Briefe aus dem Leben mit CED

Öhm, … noch wer da?

Hallo …?

Räusper … hm … also, ich weiß nicht, wie ich beginnen soll.
Bin etwas eingerostet, innerlich und äußerlich.
Was, mangels Regen, nicht an der Luftfeuchtigkeit liegt, sondern an einer sehr, sehr langen Pause. Einer immens langen Pause, in internetten Blog/Social Media-Zeiten.

Der letzte Beitrag kam Mitte November 2021. Nun haben wir die Iden des März 2022 – also den 15.03. und das sind somit … ach, rechne das mal ein anderer aus, mein Kopf mag noch keine Zahlen jonglieren.

Jedenfalls isses megalange her, dass ich ein Lebenszeichen via Blogbeitrag ausgeschickt habe und es ist viel passiert in dieser Zeit. Andererseits auch wieder nicht so viel, verglichen mit dem, was in diesem wundervollen Habitat geschieht, das man Planet Erde nennt und auf der eine Spezies namens Mensch gerade ihre Spezien-Pubertät auslebt. Was bei manchen Exemplaren dieser Spezies zu sehr verrückten Zügen führt, was wiederum andere Exemplare dieser Spezies in arge Not, Angst und Bedrängnis bringt und in Folge dann zu anderen Verrücktheiten motiviert.
Aus Notwehr oder aus Berechnung, je nachdem.
Womit eine grausige Kettenreaktion an Ereignissen entsteht, die dafür sorgt, dass sich die Mehrheit dieser Spezies täglich beim Wachwerden fragt, ob die Welt noch steht und ob man es wagen kann, die Augen zu öffnen.

Also ich frag mich das zumindest aktuell tagtäglich. Und nicht immer hab ich das Gefühl, dass es gut war, dem Morgen ins Gesicht zu blicken. Speziell dann, wenn der zweite Blick Richtung Nachrichten geht. Was ich mittlerweile großteils vermeide, womit der zweite Blick in den Tag deutlich an Qualität gewonnen hat.

Wenn es mir gelingt die Katastrophen der menschlichen Spezies aus meinem Gesichtsfeld auszublenden, ist es eigentlich ganz ok. Also mir geht´s eigentlich ganz ok. Womit sich ein egozentrisches, fragiles, aber nichts desto trotz auch wieder sehr schönes, weil heiles, individuelles Weltbild ergibt. Meistens.

Ok, nicht meistens. Aber immerhin doch recht oft und das ist an sich schön.

Eigentlich.

Weil: Darf ich sagen, dass es mir … gut geht? 
Oder darf man das nicht mehr, weil es so vielen schlecht und schlechter geht?

Darf ich mich zart, still und leise darüber freuen, dass meine Kraft zart, still und leise wieder am Wachsen ist? Und die unliebsamen WeggefährtInnen meinereiner, die ich im Lauf eines (in den letzten Jahren ziemlich kranken) Lebens aufgegabelt habe, gerade eine chillige Pause einlegen bzw. relativ friedlich geworden sind?

Darf es mir gut gehen, wenn die Welt täglich aufs Neue droht zu zerbrechen?

Darf ich sagen, dass es mir gut geht, obwohl ich dennoch krank bin und es bis an mein Leben sein werde, weil die obigen, unliebsamen WeggefährtInnen fiese Kackbratzen sind und sich so fix-fest eingenistet haben, dass man sie als chrohnisch und unheilbar tituliert?

Geht es mir überhaupt objektiv gesehen gut, so lange ich Medikamente nehme … nehmen muss? Weil es ohne nicht lang gut geht und ich trotz geht-gut auch hin und wieder Schmerzhämmerchen* brauche? Und weil es mir nur deshalb gut und besser geht, weil ich mit Therapien und TherapeutInnen und diversen Lebensfreude-Motivationen tagtäglich darum kämpfe, dass es mir grundsätzlich gut geht?
Auch an Tagen, wo es mir nicht gut geht? Weil die gibts ja auch noch zur Genüge und auch darum weiß ich nicht ob ich mit Fug und Recht sagen kann, dass es mir gut geht, wenn es mir doch nicht immer gut geht?

Ist es denn dann überhaupt ein Gut-Gehen, wenn es nicht von selbst gut ist oder gut geworden ist?

Und darf man heute überhaupt noch mit solchen Dingen die Aufmerksamkeit seiner Mitmenschen in Anspruch nehmen, darüber schreiben, sich dazu äußern? Weil es ja wahrlich genug anderes gibt, was furchtbarer ist und dessentwegen mehr Aufmerksamkeit braucht?

Interessiert es noch jemand? Weil an der Phrase „Und, wie geht´s dir so?“ kann man das ja nicht aufhängen und ich bin sehr froh, dass man darauf keine ehrliche Antwort geben muss, keine ehrliche Antwort erwartet wird, denn ich wüsste nicht, was ich ehrlich darauf sagen soll.

Außer, dass es mir heute besser geht als noch vor ein paar Monaten. Und vielleicht gehts mir in ein paar Wochen noch besser, wenn mir nicht das Schicksal der Menschheit in mein Leben hineinkrätscht oder sich mein Karma hinterrücks zu irgendwas Konspirativem entschieden hat, was meiner wackeligen Lebensplanung einen Strich durch die Rechnung machen könnte.

Jedenfalls:

Ich lebe noch und die meiste Zeit bin ich heute glücklicher darüber, als noch vor nicht allzu langer Zeit, wo mich Madame Migraine die Hälfte der Tage mit ihrer Anwesenheit gequält hat und dem Wort „Todessehnsucht“ eine gewisse Schönheit verliehen hat.
Wer schon mal Migräne hatte, wird verstehen, warum das so ist. Wer Migräne nicht kennt, kann hier reinlesen. Vielleicht kommt das sowas wie Verständnis auf.

Ich habe mich nach meiner geplanten Doppel-Op im November genussvoll in die Ruhe und Stille plumpsen lassen. Sehr unelegant und mit einem grunzenden, leicht röhrenden Seufzer aus tiefster Kehle – um es metaphorisch auszudrücken. Meine Chirurgen hatten mir 4 Wochen Ruhe verordnet, dann war Weihnachten und dann … war keine Ausrede mehr da nix zu tun, außer das durch das vorherige Nixtun keine Kraft mehr da war, um etwas tun zu wollen oder können. Als ob jemand den Stecker gezogen oder auf Reset gedrückt hätte und damit all das, was ich über den Sommer an Konditiönchen** aufgebaut habe, gelöscht hat. Ich würde gerne „fies gelöscht“ sagen, aber das wäre eine Wortwiederholung und ich will meine ehemaligen DeutschlehrerInnen nicht aufwecken. Aber es war fies.

Denn das Fiese daran ist, dass es unvermeidlich war. Ich hatte 2021 drei Operationen, eine im März und eine Doppel-OP im November, mit insgesamt zwei Vollnarkosen. Ich bin keine 27 mehr, sondern 54 und da sind solche Abenteuer am Op-Tisch eine ziemliche Strapaze, vor allem wenn das zugehörige Körperchen schon einiges an Erlebnissen in der Vita stehen hat. Meine gesammelten 54 Jahre standen nach Weihnachten vor mir und haben die Rechnung präsentiert – KO.

Müde, ausgelaugt, keine Kraft mehr für irgendwas.
Keine Motivation für was auch immer.
Keine Lust auf alles.

Ich würde mich bei der mentalen Müdigkeit nun gern auf den putinösen Kolchosen-Mafiosi ausreden, der gerade die Welt in Atem hält. Aber der hat damals noch im Geheimen seine bösen Pläne geschmiedet und wir waren alle mit dem großen C und seinen pandämlichen Folgen beschäftigt. Immerhin kann ich einen Teil meiner inneren, lahmen Lust- und Freudlosigkeit diesem blöden Ding ins Portfolio schieben – Danke Corona, für nichts! Hast mich zwar nicht infiziert, aber dank deinereiner sind wir alle traumatisiert und mental matschmüde.

Tja …

So sah es aus und darum war hier Ruhe im Talon.
Als ich bei einer hausärztlichen Kontrolle mal zart auf meine Matschmüdigkeit hinwies und wissen wollte, ob es dafür vielleicht einen medizinischen Grund gäbe oder zumindest einen guten Rat, der mir den Weg zu einer Leiter aus diesem Loch weisen könnte, erhielt ich den nonchalanten Tipp, dass ich dazu einfach nur rausgehen müsste, an die frische Luft, am besten täglich.

Unser Hundemädchen, das täglich mehrmals erfolgreich dazu auffordert genau das zu tun, freuen solche Hinweise. Sie hofft dann auf eine Verdopplung ihrer Spazierzeit. Denn ich ging und gehe jeden Tag mit ihr raus, tagtäglich, in der frischen Luft, bei wirklich jedem Wetter. Egal ob ich fit bin oder mich münchhausentechnisch am Schopf selbst durch die Landschaft hinter ihr herziehe.

Die tagtäglichen Hunderunden im matschmüden Zustand haben aber weder die Laune noch die Matschmüdigkeit selbst zu beheben vermocht. Ehrlich gesagt kam ich mir bei dem sicher gut gemeinten Rat meines Arztes sehr verar***t vor. Was ich so nicht gesagt, sondern lediglich nett umschrieben habe mit „Mach ich schon, hab Hund und Garten, muss also raus, ob ich will oder nicht. Was kann ich noch tun?
Aber mehr an Rat kam nicht.

Und das tat weh.
Irgendwie.
Es schmerzte tief im Inneren, wo ich sowas wie Hoffnung auf Unterstützung von klassischer Seite gehegt habe. Um zu erkennen, dass man mit kleinen Problemen in Zeiten, wo die Welt größere hat und Menschen mit Problemen immer mehr werden, irgendwie alleine ist, wenn man sich den eigenen kleinen Problemen stellen will.

Und dann kam die Wut, was vielleicht nicht nett, aber hilfreich war. Wut auf alles und jeden, weil mir alles und jeder iwie … na ja, du weißt schon, es gibt so Momente, da könnte man …
Aber man tut´s nicht und weiß auch, dass man nichts tun wird. Aber man denkt, man könnte, wenn man wirklich wollte.

Meine Wut hat mir den Ar***tritt verpasst, der mich aus dem Münchhausigen-Schopf-Schlurf-Sumpf gekickt hat und der Flug endete, dem Glück sei Dank, auf einem Pfad, der mich zu dem brachte, was mir gefehlt hatte.

Soll bitte keiner mehr was über die Vorsehung schimpfen, Madame Zufall hat´s noch drauf und kann, wenn sie will!

Bei mir waren es meine lahmen Latschen, die mich auf den richtigen Weg gebracht haben, der mich aus diesem matschmüden Tief herausgeholt hat. Meine beiden Hallux taten weh, ich ging zum Orthopäden und lernte dort die Mehrzahl von Hallux (Hallucis) und eine nette Therapeutin kennen und erfuhr zum anderen, dass man hierorts sog. Vitalinfusionen anbot, die für meinen Zustand maßgeschneidert waren.

Manchmal kann die Lösung so einfach und nah sein. Durch die OPs, die lange Ruhe/Rekonvaleszenz in den dunklen Wintermonaten, die langen, oftmaligen Migräneanfälle und meinen crohnisch geschädigten Darm habe ich mir einen Vitamin- und Nährstoffmangel eingehandelt, der mich in Kombi mit dem chronischen Schmerz unserer verrückten Welt körperlich und mental ko geschrumpft hat. 10 Infusionen, von denen ich die Hälfe schon intus habe, und eine Physiotherapie, die mich liebevoll und streng auf Schiene schubste, haben mich zumindest soweit wieder hergestellt, dass ich das Gefühl habe, in Bälde kleine Bäume ausreißen zu können. Was ich nicht tun würde, weil ich liebe Bäume. Aber ich könnte, wenn ich wollte, und das ist ein schönes Gefühl.

Und nun ist Mitte März und ich dachte, ich melde mich mal mit einem Blogbeitrag.
Und dann waren da diese Gedanken, siehe oben.
Und tja, ich hab keine Entschuldigung für die lange Pause.
Vor allem weil ich denke, dass man sich für das, was das Leben einem ungefragt schenkt und zumutet, nicht entschuldigen kann oder muss.

Aber leid tut es mir dennoch, denn: Ich habe euch vermisst, liebe LeserInnen, liebe BlogabonnentInnen, liebe Alle, die hier dann und wann reinschauen. Ich habe mich sehr über die Mails gefreut, die in den letzten Wochen dann und wann eingetroffen sind, und über die kurzen Nachrichten via Instagram, Facebook & Co. Und über die vielen schönen Rückmeldungen zu meinem Buch „Shitstorm im Darm„, die direkt oder über andere an mich gekommen sind. Und über ein paar Anfragen und Kooperationen, die in dieser Zeit eingetrudelt sind.

All das waren und sind wunderbare Sternchen, die einen in matschmüder Dunkelheit Mut machen und Freude. Das ist mindestens so aktivierend wie die erfrischenden Vitalinfusionen und die Hunderunden mit der Wuff-Mamsell und ihren (fallweise anstrengenden) Frühlingsgefühlen.

Also:

Ich trau mich jetzt es zu verkünden, egal ob es gut ist oder nicht: Es geht mir meistens gut und gerade täglich besser. Ich bin wieder da und vielleicht kommen nun wieder öfter Beiträge, denn zu berichten gäbe es einiges und es kommt euch einiges, was vielleicht berichtenswert ist.

Ich freu mich, wenn ihr hier wieder mitlesen wollt und hoffe ansonsten, dass es euch auch zumindest gut und im besten Fall täglich besser und grundsätzlich wunderbar geht.

Das wünsche ich euch, allerherzlichst!

P.S.:

Für eine Zeichnung, einen neuen Cartoon, hat es diesmal noch nicht gereicht.
Aber beim nächsten Mal, hoffentlich 🙂

*Schmerzhämmerchen ist kein Rechtschreibfehler. Es ist meine Kreation für die Medikamente, die dem Schmerz bei seinem liederlichen Auftreten eins überbraten, damit er sich flugs zurückzieht. Zum erfolgreichen Überbraten ist ein Hammer ein ganz formidables Werkzeug. Darum hämmern meine Schmerzhemmer mit Umlaut-A.

**Konditiönchen: Sowas ähnliches wie Kondition, nur in klein und gerade soweit ausreichend, dass man glaubt, man würde bald eine richtige Kondition haben, in stabil und kraftvoll. 

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Podcast-Interview: Bauch trifft Kopf!

In meiner kleinen Migräne-Serie habe ich im vierten Teil eine kleine Ankündigung gemacht, dass es demnächst was auf die Ohren gibt. Auf meinem Instagram-Account hab ich es ein wenig deutlicher angeteasert. Und nun posaun ich es laut hinaus und darf verkündigen:

Ich war bei der lieben Dr. Nadine Webering zu Gast, wurde für ihren tollen Podcast interviewt und das kann man ab heute im Netz hören!

Dr. Nadine Webering ist Neurologin und Ayurveda-Ärztin. Sie leitet ein Online-Unternehmen, ist Herausgeberin eines Magazins, Buchautorin, Business-Coach und Speakerin zu verschiedenen gesundheitlichen Themen. Sie bietet unter anderem Ayurveda-Beratungen an, wobei der Schwerpunkt ihrer Arbeit in der Begleitung von Menschen mit Migräne liegt.

Nadine hat auch einen Podcast, wo sie wöchentlich über Themen aus ihrem Tätigkeitsgebiet spricht oder Interviews mit anderen spannenden Menschen veröffentlicht. Wir sind uns zufällig auf Instagram „über den Weg“ gelaufen. Ein paar Mails später kam spontan die Einladung zum Podcast-Gespräch. Ich hab mich sowas von gefreut und noch mehr, als wir uns dann via Zoom fast-live begegnet sind. Wir haben vorweg über alles mögliche gesprochen und hätten vermutlich noch Stunden weiterplaudern können. In der Podcast-Folge selbst geht es u.a. darum, wie der „lieben Herrn Crohn“ entstand, warum Humor die wichtigste Zutat im Leben ist, wie ich mich an den Haaren aus dem Frust-Sumpf ziehe und auch mein Buch „Shitstorm im Darm“ war am Rande Thema.

Es war ein klassisches „Bauch trifft Kopf“ Gespräch – erdig, philosohphisch, heiter und tiefgehend und ich freu mich nach wie vor sehr darüber.

Hier geht es zu Nadines Podcast, den man auf itunes, Spotify oder Spreadmind kostenfrei anhören kann: Stay in Balance.

Und hier geht es direkt zu „meiner“ Folge:

Es ist überall das Gleiche zu hören. Aber ihr könnt gern dreimal reinlauschen – sicher ist sicher 😉 

Weitere Infos über Nadine findest du auf ihrer Website: Dr. Nadine Webering

Und wenn du auf Instagram bist und mein Buch noch nicht hast, dann schau mal bei Nadines Insta-Account vorbei – da gibt es möglicherweise was zu gewinnen 😉

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Migräne-Serie, 4/4: Alternativen, Buchtipps, Links & ein müdes Fazit

Im 3. Teil meiner Migräne-Serie habe ich ein wenig über meine schulmedizinischen Therapien erzählt. Im letzten Teil meiner kleinen Serie rund ums Kopfgewitter geht es um Alternativen abseits der Schulmedizin,um zwei Buchtipps und weiterführende Links, sowie mein Fazit.

Gerade bei Migräne gelten die komplementäre Alternativen landläufig als hilfreicher und besser – noch mehr als bei der Behandlung chronisch entzündlicher Darmerkrankungen. Betroffene erhalten ungefragt unzählige Tipps und Ratschläge, wie sie ihre Kopfprobleme „alternativ“ auflösen können. Dabei ist auch hier die individuelle Kombination aus Schulmedizin und komplementären/alternativen Methoden das, was in der Regel am sinnvollsten und besten hilft.

Aber wichtig zu wissen: Ohne Schulmedizin geht es nicht. Ähnlich wie bei CED kann es auch bei Migräne böse enden, wenn man die Sache gänzlich ohne medizinisch Unterstützung bewältigen will. Wie mehrfach erwähnt: Migräne ist eine neurologische Erkrankung, die mit einer erhöhten Schlaganfall-Neigung einher geht. Schon allein deshalb ist es wichtig, sich medizinische Hilfe zu suchen, die einen kompetent und empathisch begleitet, aufklärt und mit der gemeinsam man einen „Handkoffer“ an hilfreichen Dingen zusammenstellt. Das können sowohl Medikamente sein, aber auch physikalische Hilfsmittel (z.B. das mittlerweile recht gut bekannte Cefaly) und Therapien, bis hin zu psychotherapeutischer Unterstützung. Nicht zu vergessen, dass bildgebende und diagnostische Verfahren, wie MRT und EEG, vorweg und bei akuten, dramatischen Veränderungen eine unabdingbare wichtige Kontrolle darstellen.

Nachdem es bei Migräne primär darauf ankommt, dass man möglichst viele potentielle Trigger entschärft oder ausschaltet bzw. so wenig Stress wie möglich in sein Körpersystem lässt, haben komplementäre bzw. alternative Heilmethoden aber einen hohen Stellenwert in der Migränetherapie und -vorbeugung. Hinzu kommt das Gefühl, dass man damit als Betroffene aktiv etwas tun kann und den Anfällen nicht mehr so ausgeliefert ist. Wie immer muss man für sich selbst herausfinden was gut tut, was einem wirklich hilft und was man erträgt, ohne im Gegenzug zu sehr darunter zu leiden.

Und hier gibt es eine weitere Parallele zu CED, die überlebenswichtig sein kann:

Wer behauptet, die ultimative Therapie zu haben, mit der du deine Migräne für immer los wirst, der lügt oder will dir letal an den Kragen.

Denn die Ursache für die Migräne ist ja dein besonders, hochsensibles Gehirn und das willst du hoffentlich nicht umtauschen. Wundermittel oder „hilft ganz bestimmt“-Methoden, egal auf welcher Ebene, sind in erster Linie fragwürdig, meist teuer und können im allerbesten Fall nur eines: Die Anfallshäufigkeit und Schmerzintensität senken. Aber das ist ohnehin schon super und als Erfolg zu verbuchen.

Ehrliche und gute TherapeutInnen erkennst du einmal mehr daran, dass sie dir keine Wunder versprechen und mit offenen Karten spielen. Grundsätzlich gilt das alles, was Stress aus dem System nimmt, ohne noch mehr Stress zu verursachen, gut ist. Wenn du dich damit wohl fühlst und es dir dabei und danach gut geht, dann passt es, egal was es ist (solange es legal und  moralisch vertretbar ist ;-).

Das Gleiche gilt für die unzähligen Migräne-Diäten: Du musst selbst rausfinden, was dir gut tut und hilft. Es gibt (wie bei CED) keine eigene Migräne-Diät, die für alle gleich ist.

Der einzige, allgemein gültige Grundsatz: Ausreichend und regelmäßig essen, sowie viel trinken. Das Migränehirn braucht auf Grund seiner Struktur deutlich mehr Energie als normale Köpfe. Fütterst du es nicht ausreichend, reagiert es mit Gewitter. Trinkst du zuwenig, kracht es. Isst du das Falsche, wird es sauer. Ist du gar nichts, wird es so richtig schlimm.

Aber was du im Detail futterst, ist individuell. Manche brauchen unbedingt Kohlenhydrate, andere schwören auf Low Carb. Ich habe gute Erfahrung mit glutenfrei gemacht und kenne zugleich viele, denen das rein gar nichts bringt. Das gleiche betrifft Kaffee und Tee. Alkohol ist bei den meisten ein No-Go, aber auch das kann man nicht global sehen. Du musst selbst testen und immer wieder prüfen, ob es noch immer so ist oder sich etwas verändert hat. Das gilt sowohl für das, was du nicht verträgst, als auch das, von dem du bisher gedacht hast, dass es dir gut tut. Das ist mühsam, aber lässt sich kaum ändern.

Zwei wunderbare Buchtipps, die wirklich helfen

Ich habe im Zuge meiner Migräne-Karriere einige NeurologInnen, unter ihnen auch neurologische Koryphäen, konsultiert. Ich habe auch geglaubt, dass ich mich recht gut mit dem Thema auskenne. Aber in all diesen Jahren habe ich über dieses schmerzende Mistvieh nicht so viel erfahren, wie nach der Lektüre dieser beiden Bücher, die ich allen MigränikerInnen und deren Zugehörigen wärmstens ans Herz lege:

q? encoding=UTF8&MarketPlace=DE&ASIN=3831205477&ServiceVersion=20070822&ID=AsinImage&WS=1&Format= SL160 &tag=midesign 21 - Migräne-Serie, 4/4: Alternativen,  Buchtipps, Links & ein müdes Fazit

Ich hab‘ Migräne – Und was ist deine Superkraft?:*

Dein Begleiter durch gute & schlechte Tage*

Von Bianca Leppert

Verlag Komplett Media
ISBN: 978-3-8312-0547-9

Damit ist auch das Geheimnis gelüftet, dass ich im ersten Teil erwähne: Warum ich meine Migräne als Superkraft tituliere. Dank dieser Terminologie fühlt es sich zumindest nicht mehr ganz so an, als hätte ich einen genetischen „Baufehler“.

In diesem Buch stehen so viele wichtige, wissenswerte und ungemein hilfreiche Infos, dass man es von der Krankenkasse unverzüglich verordnet bekommen sollte. Ich möchte es auch jedem Arzt, besonders den NeurologInnen, ans Herz legen. Vor allem damit sie es ihren PatientInnen weiterempfehlen.

Das Buch kommt flott und gut lesbar daher, ohne Trantütigkeit ob des grausigen Themas. Und man kann es zwischen 2-3 Anfällen sinnerfassend lesen. Für dich getestet.

Bianca Leppert ist selbst von Migräne betroffen und hat auch einen Podcast. Du findest sie zudem auch auf Instagram und dort immer wieder Interessantes und Wichtiges rund um das Thema Migräne. Hier geht es zu ihrer Website.

Der zweite Migräne-Buchtipp ist eine ganz besondere Herzensempfehlung. Die Autorin habe ich vor kurzem sogar via Zoom persönlich kennen gelernt und mich sehr gut mit ihr unterhalten. Sie ist eine wunderbare, sympathische Ärztin, die nicht nur Neurologin ist, sondern auch ayurvedische Medizin praktiziert und betreffend Migräne wirklich weiß, worum es geht – sie ist ebenfalls selbst davon betroffen.

q? encoding=UTF8&MarketPlace=DE&ASIN=3742313827&ServiceVersion=20070822&ID=AsinImage&WS=1&Format= SL160 &tag=midesign 21 - Migräne-Serie, 4/4: Alternativen,  Buchtipps, Links & ein müdes FazitMigräne natürlich behandeln mit Ayurveda*

Ganzheitliche Methoden und Rituale, um Schmerzen vorzubeugen und zu lindern*

Von Dr. Nadine Webering

Verlag Riva

Dieses Buch war ein echtes Geschenk für mich und wenn du dich für komplementäre Methoden rund um deine Migränetherapie interessierst, wirst du es lieben. Ich habe im Verlauf meiner Krankheitskarriere mit Sicherheit das gesamte ABC der nicht-schulmedizinischen (=komplementären) Möglichkeiten ausgetestet. Einiges begleitet mich nach wie vor, das meiste aber war für die Tonne und außer teuer mitunter auch noch schmerzhaft, körperlich und psychisch.
Dafür sind mir die Methoden, die mir gut tun, helfen und mich im Alltag optimal unterstützen umso mehr ans Herz gewachsen. Es war ein langer Weg, bis ich erkannt habe, was das ist und ich weiß, dass die Auswahl meiner komplementären Helferleins rein auf mich zugeschnitten ist. Darum will ich auch gar nicht zu viel darüber erzählen. Doch einen Weg, den man zumindest mal ausprobieren sollte, empfehle ich aus ganzem Herzen: Ayurveda.

Ayurveda ist die indische Gesundheitslehre und es geht dabei grundsätzlich darum, den Körper entsprechend seiner individuellen Konstitution zu stärken, damit er mit Belastungen besser zurecht kommt. Yoga ist ein Teil davon und wer Yoga kennt, der weiß wie ungemein vielfältig die Stile und Möglichkeiten sind. Damit gibt es immer auch die Option, dass du genau „dein“ Yoga findest und es in deinen Alltag flexibel integrieren kannst.

Leider kann man aber auch mit ganz viel Yoga weder den Crohn noch die Migräne heilen. Das als Info für alle jene, die gerne reflexartig „Hast du es schon mal mit Yoga probiert?“ raunen, wenn sie mit chronisch Kranken in Kontakt kommen. Doch Yoga kann einem helfen physische und psychische Kraft für den Alltag und die Zeit zwischen den Anfällen zu bekommen und damit wird man in Summe stabiler (geistig und körperlich), was im Anfall dann wieder hilft.

Ayurveda ist aber noch viel mehr als Yoga und Mediation. Das Grundsystem basiert auf den Konstitutionstypen: Vatta, Pitta und Kapha und deren Mischformen. Auf dieser Bestimmung baut die ayurvedische Ernährung, Lebensweise und Therapie auf. Wer schon einmal eine ayurvedische Ölmassage genossen hat, weiß wie ungemein entspannend und genussvoll diese Behandlung sein kann. Das ist ein weiterer Punkt, den ich am Ayurveda liebe: Die Genussfreude auf allen Ebenen. Es ist für mich eines der wenigen Systeme, bei denen es nicht um Verzicht, sondern um die Schaffung einer rundum angenehmen Lebensweise geht, in der das Genießen einen großen Stellenwert hat.

Kombiniert man die einzelnen Säulen des Ayurveda miteinander, immer individuell auf die eigene Konstitution abgestimmt, bekommt man ein maßgeschneidertes, ganzheitlich hilfreiches Lebenskonzept, dass einen stützen kann, ohne einzuengen.

Das ist im Groben und sehr oberflächlich erklärt das, was mich persönlich an Ayurveda fasziniert. Die Erkenntnis, welcher Konstitutionstyp ich bin, hat mir beim Verarbeiten meiner Diagnosen mindestens soviel geholfen, wie das Wissen rund um meine Erkrankungen. Für mich ist Ayurveda also im wahrsten Sinn des Wortes komplementär: Ergänzend.

Darum findet sich hier auch eine herzliche Empfehlung für ein ayurvedisches Migränebuch.

Dr. Nadine Webering, die Autorin, weiß als Neurologin von medizinischer Seite her genau, worum es sich bei Migräne handelt. In ihrem Buch findest du eine gut zusammengestellte Mischung alltagstauglicher Tipps, komplett ohne Drang zur Missionierung und auch teure Tinkturen, exotische Gewürze oder sonstigen Kram. Das Buch ist eine herzliche Einladung, dich mit dem Thema in deinem Tempo und deinem Sinn zu beschäftigen.

Nadine ist ebenfals auf Instagram zu finden und hier geht es zu ihrer Website. Sehr zu empfehlen ist auch das Online-Magazin, wo du saisonale Infos und Inspirationen findest. Es gibt zudem einen tollen Podcast von ihr, wo du mehr rund um das Thema Migräne und Ayurveda findest. Aber auch andere, damit weitgehend verbundene Themen und spannende Interviews. Und was den letzten Punkt betrifft, möchte ich dich hier schon mal auf den Nachtrag zu meiner kleine Migräne-Serie hinweisen – da wirst du möglicherweise noch etwas zu diesem Thema auf die Ohren bekommen 😉

Links und weitere Infos rund um Migräne

Wissen und Infos 

Empfehlenswerte Instagram-Accounts rund um Migräne

Migräne-Apps

Mein Fazit

Um es kurz und abschließend zusammenzufassen: Migräne ist schlicht und ergreifend furchtbar.

Währenddessen und danach möchte man nur noch sterben. Möglichst schnell, bevor die nächste Schmerzwelle heranrollt. Bei einem Status migränosus kann sich das Ganze dann noch um ein Vielfaches potentieren. Ich hatte bisher drei Mal das „Vergnügen“. Einzig die Tatsache, dass man so gut wie bewegungsunfähig, mehr oder weniger ohnmächtig, erschöpft und unglaublich benommen ist, hat dafür gesorgt, dass ich noch da bin.

Es ist, mit Verlaub, eine echte Scheiß-Krankheit und ich kenne mich auf diesem Terrain wahrlich aus. Ich hab einen ultrafiesen Crohn und mit ihm sehr brutale Zeiten durchgemacht. Aber vor die Frage gestellt, ob Crohn oder Migräne schlimmer ist, kann ich ehrlich keine Antwort geben. Das ist wie die Wahl zwischen Pest oder Cholera.

Seit meiner großen Bauch-Op und dem Einstellen auf mein Hamsterchen (meine Biologika-Spritze), ist der Crohn in einer medizinisch stabilisierten Remission und mir geht es diesbezüglich soweit ok. Bei der Migräne warte ich hingegen noch auf Optionen, mit denen ich die Anfälle dauerhaft eindämmen kann. Eine mögliche Lösung hat sich vor ein paar Monaten ergeben und auch dazu verweise ich einmal mehr auf den Nachtrag zu dieser Serie, wo ich – hoffentlich – bald mehr darüber erzählen kann.

Ansonsten mache ich das, was alle Migräne-VeteranInnen tun, die ihr Trigger kennen:

  • Ich versuche ungebetene Gäste in meinem Kopfgebilde draußen und das Stresslevel niedrig zu halten.
  • Ich achte auf einen geregelten Tagesablauf, trinke viel, esse regelmäßig und zwar das, was mir gut tut.
  • Ich versuche ausreichend zu schlafen und im Leben die Pastelltöne wahrzunehmen, damit die kreischenden Neonfarben und das erdrückende Grauschwarz nicht so viel Gewicht bekommen.

Das ist an sich schon ein Dauerjob und in Kombi mit dem lieben Herrn Crohn,  dem alten Schweden und den restlichen Special Effects wird eine Lebensaufgabe daraus.

Der größte Brocken bei diesem Paket: Dass ich mir selbst täglich zugestehe, dass das auch wirklich eine sinnvolle und wichtige Aufgabe ist und mich nicht darüber gräme, dass ein Jobwechsel in dieser Hinsicht nicht möglich ist. Mit Herrn Crohn, Lady Migräne, dem alten Schweden und den restlichen Zores an Diagnosen habe ich eine zwar unbezahlte, aber immerhin unbefristete und unkündbare Daueranstellung.

Der Rest der Zeit gehört der Umsetzung meiner kreativen Ideen, meinen Hobbys und Spleens und den wenigen Menschen, mit denen ich gerne zusammen bin und die es mit mir und meinen Besonderheiten aushalten. In dieser Mischung finde ich an den meisten Tagen den heiteren Sinn, mit dem ich mein Krankheitsmanagerinnen-Dasein ertrage.

Alle Teile der Migräne Serie:

  1. Die ungeliebte Superkraft
  2. Trigger, Vielfalt, Mediks und die unesoterische Vorwarnung
  3. Gemeinsamkeiten zwischen CED & Migräne
  4. Alternativen, Buchtipps, Links & ein müdes Fazit

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Allgemein

Migräne-Serie, 3/4: Gemeinsamkeiten zwischen CED & Migräne

Ich mags total, wenn ich in einem Gespräch erwähne, dass ich den einen oder anderen krankheitstechnischen Special Effekt im Lebensjoker gewonnen habe und dann zum Beispiel dieses hier kommt:

„Migräne hast du auch? Du hast aber wirklich überall HIER geschrien …“

Klar, mir war so fad, dass ich dachte, ich leg mir mal eben 2-3 chronische Erkrankungen zu. Vermutlich damit ich das Mitleid meiner Umgebung abcashe und gemütlich krank feiern kann, während der Rest der Welt eifrig dabei ist das Brutto-Sozialprodukt zu mehren.

Ehrlich: Ich HASSE diesen Spruch. Ich hasse ihn so unfassbar sehr, dass es mich jedesmal meine ganze Kraft kostet, meinem Gegenüber keine reinzuhauen, wenn er fällt. Zugleich möchte ich weinen, weil es so weh tut, wenn man immer wieder gesagt bekommt, dass man auf eine unerklärliche, mystische Weise selber an seiner Misere schuld ist und sie vielleicht sogar herbei gerufen hat.

Mir ist bewusst, dass das niemand so meint, der diesen Spruch von sich gibt. Die meisten denken sich gar nichts dabei und wollen nur eine verquere Art von Betroffenheit ausdrücken. Das mentale Kotzen bleibt mir dennoch nicht erspart.

Aber ich lächle, reiße mich am Riemen und versuche immer und immer wieder mit Nachdruck aufzuklären und mein Gegenüber da abzuholen, wo es steht und … ok, das ist gelogen.
Ich sage mittlerweile einfach gar nichts mehr. Ich grinse nur, würge Schmerz und Wut hinunter und wechsle das Thema.

Dabei gäbe es speziell über Migräne ganz viel zu sagen, was der beiläufige Mitmensch nicht mal ansatzweise am Schirm hat. Das es sich dabei um die dritthäufigste Behinderung weltweit handelt, zum Beispiel (siehe Teil 2: Trigger, Vielfalt, Mediks und die unesoterische Vorwarnung). Oder dass manche Jahre darauf warten, bis sie endlich eine gesicherte Diagnose haben und wissen, was mit ihnen los ist. Womit sie noch immer nicht bei einer Therapie gelandet sind, die ihnen hilft, ihr Leben wieder lebenswert zu bekommen.

Das klingt seltsam vertraut. Auch bei CED dauert es oft noch immer lange, bis eine korrekte Diagnose gestellt wird. Doch im Vergleich zu früher geht es schneller und das obwohl CED nach wie vor zu den seltenen Krankheiten zählen. Migräne hingegen ist extrem häufig und wird dennoch oft schlecht therapiert und spät diagnostiziert.

Eine weitere Parallele zu CED sind die vielen Erscheinungsbildern dieser Erkrankung, die möglicherweise das ihre dazu beitragen, dass die Diagnose so schwer fällt. Ähnlich wie bei CED sind auch bei Migräne die Symptome höchst unterschiedlich. Andererseits sollten gute NeurologInnen heutzutage im Stande sein, einen entsprechenden Befund erstellen und ihren PatientInnen helfen zu können. Das ist aber leider nicht immer so und damit schließt sich ein weiterer Kreis der Gemeinsamkeiten zwischen Migräne und CED: Was man nicht erklären kann, dass sehe man als psychisch an.

Besonders perfide wird es in der Kombination beider Erkrankungen. Mir ist mehrmals gesagt worden, dass das eine das andere bewirkt – was betreffend einiger Schubauslösern sogar richtig ist. Aber rein gar nichts mit der Ursache der beiden Plagen zu tun hat, zumindest laut heutigem Wissensstand.

Ich bin persönlich sehr wohl der Überzeugung, dass es eine Verbindung zwischen den beiden gibt und die nicht nur darin besteht, dass man zweimal „HIER“ geschrieen hat. Oder darin begründet, dass sich Kopf und Bauch zufällig einen Körper teilen. Schon allein die Tatsache, dass man den Darm als „Bauchhirn“ bezeichnet und das es eine nachgewiesene, starke Verbindung mit dem Oberstübchen gibt (wobei der Bauch gewinnt, er hat einfach mehr Erfahrung), sind Indizien, die sehr dafür sprechen. Doch rein medizinisch weiß man es schlichtweg einfach noch nicht, die Forschung hinkt da sehr hinterher.

Die Gemeinsamkeiten von CED und Migräne im Überblick:

  • Beide Erkrankungen gelten Stand 2021 als unheilbar und chronisch.
  • Bei beiden sind die tieferen Ursachen, die die Erkrankungen bzw. die Konstellation für die Erkrankung bewirken, nach wie vor nicht komplett geklärt.
  • Bei beiden gibt es genetische Komponenten, die EINE von mehreren Ursachen sein kann.
  • Beide Erkrankungen sind unsichtbar – man sieht weder die CED noch die Migräne im Außen.
  • Beide Erkrankungen sind gesellschaftlich stigmatisiert.
  • Über beide Erkrankungen wird on- und offline ungemein viel Bullshit geschwafelt, der den Betroffenen das Leben schwer macht.
  • Beide Erkrankungen werden statistisch spät diagnostiziert.
  • Beide Erkrankungen haben ein höchst individuelles Erscheinungsbild, äußern sich also immer wieder anders, sowohl was die Symptome, als auch die Therapie und den generellen Verlauf betrifft.
  • Bei beiden Erkrankungen braucht es viel Feingefühl in der Betreuung und empathische ÄrztInnen, die einen ernst nehmen und auf diesem schwierigen Weg begleiten wollen. Und die sind, bei beiden Erkrankungen, schwer zu finden.

Kommen mehrere gesundheitliche Probleme oder Erkrankungen zusammen, wird man oft wie eine heiße Kartoffel von einem Arzt zum anderen weitergereicht oder gleich abgecancelt: „Das müssen Sie mit ihrem Neurologen klären“ – „Da ist die Gastroenterologie der richtige Ansprechpartner!“ – „Sie sollten das psychosomatisch, psychologisch, psychotherapeutisch abklären …“ bis hin zu „Stress, das ist alles nur dem Stress zu verdanken. Sie müssen einfach abschalten und zur Ruhe kommen.“

Soviel kann man gar nicht essen, als man dann kotzen möchte und Madame Migraine kann da ausnahmsweise gar nichts dafür. Als hätte man nicht schon mit den Symptomen der beiden Erkrankungen genug zu tun, muss man nun auch noch eine medizinischen Mediation coachen, damit man zu einem lebbaren Ergebnis kommt und nicht mit Psychopharmaka abgespeist wird. Dabei sollte doch zumindest die Migräne leicht diagnostizierbar sein.

Warum dauert es so lange, bis man die Diagnose Migräne bekommt?

Mein persönliche Vermutung geht dahin, dass Migräne nach wie vor nicht ernst genommen wird. Sie wird a priori unter „bisschen Kopfweh“ und faule Ausrede abgestempelt. Zudem gilt sie als klassische „Frauenkrankheit“, da es auch eine sog. „hormonelle Migräne“ gibt, die eng mit dem weiblichen Zyklus verbunden ist. Damit rutscht sie bei der nach wie vor hauptsächlich männlich besetzten Wissenschafts- und Forschungsverbundenheit immer wieder auf den ungeliebten hinteren Platz, weil kompliziert.

Der gesellschaftliche Status, dass es sich bei Migräne um eine Verspannung oder Befindlichkeitsstörung handelt, die man mit Physiotherapie, Ernährung, Entspannungstraining und anderen komplementären Methoden leicht in den Griff bekommt, ist bei vielen HausärztInnen ebenfalls noch immer state of the art und sogar NeurologInnen haben die Wichtigkeit der korrekten Diagnose nicht immer konkret am Schirm.

Ich erkläre es mal anhand meiner Migräne-Chronik:

Begonnen hat mein Kopf-Problem im Alter von 15-18 als sog. „Zervikalsyndrom“. Das bedeutet grob übersetzt, dass mein Hals-Nacken-Schulterbereich immer wieder weh getan hat bzw. das man die Beschwerden in dieser Region auf den HWS Bereich geschoben hat.

Ich bin von Natur aus sehr beweglich und gelenkig, was gut im Sport war und beim Yoga toll ist. Aber dafür flutschen mir immer wieder Wirbel raus und verschieben sich. Besonders gern in der Halswirbelsäule.

Im Lauf meines Lebens sind noch drei Autounfälle mit Peitschenschlag dazu gekommen. Braucht auch keiner, aber das Leben ist eben nicht fair.Gschissn grissen„, wie man bei uns so treffend sagt. All das reicht von allein, damit man das eine oder andere größere Gesundheitsproblem und ein paar Extrahausaufgaben mehr im Leben hat.

Auf Basis meiner ausgeleierten, instabilen und schicksalsgebeutelten Wirbelsäule sitzt ein mitunter sehr kreatives Köpfchen, dass von Mama einerseits und ein paar VorfahrInnen väterlicherseits ein paar Gene in die Wiege gelegt bekam, die nix mit hübschen Haaren und zartem Stubsnäschen zu tun haben: Ich habe auf beiden Seiten meiner Familie MigränikerInnen im Stammbaum.
Hübsche Haare und ein Stubsnäschen wären mir lieber.
Aber mich hat leider niemand gefragt.

Die ersten, von mir im Nachhinein als solche erkannten, Migräneanfälle hatte ich im Alter von ca. 25. Vermutlich schon davor, aber da wurde das als „Spannungskopfschmerz“ diagnostiziert, auf Grund instabiler Halswirbel, verschobener Brustwirbel, kaputt geschubster Bänder, massiver Verspannungen und dergleichen mehr. Die Diagnose war easy und lag auf der Hand, wozu weiter suchen?

Das Vertrackte daran: Man kann beides haben – Läuse und Flöhe gleichermaßen, sozusagen. Und manchmal triggert das eine das andere und umgekehrt. So ist es bei mir.

Bis zur neurologischen Diagnose, aus der klar und deutlich hervorging, das mein Schädel ein sehr besonderes Innenleben hat, vergingen nochmal gut 15 Jahre.

Lustige Parallele, sofern man schlechten Humor mag: Die ersten Crohnsymptome hatte ich mit knapp 18, die migränischen Kopfschmerzen begannen mit ca. 20. Die Diagnosen kamen jeweils gut 20 Jahre nach dem ersten Auftreten der Probleme und ich war dazwischen mit all meinen körperlichen Befindlichkeiten immer wieder in ärztlicher Behandlung, inklusiver intensivster Untersuchungen des gesamten Körpers, innen und außen.

Das gibt zu denken.

Vorbeugen & Wissen hilft

Wie bei allen chronischen Erkrankrangen gilt auch bei Migräne: Je besser du die Erkrankung und deinen Körper verstehst, desto besser kannst du damit umgehen und dir selbst helfen. Die Verantwortung auf die MedizinerInnen zu schieben und sie unreflektiert machen zu lassen, ist nicht hilfreich. Sie können dich unterstützen, aber du musst selbst wissen und sagen, wo die Reise hingehen soll und vor allem lernen, wie du den Alltag mit dieser Belastung aufbaust.

Zu wissen, dass Migräne nichts ist, wo ICH etwas falsch gemacht habe, war eine große Erleichterung für mich. Ich habe nun mal diese Disposition, so wie die blauen Augen und meine Hautfarbe. Ich habe keinen Fehler gemacht und es liegt auch nicht daran, dass ich ein schlechter oder unfähiger Mensch bin, zu blöd um das Leben so auf die Reihe zu kriegen, dass ich nicht dauernd KO gehe.

Dennoch kommt mit diesem Wissen eine aktive Verantwortung: Mein Gehirn ist besonders und ich muss darauf Rücksicht nehmen. Tue ich das nicht, können auch die besten Mediks und die tollste Prophylaxe nicht helfen. Da ich nicht nur ein Handicap habe, musste ich mich zwingend zu meiner eigenen Krankheits/Gesundheitsmanagerin entwickeln. Ein Körper, viele Probleme, ein spezielles Oberstübchen, ein gesundheitlicher Lebenslauf in Form einer Hochschaubahn, ohne Airbag und Gurt – das ist ein Großunternehmen, das sorgsam und sensibel behandelt werden muss, damit es stabil und lebensfähig bleibt. Das ist mühsam, immer wieder deprimierend und Nerven aufreibend.
Zudem merke ich immer wieder, dass unser Fachärztesystem dieser Anforderung nicht gewachsen ist. MedizinerInnen sind im besten Fall top in ihrem gewählten Fachgebiet. Aber wenn dann zum neurologischen Problem noch ein gastrointestinales hinzu kommt, ev. auch physiologische Komponenten dabei sind (wie z.B. nach meinen Unfällen) und noch ein paar andere Zores – dann stehen die Fachärzte an.

Die verbindende Komponente sollten an sich die HausarztInnen sein, die die Erkenntnisse zusammenfassen und auf Spur bringen. Das ist aber so gut wie nie der Fall. Damit bleibt diese Rolle einmal mehr bei einem selbst und das bedeutet: Lernen, nachfragen, recherchieren, hinterfragen, genau zu hören und nicht aufgeben, wenn das medizinische Gegenüber aus seiner Komfortzone raus muss und vielleicht ein wenig unleidlich wird.

In meinem Fall waren zum Beispiel das Finden einer hilfreichen Medikation im Anfall und die dazu gehörige Prophylaxe eine langwierige Herausforderung. Viele Klassiker und auch moderne Mittel kommen bei mir nicht in Frage, da ich neben dem Crohn auch viele Allergien habe und sich auch einiges nicht mit meiner Crohn-Medikation deckt. Die aktuell sehr vielversprechende Migränespritze zum Beispiel geht bei mir nicht. Sie ist vereinfacht ausgedrückt auch eine Art Biologika und ich nehme schon eines, das den Crohn in Schach hält. Zwei wären schlicht zuviel. Abgesehen davon setzt die Wirkung der Migränespritze bei einer Komponente an, die für den Darm immens wichtig ist und käme vermutlich schon aus diesem Grund für CED-PatientInnen nicht in Frage.

Von den wenigen verbleibenden medizinischen Prophylaxen habe ich auf die meisten nicht gut reagiert oder sie haben nicht gewirkt. Als vorläufige letzte Idee kam im November 2020 Botox auf den Spielplan und wer nun denkt „Krass, faltenfrei auf Kassenkosten!„: Nope, das isses nicht. Die Dosierung und Platzierung ist anders. Die hübsche, glatte Stirn liegt nicht im medizinischen Fokus. Aber interessante Augenbrauen und eine eingefrorene Stirnmimik gibt es dennoch inklusive. Nach 3 Monaten ist das dann wieder weg und man tritt erneut an. Und drei Monate später wieder usw. usf.
Was auch kaum jemand weiß: Die Behandlung, im Sinne einer Reduktion der Attacken, greift oft erst beim zweiten, dritten Mal. Es braucht also auch hier Geduld.

Ich habe zwei Durchgänge probiert, beim zweiten Mal wurden die Anfälle dann tatsächlich weniger. Ein drittes Mal ist bisher ausgeblieben, weil ich mit einer anderen Therapie begonnen habe bzw. im Verlauf des Herbstes 2021 eine andere Option versuche, die in meinem Fall möglicherweise zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt. Aber bevor du als MigränikerIn nun auf ein Wundermittel hoffst: Das wird es leider auch nicht sein.

Weiterlesen bei Teil 4: Alternativen, Buchtipps, Links & ein müdes Fazit

Alle Teile der Migräne Serie:

  1. Die ungeliebte Superkraft
  2. Trigger, Vielfalt, Mediks und die unesoterische Vorwarnung
  3. Gemeinsamkeiten zwischen CED & Migräne
  4. Alternativen, Buchtipps, Links & ein müdes Fazit
Allgemein

Migräne-Serie, 2/4: Trigger, Vielfalt, Mediks und die unesoterische Vorwarnung

Es gibt Momente, da habe ich ein immens heftiges Dé­jà-vu-Erlebnis. Das ist nicht angenehm, weil es mich an Situationen erinnert, die ich gefühlt schon 100.000 Mal erlebt habe. Nur in Zusammenhang mit einer anderen Erkrankung. Es geht um die Reaktion der Umwelt wenn ich gestehe, dass ich mal wieder einen Migräneanfall habe. Manche der Reaktionen sind sogar 1:1 die gleichen wie die, wenn ich einen Crohn-Schub „gestehe“.

  • „Du hast einfach zu viel Stress, komm runter und chill eine Runde.“
  • „Das Wetter heute – kein Wunder, dass du Kopfweh hast!“
  • „Migräne? Eh klar, wir haben Vollmond.“
  • „Migräne? Eh klar, wir haben Neumond.“
  • „Du, dass sind deine Verspannungen, ich kenn da eine tolle Übung …“
  • „Haste gestern wohl gesoffen, oder? Eine Runde um die Häuser und heute gibts Hammerwerfen in der Gedächtnishalle – Wer nix aushält, soll daheim bleiben!“
  • „Das kommt ganz klar vom Essen. Du hast eindeutig zu viele Kohlehydrate inhaliert und überhaupt: Streich mal Fleisch, Gluten und Zucker aus deiner Ernährung! Dann sind die Kopfschmerzen Geschichte.“
  • „Schlaf dich aus, dann gehts gleich besser.“
  • „Überleg mal, was dir die Migräne sagen will. Das ist eine Botschaft, die dich auf deinem Weg weiterbringen soll!“

Wer Migräne hat, bekommt immer mehr als genug Ratschläge und braucht sich absolut keine Sorgen machen, dass die irgendwann mal aufhören. Das ist eine Gemeinsamkeit, die man mit allen Crohnies teilt bzw. vermutlich mit allen, die eine unsichtbare, chronische Erkrankung haben.

Ein Outing ist damit ein zweischneidiges Schwert. Sagt man nichts, tanzen die Gerüchte wild und unbändig. Outet man sich hingegen, hagelt es Ratschläge auf einen ein. Die können geblockt, in großer Menge, aber auch als einzelne Blitze spontan herunter zucken und die mentalen Schmerzen, die beide Versionen auslösen, geben der Migräneattacke ein besondere Würze.

Leider ist das Wissen rund um diese neurologische Erkrankung bei denen, die nicht davon betroffen oder medizinisch geschult sind, noch schlechter ausgeprägt, als bei den Betroffenen selbst. Und damit kursieren Gerüchte, Halbwahrheiten und jede Menge Schwachsinn.

Also geht es im zweiten Teil meiner Migräne-Serie um das, was viele als Grund für die Migräne sehen (Trigger), um die erschütternde Vielfalt der Szenarien und Symptome und um die geheimnsivolle Aura, die diesen Namen absolut nicht verdient hat.

Die Trigger!

Der Begriff „Trigger“ bedeutet „Auslöser“ und wird in diesem Sinne immer falsch interpretiert. Denn wir verbinden damit eine Ursache, die etwas in Gang setzt. Aber ein Trigger, im ursprünglichen Sinn, ist der Abzug bei einer Schusswaffe. Die Ladung, also das was gefährlich ist, ist im Lauf. Der Trigger schickt sie nur auf die Reise. Bei Migräne sind diese Trigger zusätzliche Belastungen, die das System übersteuern und zu einer Überlastung führen können.

Klassische Trigger sind Lärm, Licht (vor allem flackerndes, blitzendes und/oder grelles Licht), starke Gerüche, körperliche oder geistige Überanstrengung, zu viel oder zu wenig Schlaf, zu viel, zu wenig oder das falsche Essen, zu viel oder zu wenig Trinken, zu viel oder zu wenig Kaffee, Tee, Zucker etc., ein Wetterumschwung bzw. plötzlich wechselnder Luftdruck, zu hohe oder zu geringe Temperaturen, ein Ortswechsel, ein vollkommen anderer Tagesablauf bzw. raus aus der Routine, bestimmte Nahrungsmittel, hormonelle Veränderungen oder etwas ganz anderes. Jeder hat seine eigene Mischung, die sich im Fall des Falles zu einem Teufelscocktail versprudelt und auch immer wieder verändern kann.

Superman hatte es mit seinem Kryptonit im Vergleich dazu echt easy .

Das Gemeine: Selbst wenn man die Kopfbude mental gut abgedichtet hat und kein Trigger bewusst „durchrutscht“, selbst wenn man den Stress im Akkord weg meditiert hat und unfassbar tiefenentspannt ist, kann ein Anfall aus heiterem Himmel kommen. Ohne das man weiß warum.

Oder man pfeift für einen Tag auf alles, genießt das Leben wie die anderen und gönnt sich all das, was man sich sonst nicht gönnt. Man riskiert also ein kapitales Kopfgewitter und es passiert – nichts.

(Was leider nicht bedeutet, dass es beim nächsten Mal auch so ausgeht.
Nein, das bedeutet es absolut nicht. Hab es probiert, kannst du auslassen.)

Die Trigger selbst sind aber NICHT die Ursache der Migräne – sie sind lediglich eklige Stressoren, die einem im wahrsten Sinn des Wortes ungefiltert auf die Nerven gehen. Die Ursache von Migräne ist, wie du in Teil 1 erfahren hast, das wunderbare, ausserirdisch geniale und damit irdisch hochempfindliche Migränegehirn.

Migräne-Anfall Häufigkeit und Dauer

Manche haben alle heiligen Zeiten einen Anfall, manche 3-4 mal im Jahr, manche alle paar Wochen, andere 3-5 Mal im Monat – das nennt man episodische Migräne.

Dann gibt es die Ober-Ka…bratze, pardon: Ober-Superkraft, namens „chronische Migräne“ mit 10-15 Anfällen im Monat. Also fast jeden zweiten Tag. Das ist die, die bei mir eingezogen ist.
Ungefragt. Ungewollt. Ungeliebt.

Die Dauer des Anfalls variiert jeweils von ein paar Stunden bis hin zu 3 Tagen, selten mehr. Aber auch das ist möglich und dann gibt es noch die ultima Ratio namens: Status Migränosus – Dauermigräne. Da hört die Chose gar nimmer auf, außer man knallt ihr einen Fullstopp mittels Schmerzinfusion vor den Latz. Sprich: In diesem Fall gehts in die Ambulanz, zum Notarzt oder ins Krankenhaus.

Die Symptome im Anfall

So vielfältig die Trigger für Migräne sind, so kunterbunt sind auch die Symptome, die im Anfall auftreten können. Übelkeit und Erbrechen sind neben den brutalen Kopfschmerzen die bekanntesten. Aber das hat bei weitem nicht jede/r. Ich kann im Anfall sogar meist etwas essen, was gut ist, denn das Migränegehirn braucht da noch mehr Energie als sonst. Das klappt meist sogar, wenn mir übel ist. Das Kauen beruhigt meinen Magen und während ich kaue, sind die Schmerzen sogar etwas gedämpfter. Andere brauchen nicht mal an Nahrung denken und hängen schon überm Porzellanthron.

Oft verschlimmern sich die Symptome der Aura im Anfall nochmal um ein Vielfaches. Oder es kommt zu Muskel- und Nackenschmerzen, Kieferschmerzen, Ohrenschmerzen, verstopfter Nase, Krämpfe in den Waden/Beinen, Durchfall oder Verstopfung oder auch beides zusammen (ja, das geht). Möglich sind auch unerträglicher und unstillbarer Durst, Benommenheit, Schwindel, Kreislaufprobleme, Sprachstörungen, Kribbeln in den Gliedmaßen, bis hin zu neurologischen Ausfällen …

Dazu die pulsierenden, pochenden, meist einseitigen Kopfschmerzen, die ein Ausmaß annehmen können, dass man ohnmächtig wird. Oder sich wünscht es zu werden. Die Schmerzen kommen meistens in Wellen und mit jedem Abschwellen glaubt man, dass es nun aus ist und man es hinter sich hat. Dann kommt die nächste Welle und man wünscht sich, dass es bitte endlich letal aus ist und man nicht nur den Anfall, sondern das ganze Dasein hinter sich lassen kann.

Die Vielfalt

Wichtig für Außenstehende zu wissen ist: Migräne tritt nicht immer gleich auf. Im Sinne von: Kennst du eine, kennst du alle. Das betrifft sowohl die Betroffenen, als auch die Anfälle selbst.

Es gibt zum Beispiel Migräne mit und ohne Aura. Das klingt zwar hübsch, ist aber absolut nichts energetisch-spirituelles. Aura war für mich immer etwas, was spirituell Begabte mit ihrem dritten Auge wahrnehmen können und wo diese einem dann erklären, welche energetischen Benefits oder Defizite sie ätherisch herauslesen. Diese Aura hat absolut nichts mit der Migräneaura gemein. Ganz und gar nicht.

Die Migräne-Aura

Die Migräne-Aura äußert sich meist durch optische, akustische und taktile „Sensationen“, zum Beispiel:

  • Man sieht kleine Blitze, wo keine sind, rund oder bogenförmig angeordnet.
  • Man hat Flecken im Blickfeld oder wabbernden Nebel, sieht doppelt, bis hin zu teilweiser oder kompletter Blindheit oder dem garstigen Gefühl, die Augäpfel möchten mal eben ihre Plätze tauschen.
  • Alles wirkt greller als sonst und das Schauen tut weh.
  • Geräusche bekommen eine neue Note, werden schriller oder dumpfer, hallen oder haben ein Echo oder kommen wie durch eine Wattewand. Gespräche werden zur Qual.
  • Es kann zum Kribbeln in Fingern oder Armen kommen, bis hin zum Taubheitsgefühl in den Extremitäten, Muskelschmerzen, Gelenkschmerzen, Nackenschmerzen.

All das und viel mehr, in Kombination oder alleine, in kleinerem, kaum merkbaren Ausmaß bis hin zum kompletten „all inclusive“ ist möglich.

Und merke:
Migräne mag keine Konstanz.
Migräne mag Abwechslung.
Migräne kommt gerne mal anderes, als beim letzten Mal und nicht immer so, wie man sie erwartet.
Migräne ist ein echtes Sche…ßding.

Migräne mit Aura und Migräne ohne Aura sind keine Leistungsgruppeneinteilung. Sie sind beide gleich grausam und beide nicht gut. Ob man eine Aura oder keine hat und auch welche Symptome während der Migräne selbst auftreten, hängt davon ab, wo der kopfinterne „Kabelbrand“ losgeht. Je nachdem also in welcher Gehirnregion die Kopftrutsche antrabt, werden Aurasymptome ausgelöst oder nicht und es treten bestimmte Symptome auf.

Wichtig zu wissen: Die Aura selbst ist bereits ein Teil der Migräne und keine Warnung oder Auslöser – sie gehört bereits zum Anfall dazu. Die Chose hat also schon begonnen, wenn du sie wahrnimmst.

Die kryptische Warnung der Aura

Die Aura tritt meist ein paar Stunden vor der Migräne auf, wie die Vorgruppe bei einem Konzert. Es gibt aber auch Sonderformen, wo sie im Nachhinein kommt oder ein längeres Vorspiel gibt oder danach kommt … nix. Das klingt toll, sollte aber nicht unbeachtet bleiben, denn das können, je nach Symptom, auch Anzeichen für einen Schlaganfall sein. Der generell bei MigränikerInnen öfter kommt, als bei normal-behirnten Menschen.
Es gibt auch die Sonderform, wo man nur eine Aura und seltsame andere, körperliche Symptome hat, aber keine Schmerzen im Kopf. Eine Art „kalte Migräne“, die dennoch gefährlich werden kann und sehr schwierig zu diagnostizieren ist.

Falls du nun denkst, dass das ein bisschen nach Epilepsie klingt: Die beiden Erkrankungen sind miteinander verwandt und Verwandtschaft kann man sich ja bekanntlich nicht aussuchen.

Das ist nur eine sehr grobe Unterteilung. Die geht noch viel feiner, denn es gibt viele weitere Migräne-Formen, je nach Auftreten und Symptomen. Aber das hier ist ja ein Crohn-Blog und darum belasse ich es mal so. Natürlich sind auch in diesem Fall ÄrztInnen die ersten AnsprechpartnerInnen, hier speziell die NeurologInnen.

Die Medikamente

Ich war im Zuge meiner Migränelaufbahn bisher bei einigen auch sehr bekannten Neuro-Ärzten und hab viel Geld dort gelassen. Immerhin bekam ich im Verlauf dieser Konsultationen dann auch Medikamente, die mir im Anfall manchmal helfen. Aber es hat gedauert und leider gab es auch Konsultationen, wo mir seltsame, nicht geprüfte oder sehr fragwürdige Therapien oder Medikationen angeboten wurden. Und neurologische MedizinerInnen, die sich sowohl mit Migräne als auch mit Crohn, Sjögren, meinen anderen Komplikationen und Medikamenten gut auskennen … ach Gottchen, das ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Aber blind und nur mit einer Hand, damit es nicht zu leicht wird.

Den richtigen Arzt bzw. die beste Ärztin zu finden, die einen verstehen und auch über allfällige andere Erkrankungen informiert sind, die man in die Beurteilung der Lage immer einfließen lassen muss, ist leider nicht leicht. ÄrztInnen mit Empathie und Kompetenz, die einen gut aufklären und bereit sind, einen auf diesem schwierigen Weg zu begleiten, sind leider rar. Aber die Suche lohnt sich und wenn du mit der ersten Wahl nicht glücklich bist, dann such unbedingt weiter. Auch hier sind Selbsthilfegruppen einmal mehr ein guter Tipp!

Dennoch kann auch der beste Arzt dir nicht die Aufgabe abnehmen, dass du dich von dir aus für die Sache interessierst, dich über deine Krankheit informierst und mit Wissen gegen die Ängste wappnest, die immer wieder auftauchen. Das betrifft sowohl die Medikamente für die Prophylaxe, als auch im Anfall:

  • Wie und wann genau muss man sie nehmen?
  • Was bewirken sie, wie lange wirken sie, wann beginnen sie zu wirken usw. usf.?
  • Wie oft darf man sie nehmen, mit was kann man sie kombinieren und mit welchen Nebenwirkungen muss ich rechnen?

Ich nehme im Anfall bzw. bei Beginn meist Triptane, die mir meist gut helfen, aber auch intensive Nebenwirkungen haben. Es hat gedauert bis ich welche gefunden habe, die mir so helfen, dass ich die Hilfe nicht noch als zusätzliche Belastung empfinde. Und es ist wichtig, dass man sie nicht zu früh, aber auch nicht zu spät und vor allem nicht zu oft nimmt.

Doch auch wenn man sie richtig nimmt: Triptane dämpfen den Anfall nur und sorgen dafür, dass man den im Hintergrund weiter ablaufenden Wahnsinn nicht so mitbekommt. Das hab ich zwar vermutet, aber erst vor kurzem auch medizinisch bestätigt bekommen. Es ist also sehr wichtig, dass man auch dann Ruhe gibt, wenn man sich eine Schmerzmedikation „eingeworfen“ hat und die Qualen damit gedämpft sind. Tut man das nicht, riskiert man einen sog. Wiederkehrkopfschmerz – das Drama verlängert sich, geht ev. sogar in Serie.

Wichtig zu wissen ist auch: Triptane sind zwar sehr gut wirksam, aber man darf nur eine bestimmte Menge im Monat nehmen. Ebenso wie andere, ergänzende oder alternative Schmerzmedikamente.
Überschreitet man diese Schwelle öfters, wird aus dem Segen ein Fluch. Man gleitet in eine Schmerzmittelmigräne, die durch das ausgelöst wird, was sie eigentlich verhindern oder eindämmen soll. Die goldene Regel lautet: Maximal 10 Tagen pro Monat Schmerzmedikamente nehmen. Braucht man mehr, muss man flotterdings etwas tun, damit das System nicht kippt.

Das kann zum Beispiel einer der Gründe für die Entstehung einer chronischen Migräne sein, wo man 10-15 Schmerztage im Monat hat.

Einmal mehr ist auch hier ein Tagebuch hilfreich, wo du dir die Anfälle, Symptome, mögliche Trigger und auch die Medikation einträgt. Das gibt es auch in Form von Apps fürs Handy. Einfach mal googeln und testen, welche Version dir mehr liegt.

Statistik & Betroffene

Ich könnte Migräniker*I*nnen eigentlich auch ohne Binnen-„I“ schreiben. Nicht um die GendergegnerInnen zu grämen, sondern weil die Mehrheit der Betroffenen weiblich gelesen wird. Auch die anderen statistischen Daten sind beeindrucken und – ich gestehs – auch ein bisschen erschreckend:

  • Dreimal mehr Frauen als Männer haben mit dem Kopfgewitter zu kämpfen.
  • Insgesamt leiden 10-15% der Weltbevölkerung unter Migräne, das sind ca. 1,17 Milliarden Menschen.
  • Migräne belegt damit den 3. Platz der häufigsten Erkrankungen weltweit.
    Davor stehen Karies und Spannungskopfschmerzen.
  • Rund 10% aller MigränikerInnen leiden unter chronischer Migräne, mit 10-15 Schmerztagen im Monat.
  • In Deutschland beträgt der volkswirtschaftliche Schaden dieser Erkrankung ca. 15 Milliarden Euro durch die 143 Millionen Arbeitstage, die durch die Anfälle pro Jahr verloren gehen.
  • Im Raum Deutschland erleiden täglich 900.000 Menschen eine Migräneattacke
  • 50-60% der Betroffenen sind in keiner medizinischen Betreuung.
  • Bei den unter 50 jährigen ist Migräne der häufigste Grund für eine Behinderung.
  • Als Folge der neurologischen Erkrankung gibt es ein erhöhtes Risiko für Depressionen, Herz- Kreislauferkrankungen, Suizid und Schlaganfälle.

Was Migräne NICHT ist

  • Eine Ausrede, keinen Sex haben zu wollen.
  • Eine Ausrede, nicht arbeiten gehen zu wollen.
  • Eine Ausrede, etwas generell nicht tun zu wollen.
  • Die Schuld der Betroffenen, die ganz sicher etwas falsch gemacht haben.
  • Die Folge falscher Ernährung.
  • Heilbar.
  • Etwas, dass aus Langeweile oder nur in hoch entwickelten Ländern entsteht.
  • Eine neumodische Erfindung.
  • Leicht zu behandeln.
  • Eine reine Frauensache.
  • Ein bisschen Kopfweh, für das man sich nicht so anstellen soll.

MigränikerInnen sind keine Hypochonder, im Gegenteil: Wir versuchen in der Regel so lange wie möglich durchzuhalten und haben meist gut trainierte Kaumuskeln – vom Zähne zusammenbeißen. Perfektion, Empathie und ausgeprägte Hilfbereitschaft sind Eigenschaften, die uns grundsätzlich zu guten MitarbeiterInnen machen. Aber zugleich auch dafür sorgen, dass der Migräneofen immer wieder gut befeuert wird.

Dieser Hang zur Perfektion wird auch gerne als eine Art „Psychostruktur“ der Migränepersönlichkeit gesehen und als psychologischer Hintergrund der Erkrankung genannt. Das ist meiner Meinung nach Schwachsinn. Versuch es mal andersrum: Wenn du als „Standard-MigränikerIn“ 30-40% deiner Lebenszeit dieser Erkrankung opfern musst, bist du faktisch gezwungen, den Rest deiner Zeit effizient und gut einzuteilen, damit du schlichtweg mithältst im Leben. Ohne Planung und Struktur gibt es zudem noch mehr Stress, womit ein Teufelskreis entsteht. MigränikerInnen müssen also effizient und durchgeplant sein, anders ist der Alltag nicht zu bewältigen. Chaos und Pillepalle, fünf mal eben gerade sein lassen oder ein bisschen gechillt durchhängen rangieren unter Luxus, den man sich nicht leisten kann, weil man meist sehr bitter dafür bezahlt.

Weiterlesen bei Teil 3: Gemeinsamkeiten zwischen CED & Migräne

Alle Teile der Migräne Serie:

  1. Die ungeliebte Superkraft
  2. Trigger, Vielfalt, Mediks und die unesoterische Vorwarnung
  3. Gemeinsamkeiten zwischen CED & Migräne
  4. Alternativen, Buchtipps, Links & ein müdes Fazit
Allgemein

Migräne-Serie, 1/4: Die ungeliebte Superkraft

Neben dem lieben Herrn Crohn habe ich noch ein paar andere Sidekicks in meinem Leben, auf die ich herzlich gerne verzichten könnte. Eine davon ist der alte Schwede, eine weitere Madame Migraine – das unselige, verhasste Kopfgewitter. Für Betroffene eine teuflische Plage. Für Nicht-Betroffene ein Befindlichkeitsstörung, die man augenrollend oder seufzend akzeptiert, aber nicht wirklich nachvollziehen kann.

Mein migränischer Sidekick hat sich in den letzten Jahren zu einer echten Plage hoch gearbeitet, die mein Leben mittlerweile dermaßen blockiert und einschränkt, dass ich 50% meiner Zeit damit beschäftigt bin,  mich von den anderen 50%, die von brutalen Kopfschmerzattacken gekennzeichnet sind, zu erholen. Das macht keinen Spaß und damit ist auch das Geheimnis gelüftet, warum es im Blog zur Zeit so ruhig war. Mit Kopfdröhnen, Übelkeit und tagelangen Ganzkörperschmerzen wird das normale Überleben schon zu einer übermenschlichen Aufgabe.

Einmal mehr aber habe ich festgestellt, dass es mir hilft, wenn ich meinen Gedanken und Gefühlen schreibend oder zeichnend Luft machen kann. Zwischen den Anfällen sind dann immer wieder ein paar Textzeilen entstanden und auch die Zeichnungen waren irgendwann einfach da.

Da  Migräne zudem eine Erkrankung ist, die ich mit viel zu vielen anderen „teile“, dachte ich mir, dass es vielleicht hilfreich ist, wenn ich meine Erkenntnisse und Emotionen hier weitergebe. Frei im Sinne von: Auch wenns verdammt brutal weh tut und das Leben zu einer Herausforderung ohne Gleichen macht – du bist nicht allein damit, es gibt viele, denen es genauso geht. Das mag im Anfall vielleicht nicht helfen, aber kann zwischendurch mitunter Mut machen und Mut brauchen wir in Zeiten wie diesen ganz besonders.

Da meine Gedanken rund um Madame Migraine beim Schreiben immer mehr wurden, habe ich mich entschlossen den Beitrag in kleine Häppchen zu unterteilen. Es sind nun vier Teile geworden, denen noch ein fünfter in Form eines kleinen persönlichen Updates folgen wird. Die ersten vier Teile gehen geblockt online. Du kannst also direkt weiterlesen beim nächsten Teil.
Ein roter Faden zieht sich nicht durch und einmal mehr ist ein Text entstanden, der kein Konzept kannte. Es ist wie eine Erzählung, wo ich von einem Punkt zum anderen springe – wenn auch die Punkte einen gemeinsamen Nenner haben.

Beginnen möchte ich mit einer wichtigen Feststellung:

Migräne ist kein Lercherlschas.

Für alle, denen der österreichische Dialekt und seine Wortspielereien nicht so geläufig sind: Ein Lercherlschas ist übersetzt die Flatulenz – also der Darmwind – einer Lerche.
Ein Lerchenpups, sozusagen.

Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung ob Vögel unter Blähungen leiden bzw. flatulieren. Ich weiß nur, dass Vögel keine Kontrolle über ihren Schließmuskel haben. Auch Tauben nicht, was vermutlich einige, die unter besonders treffsicheren Absonderungen zu leiden haben, verwundern wird. Aber es ist für den Inhalt dieses Beitrags auch nicht von allzu großer Wichtigkeit, denn es geht um etwas ganz anderes.

Die Phrase „Das is ka Lercherlschas“ [Dieses/Jenes ist kein Lerchenpups] wird im Osten Österreichs primär dann verwendet, wenn man ausdrücken will, das etwas absolut nicht simple, angenehm oder leicht zu handeln ist. Sondern das krasse Gegenteil davon.

Die Lerche ist ein zartes Vögelein, das sich, wie schon Shakespeare wusste, frühmorgens in die Lüfte schwingt, um seine Trillertöne zu posaunen. Möglich, dass das liebe Vögelchen im Zuge seiner morgendlichen Gesangseinlage auch seine Darmwinde auf die Reise schickt, so ganz nebenbei. Was gut zu der Phrase passt, denn es dürfte nicht wirklich ins Gewicht fallen. Weder was die Treibhausemissionen betrifft, noch die Luftgüte oder die darmspezifische Anstrengung.

Also: Sofern die Lerche windet, ist das dermaßen unspektakulär, dass man es auch ignorieren kann und deshalb tut. Was in keinster Weise auf Migräne zutrifft, womit wir beim Thema wären.

Wenn man mit Nichtbetroffenen über das grausame Kopfgewitter  spricht, erntet man im besten Fall Bedauern oder aufmunternde Worte. Wirklich verstehen können es meiner Meinung nach nur jene, die selbst darunter leiden. Hat man als Außenstehende/r schon mal einen Migräneanfall miterlebt, hat man vielleicht eine Ahnung, was da abgeht und das es nichts ist, das man gerne auf sich nimmt.

Witze, bei denen es um Migräne geht, wurden von denen erfunden, die null Ahnung haben und meinten, dass es sich um billiges Pointenmaterial handelt. Ich hoffe, die Hölle hat einen besonderen Raum für diese Scherzkekse. Mögen sie im nächsten Leben mit chronischer Migräne geboren werden.

Doch im Folgenden soll es nicht darum gehen, was irgendwelche Flachpfeifen als Scherzgrundlage mißbrauchen, sondern was für 10% der Weltbevölkerung zum Alltag gehört: Migräne, das unselige Kopfgewitter, das mitunter über Tage quält und die Zeit davor und danach massiv beeinflusst.

Was haben Curie, Beethoven, Freud, Einstein und ich gemeinsam?

Uns verbindet eine gemeinsam Superkraft, auf die alle herzlich mit Sicherheit gern verzichten möchten: Migräne.

Ich würde sie ja eher miese Trutsche und Schlimmeres nennen. Aber frei nach dem Motto „Ich hab´ sie gern. Weil wenn ich sie nicht gern habe, hab´ ich sie auch“ bezeichne ich die migränische K…bratze seit kurzem als Superkraft (und warum genau, erfährst du in Teil 4 dieser Serie). Wobei ich am „gerne haben“ noch arbeite und nicht glaube, in diesem Leben damit fertig zu werden.

Madame Migraine kommt gern dann, wenn man sie rein gar nicht braucht. Speziell zu Zeiten, wo man sich auf Erholung gefreut hat. Und sie ist nicht immer weg, wenn sie weg ist. Dieser Tage saß ich mal wieder mit einem Migräne-Kater  am Tisch und würgte an einer Semmel, damit mein migräneverkatertes Gehirn wieder genug Energie hat, um sich von einem mehrtägigen Anfall zu erholen. Diesen Migräne-Kater nennt man medizinisch „Postdrom“ und es gibt auch eine vorauseilende Schwester namens Prodrom. Die spürt man meist weniger intensiv. Sie flüstert eher leise das sich eine neues SuperheldInnen-Abenteuer anbahnt. Theoretisch könnte man da versuchen gegenzusteuern. Sofern man erkennt, dass man a. ein Prodrom hat und b. weiß, was man aktiv tun kann, damit sich daraus kein neuer Science-Fiction-Superhero-Horror-Movie entwickelt, indem man ungewollt die Hauptrolle spielt.

Meine Semmel war übrigens glutenfrei. Per Zufall bin ich vor kurzem darauf gekommen, dass ich Gluten nicht (mehr) vertrage. Ich habe aber keine Zöliakie, sondern eine sog. „Nicht-Zöliakie-bedingte-Glutensensitivität“ (NCGS, Non-Celiac Gluten Sensitivity).

Bis vor einiger Zeit waren Dinkel und seine Urgetreidegeschwister noch ok. Dann hatte ich immer öfter massive Sodbrand-Attacken, die Migräneanfällen nahmen auch zu, der Magen und alles tat weh oder fühlte sich hmpf-ig an. Irgendwann, nach einer kurzen glutenfreien Zeit im Zuge eines Krankenhausaufenthalts, plumpste die Erkenntnis, dass es da einen Zusammenhang geben könnten:

„Gluten und ich – wir sind keine Freunde mehr?!!
Ich wurde carb-technisch defriended??!
Wann ist das denn passiert???“

Man kann das medizinisch kaum bis gar nicht feststellen. Ausser mittels Blindaustestung, wo man glutenfrei isst und Tabletten bekommt, wo entweder ein Placebo oder Gluten drin ist. Anhand der Symptome kann man dann sagen, ob Gluten der pöze Pursche ist oder eben nicht. Oder es ganz klassisch ausprobieren, mittels Trial and Error.
Das habe ich getan und das Ergebnis war klar wie nur was: Ohne Gluten kein Sodbrennen, weniger Magen-Darm Beschwerden, weniger andere Schmerzen und – HURRA – auch tendenziell weniger Kopfdröhnen.

Glücklich hat mich das nicht gemacht, denn es ist eine große Komplikation mehr in meinem ohnehin crohnisch eingeschränkten Nahrungsplan. Laktose, Eier, Knoblauch, Paprika, Salatgurken, usw. … und nun auch noch kein Gluten. Versuch mal damit auswärts essen zu gehen.
Es ist erzmühsam. Aber es ist es wert und darum halt ich daran fest.

Denn jeder potentielle Trigger, der ausgeschaltet wird, ist ein Tropfen weniger um Stress zu vermindern, der mein sensibles Migränehirn zum Durchdrehen bringt. Darum beiße ich die Zähne zusammen oder schlage sie in ein glutenfreies Brötchen.

Wer glaubt, dass ich mit dieser heroischen Tat den bad Boy in meinem Superheldendrama ausgeknockt habe, den muss ich leider enttäuschen. Es ist nur ein kleiner Teil von vielen die mir helfen mein hochsensibles Köpfchen fit und stabil zu halten. Doch selbst wenn ich alle Trigger, von denen ich weiß, dass sie mir nicht gut tun, aus meinem Leben entferne (sofern das möglich wäre), werde ich den Superheldenstatus nimmer los, solang ich lebe. Denn die Ursache für Migräne liegt woanders.

Woher kommt das Biest?

Höret zu und merket auf: Die Ursache von Migräne ist – MIGRÄNE.

Nicht das Essen, nicht die Verspannungen, nicht der Fluch aus einem früheren Leben, nicht das Wetter oder die Mondphasen über der Arktis. Wer eine neurologisch diagnostizierte Migräne hat, der hat die, weil dem Körperchen vom Schicksal ein Migränegehirn eingesetzt wurde. Man kommt damit auf die Welt und wie bei vielen Dingen sind auch hier die Gene beteiligt. Und damit nicht genug, ist auch noch jedes Migränegehirn anders. Manche sind extrem empfindlich, andere glühen nur bei bestimmten Anlässen.

So ein Migränegehirn ist an sich sehr toll – nur eben nicht für diese Welt oder dieses Leben gedacht. MigränikerInnen haben auf Grund ihres Wunderköpfchens eine sog. Reiz- bzw. Informationsverarbeitungsstörung.

Ich erkläre das gerne anhand dieses Beispiels:

Wenn man Besuch (=Reiz) bekommt, läutet der bei jedem Normalkopf erstmal am Gartentor an. Dann wird man ihn vielleicht abweisen oder einlassen und er geht weiter durch den Vorgarten. Dann gibt es einen neuerlichen Halt an der Haustür, wo eine weitere Entscheidung fällt: Weiter reinlassen oder verabschieden?. Bei einem ok steht der Besuch kurz darauf im Vorzimmer und dort wird wieder weiter entschieden ob er weiter kommen darf oder nicht.
Ist der Besuch nett, hilfreich, wichtig oder gut, darf er vielleicht ins Wohnzimmer und man beginnt einen gemütlichen Plausch. Irgendwann geht es an die Verabschiedung und der Besuch wird wieder hinausgeleitet. Im besten Fall bleibt eine angenehme Erinnerung, im schlimmsten Fall muss man gründlich lüften, ehe man das ganze ad acta legt und sanft vergisst.

Bei einem Migränekopf steht der Besuch unangemeldet, laut um sich brüllend sofort im Wohnzimmer (frühmorgens oder dann, wenn es gerade richtig ungünstig ist) und lässt sich nur mit intensiver Gewaltanstrengung vor die Tür geleiten. Während man diesen unangenehmen Besuch zur Tür hinaustritt, trampelt schon der nächste ungebetene Gast durch die Geranien. Mitunter geben sich mehrere gemeinsam ein Ständchen, gründen eine Boyband oder lassen eine Party steigen, bei der das Blech nur so wegfliegt. Geil, wenn man da Gast sein darf. Sch…ße, wenn man alle ungefragt beherbergen muss und vielleicht noch nicht mal gemütlich am Klo war.

Diese Reize bzw. deren Verursacher, die ich mit dem Synonym „Besuch“ belegt habe, machen das (meist und normalerweise) nicht absichtlich. Die Sonne steht nicht rein aus Bosheit genau da, wo sie mir voll in die Augen knallt. Der Zug rattert nicht mir zu Fleiß laut scheppernd durch den Bahnhof und der fettig-ranzige Mief aus der Frittenbude … ok, also der belastet auch andere massiv, oder? In Summe sind es normale Begegnungen und Erlebnisse, die zum Leben dazu gehören und die man kaum vermeiden kann. Es ist auch nicht immer so, dass man das als unerträgliche Qual oder Stress empfindet. Es gibt durchaus Zeiten, da stört das überhaupt nicht. Aber es kann schnell zu einem „zu viel“ werden, wo man die innere Tür nicht mehr zu bekommt und das Haus aus allen Fugen quillt.

Die zwei Seiten einer ungeliebten Superkraft

Der Vorteil eines Migränegehirns:
Man bekommt immens viel mit, vor allem Kleinigkeiten, was auch hilfreich sein kann. Man ist immer in der Aufmerksamkeit und permanent beschäftigt, die eintreffenden Reize in gut und böse zu sortieren, damit man die guten weiter beachten und die bösen meiden kann, auch die Merkfähigkeit ist enorm.

Der große Nachteil eines Migränegehirns:
Man bekommt auch die allerunnötigsten Kleinigkeiten mit, in einer unmöglich zu verarbeitenden Menge, was regelmäßig überfordert und dann wird eine Lawine daraus, auf der die Trigger Walzer tanzen. Man ist permanent im Empfangsmodus, was irre stresst und die Systeme im andauernden Flucht-Kampf-Modus hält. Das kostet viel physische und psychische Kraft. Irgendwann ist die zu Ende und das Gewitter geht los.

Das Leben leidgeprüfter Migräne-VeteranInnen schaut demnach so aus, dass man andauernd beschäftigt ist den geistigen Besuch in „Gut, darf bleiben“ und „Alter,geht´s noch? Substrahier dich aus meinen Ganglien!“ einzuteilen. Das ist anstrengend und klappt nicht immer. Außer man kann sich im Fall der beginnenden Überforderung in eine ruhige Umgebung zurückziehen oder entscheidet sich bewusst nur dann zum Kontakt mit „Außen“, wenn man sich stabil genug dafür fühlt. So ein Cocooning ist in unserer Welt aber leider kaum machbar. Womit man dauerhaft damit beschäftigt ist, seine Trigger zu finden, sie vorweg auszuschalten und den Raum rund um das besondere Köpfchen möglichst reizfrei zu halten.

Weiterlesen bei Teil 2: Trigger, Vielfalt, Mediks und die unesoterische Vorwarnung

Alle Teile der Migräne Serie:

  1. Die ungeliebte Superkraft
  2. Trigger, Vielfalt, Mediks und die unesoterische Vorwarnung
  3. Gemeinsamkeiten zwischen CED & Migräne
  4. Alternativen, Buchtipps, Links & ein müdes Fazit
Allgemein

Das Kur & Reha 1×1

Ich war diesen Sommer zum siebten oder achten Mal zur medizinischen Rehabilitation, umgangssprachlich: „Auf Reha“. Ich bin somit inoffizielle Reha-Veteranin. Diese beeindruckende Karriere verdanke ich zum überwiegenden Teil dem lieben Herrn Crohn. Ohne ihn hätte ich diese Form der gesundheitlichen Optimierungsunterstützung vermutlich niemals kennen gelernt.
Was in gewisser Weise auch ein bisschen schade wäre.
Andererseits: Ohne triftigen Grund gibt es keine Reha.

Heuer standen also wieder 3 Wochen Reha am Programm und diesmal ging es in die Steiermark, nach Bad Aussee. Was nicht meine ursprüngliche Wunschdestination war. Aber da, wo ich eigentlich hinwollte, hat sich der Behandlungsschwerpunkt geändert und Crohnies haben dort keine Heimat mehr. Leider.
Aber auch hier: Jedes Ding hat zwei Seiten. Ich bin froh, dass meine Reha überhaupt bewilligt wurde und ich bin froh, dass ich gefahren bin, denn schlussendlich war es ein Erfolg und hat gut getan.

Gesunde Menschen, die noch niemals eine Reha oder Kur gebraucht haben (oder in Anspruch genommen haben, was nicht immer das Gleiche ist), haben meist eine völlig falsche Vorstellung von einer Reha oder Kur. Das habe ich auch diesmal wieder gemerkt. Und zwar an Reaktion a la „Oh, wie toll — drei Wochen Urlaub auf Kasse in Aussee! Echt geil, beneide dich!
Oder so ähnlich.

Also möchte ich hier mal das 1×1 der medizinischen Kur und Rehabilitation im Detail und aus PatientInnensicht durchgehen. Für alle, die wenig bis keine Idee davon haben, egal ob Reha-bedürftig oder nicht, und um ein paar Urban Legends aus dem Weg zu räumen.

Vorweg:
Die folgende Info ist speziell für Menschen in Österreich, die bei der „normalen“ Krankenkasse (ÖGKK) versichert sind. Wer selbständig ist, ist bei einer anderen Krankenkasse versichert und da kann sich das im Detail wieder ein wenig anders abspielen als hier geschildert. Wie es außerhalb Österreichs aussieht kann ich überhaupt nicht sagen.

Reha = Kur = Erholungsaufenthalt = Urlaub?

Das glauben viele, aber das sind insgesamt drei Paar Schuhe, die mit dem vierten Paar (Urlaub) rein gar nichts zu tun haben.

Halten wir also mal das Wichtigste fest:

  • Eine Reha ist keine Kur.
  • Eine Kur ist kein Erholungsaufenthalt.
  • Und alles zusammen ist kein Urlaub.

Urlaub versus Kur/Reha/Erholungsaufenthalt: Der große Unterschied

  • Ein Urlaub ist etwas, das man sich selbst zahlt und selbst organisiert.
  • Wenn man diesen Urlaub in einer privaten Kuranstalt verbringt, ist das noch immer ein Urlaub.
  • Wenn man sich während dieses Aufenthalts Therapien verordnen lässt, die man vielleicht ganz oder teilweise von einer Krankenkasse oder Versicherung bezahlt bekommt, ist das dennoch ein Urlaub.
  • Selbst wenn man eine Friss-Die-Hälfte-Kur macht, mehrmals täglich Massage, Therapien und dergleichen erhält, dauerhaft Reduktionskost mampft oder sich von eingeweichten Semmeln ernährt und mit Glaubersalz gequält wird: Es. ist. ein. Urlaub.

Man nimmt sich für einen Urlaub extra frei (sofern man im Arbeitsprozess ist) und geht dafür nicht in den Krankenstand. Man muss keinen Antrag stellen, den man von MedizinerInnen und einer Behörde bewilligen lassen muss.

Ein Urlaub kann zudem unterschiedlich lang sein: Ein Tag, ein Jahr und alles dazwischen oder länger. Der eigene Wunsch und das zur Verfügung stehende Budget (=Zeit und Geld) sind die einzigen Parameter, die das regeln.

Ein Urlaub ist ein Urlaub ist ein Urlaub und bestenfalls so etwas ähnliches wie Ferien.
Aber ein Urlaub ist keine Kur, kein medizinischer Erholungsaufenthalt und noch nicht mal ansatzweise eine Reha.

Reha, Kur und Erholung „auf Kasse“: Das Angebot und die Leistungsgeber

Man unterscheidet bei uns in diesem Setting zwischen Erholungsaufenthalt, Kur und Reha und sie gelten grundsätzlich als sog. freiwillige Leistung der Sozialversicherungen. Auf deutsch: Es gibt keinen rechtlichen Anspruch darauf. Man hat also kein „Recht“ mal eben auf Kur, Erholung oder Reha geschickt zu werden und kann das auch nirgends einfordern.

Wer nun argumentiert, dass noch nie im Leben was gebraucht zu haben und nun Bedarf da wäre, der hat auch keine höheren Chancen etwas zu bekommen. Erfahrungsgemäß sogar geringere. Denn wenn man nie gesundheitlich „auffällig“ geworden ist, dann geht man inoffiziell (auf Seiten der Leistungsträger) eher davon aus, dass das Gesundheitspotential gut und vorhanden ist und normale Therapien im niedergelassenen Bereich ausreichen, um den Zustand zu optimieren. Das ist eine Erfahrung, die vor allem Selbständige irgendwann machen könnten. Denn da beißt man sich notgedrungen oft lange mit gesundheitlichen Problemen durch, wo andere bereits schon lange in Therapien sind.

Einmal mehr daher die Empfehlung, sich nicht unnötig zu quälen und besser früher als später der Gesundheit den Vorrang zu geben. Denn auch von Seiten der gewerblichen Sozialversicherung gibt es fürs Durchbeißen keine Fleißsternchen und Denkmäler werden eher nur für Verstorbene errichtet. (Abgesehen davon haben Denkmäler ein Taubenproblem und darauf kann man, ehrlich gesagt, auch verzichten.)

Wenn man berufstätig ist oder in Pension ist die Pensionsversicherungsanstalt meist diejenige, die einen Kur- oder Reha-Aufenthalt genehmigt und bezahlt. Für alles anderen ist die ÖGKK zuständig, sofern man dort versichert ist. Ausnahmen gibt es bei sog. Psycho-Kuren/Rehas, die meist auch direkt von der ÖGKK geleistet werden.

Wer auf Erholung, Kur oder Reha geschickt wird, muss meist auch etwas dazu zahlen. Es ist also nix mit „alles gratis und umsonst“. Dieser Kostenbeitrag muss spätestens zum Antritt eingezahlt sein. Die Höhe ist vom Einkommen abhängig und wer besonders wenig hat, für den/die gibt es Sonderkonditionen.

Der erste Schritt: Antrag stellen

Zuerst braucht es einen triftigen Grund für eine Kur oder Reha. Den Antrag muss eine Ärztin oder ein Arzt bestätigen und die schreiben auch die Diagnose(n) in den Antrag. Das kann man beim Hausarzt bzw. einem anderen niedergelassenen Arzt machen oder idealerweise im Zuge eines Aufenthaltes im Krankenhaus. Da wird einem das mitunter auch vorgeschlagen. Aber eher sehr, sehr selten, aus meiner Erfahrung heraus.
Der Grund: So ein Antrag ist ein wenig mühsam und der normale Schriftverkehr im Krankenhausalltag ist schon sehr intensiv. Da bleibt wenig Zeit für das mehrseitige Formular und die intensive Auseinandersetzung mit dem, was da an Infos eingefordert wird. Zudem ändern sich die Bedingungen und Locations immer wieder und diese Infos werden meines Wissens nicht an die MedizinerInnen weiter gegeben. Man muss also von sich aus aktiv dran sein und sich vorinformieren, damit man beim Ausstellen wirklich weiß, was Sinn macht und möglich ist.

Laut offiziell unbestätigten Gerüchten hat ein Antrag aus dem Krankenhaus bessere Chancen bewilligt zu werden. Besonders flott geht es, wenn man im Anschluss an eine OP oder einem entsprechend intensiven Aufenthalt direkt im Krankenhaus eine Reha beantragt. Das läuft unter sog. Anschlussheilverfahren, mit einem eigenen Formular, und hat bei der Bewilligung Priorität. Das Wissen um diesen Ablauf ist leider in kaum einem Krankenhaus vorhanden und wer nicht selbst nach einem solchen Antrag fragt, wird somit eher keine Option angeboten bekommen.

Ich habe auch erlebt, dass man meinen MitpatientInnen im Krankenhaus erklärt hat, dass man in diesem Krankenhaus generell keine Reha/Kur-Anträge macht, weil dafür ja die Hausärztinnen zuständig sind und sie das auch gar nicht machen können. Interessanterweise war das nur einen Tag nachdem mein Antrag von eben diesem Krankenhaus, in dieser Abteilung ausgefüllt und an die zuständige Behörde geschickt wurde. Das „nicht Können“ war also eher ein „nicht Wollen“ und es hängt einmal mehr davon ab, wen man anspricht, wer motiviert ist, sich auskennt und die Mehrarbeit im Sinne der PatientInnen auf sich nimmt.

EXTRATIPP!

Immer alle aktuell bekannten Diagnosen in den Antrag hinein schreiben (lassen). Auch dann, wenn der eigentliche Grund für die Reha z.B. Morbus Crohn ist.
Wenn du Beschwerden am Bewegungsapparat hast, dann lass das mit hineinschreiben. Oder was auch immer du sonst noch für Probleme hast.
Die Verordnung der Therapien vor Ort erfolgt in „Paketen“, die auf der Diagnose im Antrag aufbauen. Diese Pakete sind verrechnungstechnisch nicht sehr flexibel. Auch die ärztliche Untersuchung vor Ort kann die Antragsdiagnose nicht „nachbessern“ oder ausweiten. Das heißt man behandelt dann „nur“ den Crohn und die anderen Probleme kaum bzw. nur am Rande. Stehen aber alle gesundheitliche Diagnosen und Probleme von Anfang an im Antrag, kann man vor Ort gezielt darauf eingehen und die Therapien entsprechend anpassen.

Ist der Antrag abgeschickt, heißt es warten. Das kann auch mal ein paar Wochen sein und das ist gut, denn Absagen kommen eher schnell. Manchmal muss man Befunde nachreichen oder direkt zu einer Begutachtung in der PVA/ÖGKK bzw. bei einem Vertragsarzt anreisen, damit man feststellt, ob die Kur, Reha oder Erholung wirklich Sinn macht bzw. etwas geändert werden muss.

Wenn der Antrag positiv beurteilt wird, bekommt man ein Info, dass sich die Kuranstalt oder SKA (=Sonderkrankenanstalt) mit einem in Verbindung setzen wird. Die Kuranstalt, SKA oder das Kurhotel melden sich einige Zeit vor dem Termin und man erhält eine Einladung mit weiteren Infos. Also nicht wundern, wenn man zwar von der PVA/ÖGKK eine Info bekommt, aber dann wochenlang nichts weiter hört.

Man kann dann auch direkt in der Kureinrichtung anrufen und höflich nachfragen, wann der Termin in etwa sein wird. Das erleichtert die eigene Planung ungemein und ist eine herzliche Empfehlung von mir.
Da ist es dann unter Umständen auch möglich Termine hinaus zu schieben, wenn der ursprünglich zugeteilte Termin nicht passt. Oder man lässt sich auf eine Warteliste setzen, falls wer ausfällt und kurzfristig ein Platz früher frei wird. Da kann es dann sein, dass man drei Tage vor Antritt eine Info bekommt, dass spontan ein Platz frei geworden ist.

Kur oder Erholung …?

Der Unterschied ist ein wenig fließend und nicht leicht zu verstehen. Für den Erholungsaufenthalt ist aber meist die Krankenversicherung zuständig, Kur und Reha werden via Pensionsversicherungsanstalt (PVA) abgewickelt.

Ansonsten ist ein Erholungsaufenthalt eine Art minimalistischere Kur und der Unterschied zur „vollen“ Kur besteht hauptsächlich darin, dass man im Detail weniger Therapien hat, weil man sich ja primär erholen soll. Auch fährt man bei einem Erholungsaufenthalt eher in ein Kurheim oder Hotel, das mit der PVA/ÖGKK einen Vertrag für diese Leistungen abgeschlossen hat.

Was man vor Ort an Therapien bekommt ist davon abhängig, welche Diagnosen Arzt oder Ärztin in den Antrag geschrieben haben und welche Maßnahme angekreuzt wurden.

Nachträglich von Erholung auf Kur bzw. auf Reha oder umgekehrt zu ändern geht meines Wissens nicht.

… oder Reha?

Eine Reha ist die oberste Stufe der medizinischen Maßnahmen und intensiver als eine Kur. Das bedeutet das man mitunter viel mehr und andere Therapien hat und auch engmaschiger medizinisch betreut wird.
Bei einer Reha geht es meist in eine sog. Sonderkrankenanstalt (SKA). Das ist dann so ähnlich wie ein richtiges Krankenhaus, aber mit deutlich mehr Komfort und natürlich entsprechendem Freigang. Je nachdem welche Diagnose(n) man hat bzw. wohin man geschickt wird, ist die SKA „krankenhausähnlicher“ oder mehr ein Kurheim.

Ambulante Reha, Teil-Reha, Reha-Sonderformen

Eine ambulante Reha kannst du von zu Hause aus machen. Die Therapien werden in eigenen Instituten angeboten, wo du mehrmals die Woche hingehst. Aber du wohnst weiter zu Hause. Die Dauer dieser ambulanten Reha ist damit auch viel länger und du hast meist nicht jeden Tag Therapien.
Diese Version geht auch berufsbegleitend, wenn auch nicht mit jeder Diagnose. Mit der Diagnose Morbus Crohn ist eine ambulante Reha zum Beispiel nicht möglich und wenn du schon in Pension bist, kannst du auch keine in Anspruch nehmen.

Wohin und wie lange?

Reha, Kur oder ein Erholungsaufenthalt dauern mindestens drei Wochen und nein, man kann nicht handeln. Drei Wochen sind das Minimum, es gibt auch welche die sind von Haus aus länger (abhängig von der Diagnose) und der Aufenthalt kann vor Ort auch verlängert werden, wenn man von medizinischer Seite der Meinung ist, dass das hilfreich wäre. Ich habe aber noch niemand kennengelernt oder von wem gehört, der gegen seinen Willen verlängert wurde.

Dennoch: 3 Wochen sind das Mindeste.

Die Kur kann in einem sog. Kurheim, einer Sonderkrankenanstalt oder einem Hotel, das eine vertragliche Vereinbarung mit dem jeweiligen Kostenträger hat, konsumiert werden. Bei einer Reha geht es, wie geschrieben, meist immer in eine Sonderkrankenanstalt.

Man kann beim Ausfüllen des Antrags auch eine Wunschdestination angeben und das ist sehr empfehlenswert. Allerdings vorher unbedingt recherchieren, welche Optionen überhaupt zur Verfügung stehen. Sprich: Wo kann man mit welcher Diagnose hin?

Sich ein schönes Hotel in einer angesagten Location aussuchen und der Kasse/PVA das als Kur oder Reha zu verkaufen klappt nicht. Eine Kur ist (ich wiederhole mich) kein Erholungsaufenthalt und keines von beiden ist ein Urlaub. Man kann sich also nicht auf PVA-Kosten drei Wochen in seiner Wunschtherme den Rücken kraulen lassen.

Recherchiere unbedingt vorab auf der Website der PVA oder ÖGKK welche Destination für welche Diagnosen möglich sind. Da kann man sich oft auch einen Einblick in die Locations verschaffen und wie bzw. wo man untergebracht wird.

Ich war bis jetzt immer in einem Einzelzimmer, ohne Mehrkosten, weil „meine“ Locations das standardgemäß so handhaben. Aber es gibt auch Kuranstalten & Institute, wo man 2-Bettzimmer hat. Manchmal kann man dann für ein Einbettzimmer aufzahlen, manchmal geht das nicht. Auch deswegen ist es empfehlenswert, sich vorweg zu erkundigen, wo es hingehen soll.

Bekommt man dann eine andere Destination bewilligt, kann man fallweise auch noch mal wechseln – wenn es eine andere Option mit der gestellten Antragsdiagnose gibt. Bei Morbus Crohn hast du in Österreich nur noch eine Reha-Option: Die SKA in Bad Aussee. Früher gab es drei Möglichkeiten. Aber die Schwerpunkte der beiden anderen SKA haben sich geändert und die SKA in Bad Aussee gilt nun als Schwerpunktzentrum für Reha mit CED.

Urlaub in keinster Weise, weil: Krankenstand

Der wichtigste Unterschied zum Urlaub: Während einer Kur bzw. eines Erholungsaufenthaltes ist man arbeitsrechtlich im Krankenstand und hat sich entsprechend zu verhalten. Das bedeutet, dass „Party all night long“ in diesem Setting absolut kein Thema ist. Alkohol ist im Kurheim oder einer SKA generell tabu und mit den KollegInnen eine mehr oder weniger intime Pyjama-Party zu feiern, kommt auch nicht gut an. Schlimmstenfalls wird das sogar richtig, richtig teuer. Man riskiert einen Rausschmiss und muss die Kosten für den Aufenthalt aus eigener Tasche nachzahlen.

Deswegen ist man angehalten während des Aufenthaltes seine Therapien zu konsumieren und ansonsten durch „aktives Interesse“ dazu beizutragen, dass der Aufenthalt dem Kurziel entspricht – was soviel heißt wie: Fitter nach Hause kommen, als man angereist ist und dazwischen keinen Scheiß drehen.

  • Spaziergehen, wandern, walken, moderate Freizeitaktivitäten im Rahmen dessen, was einem gut gut, zur Sicherheit in Absprache mit dem behandelden Arzt/Ärztin – alles ok.
  • Baden, schwimmen, im Cafehaus ein gemütliches Kaffeetschi oder Teechen und Pläuschchen halten –  sofern man sich an die Covid-Regeln und Vorgaben des Instituts hält: no Problem.
  • Am Wochenende Besuch von Familie oder Freunden bekommen, mit denen spazieren gehen, in ein Gasthaus einkehren usw. – sofern auch hier mit der ärztlichen Betreuung vor Ort abgesprochen und die Möglichkeit besteht, dass man sich vom Essen am Wochenende befreien lassen kann: alles gut.

So lange man zu den Zeiten, wo man im Haus sein soll, im Haus ist, pünktlich zu den Therapien und zum Essen erscheint, und sich ansonsten gesittet benimmt, ist alles fein und kein Problem.

Generell lautet die Direktive, dass man sich primär in und rund um das Haus aufhält und Autofahrten vermeiden soll. In Covid-Zeiten wurden und sind die Regeln nochmal deutlich anderes und man tut gut daran, sich entsprechend daran zu halten.

Was absolut nicht gut ankommt und möglicherweise einen sofortigen Verweis zur Folge hat:

  • Extremsport betreiben und dabei gesundheitliche Probleme riskieren – sehr bedenklich. Wobei die Definition, was genau Extremsport ist, sehr niedrig und grundsätzlich eher schwammig angesetzt ist. So lange nix passiert, wird vermutlich nix passieren. Blöd aber, wenn man einen Unfall hat und der muss gar nicht besonders groß sein.
  • Voll besoffen auf die Stufen des Kurheims zu reihern, besonders nach „Sperrstunde“ der Anstalt, wenn man schon längst gemütlich Gesundheitsschlaf halten sollte.
  • Die ärztlich verordnete Schon- oder Reduktionskost mittels daily Schweinebraten-Speckjause-Cremeschnitten-Exzess ad absurdum zu führen (die Waage verrät einen, die Blutwerte helfen ihr)
  • Die Nacht nicht im eigenen Zimmer zu verbringen, sondern die Betten der KollegInnen testen …
  • Im Kurheim mit Rollator oder Krücken herum humpeln und Freitag Abend in der Dorfdisco Boogie bis zum Abwinken tanzen – natürlich ohne Rolli, ohne Krücken, ohne Gehhilfe. Das dann als spontane Wunderheilung zu verkaufen wird sehr schwierig bis unmöglich.

Im Gegensatz zum Selbst bezahlten Urlaub kann man bei einer Reha, Kur oder einem Erholungsaufenthalt somit bei entsprechendem Verhalten, oder wenn man (wiederholt) gegen die Auflagen verstößt, nach Hause geschickt werden. Meist kommt dann noch ein recht hohe Rechnung dazu, denn wenn man sich so verhält, muss man die Kurkosten übernehme und ich sag mal so: Da ginge sich mehr als ein Urlaub aus.

Fallweise wird man dann auch für weitere Aufenthalte gesperrt.

Das Ziel: es soll gut tun und dir helfen

Für Neulinge klingt das nach einem sehr strikten Reglement und die Einladungsschreiben der Kur/Reha-Anstalten haben auch einen dementsprechenden Ton intus. Da könnte man grundsätzlich auch mal ein Update machen. Der Ton klingt sehr nach einer Einberufung in eine Vollzugsanstalt. In echt und vor Ort ist es deutlich und ehrlich netter. Man wird als Mensch und nicht als Nummer behandelt und das Personal vor Ort war, zumindest in meinem Fall, immer sehr hilfsbereit und zuvor kommend.
Doch wie man in den Wald hineinruf, so schallt es zurück: Wer sich schon im Vorhinein präpotent gebärdet und dann in jeder Suppe ein Haar finden will, dem wird entsprechend konter gegeben. Die Drohung mit schlechter Kritik auf den Buchungsplattformen oder Social Media zieht hier absolut nicht.

Bedenke immer: Es ist eine freiwillige Leistung der Sozialversicherungsträger und dazu da, dass es dir durch die dort angebotenen Maßnahmen besser geht, damit du den Alltag, dein Leben und deine Arbeit wieder besser bewältigen kannst. Die Leute vor Ort unterstützen dich dabei. Sie machen ihren Job im Rahmen der vorgegebenen Möglichkeiten und sind daran interessiert, dass es dir gut geht.

Bedenke auch: Das Budget, dass für diese Maßnahmen zur Verfügung steht, ist nicht sehr hoch und das Meiste geht für Therapien und die medizinische Betreuung auf. Der Posten, der fürs Essen bleibt, ist in der Regel der kleinste. Ich bewundere jedesmal, dass die Küche vor Ort mit diesem Budget auskommt und dennoch meist eine sehr gute Qualität und hohe Vielfalt anbietet. In den Kurhotels mag die Budgetverteilung anders sein. In den SKAs würde man mit dem, was hier an Geld pro Person und Monat für Lebensmittel zur Verfügung steht, im privaten Haushalt niemals auskommen.

Damit ist auch klar, dass Sonderwünsche mühsam zu erfüllen sind. Dennoch versucht man das Beste daraus zu machen. Wenn du mit irgendwas oder irgendjemand ein Problem hast, hat es sich aus meiner Sicht heraus sehr bewährt, dass höflich und direkt vor Ort anzusprechen. Es bringt nichts, wenn du leidest, weil das Bett zu hart, das Essen nicht deins oder die Therapien mehr weh, als gut tun. Selbst wenn du merkst, dass es dir hier gar nicht gut geht und du weg willst: Sprich es an, bei deiner medizinischen Betreuung, in der Verwaltung, beim Pflegepersonal oder der Ernährungsberatung. Man findet immer eine Lösung und auch der vorzeitige Abbruch der Maßnahme ist in bestimmten Fällen ohne finanzielle oder bürokratische Folgen möglich. Ich bin selbst schon mal schwer krank geworden (akuter Crohn-Schub), musste ins Spital und der Erholungsaufenthalt musste abgebrochen werden. Ein paar Monate später hatte ich die nächste Chance und da hat es dann gut getan und geholfen.

Generell sagt man, dass man zweimal in fünf Jahren so eine Maßnahme in Anspruch nehmen kann bzw. den Antrag stellen kann. Aber auch hier gibt es Ausnahmen. Die Info, dass man mit der Diagnose CED jährlich auf Reha fahren kann, habe ich schon sehr oft gehört. Selbst aber auch schon anders erfahren. Zugleich bin ich mal drei Jahre hintereinander auf CED-Reha geschickt worden – weil der Crohn sehr aktiv war, ich komplett ko und auch OPs in diesem Zeitraum hatte, die eine Nachbetreuung brauchten.

Bis auf einmal bin ich immer fitter, motivierter und erholter retour gekommen, als ich hingefahren bin. Auch hat der Erfolg dann immer gut gehalten – bis eben die nächsten Katastrophe in meinen Lebenskalender eingetragen wurde. Meist hat es mir rundum gut gefallen und was nicht gepasst hat – siehe oben – habe ich direkt vor Ort klären können.

Fazit

MiABadAussee 2021 - Das Kur & Reha  1x1

Reha, Kur und Erholungsaufenthalt sind sehr gute Möglichkeiten, sich voll und ganz auf sich selbst, die eigene Gesundheit und die Erholung von den Widrigkeiten des Lebens zu konzentrieren. Das sollte man genau in diesem Sinne auch nutzen. Die liegengebliebene Korrespondenz oder diverse Akten zum Aufarbeiten mit zunehmen, bringt nichts. Glaubs mir, ich habs probiert. Das ist sinnlos und konterproduktiv.

Nimm dieses Angebot bewusst nicht als Urlaub an, sondern als Chance etwas in deinem Leben mit Hilfe von anderen zu verbessern. Das kostet naturgemäß Kraft und Zeit und ja, das ist mitunter auch sehr anstrengend, aufwühlend und geht möglicherweise tief. Aber du hast vor Ort Unterstützung dafür und drei Wochen sind eine tolle Möglichkeit, etwas zu bewirken, mit dem man dann auch zu Hause weiter machen kann.

Wenn du zu denen gehörst, die Kur-Reha-Erholung bisher als „Urlaub auf Kosten der Allgemeinheit“ gesehen haben, dann hoffe ich sehr, dass ich ein paar Dinge klarstellen konnte. Mag sein, dass manche Menschen hier eine Chance sehen, „das System“ auszunutzen und das innere A—loch von der Leine zu lassen. Diese Typen gibt es überall und für sie sind auch diese Regeln und der „Kasernenton“ in den amtlichen Schreiben.
Die Mehrheit der Reha-Kur-PatientInnen ist daran interessiert, die eigene Gesundheit zu verbessern und den Aufenthalt für eine rundum gute und anhaltende Gesundheitsoptimierung zu nutzen. Damit wird eine Reha, eine Kur oder ein Erholungsaufenthalt zu einer wichtigen „Arbeit“, die man ernst nimmt und von der man sich etwas erhofft, dass man im besten Fall, mit der Unterstützung vor Ort, auch erreichen kann.

Ich wünsch dir jedenfalls alles Gute, wenn du diese Möglichkeit der gesundheitlichen Vorsorge und Unterstützung für dich erstmals oder wiederholt nutzen möchtest!

Hast du andere Erfahrungen oder Ergänzungen zu meinen Infos? Dann schreib es in die Kommentare, damit auch andere davon erfahren.

Links und weitere Infos

Allgemein, Cartoons

Crohnisches Altern

Ich mache täglich mein Bett. Klopfe Matraze, Decken und Pölster aus, lege alles hübsch zusammen, Tagesdecke drüber. Fertig.
Das gibt mir das spießige Gefühl, zumindest einen Teil des Tages geschafft, etwas mit Sinn gemacht zu haben und man sieht auch gleich, dass sich was getan hat. Schaffe ich an diesem Tag nicht mehr als mein Bett, ist mir das zumindest am Abend ein schöner Anblick und eine leichte Beruhigung. Meist mache ich das Bett am frühen Vormittag. Später meist nur dann, wenn der Tag nicht so gut begonnen hat und die Steigerung eher in die Tiefe, als nach oben geht.

Außerdem sortiere ich die Bestecklade nach Größe und Form und habe mir dafür den Spitznamen Gabel-Monk eingehandelt. Egal, wenn ich in die Lade schaue, was mehrmals täglich passiert, habe ich das Gefühl, dass die Ordnung auf mich überschwappt und das beruhigt mich irgendwie. Auf diesen paar Quadratzentimetern ist das Leben geregelt, alles hat seinen Platz, alles ist im Rahmen. Ein zarter Anker in einer chaotischen Welt.

Das Bett und die Bestecklade halten den Tag für mich zusammen und sorgen dafür, dass ich mich nicht verliere. Was an den Tagen, wo ich das Bett spät oder gar nicht mache und die Lade ungeordnet ist, leicht passiert. Was weder am Bett oder an der Lade liegt, sondern am Tag und an mir.

Zwei Spleens, die mir Halt geben in einer Welt, in der ich mich immer weiter von vielem entferne. Corona, die Lockdowns und das neue Weltbild haben viel verändert und manches verschärft. Zum Beispiel mein Gefühl immer weiter wegzudriften vom Alltag meiner Mitmenschen, vom Teilnehmen am menschlichen Dasein rund um mich. Wobei Corona da eigentlich nicht viel dazu getan hat, was nicht schon vorher diesen Weg eingeschlagen hat. Aber es liefert zumindest eine gute Ausrede.

Ich werde Ende des Jahres  54 und bin seit 5 Jahren in Berufsunfähigkeitspension. Arbeitsunfähig war ich vorher schon. Der liebe Herr Crohn wurde damals zum Fulltime-Job und sorgte für mehr Überstunden, als ich jemals abbauen kann.

„Sei doch froh! Du kannst dir den Tag einteilen, kannst es dir gut gehen lassen, hast keinen Stress mehr und sowas wie Dauerurlaub, ha ha!“
Ja. Genau. So ist es (nicht).

Ich bin dankbar, weil es diese Möglichkeit in Österreich gibt. Aber froh bin ich nicht. Denn der Grund für das nicht Arbeiten können ist der gleiche, der meinen Alltag mühsam macht. Und es ist nicht immer nur der liebe Herr Crohn, der etwas dazu beiträgt.

Vor 7-8 Jahren hat mein altes Leben zu bröckeln begonnen. Es wurde dürr, leerer und  vor 5-6 Jahren ist es ganz verschwunden. Mir war dabei nicht langweilig, ich habe mehrmals um meine Überleben gekämpft. Dabei blieb mein Berufsleben auf der Strecke. Ich wusste bis dahin nicht, dass man sein Leben verlieren kann ohne zu sterben. Und dass es eine Trauer über diesen seltsamen Verlust gibt, die man als einzige Hinterbliebene spürt und die einem von da an begleitet.

Ich bin dankbar, dass ich in Berufsunfähigkeitspension gehen konnte, weil es mir ein physisches Überleben ermöglicht hat und nach wie vor tut. Aber auch nach 5 Jahren ist da noch immer diese seltsame (egoistische?) Trauer. Sie veränderte sich zwar, weil andere Trauer dazu gekommen ist – „echte“ Trauer, die mit dem Verlust von innig geliebten Menschen zu tun hat, die mir lieb, wert und sehr nahe waren. Meine Lebens-Ego-Trauer hat sich davon in den Hintergrund schieben lassen und manchmal wirkt es so, als wäre sie nicht da. Aber sie schickt mir immer wieder Grüße und Erinnerungen. Einsamkeit ist eine davon.

Ich hatte ein intensives Berufsleben, dass mir – ich gestehe es heute offen- auch immer wieder zu viel wurde. Ich hatte unzählige Bekannte und viele FreundInnen, war gut vernetzt, aktiv und immer am Tun. Von diesem Dasein ist mir so gut wie nichts und – hard to write, harder to say – kaum jemand geblieben. Das kränkte zuerst, tat dann auf perverse Art „gut weh“ und dann rang sich das Verständnis durch, um den Boden für einen Abschluss dieser Lebensphase vorzubereiten. Es war und ist niemandes schuld, es ist eben Leben. Müßig darüber zu grübeln, müßig „was wäre wenn“ zu spielen oder sich die Gram zu Herzen zu nehmen. Es bringt nichts.

Klar gehören immer mindestens zwei dazu, wenn sich die Lebensumstände bei einer Seite ändern und man sich aus den Augen verliert. Es lag auch an mir, dass ich es nicht mehr geschafft habe, die Fäden zu halten. Ich war zu Beginn die meiste Zeit zu KO für alles. Der liebe Herr Crohn kann sehr imperativ sein, wenn es um die Einteilung von Zeit und Kraft geht. Als er sich dann beruhigt hatte, war der Abstand zu groß geworden und meine Angst vor bodenlosen Abgründen (Bathophobie) hat sicher auch etwas dazu beigetragen, dass mir der Mut fehlte, diesen Abstand zu überwinden.

Life is what happens while you are busy making other plans – nicht wahr?
A Crohns life happens und das mit dem „busy making“ bezieht sich meist auf was ganz anderes, als Gedanken über das Machen von Plänen.

Irgendwann wird leises Bedauern aus dem Hadern mit dem, was man nicht ändern kann, und das ist ein Zustand, der sich auf viele Bereiche des Lebens ausdehnen lässt. Leises Bedauern bedeutet, dass man nicht so viel Energie in Tränen investieren muss, denn die wären ja laut und das ist mehr als Bedauern. Leises Bedauern bedeutet auch, dass der Schmerz nur am Rande wahrnehmbar wird, wie eine sanfte Delle. Leises Bedauern bedeutet zudem, dass man sich rascher daran gewöhnt und mit jeder neuen Delle stellt sich einem eine alte Bekannte an die Seite – man kennt sich und weiß, dass man sich immer wieder begegnen wird. Leises Bedauern ist erträglich und darauf kommt es an, wenn vieles im Leben hart an der Grenze zum Unerträglichen laviert.

„Aber du dürftest dir ja was dazu verdienen, oder? Kleines bisschen, aber immerhin. Und du könntest dir Ehrenarbeit suchen, oder so…“
Yep, könnte ich beides.

Nur: Ich bin tatsächlich NICHT arbeitsfähig und weiß am Vortag nicht, was mir der Morgen zum Tagesbeginn an Kraft serviert und inwieweit sich die im Lauf des Tages verringert oder erhöht. Es ist immer spannend und unberechenbar, wie einem die Geschichte mit den Löffeln lehrt (findest du in meinem Buch auf deutsch oder hier auf englisch).

Ich bin froh, wenn ich meinen Haushalt (mit Hilfe) schaffe, mit dem Hundegirl täglich eine Runde drehen kann und das Bett täglich mache. Wenn sich mehr als das ergibt (Bestecklade & Co.), ist es ein üppiger, kraftvoller Tag und das bedeutet noch immer nicht, dass ich an diesem Tag das tun könnte, was man gemeinhin als „Arbeit“ bezeichnet. Geschweige denn, dass es ausreicht, um dafür Geld zu bekommen. Es geht einfach nicht und auch wenn ich mich wiederhole: Ich bin dankbar, dass ich nicht arbeiten muss und diesen Schutz habe. Aber es macht nicht glücklich und das wollte ich auch mal sagen … schreiben.

Ich bin zu jung

Alle anderen in meiner Generation sind intensiv im Arbeitsalltag eingebettet. Auch wenn sie nicht immer glücklich damit sind, mehr oder weniger darüber meckern und einige sich verändern wollen. Sie haben ihren Arbeitsalltag und das wird noch lange so bleiben.
Die Menschen rund um meinereiner, die in Pension sind, sind unisono in Alterspension.
Ich bin dazwischen, zu jung um zu den rüstigen PensionistInnen zu gehören (die zum Großteil viel, viel fitter und rüstiger als ich sind), zu arbeitsunfähig um mit den Leuten meines Alters mitzuhalten. Zu gesund, um intensiv krank zu sein. Zu krank um fit und gesund zu sein.

Ich bin zu alt

Zumindest zu alt um als Crohn-Fluencerin eine neue Lebensschiene aufzubauen und ich habe einfach nicht mehr die Kraft, mich mit dem heutigen Seiltanz zwischen social Shitstorms, Influencermarketing, Posting on the limit und den zahlreichen Kommunikations-Stolperfallen  auseinander zu setzen. Ich muss immer öfter googlen um zu verstehen, was mit Schlagwörtern a la Cancel Culture und Co. gemeint ist.

Als ich meinen Crohn-Blog gestartet habe, gab es kaum Infoseiten im Netz, die sich mit CED & Co. beschäftigten. Mittlerweile gibt es unzählige DarmfluencerInnen, Bauch-Podcasts, CED-Blogs und Video-Channels – unglaublich viele und das ist richtig, richtig gut. Denn es braucht all diese und noch viele mehr, damit man die Erkrankung und ihr Umfeld bekannter macht und die Stigmata, die damit verbunden sind, abschafft. Also: Go guys, run the net und sorgt für ordentlichen Rumor!

Was mich aber zunehmend irritiert, ist die Abwesenheit von Menschen über 40, die auch in der CED-Bubble kaum präsent sind. Crohn gilt als „junge“ Erkrankung, weil der fiese Scheiß meist sehr früh im Leben zuschlägt. Allerdings bleibt der Crohn einem dann treu, bis ans Ende aller Tage und die können spät werden.

„Mit Crohn kann man 100 werden!“

… hat mir eine meiner Gastroenterologinnen mal gesagt, um mir Mut zu machen.
Ja eh, aber will man das auch?
Und in welchem Zustand?
Und wie schafft man es, die Zeit zu füllen?
Und wo sind diejenigen, die es geschafft haben oder am Weg dahin sind?
Wie geht es ihnen, wie gestalten sie den Alltag in Kombi mit dem lieben Herrn Crohn und all den Maladitäten, die einem durch Mediks, Crohn, OPs, soziale Uffs und Ächz und lebensbedingte Verschleißerscheinungen im Laufe der Jahre so zuwachsen?

Ein Crohn-Schub und Regelschmerzen in Kombi sind schlicht furchtbar. Aber wo verdammt noch mal sind z.B. die Infos, welche Auswirkungen sich im Zuge der Menopause auf crohnischer Seite ergeben? Oder wie man diese dreimal verfluchten, komplett sinnlosen, verf***** Schweißausbrüche, das Herzrasen, die elendigen Stimmungsschwankungen in den Griff bekommt, während man mit schweißnasser Hand Crohn-Mediks sortiert und überlegt, welche Nebenwirkungen die Supplements haben, die man zuhauf in sich reinwürgt, in der Hoffnung, das irgendwas davon Besserung bringt?

Oder Infos, wie man sich gegen die zunehmende Schlaflosigkeit wehrt, weil der Lebenssinn mal wieder einen auf Dauer-Ciao macht und sich die Nächte weigern geschlafen zu werden, trotz immenser Müdigkeit?

„Kannst dich ja eh tagsüber hinlegen und ausrasten. Schlaf halt am Nachmittag eine Stunde …“

Tagsüber schlafen macht es nicht besser, im Gegenteil. Selbst wenn ich es könnte, würde es die Nächte noch leerer machen und mir noch mehr von der Zeit einschränken, die mir einen Hauch von Normalität gibt.

Es kann doch nicht sein, dass ich die einzige bin, der es so geht? Die zu früh aus dem Alltag und zu tief in der crohnischen Sche…marrn-Partie gelandet ist? Wo sind die Midlife-Crohnies, die Berge erklimmen, Kreuzfahrten planen, die Welt retten, sie neu erfinden und tougher als tough beweisen, dass man auch mit diesem Scheiß dem Dasein einen großen Haxn ausreißen kann?

Ich hoffe sehr, dass sie nicht wie ich mit Bett und Lade kämpfen, um dem Alltag eine spießige Struktur zu geben. Aber ich vermute, dass wir einen gemeinsamen Endgegner haben: Diese immer präsente, zehrende Dauermüdigkeit, auch als Madame Fatigue bekannt, die sich auf Körper, Geist und Seele legt, mit viel Übergewicht und Steinen im Gepäck.
Das Fiese an dieser Trutschn: Sie unterscheidet nicht zwischen Alt und Jung, sie sucht alle gleichermaßen heim. Nur hat man mit zunehmenden Crohnjahren im Darm immer weniger Kraft, um der lästigen Lady einen Tritt ins Auweh zu verpassen.

Ich hatte die Befürchtung, dass meine Resilienz irgendwann mal in einem intensiven Crohn-Fight ein technisches KO einstecken und vor mir abtreten würde. Weil ein Krug auch nur eine begrenzte Zeit mit einem Sprung in der Schüssel zum Brunnen pilgern kann.
Stattdessen sehe ich ihr täglich beim schwächer Werden zu. Ich sollte ihr die Hand halten, sie aufmuntern und was von „Krone richten, weiterstolpern“ brummeln. Denn man gibt ja bekanntlich nur Briefe auf. Nur schreibt die kaum noch wer, weil alle Mails, WhatsApps und PNs, Sprachnachrichten oder Gifs senden und in ein paar Jahren wird niemand mehr wissen, was mit dieser abgedroschenen Brief-Metapher gemeint ist.
Ich bin aber zu müde, mir was Neues auszudenken und im Grunde genommen ist es egal. Meine Resilienz lebt zur Zeit von kleinen Alltagsroutinen (das Bett, die Lade, die Hunderunde … sagte ich schon, oder?) und hängt an matschigen Tagen abends mit mir auf der Couch ab, um Netflix leer zu schauen, damit die trotteligen Grübelgedanken nicht überhand nehmen. An den besseren tauchen wir gemeinsam in Büchern ab, von anderen Zeiten, anderen Welten träumend.

Ich geh mir selber auf die Nerven.

Ich mecker und sollte diese Energie lieber in was Sinnvolles stecken. Das Bett ist heute noch nicht gemacht, die Bestecklade braucht Struktur, das Hundemädel muss geflauscht werden und es gibt ja eh immer was zu tun. Yippiejaja yippie yippie yeah und so.

Ich sollte mich weiter im Dankbar sein üben, das Gefühl der Einsamkeit irgendwo in der Natur vergraben und glücklich sein, dass es mir besser geht als vielen anderen. Dass mein Crohn
eine Auszeit nimmt, dass ich bei Madame Migraine am Delogieren bin, dass meine Mediks gerade gut wirken, dass ich genug zum Essen habe, ein Dach über dem Kopf, die erste Covid-Impfung im Arm und was weiß ich noch.

Und das versuche ich auch. Aber dennoch geht mir fallweise einfach alles ganz gewaltig dahin, worauf man fällt, wenn einem das Leben Stolperfallen in den Weg schmeißt und man endlich weiß, warum der Körper ausgerechnet am Südpol gerne üppig Fett ansetzt: Damit das Steißbein gut geschützt ist.

Und überhaupt: Zu intensives Lachen belastet den Beckenboden extrem und was dann passieren kann … also darüber möchte ich nun nicht auch noch zusätzlich Buchstaben verlieren.

Ok, ich hör auf mit meinem Lamento und überhaupt: Das Bett, die Lade, you got it – ich muss meinen Tag in den Griff bekommen.

Hab es hübsch.

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Deppensprüche: 2 Aussagen, die kein Schwein braucht.

Deppenspruch Nr. 1:
„Sie sollten Stress vermeiden“

Ich. hasse. diesen. Spruch.

Und ich hasse ihn sooo unfassbar sehr, dass ich mich jedesmal sehr, sehr heftig beherrschen muss, um nicht ein sehr, sehr lautes „F***DICHDUBL*DERAR**H!1!“ rauszuschreien, wenn dieser Trottelspruch fällt.
Ja, das klingt deftig und übertrieben und mehr als nur ein bisschen passiv-aggressiv.
WEIL ES ABER AUCH VERDAMMT NOCHMAL EIN VETROTTELT BLÖDER SPRUCH IST! Und in Summe mehr, viel mehr Stress macht, als er seiner Aussagen nach eigentlich tun sollte.

Mal ehrlich:
Gab es schon einen Fall, EINEN EINZIGEN FALL, wo dieser Spruch dafür gesorgt hat, dass man subito in einen Entspannungszustand fällt und sich überschwänglich bedankt, ENDLICH den richtigen Fingerzeig, den ultimativen Tipp bekommen zu haben?

Hat dieser Spruch jemals dafür gesorgt, dass beim Empfänger ein helles, sanftes Goldlicht aufgeht und er-sie beglückt haucht: „Hach! Ja! Natürlich, DAS ist DIE Lösung – jetzt, wo Sie es sagen, fällt es mir wie Schuppen aus den Haaren! Innigen Dank, nun weiß ich endlich, wie ich meinen Shit gebacken kriege und alle, ALLEALLEALLE Probleme des Seins vermeide, gesund bleibe, fit werde und für den Rest meiner Tage täglich Schritt für Schritt der ultimativen Seligkeit zuschreite!!! “ Oder so ähnlich.

Hat dieser Spruch jemals in der Geschichte der Menschheit dafür gesorgt, dass der Stress aufgehört hat? Das man sein Leben umkrempelt? Sich mit Hilfe der Worte am Riemen reißt und fürderhin jedem Stressor ein „Vade Satanem! Hinfort mit dir, du elender Wicht! In meinem Leben hast du keinen Auftritt mehr“ entgegen geschmettert hat? Und damit das erwünschte Ergebnis erzielen konnte?

Die Sache mit dem Stress, dem Vermeiden und dem ganzen Rest

STRESS ist etwas, was zum Leben dazu gehört. Und wie bei allem gibt es auch bei Stress ein Zuviel und Zuwenig davon. Auf Ersteres zielt der Spruch ab: Zuviel ist ungesund.
Das gilt übrigens genauso für Zucker, Alkohol, Fülle, Leere, Fett, Social Media, Menschen, Nähe, Distanz, Kohlenhydrate, Schokolade, Stress, Weihnachten, Ostern, Luft, Erde, Feuer, Wasser und dem Rest dessen, was im Universum existiert.

Zuwenig Stress bewirkt, dass man zu wenig Lebensstimulans hat. Der Antrieb fehlt, der Sinn hat keinen Motor oder bekommt einen faden Geschmack.

Denn es gibt guten und bösen Stress – Eustress und Distress. Das eine ist geil, das andere nicht. Die Grenze dazwischen ist fließend, mäandert von Ufer zu Ufer und existiert fallweise nicht, den manche Dinge bzw. Situationen lösen beides aus.

Stress ist in vielen Fällen hausgemacht – aber NICHT in allen. Wenn dann argumentiert wird, dass hausgemachter Stress unter die Kategorie „Selbst verursacht, lass es halt sein“ fällt, tappt man in die Eigenschuldfalle und fühlt sich mies.

Der zweite Deppenspruch in der Kategorie „Aussagen, die kein Schwein braucht“ ist übrigens:

Deppenspruch Nr. 2:
„Reg dich nicht auf …“

Ja Himmel-Ar**h-und-Wolkenbruch! Das regt einem sowas von jetzt und sofort auf!!! Als ob sich jemals ein Wesen unter der Sonne bei diesen Worten beruhigt hätte, seinen inneren Frieden fand und seinem Gegenüber für diesen Rat gedankt hätte.
Im Gegenteil: Man bekommt einen noch dickeren Hals, weil man sich in seinen Emotionen weder wahrgenommen noch wertgeschätzt fühlt.

Es ist nun mal so, dass sich Menschen über unterschiedlichen Themen aufregen, begeistern, echauffieren, in Rage geraten oder in Verzückung. Was mir buchstäblich am Südpol vorbeigeht, lässt meinen Mann explodieren. Wo mir der Kragen platzt oder der Angstschweiß Wellen schlägt, chillen meine Kinder eine Extrarunde und sind completely relaxed. Wo die Familie sich verwundert zurücklehnt und distanziert aus der Loge zusieht, toben die andere, schwenken Transparente oder werfen mit Pflastersteinen.

Isso und war schon immer so.
Die Themen, die den Wutknopf drücken sind bei jedem anders. Und genauso ist es mit Stress.

Meditation, Entspannungstraining, Psychotherapie, Aufstellungsarbeit, Innere-Kind-Glaubenssatz-Heilreisen usw. usf. können möglicherweise den Deckel vom Topf nehmen, so dass der Kessel darunter nicht gleich Wumms explodiert. Fallweise können sie den Vorhang lüften und einem erklären, warum man so und nicht anders reagiert. Fallweise kann man dann da ansetzen und üben, um es in Zukunft besser in den Griff zu bekommen und diesen Wutknopf außer Dienst setzen.

Aber das wars.

Medikamente, die beruhigen sollen, helfen lediglich der Umgebung – wer sie nimmt wirkt ruhiger, weil die Kraft zum Aufregen fehlt. Stattdessen geht die Aufregung ins Innere. Denn irgendwohin muss sie ja. Und was sie dann dort mit einem macht, ist nicht schön. Gar nicht schön.

Man kann lernen, aus Wut-Stress-Kreisläufen auszusteigen (sofern man rechtzeitig erkennt, dass man zu kreislaufen beginnt). Man wird älter und weiser und erkennt selbst, dass frühere Emotionsgewitter heute nur noch ein Schulterzucken verursachen. Man wächst aus manchen Dingen raus und anderes bekommt mehr Gewicht.

Aber niemals, NIEMALS, war der im besten Fall lieb gemeinte Spruch „Sie sollten Stress vermeiden“ oder „Reg dich nicht auf“ JEMALS der hilfreiche Punkt für den Wandel, den sich der/die SenderIn erhofft hat. Sofern dabei überhaupt vorweg nachgedacht wurde. Völlig egal ob der Spruch von ÄrztInnen, TherapeutInnen, BeraterInnen, FreundInnen, Fremden, Bekannten oder sonstwem kam.

Das einzige, was er bewirkt, ist das Gegenteil von dem, was er aussagt: Man hat Stress. Man regt sich auf. Man möchte sein Gegenüber dahin treten, wo es weh tut. Man würgt dieses Bedürfnis runter und hat damit noch mehr Stress, noch mehr Aufregung und noch mehr Magenschmerzen. Und das Gegenüber ist in Gedanken schon lange woanders, während man noch Tage danach daran würgt.

Lasst es. Bitte, bitte, bitte LASST ES.

Liebe Ärztinnen und Ärzte,
Liebe Therapeutinnen und Therapeuten,
Liebe Freunde, Bekannte, Fremde,

Sagt. Es. Nicht.

Bitte.

Das ist das ultimativ Dümmste, was man sagen, meinen, empfehlen kann.

Die Betroffenen wissen in 98,99% der Fälle ohnehin selbst, dass es gut wäre sich nicht aufzuregen und diesen Stresskelch an sich vorüber gehen zu lassen. Und man würde es auch tun, wenn es möglich wäre. Und man tut es auch, sofern man dazu in der Lage ist. Die meisten bemühen sich wirklich auszusteigen aus diesem Rad. Vor allem, wenn man schon länger am Rotieren ist.

Bitte streicht diese beiden Sprüche aus eurem Wortschatz. Stattdessen könnt ihr fragen:

  • „Hast du gerade viel Stress? Kann ich dir helfen?“
  • Oder „Was regt dich auf? Erklär es mir bitte, damit ich dich und deinen Standpunkt auch verstehe und nachvollziehen kann.“
  • Oder „Was würde dir jetzt helfen? Willst du darüber reden oder sollen wir gemeinsam irgendwas kaputt schlagen?“

Oder ähnliches.

Ihr müsst keine Lösung anbieten, es nicht zu eurem eigenen Stress oder Aufreger machen, es nicht mal verstehen. Es reicht, wenn ihr die Gründe/euer Gegenüber ernst nehmt, zuhört und nicht wertet.

Glaubt mir, das hilft viel, viel mehr, als Deppenspruch 1 und 2 und nimmt gaaaanz viel Stress, viel Aufregung, viel Druck. Es hat sogar die Macht, heilsam auf die, durch zu viel Stress und Aufregung entstandenen Wunden einzuwirken. Das kann mitunter den Weg zur Heilung weisen und damit das zu bewirken, was die lapidaren Deppensprüche vermutlich ursprünglich hätten bewirken sollten.

Danke, verbindlichst.
Fürs Lesen und Beherzigen, um die Welt für uns alle zu einem besseren Ort zu machen. Ohne viel Stress 😉

Ich vermeide nun meinerseits weiteren Stress in dieser Sache, habe mich ausgiebig entemotionalisiert und gehe mich mit dem beschäftigen, was MIR persönlich hilft, wenn ich am Explodieren, Rumstressen und Aufregen bin.
Aber das ist eine andere Geschichte 😉

Herzlichst,

MiA

Allgemein, Cartoons

An diesen Tagen …

Diese Tage, wo du am Morgen bleischwer wach wirst und hoffst, dass es schon Abend ist und du einfach liegen bleiben kannst. Doch an diesen Tagen musst du aufstehen, ein Termin wartet. Einer wo du nicht nur wach, sondern munter, orientiert und vor allem aus dem Bett raus musst.

An diesen Tagen drückt das Wetter auf Gemüt und Kreislauf gleichermaßen. Das Geschirr zerscherbt am Boden, der Tee landet neben der Tasse, die Strumpfhose hat eine Laufmasche und die Schuhe drücken.

An diesen Tagen ist alles dreifach mühsam und viermal kompliziert.

An diesen Tagen ist alles und jeder, ist die ganze Welt anstrengend, nervend und zum Schreien. Weswegen der Kopf zu wimmern beginnt und die Muskeln im Nacken sich zum Verkrampfen treffen.

An diesen Tagen willst du einfach nur flüchten, willst nichts mehr als deine Ruhe, samtene Stille, Frieden und abends, beim Heimkommen nur noch schnell noch eine Runde mit dem Hund gehen. Zum Kopf lüften, Chaos ablegen, den sicheren Boden unter den Füßen spüren und du freust dich auf eine schöne Tasse Tee beim Heimkommen.

An diesen Tagen wälzt sich der Hund in Scheiße.

Immer.

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