Neben dem lieben Herrn Crohn habe ich noch ein paar andere Sidekicks in meinem Leben, auf die ich herzlich gerne verzichten könnte. Eine davon ist der alte Schwede, eine weitere Madame Migraine – das unselige, verhasste Kopfgewitter. Für Betroffene eine teuflische Plage. Für Nicht-Betroffene ein Befindlichkeitsstörung, die man augenrollend oder seufzend akzeptiert, aber nicht wirklich nachvollziehen kann.
Mein migränischer Sidekick hat sich in den letzten Jahren zu einer echten Plage hoch gearbeitet, die mein Leben mittlerweile dermaßen blockiert und einschränkt, dass ich 50% meiner Zeit damit beschäftigt bin, mich von den anderen 50%, die von brutalen Kopfschmerzattacken gekennzeichnet sind, zu erholen. Das macht keinen Spaß und damit ist auch das Geheimnis gelüftet, warum es im Blog zur Zeit so ruhig war. Mit Kopfdröhnen, Übelkeit und tagelangen Ganzkörperschmerzen wird das normale Überleben schon zu einer übermenschlichen Aufgabe.
Einmal mehr aber habe ich festgestellt, dass es mir hilft, wenn ich meinen Gedanken und Gefühlen schreibend oder zeichnend Luft machen kann. Zwischen den Anfällen sind dann immer wieder ein paar Textzeilen entstanden und auch die Zeichnungen waren irgendwann einfach da.
Da Migräne zudem eine Erkrankung ist, die ich mit viel zu vielen anderen „teile“, dachte ich mir, dass es vielleicht hilfreich ist, wenn ich meine Erkenntnisse und Emotionen hier weitergebe. Frei im Sinne von: Auch wenns verdammt brutal weh tut und das Leben zu einer Herausforderung ohne Gleichen macht – du bist nicht allein damit, es gibt viele, denen es genauso geht. Das mag im Anfall vielleicht nicht helfen, aber kann zwischendurch mitunter Mut machen und Mut brauchen wir in Zeiten wie diesen ganz besonders.
Da meine Gedanken rund um Madame Migraine beim Schreiben immer mehr wurden, habe ich mich entschlossen den Beitrag in kleine Häppchen zu unterteilen. Es sind nun vier Teile geworden, denen noch ein fünfter in Form eines kleinen persönlichen Updates folgen wird. Die ersten vier Teile gehen geblockt online. Du kannst also direkt weiterlesen beim nächsten Teil.
Ein roter Faden zieht sich nicht durch und einmal mehr ist ein Text entstanden, der kein Konzept kannte. Es ist wie eine Erzählung, wo ich von einem Punkt zum anderen springe – wenn auch die Punkte einen gemeinsamen Nenner haben.
Beginnen möchte ich mit einer wichtigen Feststellung:
Migräne ist kein Lercherlschas.
Für alle, denen der österreichische Dialekt und seine Wortspielereien nicht so geläufig sind: Ein Lercherlschas ist übersetzt die Flatulenz – also der Darmwind – einer Lerche.
Ein Lerchenpups, sozusagen.
Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung ob Vögel unter Blähungen leiden bzw. flatulieren. Ich weiß nur, dass Vögel keine Kontrolle über ihren Schließmuskel haben. Auch Tauben nicht, was vermutlich einige, die unter besonders treffsicheren Absonderungen zu leiden haben, verwundern wird. Aber es ist für den Inhalt dieses Beitrags auch nicht von allzu großer Wichtigkeit, denn es geht um etwas ganz anderes.
Die Phrase „Das is ka Lercherlschas“ [Dieses/Jenes ist kein Lerchenpups] wird im Osten Österreichs primär dann verwendet, wenn man ausdrücken will, das etwas absolut nicht simple, angenehm oder leicht zu handeln ist. Sondern das krasse Gegenteil davon.
Die Lerche ist ein zartes Vögelein, das sich, wie schon Shakespeare wusste, frühmorgens in die Lüfte schwingt, um seine Trillertöne zu posaunen. Möglich, dass das liebe Vögelchen im Zuge seiner morgendlichen Gesangseinlage auch seine Darmwinde auf die Reise schickt, so ganz nebenbei. Was gut zu der Phrase passt, denn es dürfte nicht wirklich ins Gewicht fallen. Weder was die Treibhausemissionen betrifft, noch die Luftgüte oder die darmspezifische Anstrengung.
Also: Sofern die Lerche windet, ist das dermaßen unspektakulär, dass man es auch ignorieren kann und deshalb tut. Was in keinster Weise auf Migräne zutrifft, womit wir beim Thema wären.
Wenn man mit Nichtbetroffenen über das grausame Kopfgewitter spricht, erntet man im besten Fall Bedauern oder aufmunternde Worte. Wirklich verstehen können es meiner Meinung nach nur jene, die selbst darunter leiden. Hat man als Außenstehende/r schon mal einen Migräneanfall miterlebt, hat man vielleicht eine Ahnung, was da abgeht und das es nichts ist, das man gerne auf sich nimmt.
Witze, bei denen es um Migräne geht, wurden von denen erfunden, die null Ahnung haben und meinten, dass es sich um billiges Pointenmaterial handelt. Ich hoffe, die Hölle hat einen besonderen Raum für diese Scherzkekse. Mögen sie im nächsten Leben mit chronischer Migräne geboren werden.
Doch im Folgenden soll es nicht darum gehen, was irgendwelche Flachpfeifen als Scherzgrundlage mißbrauchen, sondern was für 10% der Weltbevölkerung zum Alltag gehört: Migräne, das unselige Kopfgewitter, das mitunter über Tage quält und die Zeit davor und danach massiv beeinflusst.
Was haben Curie, Beethoven, Freud, Einstein und ich gemeinsam?
Uns verbindet eine gemeinsam Superkraft, auf die alle herzlich mit Sicherheit gern verzichten möchten: Migräne.
Ich würde sie ja eher miese Trutsche und Schlimmeres nennen. Aber frei nach dem Motto „Ich hab´ sie gern. Weil wenn ich sie nicht gern habe, hab´ ich sie auch“ bezeichne ich die migränische K…bratze seit kurzem als Superkraft (und warum genau, erfährst du in Teil 4 dieser Serie). Wobei ich am „gerne haben“ noch arbeite und nicht glaube, in diesem Leben damit fertig zu werden.
Madame Migraine kommt gern dann, wenn man sie rein gar nicht braucht. Speziell zu Zeiten, wo man sich auf Erholung gefreut hat. Und sie ist nicht immer weg, wenn sie weg ist. Dieser Tage saß ich mal wieder mit einem Migräne-Kater am Tisch und würgte an einer Semmel, damit mein migräneverkatertes Gehirn wieder genug Energie hat, um sich von einem mehrtägigen Anfall zu erholen. Diesen Migräne-Kater nennt man medizinisch „Postdrom“ und es gibt auch eine vorauseilende Schwester namens Prodrom. Die spürt man meist weniger intensiv. Sie flüstert eher leise das sich eine neues SuperheldInnen-Abenteuer anbahnt. Theoretisch könnte man da versuchen gegenzusteuern. Sofern man erkennt, dass man a. ein Prodrom hat und b. weiß, was man aktiv tun kann, damit sich daraus kein neuer Science-Fiction-Superhero-Horror-Movie entwickelt, indem man ungewollt die Hauptrolle spielt.
Meine Semmel war übrigens glutenfrei. Per Zufall bin ich vor kurzem darauf gekommen, dass ich Gluten nicht (mehr) vertrage. Ich habe aber keine Zöliakie, sondern eine sog. „Nicht-Zöliakie-bedingte-Glutensensitivität“ (NCGS, Non-Celiac Gluten Sensitivity).
Bis vor einiger Zeit waren Dinkel und seine Urgetreidegeschwister noch ok. Dann hatte ich immer öfter massive Sodbrand-Attacken, die Migräneanfällen nahmen auch zu, der Magen und alles tat weh oder fühlte sich hmpf-ig an. Irgendwann, nach einer kurzen glutenfreien Zeit im Zuge eines Krankenhausaufenthalts, plumpste die Erkenntnis, dass es da einen Zusammenhang geben könnten:
„Gluten und ich – wir sind keine Freunde mehr?!!
Ich wurde carb-technisch defriended??!
Wann ist das denn passiert???“
Man kann das medizinisch kaum bis gar nicht feststellen. Ausser mittels Blindaustestung, wo man glutenfrei isst und Tabletten bekommt, wo entweder ein Placebo oder Gluten drin ist. Anhand der Symptome kann man dann sagen, ob Gluten der pöze Pursche ist oder eben nicht. Oder es ganz klassisch ausprobieren, mittels Trial and Error.
Das habe ich getan und das Ergebnis war klar wie nur was: Ohne Gluten kein Sodbrennen, weniger Magen-Darm Beschwerden, weniger andere Schmerzen und – HURRA – auch tendenziell weniger Kopfdröhnen.
Glücklich hat mich das nicht gemacht, denn es ist eine große Komplikation mehr in meinem ohnehin crohnisch eingeschränkten Nahrungsplan. Laktose, Eier, Knoblauch, Paprika, Salatgurken, usw. … und nun auch noch kein Gluten. Versuch mal damit auswärts essen zu gehen.
Es ist erzmühsam. Aber es ist es wert und darum halt ich daran fest.
Denn jeder potentielle Trigger, der ausgeschaltet wird, ist ein Tropfen weniger um Stress zu vermindern, der mein sensibles Migränehirn zum Durchdrehen bringt. Darum beiße ich die Zähne zusammen oder schlage sie in ein glutenfreies Brötchen.
Wer glaubt, dass ich mit dieser heroischen Tat den bad Boy in meinem Superheldendrama ausgeknockt habe, den muss ich leider enttäuschen. Es ist nur ein kleiner Teil von vielen die mir helfen mein hochsensibles Köpfchen fit und stabil zu halten. Doch selbst wenn ich alle Trigger, von denen ich weiß, dass sie mir nicht gut tun, aus meinem Leben entferne (sofern das möglich wäre), werde ich den Superheldenstatus nimmer los, solang ich lebe. Denn die Ursache für Migräne liegt woanders.
Woher kommt das Biest?
Höret zu und merket auf: Die Ursache von Migräne ist – MIGRÄNE.
Nicht das Essen, nicht die Verspannungen, nicht der Fluch aus einem früheren Leben, nicht das Wetter oder die Mondphasen über der Arktis. Wer eine neurologisch diagnostizierte Migräne hat, der hat die, weil dem Körperchen vom Schicksal ein Migränegehirn eingesetzt wurde. Man kommt damit auf die Welt und wie bei vielen Dingen sind auch hier die Gene beteiligt. Und damit nicht genug, ist auch noch jedes Migränegehirn anders. Manche sind extrem empfindlich, andere glühen nur bei bestimmten Anlässen.
So ein Migränegehirn ist an sich sehr toll – nur eben nicht für diese Welt oder dieses Leben gedacht. MigränikerInnen haben auf Grund ihres Wunderköpfchens eine sog. Reiz- bzw. Informationsverarbeitungsstörung.
Ich erkläre das gerne anhand dieses Beispiels:
Wenn man Besuch (=Reiz) bekommt, läutet der bei jedem Normalkopf erstmal am Gartentor an. Dann wird man ihn vielleicht abweisen oder einlassen und er geht weiter durch den Vorgarten. Dann gibt es einen neuerlichen Halt an der Haustür, wo eine weitere Entscheidung fällt: Weiter reinlassen oder verabschieden?. Bei einem ok steht der Besuch kurz darauf im Vorzimmer und dort wird wieder weiter entschieden ob er weiter kommen darf oder nicht.
Ist der Besuch nett, hilfreich, wichtig oder gut, darf er vielleicht ins Wohnzimmer und man beginnt einen gemütlichen Plausch. Irgendwann geht es an die Verabschiedung und der Besuch wird wieder hinausgeleitet. Im besten Fall bleibt eine angenehme Erinnerung, im schlimmsten Fall muss man gründlich lüften, ehe man das ganze ad acta legt und sanft vergisst.
Bei einem Migränekopf steht der Besuch unangemeldet, laut um sich brüllend sofort im Wohnzimmer (frühmorgens oder dann, wenn es gerade richtig ungünstig ist) und lässt sich nur mit intensiver Gewaltanstrengung vor die Tür geleiten. Während man diesen unangenehmen Besuch zur Tür hinaustritt, trampelt schon der nächste ungebetene Gast durch die Geranien. Mitunter geben sich mehrere gemeinsam ein Ständchen, gründen eine Boyband oder lassen eine Party steigen, bei der das Blech nur so wegfliegt. Geil, wenn man da Gast sein darf. Sch…ße, wenn man alle ungefragt beherbergen muss und vielleicht noch nicht mal gemütlich am Klo war.
Diese Reize bzw. deren Verursacher, die ich mit dem Synonym „Besuch“ belegt habe, machen das (meist und normalerweise) nicht absichtlich. Die Sonne steht nicht rein aus Bosheit genau da, wo sie mir voll in die Augen knallt. Der Zug rattert nicht mir zu Fleiß laut scheppernd durch den Bahnhof und der fettig-ranzige Mief aus der Frittenbude … ok, also der belastet auch andere massiv, oder? In Summe sind es normale Begegnungen und Erlebnisse, die zum Leben dazu gehören und die man kaum vermeiden kann. Es ist auch nicht immer so, dass man das als unerträgliche Qual oder Stress empfindet. Es gibt durchaus Zeiten, da stört das überhaupt nicht. Aber es kann schnell zu einem „zu viel“ werden, wo man die innere Tür nicht mehr zu bekommt und das Haus aus allen Fugen quillt.
Die zwei Seiten einer ungeliebten Superkraft
Der Vorteil eines Migränegehirns:
Man bekommt immens viel mit, vor allem Kleinigkeiten, was auch hilfreich sein kann. Man ist immer in der Aufmerksamkeit und permanent beschäftigt, die eintreffenden Reize in gut und böse zu sortieren, damit man die guten weiter beachten und die bösen meiden kann, auch die Merkfähigkeit ist enorm.
Der große Nachteil eines Migränegehirns:
Man bekommt auch die allerunnötigsten Kleinigkeiten mit, in einer unmöglich zu verarbeitenden Menge, was regelmäßig überfordert und dann wird eine Lawine daraus, auf der die Trigger Walzer tanzen. Man ist permanent im Empfangsmodus, was irre stresst und die Systeme im andauernden Flucht-Kampf-Modus hält. Das kostet viel physische und psychische Kraft. Irgendwann ist die zu Ende und das Gewitter geht los.
Das Leben leidgeprüfter Migräne-VeteranInnen schaut demnach so aus, dass man andauernd beschäftigt ist den geistigen Besuch in „Gut, darf bleiben“ und „Alter,geht´s noch? Substrahier dich aus meinen Ganglien!“ einzuteilen. Das ist anstrengend und klappt nicht immer. Außer man kann sich im Fall der beginnenden Überforderung in eine ruhige Umgebung zurückziehen oder entscheidet sich bewusst nur dann zum Kontakt mit „Außen“, wenn man sich stabil genug dafür fühlt. So ein Cocooning ist in unserer Welt aber leider kaum machbar. Womit man dauerhaft damit beschäftigt ist, seine Trigger zu finden, sie vorweg auszuschalten und den Raum rund um das besondere Köpfchen möglichst reizfrei zu halten.
Weiterlesen bei Teil 2: Trigger, Vielfalt, Mediks und die unesoterische Vorwarnung
Alle Teile der Migräne Serie: