Schlagwort: Leben

Allgemein

„Wie ist es dir ergangen?“

Das Telefon läutet, ich hebe reflexartig ab und eine Stimme fragt: „Du bist schon wieder daheim? Wie ist es dir ergangen, wie war die Kur? Bist du froh wieder da zu sein? …

Ich schaue auf den Wäscheberg, den ich gerade versuche zu sortieren und überlege, ob mein Anrufer eine ehrliche Antwort erwartet. Aber der hat zum Glück keine Zeit für sowas und redet ohne Abwarten weiter. Ich gestehe, ich habe keine Ahnung wovon und nach ein paar Minuten murmel ich was von „Sorry, da kommt ein Anruf rein, auf den ich gewartet habe …“ – „Alles klar, man sieht sich, hört sich – bis später dann!Klack – und Ruhe kehrt wieder ein.

Mein schlechtes Gewissen über die Notlüge hält sich in Grenzen. Mehr noch: es sitzt in der Ecke und winkt nur müde ab, hat keine Lust aktiv zu werden.

„Wo bist du denn zur Zeit?“…

…fragt eine Freundin via Whats App und ich hab gute Lust zu antworten: „Keine Ahnung.
Rein geografisch bin ich zuhause, nach einer vierwöchigen Reha, nach insgesamt acht Sommerwochen, von denen ich sechs nicht daheim und in den beiden restlichen auch nicht richtig „anwesend“ war.
Daheim gelandet, nach insgesamt drei Monaten, die mir sehr viel abverlangt haben und in denen sich mein Leben – einmal mehr – von Grund auf geändert hat. Nur weiß ich noch nicht so ganz in welche Richtung.

Daheim, nach gut vier Jahren dauerkranksein mit kurzen, weniger kranken Unterbrechungen.

Daheim und am Überlegen, ob das nun der Beginn eines neuen Lebensabschnittes ist oder gleich ein neues Dasein wird.

Ich habe keine Ahnung.
Und das ist ganz ok so, jetzt im Moment.

Der Wäscheberg erinnert mich an die Gegenwart und auch, dass ich ursprünglich vorhatte, mein dreckiges Zeug noch in der Reha-Klinik zu waschen, damit ich dann eben nicht mit einem Wäscheberg starte.

Aber vor die Wahl gestellt, mein Zeug in der professionellen Waschküche einer Reinigung zuzuführen, oder eine Runde in den herrlich kühlen Wäldern, vor der traumhaften Bergkulisse, zu drehen, war mein alter Entschluss grau. Bei einem abschließenden Besuch in der Konditorei meines Vertrauens hab ich den hehren „Ich fahr mit sauberer Wäsche heim“-Gedanken dann unter einem Berg Eis und Schlagobers (Sahne) begraben. Der Wäsche ist es egal wo sie gewaschen wird, also kann es auch mir gleich sein.

Heute schaut dasGanze ein wenig anderes aus, aber von Reue keine Spur.

Septemberbeginn

…das bedeutet Herbstbeginn im Kalender, rundum färbt sich auch das Laub schon ein wenig, und die Schule hat begonnen. Nicht für mich, nicht für meine Kinder. Immerhin bleibt mir dieser Stress erspart.

Neumond war auch, genau einen Tag nach meiner Rückkehr und angeblich hat irgendwo auf der Welt auch die Sonne gefinstert, an diesem Tag – nicht bei uns, hier schien und scheint sie golden und gemütlich. Nicht zu heiß, nicht zu wenig, gerade richtig.

Eine gute Zeit für einen Neubeginn“, schreiben die AstrologInnen reihum, und erklären gleich lang und mit wohlgesetzten Worten, warum-wieso-weshalb JETZT der beste Zeitpunkt ist, sein Leben zu ändern.

Meines hat es von selber getan, da hab ich nur daneben stehen und zuschauen können.

Ich finde es immer toll, wenn man von solchen astrologisch begünstigten Lebensmaßnahmen liest und warum man sein Leben jetzt am besten verändern soll. Es erinnert mich an den alten, sehr weisen Spruch:

„Wer die Götter zum Lachen bringen will, der erzählt ihnen von seinen Plänen.“

John Lennon hat es mit mehr Style und ein wenig hippiesker gesagt:

„Life is what happens while your making plans.“

Der Jahreskreis steht auf Erntedank

…eine gute Zeit für einen Kassasturz, wie ich immer sage, schreibe, erkläre … pardon: wie ich immer gesagt, geschrieben und erklärt habe.

Nun stehe ich vor der völlig unwichtigen Frage, ob man im Herbst auch was Neues beginnen kann, während man gleichzeitig das alte bedankt und verabschiedet.

Unwichtig deshalb, weil es nur rein rhetorisch ist – das Neue beginnt und wie der Wäsche ist es ihm (oder ihr?) gleich, was ich für eine Meinung dazu habe.

„Du hast sicher schon einen Plan, wie immer.“, hat mir eine Bekannte aus früheren Zeiten geschrieben. Leider, nein, den hab ich nicht. Die letzten Pläne die ich hatte, waren die Tagestherapiepläne in der Reha und die hab ich nicht selbst erstellt, sondern täglich in die Hand gedrückt bekommen. Am Abend jeweils für den nächsten Tag.

Ja, aber da kann man doch gar nicht planen! Da weißt du ja heute nicht, ob du übermorgen Zeit hast für keine-Ahnung-was!
Ja und? In Wahrheit weiß man das auch mit einem Quartalsplan nicht. Siehe oben, der Götter-Spruch.

Heute zu wissen, was morgen – möglicherweise! – am Tagesplan steht hat mir vier Wochen lang genügt und ich habe dabei die Erfahrung gemacht, dass es sich immer so fügt, wie es gut ist und für mich passt.

Das kurzfristige Planen hat mich Vertrauen gelehrt. Vorsichtig und mit nach wie vor vorhandener Skepsis, aber dennoch ist da ein sanftes, zartes Vertrauen gewachsen.

Was hat sich für Sie verändert in den letzten Wochen?“ hat mich die Psychologin in der letzten Stunde gefragt. Viel und auch nichts und ich kann es kaum in Worte fassen und das ist schon mal was gänzlich Neues. Denn Worte fassen, Bilder entstehen lassen, Geschichten finden ist ja das, was ich gut kann.
Kann ich es noch? Und vor allem: Kann ich es auf diesen, meinen neuen Status bezogen?

Von den vier Wochen Reha habe ich gefühlt drei gebraucht, um meine Füße wieder auf den Boden zu bekommen, den es mir in den Wochen zuvor weggezogen hat. Fünf Wochen nach meiner großen Bauchoperation ist meine Mutter völlig überraschend innerhalb von nicht mal 10 Tagen an einer Hirnblutung verstorben. Eben noch mitten im Leben und auf einmal – Aus.
Und falls wer fragt: Ja, es tut noch immer verdammt hässlich weh.
Dem Bauch aber geht es gut nach der OP.

Das Gefühl, dass ein Leben endet, während für mich ein anderes beginnt, war teilweise so grausam schmerzhaft, dass es mir die Luft beim Atmen abgeschnürt hat.
Warum?“ ist eine idiotische Frage. Immer, denn eine hilfreiche Antwort bekommt man so gut wie nie.

Darum.“ ist der Standardspruch, den man als Mutter seinen Kindern serviert, wenn einem die ewige Fragerei nervt.
Mein „Darum“ hat mir das Leben selbst hingeworfen, wie einen Knochen, und ich mag nicht mehr darauf herumkauen, das bringt nichts.

Eines der Dinge, die ich in den letzten Jahren, im Kampf mit und gegen Herrn Crohn gelernt habe, ist die, dass To-Do-Listen nichts bringen. Ich habe gelernt, meine Tätigkeiten und Wünsche in Prioritätenlisten einzuteilen (siehe hier: Aus dem Bauch, vom Hirn aufs Blatt). Die Methode der Reha-Klinik, den Therapieplan immer nur einen Tag im voraus zu erstellen, ist da ähnlich und vielleicht übernehme ich das in meinen Alltag.

Damit bleibt mir genug Spielraum, in dem sich die unzähligen Hindernisse, Zufälle, Gegebenheiten und Chancen einen Platz finden können.

Nichts tun, einfach dasitzen und atmen, abwarten und dazu Tee trinken – oder ein Eis mit viel Schlagobers genießen. Das ist ein Punkt auf dieser Liste, vorerst. Die anderen werden sich finden, sobald mir im Nichts-Tun etwas begegnet, was sich lohnt eine Priorität zu bekommen.

Fixtermine sind vereinbart, aber wie immer mit einem „kann sich kurzfristig ändern“ Stempel versehen und ich habe mich daran gewöhnt, kein schlechtes Gewissen deswegen zu haben.

„Schreib auf, was du für heute vorhast und dann streich davon die Hälfte!“

Ich habe keine Ahnung, woher dieser Ratschlag auf einmal gekommen ist, er war plötzlich da, eines Morgens, beim Aufstehen. Ich befolge ihn und die Methode tut mir gut.

Alles andere, dieser „große Lebensplan“, die Sache mit den Zielen die man sich setzen soll, wird sich finden, wenn es soweit ist. Momentan suche ich den Boden, am liebsten barfüßig, den da spürt man ihn besser, intensiver, näher. Das gibt Sicherheit und tut gleichzeitig den Reflexzonen gut, was sich wieder auf den Rest des Körpers auswirkt.

Was ich hingegen schon habe, sind Wünsche. Vor allem weil ich gelernt habe, dass die beim Universum besser ankommen, als wenn man hehre Ziele proklamiert. Das Wünschen muss man zwar lernen und es ist wesentlich schwieriger, als man gemeinhin glaubt. Aber dafür ist ein gut formulierter Wunsch schon mal die halbe Erfüllung, den Rest besorgt die Vorsehung, oder was auch immer dafür zuständig ist.

Was für Wünsche das sind?
Sorry, aber die wachsen im Stillen und sind noch nicht bereit laut genannt zu werden. Man sagt ja auch, dass man den Wunsch, nachdem man ihn geäußert hat, vergessen soll, ihm ja nicht nachblicken oder gar immer wieder bekräftigen darf. Wünsche sind sensibel, die brauchen eine besondere Pflege, die haben einen ganz eigenen Spleen. Und vielleicht fühl ich mich ihnen gerade deshalb so verbunden, weil es mir ähnlich geht.

Ich bin wieder da.

Und langsam wachsen meine Wurzeln wieder in den heimatlichen Boden, finden Halt und geben mir die Kraft die ich brauche, damit ich mich in diesem neuen Dasein zurecht finde.

Mein Crohn-Blog ist aus dem sommerlichen Dornröschenschlaf erwacht (und auch mein Kraftplatz-Blog ist wieder aktiv). Das Buchmanuskript rund um die Briefe aus dem Leben mit Herrn Crohn & Co. liegt auf meinem Schreibtisch und bekommt den letzten Schliff und – HURRA! – ein Ende, ein gutes Ende! Darauf habe ich gewartet, ohne dass ich gewusst habe, was mir im Konzept noch fehlt.
Ich bin ein Hollywood-Film-Fan, ich brauche immer ein Happy End, wenn ich mir einen Film ansehen. Im echten Leben sind die Happy Endings ja nicht immer gegeben. Für mein Crohn-Buch aber habe ich mir ein solches Happy End gewünscht und eines gefunden, das dem am nächsten kommt.

Und damit hat sich schon mal einer meiner Wünsche (siehe oben) erfüllt 😉

Stay tuned – es geht weiter. Weil irgendwie gehts immer weiter.

FuckingGreatJob 1024x768 - „Wie ist es dir ergangen?“

 

FuckingGreatJob Acryl 150x150 - „Wie ist es dir ergangen?“You are doing a fucking great job!“ – die Zeichnung ist schon letztes Jahr entstanden. Einmal digital, am Zeichenbrett, und einmal Acryl auf Leinwand. Die Inspiration dazu kam von dieser Seite: Emily McDowell

Das Bild oben ist ein Aquarell, dass ich auf Reha gemalt habe: Licht am Ende des Tunnels.

Cartoons

Rückblick, Vorschau und Überhaupt

Uff.

Die letzen Wochen waren dicht – an Erlebnissen jeder Art, an Vorkommnissen drumrum und generell scheint 2016 ein sehr intensives Jahr zu sein, für viele. Für mich auf jeden Fall.

Nach einer großen OP, die mir einiges an Angst beschert, aber auch viel Übel genommen hat, geht es mir vorsichtig gesagt leicht stabil besser und das ist schon sehr viel. Ich wünsche mir jedenfalls, dass mein Herr Crohn diesen Einschnitt als Ausstiegskarte für einen laaangen Urlaub nutzt.

Kurz danach hat es mich dann anderes gebeutelt – das Leben schenkt einem fallweise wirklich nichts und wenn, dann nur Dinge, an denen man länger zu kauen hat. So mein Eindruck aktuell. Darum habe ich beschlossen, mir für die nächsten Wochen eine selbstbestimmte, erholsame und vor allem (hoffentlich!) friedliche Auszeit zu schenken. Warum, wieso, weshalb kann man auf meinem anderen Blog nachlesen: Rückzug in die Villa Sehnsucht.

Good News

Es war aber auch viel Schönes dabei, in den letzten Wochen. Zwei dieser Schönheiten will ich hier besonders vorstellen:

Artikel auf Volkskrankheiten.at & in Mediaplanet Austria

Diese Woche ist ein Artikel von mir auf volkskrankheiten.at erschienen. Ich war eingeladen einen kleinen Einblick in das Leben mit Morbus Crohn zu schreiben. Der Artikel (inklusive einiger Zeichnungen 😉 ) ist am 24.6.16 online gegangen und hier zu finden:

Klo-fixiert und kompliziert:
Morbus Crohn und die Nebenwirkungen

Ein sehr herzliches Danke an die Organisator*Innen und die Medien, die dem wichtigen Bereich Darmgesundheit und -erkrankungen einen schönen Rahmen und somit Beachtung schenken! Ich hoffe, dass mein Beitrag einen kleinen Teil zur Wahrnehmung beigetragen hat (und yes, please: der Artikel darf gern intensiv überall verbreitet werden 😉 )

Nachtrag: Kaum war der Artikel online, hat die Post mir die Belegexemplare der Mediaplanet-Beilage von „Der Standard“, vom 24.06.16, gebracht. Da ist die Kurzform meines Artikels im Rahmen der Kampagne „Innere Medizin & Gesundheitsvorsorge“ erschienen und ich freu mich sehr narrisch toll darüber 🙂
Wers verpasst hat: so schauts aus:

Der Lange Tag des Darms 2016

Ganz besonders freue ich mich auch über den Langen Tag des Darms, der am 11. Juni zum zweiten Mal stattfand. Ich durfte ein bisschen aus meinen Briefen vorlesen und einige meiner Zeichnungen wurden ausgestellt. Das war dann doch ein sehr berührender Moment für mich, als ich die Bilder so groß auf den Staffeleien gesehen habe. Die Rückmeldungen auf die Lesung waren durchwegs positiv und in vielen Fällen bestätigend. (und die Arbeit am Buch wird auch in den kommenden Wochen endlich wieder aufgenommen, versprochen!)

Besonders toll auch der neue Besucherrekord: Mehr als 2.000 Menschen nutzten die Chance, sich umfassende Infos rund um den Darm zu holen. Das ist sehr, sehr toll und ich gratuliere einerseits den Veranstaltern, dem Verein darmplus.at, und Vortragenden und andererseits allen, die sich für das wichtige Thema interessiert haben!

Meine ausgestellten Cartoons beim Langen Tag des Darms

Happy Summertime!

Ich wünsche abschließend allen meinen Leser*Innen einen erholsamen und vor allem ruhigen Sommer, mit viel Zeit und Raum für Muße, Genussstunden, Spaß und vor allem Gesundheit!

In den kommenden Wochen werden vielleicht noch ein paar kleinere Beiträge hier erscheinen. Aktiver geht es dann im Herbst weiter und ich hoffe, dass wir uns dann gesund und fröhlich wieder lesen! Stay tuned und passt auf auf euch 🙂

Cartoons, English Versions

In the Summertime …

Gestern hat der Sommer begonnen und – was Wunder! – der Dauerregen hat aufgehört. Es ist warm, richtig heiß und ich beginne an sowas wie „Sommerurlaub“ zu denken. Das ist mit dem Herrn Crohn im Gepäck immer eine besondere Herausforderung… wie man im Cartoon sehen kann.

Mal sehen, welch schöne WC-Anlagen ich diesen Sommer so kennenlerne. Und hoffentlich kann ich auch das Drumherum genießen. 😉

Yesterday summer has begun and – a true wonder! – the endless rain stopped. It is warm, nearly hot and I start to think about something like „summerholiday“. What is not easy, when having Mr. Crohn in your baggage … as you can see in the cartoon.

So I´m kind of curious about the nice toilettes I´m going to visit this year. And hopefully I can also enjoy the environment 😉

Allgemein

Hochsensibel? Vielleicht. Sicher aber ein Buchtipp.

Bin ich hochsensibel?

Ich gestehe: Ich habe ein Problem mit psychologischen Neuheiten. Vor noch nicht allzu langer Zeit wurden Kinder, die aufgeweckter als andere waren, viele Warum-Fragen stellten und sich nicht mit einem einfachen „Darum“ zufrieden stellen ließen, als ADHSler abgestempelt. Mit allen Konsequenzen. Noch früher hieß das Zappelphilipp oder man sprach davon, dass da ein Kind eben Hummeln im Hintern und Flausen im Kopf hatte.

Durch das, was man so gemeinhin „gesellschaftliche Entwicklung“ nennt, bekamen manche Kids dann noch andere Symptome aufgedrängt und eine Vermischung von dem, was behandelnswert wäre, und dem, was schlicht eine normale Entwicklung war, sorgte dafür, dass man eine bequeme Diagnose hatte, mit der man Kinder schubladisieren und Eltern, Lehrer, Aufsichtspersonen beruhigen bzw. abkanzeln konnte.

Die Grenzen waren schwammig und auch wenn Ritalin in Europa nicht so exzessiv verteilt wurde, hatten noch genug Familien mit dem Stigma bzw. der Auszeichnung zu kämpfen. Für manche war und ist es ein unstimmiges Urteil, für andere eine gute Ausrede und für weniger als vermutet eine richtige Diagnose.

Ein paar Jahre darauf gewann das Schlagwort „Asperger Autismus“ in der Diagnosenreihung an Ansehen und wenn man nicht plötzlich mindestens 5 Kinder im Umfeld hatte, die das als Ursache ihrer „gesellschaftlichen Auffälligkeiten“ im Lebenslauf stehen hatten, dann lebte man vermutlich auf einer abgeschiedenen Alm, als Eremit.

Ich möchte damit bitte ganz sicher nicht behaupten, dass es die beiden psychologischen Phänomene nicht gibt – im Gegenteil: ich bin sicher, dass die beiden Krankheitsbilder (darf man das so sagen?) tatsächlich existieren.
Aber es ist auch ein Fakt, dass man die beiden Begriffe gießkannenartig über all diejenigen geschüttet hat, die sich nicht in die üblichen Schubladen des Erziehungssystems pressen ließen (und lassen). Und die „üblichen Schubladen“ wurden in den letzten Jahren leider immer mehr auf ein stumpfes, bewegungsreduziertes, nicht-nachfragen-nur-akzeptieren-Niveau gedrückt.
Das ist meine sehr persönliche Meinung als Mutter, Tante und Mensch, die mit solchen Aussagen die eigene Schulzeit und die ihrer Kinder hindurch immer wieder zu Grundsatzdiskussionen aufgefordert wurde.

Ich habe aber auch noch die Aussage einer Betreuungslehrerin im Ohr, die man nach einigen nicht so prickelnden Vorfällen zwecks Supervision in die Volksschule holte: „Das ist ein ganz normales, liebes Kind und wenn`s wütend wird, ist das absolut nachvollziehbar. Das Problem liegt hier ganz woanders.

Und nun gibt es ein neues Schlagwort: Hochsensibel.

Du bist sicher auch hochsensibel, das erklärt alles – deine Erkrankung, deinen Umgang mit anderen, deine Lärm- und Nahrungsmittelempfindlichkeit, das du eben so bist, wie du bist …“

Geständnis Nr. 2: Bevor ich noch wirklich wusste, was das war, diese Hochsensibilität, war ich schon dagegen und fand das ganze unsympathisch.
Die nächste Schublade im Kästchendenken der Mitmenschen, ein weiterer Stempel, den man sich aufs Aug drücken lassen muss … oder will, je nachdem wie man dazu steht.

Ich habe eine recht lange Liste an Diagnosen, Morbus Crohn ist nur eine davon. Dazu kommen noch sog. Differential-Diagnosen. Das sind die, wo noch nicht ganz raus ist, ob sie auf mich zutreffen oder nicht, aber der begründete Verdacht besteht.

Hinzu kommt eine lange Liste an Allergien und Unverträglichkeiten, hauptsächlich was Medikamente betrifft. Meine Birken-Allergie hat sich in den letzten Jahren dafür immer mehr zurückgezogen. Ich vermute, die Dränglerei, wer nun grad dran ist mit Unannehmlichkeiten machen, war ihr zu viel.

Dann gibt es natürlich noch die psychologischen Hinweise, die sich mit dem Faktor Traurigkeit versus Depression beschäftigen und regelmäßig zu interessanten Diskussionen mit Psychologen und Psychotherapeuten führen. Ich bin ja der (überholten?) Meinung, dass man ein gewisses Recht auf Traurigkeit und Trauer hat, wenn einem das Leben unterm Arsch wegbröckelt. Und das man eben so seine Zeit braucht, damit man damit fertig wird. Sein Leben zu verlieren, während man noch lebt, ist ja schon eine der eher mühsamen Erfahrungen um Dasein. Sich dann ein neues aufzubauen, mit auf den Rücken gebundenen Händen (um das mal poetisch zu umschreiben), im Wissen das es jederzeit wieder den Bach runter gehen kann … also das sorgt in Summe dann doch für fallweise unfreudige Tage.

Meine Meinung, dass einem da Glückspillen weniger helfen, als eine 100er Packung Taschentücher und ein Freund, eine Freundin, die zum Hand halten und mitheulen bereit sind, wird leider nicht von allen psychologisch-therapeutisch-medizinisch Tätigen geteilt. Von der sich immer schneller drehenden Gesellschaft als ganzes fallweise noch weniger.

In Amerika soll sich die zugestandene Trauerzeit nach einem Todesfall im nahen, persönlichen Umfeld, auf ca. drei Wochen beschränken. Alles was darüber hinaus geht, wird als behandelnswerte Depression gesehen und mit ein paar Pillen wegtherapiert.

Ich bin ein Dinosaurier, was solche gesellschaftlichen Direktiven betrifft, und finde das schlichtweg vertrottelt. Ein Jahr war die Trauerzeit in früheren Tagen, nicht mehr und nicht weniger. Unter dem tu ichs bittschön auch nicht.

Das mag Hobby- und Berufspsychologen nun genussvoll schmatzen lassen, aber – Obacht liebe Leut! – zieht euch warm an, denn es kommt noch intensiver:

  • Ich war als Kind sehr schüchtern und auch wenn mir das keiner (mehr) glaubt: ich bin es noch. Ich verstecke es nur sehr gut und kaschiere es mit dem, was allgemein unter Selbstbewusstsein und „scheiß drauf“ bezeichnet wird.
  • Außerdem bin ich olfaktorisch leicht aus der Fassung zu bringen – starke Gerüche hauen mich sprichwörtlich um.
  • Ich hasse Lärm und das kann auch schon zu laute oder die „falsche“ Musik sein.
  • Ich hasse kratzende Pullis und scheuernde Etiketten am Hals – aber wer liebt die schon?
  • Menschenansammlungen sind mir ein Gräuel, speziell wenn es dann noch laut ist und die Luft zum Schneiden.
  • Einkaufstempel und Supermärkte sind für mich eine moderne Form der Folter, aber Genuss-Shoppen in kleinen Geschäften liebe ich.
  • Ich habe ein Faible für Ordnung, aber leider nicht die umfassende Begabung dafür. Will heißen: Ich habs schon gern hübsch, aufgeräumt, klar und sauber. Aber mein innerer Chaot ist meist mit dem Aufrechterhalten des Zustands überfordert, speziell wenn mehrere Menschen im Spiel sind, die so ihre eigene Form von Chaos mitbringen.
  • Ich bin tageweise extrem empfindlich, spüre die Emotionen anderer als wären es meine eigenen, reagiere manchmal aufbrausend, wenn mir alles zuviel wird, oder ziehe mich in ein dornrösiges Schneckenhaus zurück.
  • Social Media sind für mich Fluch und Segen zugleich. Gut, weil ich so auch aus horizontaler Krankenlage mit anderen in Kontakt treten kann und einen (wenn auch verzerrten) Blick in die Welt behalte. Schlecht, weil die Infoflut mein Hirn überschwemmt und mir bei den Bildern und Nachrichten, die da unreflektiert gepostet werden, in 70% der Fälle die Grausbirnen aufsteigen (ostösterr. Ausdruck für „das Grauen bekommen“).
  • Ich arbeite gern in einer ruhigen Umgebung, speziell wenn ich schreibe oder zeichne und wenn man mich dann öfter stört oder sich Störfaktoren einschleichen, reagiere ich mitunter sehr gnatschig und werde leicht unrund.

Bin ich also doch hochsensibel? 

Oder nur ein normaler Mensch, der mit der Welt und dem Dasein fallweise seine Zugangsprobleme hat?
Wenn es nach den Meinungen mancher Mitmenschen geht, die mit Schubladen schnell zur Hand sind, dann gehöre ich zu den sog. HSPs – Highly Sensitive Persons, also zu den Hochsensiblen Persönlichkeiten.

Meine Aversion wuchs jedenfalls in dem Ausmaß, als ich den unsensiblen Stempel als ultimative Erklärung für alles präsentiert bekam.

Dann kam Sabine.

Und ihre supertollen Bassets Wilma und Frieda (die sind ja sooo süß!!!)

Sabine Dinkel ist Coach und lebt in Deutschland, im hohen Norden. Kennengelernt hab ich sie via Twitter und später dann haben wir uns auch auf Facebook ausgetauscht. Wir kennen uns nur virtuell, aber sie ist einer der wenigen Menschen, bei denen das funktioniert und wo ich mir sagen traue, dass eine echte Freundschaft entstanden ist.

Sabine bekennt sich dazu hochsensibel zu sein und hilft anderen, denen es ähnlich geht. Aus ihrem Arbeitsdasein als Coach und Beraterin heraus hat sie nun in Zusammenarbeit mit dem Informations- und Forschungsverbund Hochsensibilität e. V. (hochsensibel.org) ein Buch herausgebracht: Hochsensibel durch den Tag.

Mach doch mal einen Test, sprich das doch mal bei deinen Ärzten an, les dich doch mal ein …“ usw. usf. bekam ich von Gutmeinenden immer wieder, immer häufiger gesagt und geschrieben. Insofern kam Sabines Buch gerade zum richtigen Zeitpunkt.
Ich habs heute mit den Geständnissen, darum gleich noch eines: Ich war sehr skeptisch. Lebensratgeber-geschüttelt und -gebeutelt stand mir der Sinn absolut nicht nach einem weiteren „So sollst du leben und nicht anders“-Buch. Darum habe ich via Leseprobe und auf ihrer Website erst ausgiebig ins Buch hineingeschaut, bevor ich es mir bestellt habe.

Angesprochen hat mich – neben dem sehr klaren und angenehmen Layout – der Satz: Raus aus der Reiz-Überflutung.
Holla die Waldfee – das klingt ja gleich ganz anders als „du bist hochsensibel und musst dich eben an diese oder jene Regel halten“.

Mein Fazit von „Hochsensibel durch den Tag“

Es ist egal ob man es ist oder nicht: das Buch hat viele hilfreiche Tipps für alle, die mit der einen oder anderen Alltagssituation fallweise überfordert sind.

Sehr angenehm ist der vorgeschlagene Ansatz, die Tipps und Infos als Buffet zu sehen, von dem man sich das nimmt, was einem aktuell hilfreich erscheint.
Damit das gut geht, sind die Tipps nach Situationen geordnet. Vom ganz normalen Alltag, über das Arbeiten im Home-Office oder am Arbeitsplatz. Partnerschaft und Netzwerken werden ebenso angesprochen wie – superfein! – der Besuch beim Arzt und die damit verbundenen Aufregungen.

Die Texte sind gut gegliedert, mit persönlichen Geschichten oder Erlebnissen vermenschlicht und es gibt immer eine Tippsammlung für Notfälle.

Der Test.

Und es gibt natürlich auch einen Test, wo man auf die Schnelle reinschnuppern kann, ob man sich nun zu den sog. HSPlern zählen soll-darf-muss-kann oder eher nicht.

Gekoppelt mit dem Hinweis, dass das kein Diagnose-Sheet ist, sondern nur eine erste Hilfestellung.

Wer nun darauf wartet, dass ich hier mein Testergebnis rausposaune: Sorry, es gibt Intimitäten die gehen nur me, myself and I an. Allenfalls vielleicht noch den Herrn Crohn, aber dem ist das herzlich wurscht (egal).

Mein Lieblingskapitel …

… ist übrigens „Schöne Dinge tun und Energie tanken“. Da hab ich einiges gefunden, was ich mal ausprobieren will und werde.

Fein fand ich auch die Hinweise auf andere Bücher, Websites und Infos im Netz, da kann man sich dann zielgerichtet weitere Tipps und Erklärungen holen. Unter anderem habe ich so herausgefunden, dass ich chronotypologisch ein „Leichter Frühtyp“ bin – das bedeutet, dass ich eigentlich zu den Lerchen zähle (Hah! In your face ihr quietschfidelen Early-Bird-Menschen!), auch wenn ich daseinstechnisch am frühen Morgen nicht zu denen gehöre, die frohgemut und munter auf der Suche nach dem frühen Wurm herumhoppsen. Sondern alle frohgemuten Hoppser mit Blicken und wenns sein muss auch verbal erstummen lasse. Aufstehen ist ok. Aber Gespräche bitte erst nach 10 Uhr. Der Morgen ist heilig, schreckhaft und sehr sensibel. Ich kann ihn verstehn, mir gehts genauso.

Buchtipp & Kaufempfehlung

Ich mag das Buch und hab es bei denen stehen, die ich immer wieder zwischendurch in die Hand nehme, was soviel bedeutet wie: es gehört nun zu meiner Liste an Nachschlagwerken, die ich auch gerne anderen in die Hand drücke, wenn mir Erklärungen rund um meine Spleens und Special Effects zu mühsam sind.

Ich denke, es ist ein gutes Buch für alle, egal ob man sich als hochsensibel empfindet oder nicht. Es kann einem helfen Klarheit darüber zu finden, aber mehr hilft es einem, einen mitunter anstrengenden Alltag in kleine, bekömmliche Happen zu teilen, damit einem der Tag am Abend nicht auf den Magen schlägt.

Speziell wenn man ohnehin schon eine diagnostische Liste an Besonderheiten angesammelt hat und ein klein wenig mehr Unterstützung im Dasein sucht, finden sich in den Tipps zahlreiche Hilfen, mit denen man sich die Umwelt besser gestalten kann.

Bin ich nun hochsensibel?

Möglicherweise.
Aber vielleicht ist nur das Leben und die Umwelt ein wenig zu unsensibel und ich eben ein verschrobener Dinosaurier der alten Zeit, mit einer Vielzahl an Spleens und Empfindlichkeiten, die sich sowohl in Zickereien und Grant äußern können, als auch im kompletten Verstummen und Rückzug.

Hochsensibel ist dann die Kurzbezeichnung, für mich und andere.

Hochsensibel durch den Tag

Sabine Dinkel
Verlag Humbold
ISBN 978-3-86910-514-7
19,99 € (D)

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Leseprobe und Verlag: Hochsensibel durch den Tag – Humboldt
Website & Blog von Sabine Dinkel: www.sabinedinkel.de
(da gibts übrigens einen wirklich sehr toll-feinen Newsletter, die Weekly Wilma – sehr empfehlenswert!)

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Briefe aus dem Leben mit CED, Cartoons

Bucket-Liste vorm Cut off

Lieber Colon Ascendens, 

oder willst du lieber aufsteigender Dickdarm genannt werden? oder Dickie? oder ganz anders?

Wir kennen uns zwar schon fast 49 Jahre, aber ehrlich gesagt so richtig wahrgenommen habe ich dich erst seit der liebe Herr Crohn in meinem Leben eine aktive Rolle spielt. Was traurig ist, denn an sich bist du ein feiner Kerl, der mir viel abnimmt, viel verdauen muss und eine richtige Scheißarbeit hat – um es mal deftig auszudrücken. 
Und dann kommt da so ein grauer Mistkerl daher und spielt quer, macht dir den Arbeitsalltag mies, legt dir Steine in Form von Entzündungen in den Weg und versaut deinen Arbeitsbereich. Dennoch hast du über die Jahre tapfer gekämpft, hast mich auch in schweren Zeiten nicht im Stich gelassen und in diesem Krieg, den wir gemeinsam durchstehen, so manche Narbe davon getragen. 

Nun aber wird ein neues Kapitel aufgeschlagen und ich bin traurig, sehr traurig.
Wir haben eine Schlacht verloren, du und ich, und das Ergebnis davon: Ich muss mich von einem Teil von dir verabschieden. 

Herr Crohn hat sich zwar durch den geballten Einsatz von Medikamenten und meinem Willen (gestärkt durch den meiner wunderbaren Ärztinnen und Ärzte) aus weiten Teilen meiner selbst zurückgezogen und ist in Teilremission, also auf Urlaub. Aber gerade in deinem Revier, lieber Colon Ascendens, hat er sich guerilliamäßig verbarrikadiert und weigert sich standhaft das Terrain frei zu geben. 

Blöderweise hat er über die Jahre auch eine Barrikade errichtet, eine sog. Stenose – eine Engstelle. Narbig ist die, hässlich blutrot, entzündet und mit zahlreichen Polypen geschmückt. Mag sein, dass es ein faszinierendes Verteidigungsbollwerk ist. Aber sowas will man nicht in seinem Darm haben, das macht nur Probleme. Einmal hat er es fast schon geschafft den Durchgang komplett zu verschließen. Das waren ein paar sehr unangenehme Tage und mir tut noch heute alles weh, wenn ich daran denke, wie das damals geschmerzt hat.

Das alleine ist schon ein Grund um über drastische Maßnahmen nachzudenken. Doch auch die möglichen Spätfolgen sind wenig wonnig. Die hilfreichen, heftigen Medikamente, mein noch nicht biblisches Alter, die Dauer dieses Schubes und die blöden Statistiken, wo auf die erhöhte Krebsrate bei Crohn-PatientInnen mit so einer Konstellation hingewiesen wird, sind in Summe eine Angst machende Minusrechnung, bei der ich nur verlieren kann. Und ein Dauerschlachtfeld in dieser Form ist für den Rest von mir eine ständige Herausforderung, die das Leben mühsam gestaltet.

Verdammt. Nun tropft mir doch tatsächlich Salzwasser auf meine neue Tastatur. Hoffentlich ist die wasserfest, sonst wird sie bei mir nicht alt. Immerhin wird der Brief an dich nicht durchweicht. Bis zum Bildschirm hinauf kommen meine Tränen nicht.

Lieber kleiner Dickie, wir haben es mehr als redlich versucht. Aber nun ist es soweit und die Scheidung wird in ein paar Tagen vollzogen. Noch ist nicht ganz raus wieviel Terrain ich dauerhaft abtreten muss. Das wird sich erst bei der operativen Verhandlung zeigen. Meine tapfere Anwältin ist eine herzhaft gute Chirurgin. Ihr zur Seite meine wunderbare Gastroenterologin und ein ganzes Team, das sich um die Vorbereitung, Nachsorge und Währenddesssen-Unterstützung kümmern wird.
Ich weiß, ich bin in guten Händen und ich weiß, alles wird gut gehen. Ich vertraue „meinem“ Team und die Strategie der Chirurgin, den Eingriff so minimal-invasiv wie möglich halten zu wollen, um jeden Millimeter zu kämpfen, weiß ich sehr zu schätzen. 

Aber traurig bin ich dennoch. Ich wäre gern noch ein paar Jahre mit dir durch die Gegend gezogen. Da gibt es noch so viel, was ich dir und mir zeigen wollte. Nun bleiben uns nur noch ein paar gemeinsame Tage. Wie verabschiedet man sich von einem Teil seiner selbst? Gibt es da bewährte Strategien?
Und wohin geht dieser Teil dann? Was passiert mit dem, was einem die Chirurgen entfernen? Wird das entsorgt, verbrannt oder beerdigt? Und muss ich dann am jüngsten Tag wie die zerstückelten christlichen Heiligen auf diversen Deponien nach meinen Körperteilen suchen? Oder zählt das große Ganze?

Ich habe noch keine Antworten auf meine Fragen gefunden. Also wieder einmal zur Selbsthilfe gegriffen, um zumindest den Teil mit dem Abschied-Zelebrieren zu organisieren. Ich habe eine Liste aufgestellt, mit den Dingen, die ich noch unbedingt machen und mit dir erleben will. Eine Darm-OP-Bucketlist sozusagen. Und wie es in der Natur der Sache liegt, sind da die meisten Dinge eher kulinarisch inspiriert. Das ist nun mal etwas, was wir gemeinsam teilen können – ich genieße das Essen und du hast dann (hoffentlich) im Abgang auch was davon. Zwar sind das Dinge, die sich rein ernährungstechnisch nicht unbedingt als leichte Vollkost darstellen. Aber scheiß drauf – Wortspiel! – ich werde uns deine letzten Tage nicht mit Reissschleim und Apfelmus vergällen. 

Statt dessen gibt es Sushi bis zum Abwinken, Steak mit dreierlei Soßen und deftigen Wedges, Pizza mit besonders krossem Rand, Eisgenuss im Sonnenschein, einen zünftigen Heurigenbesuch, Popcorn zu einem trashigen Movie und dazwischen Schoki, Chips und Süßes, wonach uns gerade der Sinn steht. 

Natürlich nicht alles auf einmal, das halten weder du noch ich durch. Alles im gemäßigten Rahmen und in entsprechend sinnvoller Menge. Es soll sich ja auch nach dem oralem Genuss noch gut anfühlen.

Außerdem will ich noch ein paar besonders schöne Plätze mit dir in mir besuchen – nein, keine superstylischen Toiletten, sondern draußen in der Natur sein. Unter einem Baum sitzen und dem Hundemädel beim Rumtoben zuschauen. Auf den Berg hinauf und von oben herab alle Probleme im Tal ganz klein sehen. Mit einer Freundin lachen bis der Bauch weh tut und dann tiefphilosophische Themen auf leichtem Niveau wälzen. Shoppen und der Wirtschaft durch Konsum aktiv unter die Arme greifen. Ein paar Briefe schreiben und ein bisschen Ordnung schaffen, damit das erwartete Chaos danach eine freie Bühne hat. Den Garten beim Aufblühen erleben. Den Kirschbaum Blütenschnee regnen sehen.

Ich weiß, dass kann und werde ich auch danach irgendwann wieder machen können. Alles, auch das Essen, da bin ich mir sicher.
Aber es wird etwas entschieden anders sein – du bist nicht mehr da

Ich hatte früher den vielleicht spleenigen, aber sicher nicht unrealistischen Drang, mein Dasein so komplett wie möglich zu durchleben – körperlich gesehen. Ich wollte mit allem, was ich von Natur aus mitbekommen habe, den Weg von Geburt bis Endlagerung abschreiten. 
Abzüglich dessen, was man im Lauf des Lebens auf normalem Weg so verliert (Haare, Fingernägel, Zähne, Pickel …). 

Nun hadere ich mit mir, weil mein Plan nicht gelingt, schon gescheitert ist, auch vor deinem erzwungenen Abschied. Da gab es schon ein paar kleinere Operationen, bei denen mir das eine oder andere nottechnisch entfernt wurde. Aber es waren Kleinigkeiten, hauptsächlich nach Unfällen und im Fall meines Kreuzbandes, dass einer Skipiste zum Opfer fiel, wurde das Manko mit körpereigenen Ersatzteilen wieder ausgeglichen. 

Bei dir ist das etwas anderes. Du gehst und kannst durch nichts ersetzt werden. 

Man kann heute Nieren transplantieren, Herzen und sogar die Leber austauschen, Blut ersetzen und Hautteile neu einsetzen. Aber Darm und Gehirn sind einzigartig und unersetzbar. 
Was spannend ist, denn man braucht beide gleichermaßen zum Leben, ohne gehts nicht (obwohl beim Gehirn manche auf die Nutzung verzichten und dennoch überleben, aber das ist was anderes.). Wir wissen ja heute auch, das Bauch und Kopf miteinander kommunizieren, das Bauchhirn sogar größer als das im Oberstübchen ist. (Und wenn dann ein Teil vom Darmhirn fehlt? Wie geht der Rest damit um? Übernimmt der die Denk- und Fühlaufgaben? Braucht es dafür eine Schulung? Denk und fühl ich dann anders?)

Fazit: Bauch und Kopf sind zum Überleben notwendig und wenn es in den Bereichen zu einschneidenden Veränderungen kommt, dann wirds mitunter haarig. 

Ich weiß natürlich, dass ich nicht die erste und einzige bin und sein werde, der man Teile des Darms entfernt. Manche mussten sich schon vom ganzen Dickdarm verabschieden, andere von Teilen des Dünndarms und nicht mal so wenige haben Baustellen in beiden Bereichen und noch ein paar mehr. Man kann auch mit Teilen dieses wunderbaren Bauchmotors noch (über)leben, wenngleich mit Einschränkungen. Und ich weiß ja: 70% aller CrohnpatientInnen haben im Lauf ihres Lebens eine Operation am Darm. 

Insofern ist es bei mir Jammern auf hohem Niveau. Dennoch: du bist mir wichtig und für mich ist es die erste derartige Operation, weshalb ich entsprechend emotional und fallweise auch sehr ängstlich werde.
Meine nostalgische Vorstellung, dereinst in weit entfernter Zeit, körperlich komplett in die Grube zu hüpfen, muss ich nun auch endgültig sausen lassen. 

Als ich das einem lieben Freund vorjammerte meinte der nur lakonisch: „Die Würmer haben auch so genug zu futtern, musst sie ja nicht fetter als notwendig machen.“ Das hat mich dann flott geerdet und meine romantischen Illusionen haben sich in Feenstaub aufgelöst, weil: wo er recht hat, hat er recht. 

Was trotzdem nichts an meiner Angst vor der kommenden Scheidung ändert und auch die Trauer um den mir bevorstehenden Verlust wenig mindert. Nostalgische Spleens sind das eine, brutale Realität das andere. Ich werde vor der OP einschlafen in der Hoffnung, dass man dir und mir nur einen kleinen Teil nimmt, im Idealfall nur die Stenose. Was mich nach dem Aufwachen erwartet, weiß ich nicht. Im schlimmsten Fall bist du ganz weg und ich um ein Viertel meines Dickdarms ärmer, eventuell erweitert durch ein Stoma, einen künstlichen Darmausgang. Auch damit kann man gut leben, ich weiß. Man überlebt viel, wenn es sein muss, und man gewöhnt sich an noch mehr. Aber Wunschtraum ist es definitiv keiner.

Man sagt, die gesamte Darmoberfläche ist so groß wie ein Fußballfeld. Wie spielt man darauf weiter, wenn einem ein Eck abhanden kommt? Ich habe ja ohnehin schon weniger Leute im Feld als andere, wenn ich meine Darmbakterien als Spieler auf diesem Platz betrachte. 

„Angst essen Seele auf“, habe ich mal wo gelesen und weiß: das stimmt. Es macht uns die verblieben Tage also nicht unbedingt besser, wenn ich mich von solchen Gedanken zermürben lasse – da schwimmt mir ja das Sushi davon und das Steak sucht sich eine andere Weide. Abgesehen davon schmeckt Angst sauer und tranig, macht Magendrücken und liegt speziell in der Nacht schwer wie ein Wackerstein im Bauch.

Also Schluss mit dem trauerphilosophischen Gedankenspiel, lass uns noch mal ordentlich auf den Putz hauen! Denn immerhin wissen wir beide wenigstens exakt den Tag, ab wann das dann für einen (Teil) von uns nie wieder und für die andere länger nicht möglich sein wird. 

Wir haben vielleicht diese Schlacht verloren und zumindest ein Teil von dir muss auf sein, per Geburt erhaltenes, Platzrecht verzichten. Aber der Krieg ist noch nicht zu Ende. Wir haben tapfer gekämpft, nun lass uns das feiern und wertschätzen. Das ist die beste Strategie für  kommende Bauchkampf- und -krampfzeiten.

Let´s Party und Mahlzeit, lass es dir schmecken,

deine 

Michaela

 

Cartoons

Klausurtagung

Es gibt so Sitzungen, da hat der Kopf länger Pause und dann passiert es mitunter, dass sich der auf schräge Gedanken einlässt. Wie hier, wo sich (Lebens)Erfahrungen aus Beruf und Alltag zu einer surrealen Vision versammelt haben. Oder anders gesagt: „Shit happens.“ Nicht immer nur im übertragenen Sinn.

Diese Zeichnung ist übrigens während der #30-Skizzen-Challenge-November 2015 von Angelika Bungert-Stüttgen entstanden. Eine tolle Sache, denn Angelika gibt pfundiges und sehr fundiertes Feedback auf Augenhöhe – ich nenn es Zeichen-Lektorat und habe mir aus der Arbeit mit ihr sehr viel mitgenommen (Danke liebe Angelika! Bist ein Schatz 🙂 ). 

Sehr empfehlenswert für alle, die sich selbst mal mit dem zeichnerischen Darstellen ihrer Gedanken beschäftigen wollen!

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Totenhemd-Blogaktion – Mein Beitrag: Die Sache mit der Amöbe

Im wunderbaren Totenhemd-Blog gibt es eine neue Blogaktion (Auferstehung? Was kommt nach dem Tod?), bei der ich wieder mitmache. Beim letzten Mal war ich mit meinem KultKraftPlatz-Blog dabei und das war mein Thema: Wie kann ich mein Schwert (und anderes) ins Jenseits mitnehmen?

Diesmal geht es um die Auferstehung bzw. das Leben nach dem Tod. Also ob es das gibt und wie man sich das vorstellt und überhaupt. Kaum habe ich von der Aktion erfahren, musste ich an eine alte Vision von mir denken: Die Sache mit der Amöbe.

Meine Geschichte „Warum die Sache mit der Amöbe fallweise doch überlegenswert wäre“ könnt ihr direkt im Totenhemd-Blog, lesen. Da findet ihr auch die anderen Beiträge zu diesem Thema.

Wer sich nun fragt, was das mit diesem Blog und Morbus Crohn zu tun hat: Eigentlich nichts und dann doch wieder eine Menge. Denn man hat fallweise ein bisschen viel Zeit zum Nachdenken und Grübeln, wenn der Herr Crohn einen mal wieder zu Stubenarrest verdonnert. Da kommen dann eben auch seltsame Gedanken und wer eine chronische, nicht heilbare Erkrankung als „Herausfoderung*“ im Leben zugeteilt bekommen  hat, der grübelt eben auch irgendwann mal über das nach, was einem im Leben danach so erwarten könnte.
Was vielleicht morbid ist, aber meiner Meinung nach durchaus normal und menschlich. Der Tod gehört zum Leben dazu und ist das einzige, was mit (tödlicher) Sicherheit jedem passieren wird. Irgendwann.

Gedanken rund ums Sterben macht man sich meist dann, wenn es einem sehr schlecht geht, man miese Zeiten hinter sich hat und die Stimmung am Tiefpunkt ist – aus vielerlei Gründen. Chronisch Kranke haben vielleicht öfter solche Phasen, was logisch ist, denn Schmerzen und Schwäche zermürben auf Dauer. Die Kunst besteht dann meiner Meinung nach darin, dass man diese Gedanken zwar zulässt, aber ihnen nicht die Führung überlässt. Denn die gehen dann vielleicht auf Wege, wo man nicht mehr so schnell umkehren kann.
Mir hilft es, wenn ich ihnen mittels Schreiben oder Zeichnen Raum verschaffe. Dann sind sie nicht mehr in mir drin, ich kann sie logisch und empathisch betrachten und sie haben eine Bühne auf der sie sich in einem klar begrenzten Rahmen bewegen können. Win-Win nennt man das.

Darum nehme ich diesmal mit meinem Crohn-Blog bei der Totenhemd-Blogaktion teil. Weil man sich auch in besseren Zeiten durchaus mal mit solchen Gedanken auseinandersetzen kann, wie zum Beispiel mit dieser Auferstehungssache und wie das nacher dann so sein könnte. Und weil die Gedanken, die dann da kommen, mitunter recht vergnüglich sind. Auf eine zugegeben sehr schräge Art und Weise 😉 … aber lest selbst.

 

* Wir haben ja keine Probleme, wie wir gelernt haben. Sind alles Herausforderungen, die uns helfen sollen. Bei den meisten findet man allerdings nie raus, wobei einem die helfen sollten. Aber das ist eine andere Geschichte.

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„Was bringt den Doktor um sein Brot?“ & die Heilwirkung des Götzzitats

„Was bringt den Doktor um sein Brot?
A. die Gesundheit
B. der Tod

Drum hält der Arzt, auf das er lebe
uns zwischen beiden in der Schwebe.“

Eugen Roth

Der Spruch hing im Wartezimmer meines ersten Hausarztes, zu dem ich als Kind ging. Ich genoss somit nicht nur früh einen sehr realen Einblick in medizinische Selbsterkenntnis, sondern bekam auch gleich eine lebensnahe Philosophie-Lektion im Volksschulter.
Es hat mir nicht geschadet. Im Gegenteil.

Der gleiche Arzt meint auch, ein Kind müsse „3 Kilo Dreck im Jahr fressen“ damit es immun gegen Krankheiten und Lebenswidrigkeiten werde. Danke lieber Herr. Doktor, ich hab´s sicher auf mindestens 5 Kilo gebracht und zumindest die Kindheit war (vielleicht dadurch) eine relativ gesunde, unbeschwerte.

Vielleicht hätte ich auf 6 Kilogramm aufstocken sollen und diese Diät auch ins Erwachsenenalter mitnehmen solle. Denn lt. mancher Studien ist gerade die heutzutage so exzessiv betriebene klinische Sauberkeit und der Nichtkontakt mit „Dreck“ einer der Gründe, warum Morbus Crohn immer aktiver wird – dem Immunsystem ist schlichtweg fad, es hat nichts zu tun und greift mal eben den Darm an.

Aber wie bei so vielen Studien gibt es auch hier die üblichen Nichtübereinstimmungen: bei mir ist es definitiv nicht klinisch sauber. Dem Crohn ist das herzlich egal, er kommt und geht, egal ob geputzt wird oder nicht.

Der gleiche Medizinmann riet meiner Mutter übrigens auch, zukünftige Magengeschwüre mittels Götzzitat* im Keim gleich zu ersticken: „… aber das muss wirklich aus ganz tief innen kommen! Von der Zehe herauf, bis zur Haarwurzel und dann dem anderen so richtig reinsagen. Dann sind´s den Dreck für immer los und es belastet Sie nicht im Magen.

Das belastet mitunter dafür zwar manche Beziehung und könnte im Kommunikationsbereich unter Umständen ein wenig zu Probleme führen. Es verhinderte bei ihr aber bis heute erfolgreich Magenprobleme.

Ein sehr weiser, der Wahrheit und Menschenkenntnis tief verbundener Mann, der Herr Medizinalrat. Solche Ratschläge sind heute eher selten. Schade irgendwie.

*Mit dem besagtem Götzzitat ist nicht „Wo viel Licht ist, ist viel Schatten“ gemeint (das dem Götz der Goethe ins  Maul geschrieben hat), sondern das andere, das auch als „schwäbischer Gruß“ bekannt ist.

English Versions

Video Langversion: Leben mit Morbus Crohn (english subtitles)

2015 war ich eingeladen beim Forum Alpbach über das Leben mit der Erkrankung Morbus Crohn zu sprechen. Wie lange es bis zur Diagnose gedauert hat, wie sich das anfühlt, mit welchen Problemen – medizinischer, sozialer und bürokratischer Natur – man da zu kämpfen hat.
Da nicht persönlich anwesend sein konnte, wurde statt dessen ein Video gedreht. Als virtuelle Grußbotschaft für die TeilnehmerInnen des Forums und als (m)ein Beitrag zur Diskussion.

Diese Version ist die ca. 20Min. Langversion und beinhaltet auch englische Untertitel. Die (3minütige) Kurzfassung ist hier zu sehen.

Living with Crohn´s Desease

I´m living with the diagnosis of Crohn´s Desease since 2005 and had lots of ups and downs with this uncureable, cronic illness.
2015 I´ve been invited to talk at the Forum Alpbach, but was not able to come. Instead this video was made, as a greeting to the members and one basis for discussion.

This is the long version, including english subtitles.

VideoLangversion - Video Langversion: Leben mit Morbus Crohn (english subtitles)
Einfach auf das Bild klicken, das Video geht dann direkt in YouTube auf. Du kannst auch diesen Link benutzen: https://youtu.be/diQMnBlLBEM

 

Herzlichen Dank an pr-video.at für das wunderbar einfühlsame Umsetzen der Vorgaben bei der Erstellung dieses Videos!

Allgemein

Video Kurzversion: Leben mit Morbus Crohn

2015 war ich eingeladen beim Forum Alpbach über meine Erkrankung Morbus Crohn zu sprechen. Da ich zu diesem Zeitpunkt leider verhindert war, wurde statt dessen ein Video gedreht. Als virtuelle Grußbotschaft für die TeilnehmerInnen des Forums und als (m)ein Beitrag zur Diskussion.

Diese Version ist die ca. 3-minütige Kurzfassung.

VideoKurzversion - Video Kurzversion: Leben mit Morbus Crohn
Einfach auf das Bild klicken, das Video geht dann direkt in YouTube auf. Du kannst auch diesen Link benutzen: https://youtu.be/cweJ7oOsbP0

 

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