpässe kreiere, wodurch ich mich links liegen gelassen fühle und daher nicht zum Zug komme. Alles natürlich unbewusst, sonst wüsste ich es ja. (Kann sein, dass ich da die Reihenfolge durcheinander gebracht habe, aber du weißt sicher worum es geht.)
  • Weil ich mich nach außen abschotte.
  • Weil ich zu sehr im Außen und zu wenig im Hier und Jetzt lebe.
  • Weil ich mein Leben nicht richtig verdauen kann.
  • Weil ich das “Stille Örtchen” als meinen heimlichen Ruherückzugspool sehe und einfach zu gerne dort sitze, denn da bin ich allein und kann endlich ganz bei mir sein. (Kein Sch*, stand wirklich so da.)
  • Weil ich mir nicht vorstellen kann, dass alles möglich ist.
  • Weil mein Glaube mich in die falsche Richtung geführt hat.
  • Weil ich meinen Bauch nicht liebe und dir nicht die Hand in Dankbarkeit reiche.
  • Weil ich zu verspannt, unentspannt, falsch angespannt bin.
  • Weil ich Angst davor habe geheilt zu werden und nicht geheilt werden will.
  • Weil ich mein Lebensthema noch nicht gefunden habe oder im zuwider handle (oder hatten wir das schon?)
  • Weil ich von Ärzten und Medien, meinen Eltern, der Umwelt, bösen Geistern … falsch konditioniert wurde.
  • Weil ich einen Konflikt in einem früheren Leben noch nicht richtig aufgearbeitet habe.
  • Weil ich die falschen Bücher gelesen habe.
  • Weil ich das eine, das bestimmte Buch, das richtige noch nicht gelesen habe.
  • Weil ich verflucht wurde. In einem früheren Leben.
  • Weil ich mich nicht an das halte, was ich gelesen habe. Wo es doch geschrieben steht.
  • Weil ich mich nicht fallen lassen kann.
  • Weil ich mich nicht liebe.
  • Weil ich mich fallen gelassen habe.
  • Weil ich zu egozentrisch bin und nur am mich denke.
  • Weil ich ins falsche Leben hineingeboren wurde (das macht mir aber ehrlich gesagt schon ein wenig Angst, denn wie schaut da wohl die Heilung aus?)
  • Weil ich das ganze zu sarkastisch, zu wenig spirituell, zu geistig, zu körperlich, zu realistisch, zu verklärt, zu esoterisch, zu blauäugig, zu rosa, zu schwarz-weiß und vor allem und in jeder Hinsicht falsch sehe.

Ich bin sicher, ich hab da einiges ausgelassen, es vergessen zu erwähnen, verzeih mir. Aber auch das ist meine Schuld. Alles ist meine Schuld.

Aber: die Lösung ist in Sicht!

Jawoll!

Mir kann geholfen werden. Ich hab die helfenden Geister gefunden, die alles reparieren können und du wirst es nicht glauben, aber dazu muss ich nicht mal persönlich anwesend sein! Die machen das sogar via Telefon oder per Mail.

Die Diätpläne kommen direkt ins Haus, meine Seele wird einer karmischen Grundreinigung unterzogen (so blütenweiß war die nicht mal bei meiner Geburt), und wenn ich dann noch all die wunderbaren Nahrungsergänzungsheilhilfsmittel nehme, die man mir da segnend angeboten hat, dann … also ich schwörs dir: dann, aber dann!!! Dann bist du Geschichte. Für immer. Und ewig. Bis ans Ende aller Tage. Dir droht die ultimative Heilung von mir.

… falls ich nicht irgendwas falsch mache auf diesem Weg.

Was leicht sein kann, weil ich die vielen Direktiven und Vorschläge und Ursachen unter Umständen durcheinander gebracht habe. Was aber nur an mir liegt. Meine Schuld.

Und wenn ich´s doch richtig verstanden habe, du aber trotzig trotzdem nicht dein und mein Karma verbessern willst, mir weiter erhalten bleibst, dann ist das nur, weil mein Unterbewusstsein noch nicht bereit ist, dich loszulassen. Was an mir liegt und bedeutet, dass ich noch ein paar Sitzungen brauche, online oder, in ganz schlimmen Fällen (und ich bin sicher ein ganz, ganz schlimmer Fall), direkt vor Ort, face to face mit dem Guru, der Gura, dem Heilswesen, dass mich dann durch den Prozess führen wird. Liebevoll, bestimmt und gegen Vorauskassa.

Was ich bei dem ganzen aber nicht so richtig verstehe, ist der Gedankenansatz, dass alles, egal was es ist, immer meine, des/der Kranken Schuld ist, egal wie alt sie oder er ist. Ich dachte, die Sache mit der Taufe hat die leidige Erbsünde aus der Welt geschafft? Oder hab ich da was im Katechismusunterricht nicht ganz verstanden? Obwohl mich das gar nicht betreffen dürfte, denn ich bin ja nicht mehr dabei, beim Katholischen. Und die Heilswesen, die sich da entgeltlich anbieten, auch nicht. Komischerweise haben sie aber das Schuld- und Sünde-Denken nicht abgelegt. Ob das etwa älter ist als die Bibel? Oder ist es einfach praktisch und wird weiter eingesetzt?

Ganz kann ich auch den Gedanken nicht verstehn, warum mich die Sünden meiner unzähligen Vorleben bis in dieses hier verfolgen, inklusive allfälliger Flüche und Schulden. Ich kann mich nämlich bewusst nicht an eines erinnern. Klar glaube ich an die Reinkarnation, ernsthaft, und habe mich in schamanischen Sitzungen mit meinen Vor-Ichs oft ausgiebig unterhalten.

Es erscheint mir logisch, die Sache mit der Wiedergeburt. Warum sollte Mutter Natur Energie verschwenden? Jede Seele ist eine solche Energie und im Phsyikunterricht haben wir ja gelernt, dass Energie nicht vernichtet, nur umgewandelt werden kann.

Aber ich halte den Gedanken, dass man auf ewig für etwas, woran man sich nicht erinnern kann, weil es in einem früheren Leben stattfand, bestraft wird, für ein Sakrileg. Das macht doch keinen Sinn. Damit wäre man ja schon als Baby im Mutterleib verflucht, ohne reale Chance sich aus dem Schlamassel befreien zu können. Wer will da noch geboren werden?

Ich klammere mich daran, dass Probleme, die mir in diesem Leben passieren, egal wie grausig sie sind, etwas mit diesem Leben zu tun haben und in diesem Leben gelöst werden können. Falls nicht, bekommt man wie beim “Mensch ärgere dich nicht” eine neue Chance, mit weißer Weste und kann es auf einem anderen Spielfeld versuchen. Keiner schleppt seine Mies-Punktezahl bis ans Ende aller Tage mit sich (lassen wir mal die Geschichte mit der Hölle und dem jüngsten Gericht außen vor).

Das bedeutet aber auch, dass man in diesem Leben sein Bestes geben muss. Denn wenn ich mir das Lösen der Misere nicht auf ein nächstes schieben kann, bedeutet das nichts anderes als: Arschbacken zusammen kneifen und was tun und zwar jetzt. Im nächsten Leben kann man es anders machen, aber in diesem hier lebt man nun einmal gerade. Also wär´s gut, was Kluges damit anzufangen und es nicht zu verschwenden.

Allerdings verliert man mit dieser Einstellung auch einen großen Vorteil: Man kann sich nicht mehr darauf ausreden, dass die Ursachen für seine Handlungen und Probleme in einer Region liegen, auf die man bewusst keinen Einfluss hat. Denn das war ja alles „mein anderes ich“, in einem früheren Leben, und somit trifft mich hier in diesem keine Schuld, ich bin das Opfer, ich kann nichts dafür. Eigentlich ganz praktisch.

Richtig cool finde ich aber den Ansatz, dass mangelndes Selbstbewusstsein der Grund ist, warum du mir das Leben schwer machst. Pardon: Warum ich mir mit dir das Leben mies mache. So muss es richtig heißen.

Das ist richtig, richtig toll, denn damit kann man einfach alles, alles, alles erklären. Von der Weltwirtschaftskrise, über Kriege, Seuche, Schnupfen, Krebs, Masern, Durchfall, Migräne, Depression, Allergien, Flatulenz und natürlich auch das Entstehen chronisch entzündlicher Darmerkrankungen.

Mangelndes Selbstbewusstsein ist die apokalyptische Geißel, die uns in den ultimativen Untergang zieht.

Ich denke, nein: ich glaube, ohne es überprüft zu haben, dass man diesen Ansatz bei jeder Heilbeschreibung chronischer oder schwerer Erkrankungen findet. Bei wirklich und absolut jeder. Es ist einfach der ideale Grund für alles und damit lässt sich auch alles andere erklären.

Ich kann mich nicht abgrenzen? – Das ist mein mangelndes Selbstbewusstsein. Es hindert mich daran meine Grenzen zu verteidigen.

Ich esse das Falsche? – Das ist mein mangelndes Selbstbewusstsein, es verleitet mich dazu, indem es nicht da ist um mich daran zu hindern, das falsche zu essen.

Ich bin von meiner Umwelt falsch konditioniert? – Das ist mein mangelndes Selbstbewusstsein. Durch sein Fehlen bin ich unfähig mir meine eigene Meinung zu bilden.

Ich gehe Umwege und kreiere Engpässe? – Das ist mein mangelndes Selbstbewusstsein. Es nimmt mir die Kraft geradeaus zu marschieren, über alle Hindernisse hinweg.

Eigentlich halte ich die Fähigkeit Umwege zu finden und kreativ neue Wege zu gehen für eine Stärke. Aber ich habe auch nicht studiert, weiß es also nur aus der angewandeten Lebens-Uni, also muss es falsch sein.

Alles Übel hat seine Ursache im mangelnden Selbstbewusstsein. Punkt.

Dummerweise gibt´s da aber einen Hacken: man hat mir ebenso oft mangelndes wie ein zu hohes Selbstbewusstsein vorgeworfen.

Was nun? Hab ich zuviel oder zuwenig? Eine komische Patt-Situation.

Rein gefühlsmäßig würde ich mir eher ein “zuviel” geben, so wie ich mich kenne. Das ist aber rein subjektiv und zählt daher nicht.

Objektiv halte ich es für problematisch, wenn man Menschen, die das diagnostische Urteil einer offiziell unheilbaren Erkrankung erhalten, mangelndes Selbstbewusstsein unterstellt.

Man möge mir einen glücklich Gesunden zeigen, der beim Erhalt dieser Diagnose in Jubel ausbricht und sich über die Herausforderung freut, nun sein proppenvolles Selbstbewusstsein strahlen zu lassen.

Die meisten – alle die ich kenne – fielen da erstmal in ein tiefes, tiefes Loch und im Fallen verliert man alles. Zukunftsträume, Hoffnung, Sicherheit, Glaube und auch sein Selbstbewusstsein – alles weg.

Manches findet man am Boden wieder, das kann man dann aufsammeln und versuchen mit ein paar Tränen zusammen zu kleben. Hält nicht viel, meiner Erfahrung nach, und die Sprünge sind nicht wegzukitten.

Man wird, meist in der Mitte seines prognostizierten Lebens, aus diesem herausgerissen, der Boden unter den Füßen ist weg, alles worauf man seine Zukunft erdacht hat ist in Frage gestellt.

Das verschreckt auch das stabilste Selbstbewusstsein und es verkriecht sich gleich mal im Mariannengraben.

Je nachdem welcher Typ man ist, krabbelt man dann früher oder später wieder raus aus diesem Sumpf. Manche brauchen dazu professionielle Hilfe – und zwar gute. Jede Form einer schweren oder chronischen Erkrankung betrifft unmittelbar auch die Psyche, die Seele leidet und es herrscht Notstand. In diesem Moment ist es allerdings komplett egal, was zuerst war: Seelische oder körperliche Krise. Wichtig ist es nun, den traumatisierten Menschen dabei zu unterstützen aus diesem wahnsinnigen Ausnahmezustand herauszukommen.

Die beste schul- oder alternativ-medizinische Therapie kann nur dann greifen, wenn der Patient dahinter steht und will.

Leben will.

Manche wachsen an dieser Herausforderung und entdecken mitunter Stärken, deren sie sich davor nie bewusst waren.

Ich kann hier nur für mich sprechen, aber mein Selbstbewusstsein ist durch das Zusammenleben mit dir gewachsen. Es hat mittlerweile schon fast ein Eigenleben entwickelt und wenn es so weiter geht, dann muss ich eine eigene E-Mailadresse dafür einrichten.

Ich mag manchmal toben, schreien, heulen und das Schicksal als unbarmherzig verfluchen, mich verkriechen und in Selbstmitleid baden, bis die Haut schrumpelig wird. Aber ich steh irgendwann wieder auf, polier meine Wut und mach mich auf den Weg, in Begleitung meines Selbstbewusstseins, dass vor mir her stapft und ihn ebnet.

Ohne ihm hätte ich die zahlreichen Kämpfe in der Beziehung mit dir verloren. Und ich meine da speziell die, die sich im Umfeld ergeben haben. Wenn es darum ging, mit einem Arzt über Sinn und Unsinn einer Therapie zu streiten, diskutieren, argumentieren. Oder ihn/sie in die Schranken zu weisen und mein Recht auf Wahrung meiner Grenzen zu akzeptieren. Ich habe mit Oberärzten brüllend gestritten, dass die Schwestern, die anderen Patienten und meine Familie vor Schreck stocksteif daneben gestanden sind. Der Doc und ich haben einander so richtig nichts geschenkt, dabei aber alles geklärt und uns fünf Minuten später lachend die Hand geschüttelt.

Dank meines fürsorglichen Selbstbewusstseins lebe ich noch und konnte auch die fahrlässigen Anschläge auf meine mangelnde Gesundheit überleben. Heute ist es schon eher üblich, dass Patienten nachfragen, was man ihnen denn so alles in die Venen und den Magen stopfen will. Vor 10 Jahren war man da noch lästig wenn man gefragt hat. Denn dann musste die Schwester unter Umständen noch mal zurückgehen und selber nachschauen, welches “Tabletterl” sie mir da eben kredenzen wollte oder warum ich auf einmal eine andere Infusion als üblich bekam.

Nicht einmal war es ein Medikament, dass auf meiner roten Allergieliste stand oder die Infusion war für meine Nachbarin bestimmt. Und nicht einmal habe ich von überforderten Turnusärzten dann gehört, dass sie ja nicht bei jedem Patienten in der Kurve nachschauen können, ob der nun ein Medikament verträgt oder nicht.

Dieses Szenario ist im Lauf der Jahre zum Glück ausgestorben und ich hab´s überlebt, dank meiner Sturheit, mir jedes Ding erklären lassen zu wollen, egal wieviele Titel der Mensch im weißen Kittel vor mir hat.

Nein, ich denke nicht, dass mein Selbstbewusstsein einen Mangel hat oder zu klein ist. Dazu bin ich einfach zu frech – goschert, sagt man im Osten Österreichs dazu. Ich rede oft schneller als ich denke, aber ich steh dann auch dazu.

Aber ich musste es mir aufbauen, dieses Selbstbewusstsein, Stück für Stück und nach wie vor frimmel ich dran rum, damit es stabil bleibt und mir zur Seite steht, wenn ich es brauche. Es hat einige Dellen, unschöne Narben, man sieht, dass es viel mitgemacht hat.

Es passt zu mir, wie mein Schatten, zu dem ich auch stehe. Ich will es gar nicht anders haben, denn es ist der beste Begleiter, den man am Weg mit dir haben kann.

Und damit die Unterstützung wirklich optimal ist: Viel Humor. Gewürzt mit viel Sarkasmus und der Fähigkeit über sich selbst lachen zu können. Nur so lassen sich solche Streifzüge durch die ergooglete Hilfslandschaft des Internets ertragen.

Ich bewundere es ehrlich, wenn ein Mensch es Kraft eigener Gedanken und selbst gefundener Mittel schafft, dich aus seinem Leben zu bannen und eine stabile Remission zusammenbringt. Das ist toll und jeder Bewunderung wert. Ich finde es auch super, wenn dieser Mensch dann anderen davon berichtet und uns Crohn-Menschen so Mut macht, nicht aufzugeben, sondern weiter zu suchen.

Doch in dem Moment, wo dieser Mensch der Meinung ist, sein Weg der Heilung ist der ultimativ beste und einzige, steigen bei mir die Aggressionen. Denn es ist dumm und sehr gefährlich.

Ein Fluch deiner Anwesenheit ist es, dass du bei jedem ein anderes Gesicht hast, andere Symptome verursachst, andere Wege beschreitest.

So muss jeder seinen eigenen Weg finden um mit dir zurecht zu kommen. Dem einen hilft ein veganes, stressfreies Leben ohne Schokolade, mit viel Sport und täglicher Meditation.

Einem anderen hilft es mitunter mehr, wenn er die Gewissheit findet, dass er oder sie alles essen kann und somit einen Stressfaktor weniger im Leben hat.

Der eine verträgt kein Fleisch, ein anderer kann ohne nicht gut leben. Der nächste schwört auf Vulkanasche als Unterstützung und ein dritter kann beweisen, dass kiffen seine Entzündungswerte massiv reduziert hat, was der nächste mit dem Einsatz gezielter Antibiotika, spiritueller Psychotherapie, Homöopathie, Akkupunktur oder Weihrauchkapseln geschafft hat.

Und alle haben recht, es hilft. Aber nur in ihrem eigenen, sehr speziellen Fall.

Von sich auf andere zu schließen ist immer gefährlich. Andere davon zu überzeugen, dass man nun die ultimative Antwort für dein komplexes Wesen gefunden hat, ist ganz besonders gefährlich, es ist gemeingefährlich. Du bist eine höchst individuelle Krankheit, kein 08/15 Ding, dass man bei jedem mit dem gleichen Mittel behandelt.

Selbstbewusstsein und zwei Füße, die gut im Hier und Jetzt verankert sind, sind das, was jeder Crohn Patient brauchen kann.

Aber auch jeder andere der krank ist und dadurch an seine Grenzen geführt wird.

Man kann sich Ideen aus dem Netz holen und Austausch betreiben, was dem einen oder anderen geholfen hat. Das ist wichtig und da ist das WWW ein Segen unserer Gesellschaft. Aber jeder muss für sich hineinspüren, ob das nun gut oder nicht gut ist und in vielen Fällen hilft leider nur ausprobieren, das klassische Trial & Error Prinzip. Bauchgefühl ist auch etwas, was man lernen kann und haben sollte, wenn man es mit dir zu tun hat.

Man sagt ja, dass im Darm mehr Nervenverbindungen sind als im Gehirn und der dadurch klüger ist. Ich unterschreibe das sofort. Denn während mein Hirn oft noch irgendwelchen Gespinsten und Träumereien nachjagt, sitzt mein Bauchgefühl gut geerdet da und sagt “Sicher nicht, der Sch* kommt mir nicht in die Schleimhaut.” Es hat sich noch nie geirrt, mein Bauchhirn. Und beim gestrigen Streifzug durch Dr. Googles lustigen Therapiegarten hat es mir fast Schmetterlinge im Bauch verpasst, weil es dauernd den Kopf geschüttelt hat. Ein seltsames, aber sehr heimeliges Gefühl.

Doch in Wahrheit sind all die oben erwähnten Ursachen ohnehin ein Klax und völlig aus der Luft gegriffen. Denn der wahre Grund deiner Anwesenheit und aller mit dir einhergehenden Maladitäten, Zores, Probleme ist dieser:

Weil ich halt überall und immer laut “Hier!” geschrieen habe.

Meine Schuld, meine große Schuld. Es muss stimmen, denn ich hab´s schon oft gehört bekommen. Von Freunden, Ärzten, Therapeuten, HeilerInnen, Fremden, Bekannten …

LieberHerrCrohnBuch 300x225 - Psychoheiler via Dr. GoogleSo schaut´s aus und dir noch einen schönen Tag, ich geh mich dann mal schnell ein bisschen geißeln.

Michaela

Briefe aus dem Leben mit CED

Hoffnung

Liebe Hoffnung,

wir hatten in letzter Zeit nicht viel miteinander zu tun. Lag daran, dass du mir immer wieder aus den Händen geglitten bist, zu wenig greifbar warst, zu dünn … ich hab dich eigentlich schon länger nicht gesehen.

Mag ja sein, dass du da warst, aber ich glaube, wir haben einfach nur so nebeneinander her gelebt.

In den letzten Tagen aber hat sich was verändert. Du erscheinst mir plastischer, näher bei mir, fast kann ich dich spüren. Ist noch zu wenig um zu sagen: Wir sind wieder ein Team. Aber es könnt wieder was werden.

Ich weiß, dass du ein flüchtiges Wesen hast, dich leicht vertreiben und ablegen lässt. Im Dunkeln sieht man dich gar nicht. Obwohl es gerade da gut wäre, dich zu spüren. Enttäuschungen können dich verjagen. Dann bist du weg und es ist nicht mal mehr eine Spur von dir da.

So zart du bist, so tief ist aber das Loch, dass deine Abwesenheit hinterlässt. Tief, dunkel und mit spitzen Steinen gepflastert. Dummerweise ist es auch noch so eingerichtet, dass man dich noch weniger sieht, je länger man in diesem Loch deiner Abwesenheit drin hockt. Ein Paradoxon, dass skuril wäre, wenn es nicht so traurig ist.

Bist du weg, kommst du von allein nicht wieder. Dann braucht es einen Schubs von irgendwas anderem. Glück, Freude, Zuversicht, Zufall, neue Perspektiven … irgendwas in dieser Richtung.

Diesmal war´s eine Mischung aus allem und dazu eine neue Therapie, die ich seit ein paar Wochen probiere.

Du bist da und ich kann dich zart schimmern sehen. Pastellfarben, durchscheinend, nur im Augenwinkel wahrnehmbar und richtet man den ganzen Blick auf dich, bist du nicht mehr zu sehen. Manchmal aber noch zu spüren.

Liebe Hoffnung, womit kann ich dich füttern, damit du kräftiger wirst und mehr Substanz bekommst? Ich finde es schön, dich wieder in meiner Nähe zu haben. Es fühlt sich gut an, aber ich wage nicht mir das laut einzugestehen. Denn ich habe zu oft erlebt, dass genau das dann dafür sorgt, dass du wieder abtauchst.

Es ist wie mit deiner Schwester, der Vorfreude. Die ist sehr kapriziös und fokussiert man sich zu viel auf sie, saugt sie alle Energie aus dem Ereignis, das am Ende ihrer Existenz steht, wenn aus der Vorfreude eine reale Freude über das Erreichte werden sollte. Als würde man mit 100 Sachen Vollgas, juppidu, in einer Sackgasse gegen die Wand krachen. Tut weh und hat die Macht, die Vorfreude im Rückblick als hämisch grinsenden Täuschkobold zu enttarnen.

Komm, liebe Hoffnung, lass dich locken, mach es dir gemütlich bei mir. Ich mag dich, du wärmst so schön und ich würde dir gern einen Platz schaffen, wo du dich wohl fühlst, damit du dauerhaft bei mir einziehen kannst. Worauf stehst du denn so? Gute Musik, Kuschelkissen, leckeres Essen, Lachen und lustige Gespräche, positive Gedanken, schöne Befunde …? Ich kann dir nicht alles versprechen, aber ich kann dir versprechen, dass ich mich bemühen werde, für einen guten Aufenthalt zu sorgen, so weit es mir möglich ist.

Meine Ärztin hat gestern da einiges dazu beigetragen, denke ich. Sie ist zufrieden mit dem Ansprechen der neuen Therapie und als sie das gesagt hat, habe ich gespürt, dass du gewachsen bist. Das war schön. Bitte wachs weiter, denn es tut mir gut.

In ein paar Tagen erfahre ich, was bei den Blut- und Stuhlproben rausgekommen ist. Ob meine Werte sich passend zum subjektiven Besserfühlen gebessert haben. Es braucht diese Parameter, damit man objektiv einen Erfolg diagnostizieren kann. Schwarz auf Weiß bietet irgendwie mehr Sicherheit als das unspezifische „es schaut aus als ob“.

Ich weiß, dass dir das Angst macht. Mir auch, weil ich weiß, dass dich ein schlechtes Ergebnis schwächt und wieder schrumpfen lässt. Komm, wir schaffen das. Sind ja nur Zahlen am Papier, ist auch noch viel zu früh um wirklich was sagen zu können. Selbst wenn die Werte so sind wie vor Beginn der Therapie, sagt das noch gar nichts aus über die kommende Wirkung.

Du merkst, dass ich versuche im Vorhinein abzusichern, falls die Befunde nicht so hübsch sind wie gewünscht. Ist nur eine Vorsichtsmaßnahme, um dich und mich zu beruhigen.

Das liegt auch daran, dass dein Bruder Glaube mir auch schon länger die kalte Schulter zeigt und ich mit ihm immer wieder hadere. Ich mein nicht den religiösen Cousin, sondern den Glauben daran, dass alles gut wird. Der könnte dein Zwilling sein, so sensibel wie er ist.

Genauso zart besaitet, leicht vergrämbar, fast schon zickig.

Aber was beschwer ich mich, bin ja genauso.

„Hochsensibel“ nennt man das in heutiger Zeit, wo man alle paar Jahre ein neues Adverb für etwas kreiert, was es schon immer gegeben hat.  Früher war man ein „Sensibelchen“, empfindlich, schüchtern, nicht belastbar. Heute ist man hochsensibel und kann alle ergänzenden Symptome googlen. Es klingt zugegebenermaßen auch viel cooler. Verglichen mit „überempfindlich“ ist hochsensibel einfach mehr sexy und vielleicht habe ich deshalb nichts dagegen, als hochsensibel bezeichnet zu werden. Immer noch besser als hysterisch, überempfindlich, zickig, überreizt oder – die Krönung – burn outig. Das einem die Welt fallweise zuviel wird, wenn man an allen Ecken und enden mit dem Dasein kämpft, betrifft nicht nur Hochsensible.

Also: lass uns sexy sein, aber nicht zu viel – sonst verlieren wir beiden den kostbaren Boden unter den Füßen.

Zum Glück hat mich aber eins deiner Geschwister nie ganz verlassen: Humor. Den brauch ich ganz, ganz dringend. Denn er ist der einzige, der es immer wieder schafft, mir eine Leiter in das Loch deiner Abwesenheit zu schieben. Daran zieht er mich kichernd hoch und erzählt mir am Weg ein paar deftige Zotten. Nicht immer jugendfrei, manche sehr derb, aber sie bewirken, dass ich Kraft bekomme und aus dem Loch herausfinde.

Oben angekommen sitzen wir dann beide erschöpft, aber kichernd und sagen „Ach, scheiß drauf – was soll´s, wenn nicht dies, dann halt das.“ und weiter geht´s. Galgenhumor nennt man ihn dann fallweise, diesen Bruder deiner einer. Er nimmt´s gelassen und grinst dazu.

Liebe Hoffnung, bitte lass dich von ihm ein wenig aufheitern und fasse Mut, deine toughe Schwester, an der Hand. Sie gibt uns beiden immer wieder viel Kraft.

LieberHerrCrohnBuch 300x225 - HoffnungIch freue mich jedenfalls dich nach langer, langer Zeit wieder mal zu sehen und danke dir herzlichst für dein Zurückkommen.

In aufrichtiger Freude,

Michaela

Briefe aus dem Leben mit CED

Angst

Lieber Herr Crohn,

Angst ist etwas sehr vielfältiges. Es gibt nicht nur „die Angst“, es gibt viele, viele verschiedene Ängste. Manche sind alt und von unseren Urururururururahnen als wichtiges Überlebensmittel vererbt. Andere haben wir uns in unserem Leben selbst herangezüchtet. Manche sind komplett irrational, hysterisch, unberechenbar und manche sehr persönlich, wie Höhenangst, Spinnenphobie und Zittern im Dunklen. Manche Ängste tauchen plötzlich, einmalig und völlig unvorhersehbar auf. Andere manifestieren sich in schweren körperlichen Panikattacken, die immer wieder und immer zum blödesten Zeitpunkt auftreten.

Einige Ängste sind gesellschaftlich anerkannt, andere verheimlicht man besser, niemand würde sie verstehen.

Und dann gibt es noch Ängste, die betreffen nur Mütter. Das sind Befürchtungen, die mit den eigenen Kindern zu tun haben. Auch Väter machen sich Sorgen um ihre Kinder, aber es gibt da eine ganz spezielle Angstsorte, die eben nur eine Mutter bekommt und die nicht kontrollierbar ist, die einem niemand nehmen kann und gegen die alle Argumente sinnlos sind.

Eine meiner Mutterängste taucht jedesmal auf, wenn eines meiner Kinder sich unwohl fühlt. Unwohl auf eine ganz spezielle Körperregion bezogen. „Mama ich hab Durchfall.“ und mit einem schrecklich stummen Geräusch stürzt sich die Panik auf mich, gräbt sich hinein und nimmt mir die Luft zum Atmen. Eine tiefsitzende, nicht ausrottbare Angst, die sich in meine Eingeweide gräbt und auch wenn ich weiß, dass ich nichts dagegen tun kann, dass es wahrscheinlich wie immer daran liegt, dass dieses Kind einfach nur etwas gegessen hat, was ihm nicht bekommen hat oder eine normale Magen-Darm-Grippe anklopft – ich habe Angst, dass du deine Klauen in Richtung meiner Kinder ausgestreckt hast. Und ich kann nichts dagegen tun.

Wie auch die anderen Male davor wird dieses kindliche Bauchweh sich nach 1-2 Tagen wieder auf normale Art und Weise beruhigt haben. Doch gegen die Angst einer Mutter, dass du dein hässliches Haupt in Richtung meiner Kinder drehst, kommt mein rationaler Verstand nicht an.

Ich kann nichts dagegen tun. Nur warten, dass es vorbei geht und mich damit beruhigen, dass im schlimmsten Fall des Falles eine Diagnose nicht so lange dauern wird, wie sie bei mir gedauert hat. Denn man weiß ja mittlerweile, dass du unter bösen Umständen vererbbar bist.

Der genetische Code, der eine der Ursachen deines Erscheinens ist, wandert manchmal von einer Mutter auf die Kinder weiter. Nicht immer trittst du dann auch auf. Es gibt viele Menschen, die deinen genetischen Stempel haben, aber ihr Leben lang keine Bekanntschaft mit dir machen.

Doch die Möglichkeit besteht und, verdammt, ich kann nichts dagegen tun.

Auch wenn ich das weiß und auch wenn mein Kopf weiß, dass es nie meine Schuld ist oder sein wird, egal was man vom Thema Erbsünde hält, ich kann nichts dafür, es ist einfach Pech … und ich weiß, dass das so ist, alle wissen es, auch meine Kinder kennen das Risiko.

Und doch fühle ich mich auf eine dumme, irrationale Art schuldig.

Wenn du dich auf meine Kinder stürzen solltest, irgendwann – und ich hoffe nur, dass das nie sein wird, ich bete darum -, dann weil ich ihnen den genetischen Code, deinen Türöffner weitervererbt habe.

Ich kann nichts dagegen tun, konnte es nie und wußte erst lange nach der Geburt meiner beiden Kinder, dass diese Möglichkeit besteht.

Niemand macht mir einen Vorwurf, sie am allerwenigsten, im Gegenteil: sie beruhigen mich, ahnen unbewusst, dass ich mich elend fühle bei dem Gedanken. „Mama, ich hab nur was Schlechtes gegessen, nicht aufgepasst, chill Mama, alles ist ok.“

Aber die Angst ist da.

Sollte mich wer fragen, was die schlimmste Befürchtung ist, die ich im Zusammenhang mit dir habe, wovor ich mich am meisten fürchte, dann sind das nicht mögliche Operationen, Komplikationen, Schmerzen, Schübe, Therapien und deren mögliche, verheerende Nebenwirkungen, gesellschaftliche Ausgrenzung und krankheitsbedingte Einsamkeit.

Es ist die Angst, dass meine Kinder mit dir krank werden.

Und ich kann nichts dagegen tun. Niemanden um Vergebung bitten, weil es nichts zu verzeihen gibt. Niemanden anklagen, weil niemand Schuld hat. Niemanden zur Rechenschaft ziehen, weil es einfach Pech ist und nicht berechenbar.

Ich weiß das alles, weiß das ich in Wahrheit schuldlos bin, doch das ändert nichts daran, dass die Mutter in mir sich elend und schuldig fühlt und in Gedanken, so dass man von außen nichts davon mitbekommt, händeringend um Gnade bittet, für meine Kinder.

Ohnmacht ist die schlimmste aller Angstfolgen. Nichts tun zu können, außer zu hoffen, dass die Statistiken lügen und dieser Kelch an ihnen vorüber geht. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht.

Doch die Angst kommt bei jedem Unwohlsein wieder und wird nie aufhören. Meine Kinder sind nun in den Zwanzigern, sie werden aber immer meine Kinder sein und ich werde mich immer für sie verantwortlich fühlen. Mütter sind so. Das ist normal und ok.

Wenn es nur um mich geht, dann kann ich mit den Ängsten, die mit dir kommen, umgehen. Egal was es ist. Es mag zwar anfangs schlimm sein und ich brauche manchmal länger um damit fertig zu werden. Aber wenn es nur um mich geht, dann schaffe ich das irgendwie.

Aber bitte, bitte lieber Herr Crohn, lass meine Kinder in Ruhe.

Hoffnungsvoll auf dein Einsehen hoffend,

Michaela

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