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Cartoons, Kranke Geschichten - Strange Stories

Schräge G´schichten: Schatzimausi und der Schweinehund

Ich bemühe mich meine kleine, mehrtägige Verspätung aufzuholen und darum Voilá: Meine siebte schräge G´schicht in der Kategorie … aber das ist eine andere Geschichte ist fertig, inkl. zweier Zeichnungen für die Zeichen-Challenge #30SkizzenimNovember. Diesmal beginnt es dramatisch und endet bittersüß romantisch.

Alle Skizzen, von anderen und von mir, findet ihr auch auf Instagram, Facebook oder Twitter unter dem Hashtag #30SkizzenimNovember, meiner ist zusätzlich #schrägeGschichten.

30 Skizzen = 10 schräge Geschichten – Nr. 7:

Schatzimausi und der Schweinehund

Ich sitze auf meinem Bett, meine Mutter mir gegenüber. Zusammen starren wir den Krug an. Der tut so, als würde er uns nicht sehen. Das Zeug, das er in seinem Inneren hat, soll in meinen Magen. Damit man dann im Röntgen was sieht. Das Zeug ist aber eklig und das hoch drei. Megaobergrauseeklig. Als hätte man Schnecken verquirrelt, mit viel synthetischem Geschmacks-nicht-Optimierer versehen und mit Mineralwasser aufgegossen.
Eklig in Form, Farbe, Geruch und generell.

Aber es hilft nichts, das Zeug muss in meinen Darm und darum sitzen wir hier. Meine Mutter, die mich ins Krankenhaus gebracht hat, und ich.
Immerhin sitzen wir hübsch. Also vom Zimmer her. Es ist ein nobles Privatspital, das ich mir nie hätte leisten können. Doch meine Mutter wollte, dass ich zu diesem bestimmten Arzt gehe und der vollbringt eben nur in diesem bestimmten Hospital sein Werk, das mehr einem Hotel, denn einem kranken Haus ähnelt. Das sein Werk ein sehr bescheidenes sein würde, mit falschem Ergebnis, wissen meine Mutter und ich da noch nicht.

Also sitze wir hübsch in diesem Zweibettzimmer, mit nettem Ambiente und einer bis dato sehr schweigsamen Mitpatientin. Sie hat uns nur stumm begrüßt und wird aktuell von zwei fürsorglichen Schwestern betütelt. Die Gnädige-Frau-Quote ist hoch. Der Sinn ihrer Tätigkeit sollte vermutlich dem Ankleiden und der körperlichen Reinigung dienen, doch sie kommen nicht wirklich weiter, denn die gnädige Frau weigert sich sehr ungnädig, bei diesem Ballett mitzumachen. Sie blickt nur stumm und starr, mit bohrendem Blick, mal zur einen, dann zur anderen und sitzt mit ihrem zartgelben Nachthemd auf ihrem königlichen Bette.

Meinem Krug ist die Szene wurscht, er hat sich mir keinen Zentimeter genähert und so muss ich selbst seufzend zur Tat schreiten – das erste Glas des Schneckensmoothies wird eingeschenkt. Augen zu, Nase zu, meine Mutter nickt aufmunternd, ich würge das Gschloder todesmutig hinunter.

Anmerkung: Gschloder, das
Wienerisch für grausiges Gesöff, unansehnlich im Aussehen, eklig im Geschmack.

Die nächsten Minuten konzentriere ich mich mit aller Gewalt darauf, das Zeug da zu behalten, wo es hingehört. Dann folgen 5 Minuten durchatmen und dann gehts weiter zum nächsten Glas.
Würg.

Madame im anderen Bette hat die Szene rund um sich nach wie vor im Griff, was soviel bedeutet wie: Die armen Schwestern sind keinen Zentimeter weiter in ihren hehren Bemühungen.
In diesem Moment öffnet sich die Tür, ein kleiner, älterer, magerer Mann betritt den Raum, grüßt höflich in die Runde und dreht sich zu Madames Bette um.

Der Vorhang hebt sich, Madames Mimik belebt sich, Trommelwirbel, eine unsichtbare Kapelle spielt einen unhörbaren Tusch. Madame schärft den Blick, fokussiert den kleinen, netten Mann und brüllt mit Stentorstimme:

„ELENDER SCHWEINEHUND!“

Die Schwestern stehen wie Lots Säulen, die Szene gefriert, meine Mutter und ich sitzen mit offenem Mund und ebensolchen, riesengroßen Augen da. Keiner wagt zu atmen oder sich zu bewegen.

Madame richtet sich zu ihrer vollen Größe auf, soweit das sitzend möglich ist, und brüllt noch einmal, mit tiefem Drama in ihrer Stimme, so dass der Boden bebt:

ELENDER SCHWEINEHUND!
WARUM HAST DU MIR DAS ANGETAN!!!“

Aller Augen richten sich auf den kleinen Herrn, der die Hände ringt, dabei seinen Hut würgt, aber ansonsten erstaunlich unbeeindruckt von dieser Rede wirkt.
Aber Schatzimaus, sowas sagt man doch nicht, das gehört sich aber nicht, nein, Schatzimaus, das ist doch nur zu deinem Besten, gell, Schatzimaus, weil du bist ja so krank geworden, dass ich nimmer gewusst hab, was ich tun soll und die netten Schwestern und der liebe Herr Doktor Soundso hier werden dir nun helfen, damit du wieder gesund wirst und dann, Schatzimausi, dann kannst wieder heim und …

Ein schwarzer Blick aus dunklen Augen, die bei genauerer Betrachtung einen leichten roten Rand haben, der sich bei weiterer genauer Betrachtung konstant vergrößert, würgt die zarte Rede ab.

Schatzimausi anim1 - Schräge G´schichten: Schatzimausi und der Schweinehund

 

„Du Hund.“

Das Urteil ist gefällt, der kleine Mann muss es annehmen. Die Schwestern senken das Haupt, sind stumme Zeugen und würden am liebsten im Boden versinken. Das geht leider nicht, also versuchen sie nun weiter das zu tun, was sie die ganze Zeit tun wollten.

Meine Mutter und ich wechseln einen Blick, ich spüle schnell mein zweites Glas hinunter. Popcorn wäre fein, aber wir sind ja nicht im Kino. Nur im Vorstadttheater.

Der kleine Herr Schweinehund nähert sich unbeeindruckt dem Bett und säuselt weiter, in einem konstanten Tonfall, der seine Wirkung nur langsam entfaltet. Madame Schatzimausi ist voll auf ihn konzentriert, die Blicke müssen wie Dolche schmerzen. Aber Herr Schweinehund ist mutig und weicht nicht aus. Die Schwestern schaffen es endlich Madame, Bett und Kleidung so zu richten, wie sie es sich zu Beginn der Prozedur erhofft hatten. Herr Schweinehund spricht sanft weiter und versichert seinem Schatzimausi, dass alles nur zu ihrem Besten geschieht, sie bald wieder gesund sein werden, man ihr Medizin und gute Behandlung anteil werden lässt, sie in guten Händen ist …

ELENDER MÖRDER!

Das vernichtende Urteil hat Madames Mund donnernd verlassen, die Schwestern schnappen erschrocken nach Luft. Mir wäre fast mein drittes Schnecken-Glas aus den Händen gerutscht und ich gurgel es schnell nabelwärts, bevor es mir abhanden kommt.

Nein, mein Mausi, also was du sagst, nein, sowas aber auch, nein, nein, Schatzimausi, ich will dir nur helfen! Niemand tut dir was Böses ...“

Madame Schatzimaus schnaubt ungnädig, ihr Busen wogt, die Bettdecke vibriert und die Schwestern weichen drei Schritte zurück – sie wird sich doch wohl nicht erheben?

Schatzimaus, beruhig dich wieder, sonst musst wieder husten und dein Blutdruck steigt und das ist nicht gut und nein, du kannst nicht aufstehen, das geht doch nicht, dein Rollstuhl ist ja gar nicht im Zimmer, du musst nur ein bisserl Ruh geben, damit du bald wieder gesund bist, deine Medikamente nehmen …

Meine Mutter, die Schwestern und ich atmen kurz auf bei dem Wort „Rollstuhl„. Eine Gefahr weniger. Aber ich fürchte, Madame könnte uns eines Besseren belehren und sich dennoch von ihrem Throne erheben, um als rächende Göttin ihre Blitze und die sieben Plagen auf uns herab zu beschwören. Die Bettdecke zittert nach wie vor.

Ich bemühe mich schnell ein viertes Glas Moét de Schneck wegstecken, sicher ist sicher.

Madame Schatzimausi jedoch hat ihr vernichtendes Urteil verkündet, es steht felsenfest, in Stein gemeißelt. Ihr lieber Mann redet weiter auf sie ein, lässt seinen Singsang wirken. Madame könnte ihn mit einem sachten Wink ihrer Hand gegen Boden und in die Unfallaufnahme schicken. Er steht in ihrer Reichweite, aber ohne Angst, hält wacker die Stellung, unbeeindruckt von ihrer Wut, ihrer Verachtung, ihren tödlichen Blicken, dem Geschnaube und den nun nur noch leise und sehr giftig geäußerten Flüchen.

Das fünfte Glas aus dem Krug des Grauens ist geleert, ich haben fertig. Der Krug kam zu mir als Brunnen, er geht unge- und unerbrochen und ich hoffe, dass dieser Zustand noch eine Weile anhält, damit die Untersuchung störungsfrei ablaufen kann. Meine Mutter verstaut ihr, vor Aufregung, zerdrücktes Taschentuch in ihrer Handtasche, nickt mir aufmunternd zu und meint, dass wir nun zum zweiten Teil des Dramas weitergehen können. Ich deute auf das Nachbarbett, aber sie meint die Untersuchung.

Madame Schatzimausi hat sich soweit beruhigt, dass die Spannung im Zimmer fast wieder Normalniveau erreicht hat. Herr Schweinehund darf sogar ihre Hand halten und streicheln, während er, nun leiser und langsamer, weiter mit ihr spricht. Sie hat beschlossen ihn mit Schweigen zu bestrafen, ignoriert ihn, blickt an ihm vorbei zum Fenster. Die roten Augen haben sich wieder zurückentwickelt.

Meine Mutter und ich verlassen das Zimmer, ich muss zur Untersuchung. Der kleine Herr geht ebenfalls, er hat sein Schatzimausi in die Contenance geredet, so dass nun wieder Friede herrscht und sie sich (vorerst?) in ihr Schicksal zu fügen scheint.

Am Gang nickt er uns zu, seufzt kurz, wirft einen Blick zur Tür und sagt entschuldigend, leise und sehr liebevoll: „Sie war nicht immer so. Sie weiß gar nicht, was sie da sagt. Sie ist eine so wunderbare Frau. Das ist nicht ihre Art … das ist diese Krankheit. Sie ist ein herzensguter Mensch … kann keiner Fliege was zu Leide tun.“ Er lüftet grüßend den Hut und eilt weiter.

Ich schlurfe hinter meiner Mutter Richtung Aufzug und merke, wie sich das Vorstadtdrama in eine bittersüße Romanze verändert. Schatzimausi und ihr herzensguter Schweinehund – eine Beziehung, bei der einem die Worte „in guten, wie in schlechten Zeiten“ auf allen Ebenen bewusst werden. Und uns als demütige Zuschauer mit vielen Gedanken zurücklassen.

Cartoons, Kranke Geschichten - Strange Stories

Schräge G´schichten: Der rostige Heiligenschein

Ich hab Verspätung – meine sechste schräge G´schicht in der Kategorie … aber das ist eine andere Geschichte, inkl. dazugehöriger Zeichnungen für die#30SkizzenimNovember, kommt nach einer kurzen Pause. Aus persönlichen Gründen habe ich ein paar Tage ausgesetzt und mir Ruhe geschenkt, zum Durchatmen. Musste sein, das Leben hatte eine Kurve nach unten im Drehbuch stehen. Ich bin dennoch zuversichtlich, dass ich mein geplantes Ziel, nämlich bis Ende November 10 schräge G´schichten mit jeweils 2 Zeichnungen zu veröffentlichen, schaffen werden.

Hier also Nr. 6 und ich muss vorwarnen: die ersten fünf waren heiter bis wolkig, diese hier ist zartbitter bis edelherb. Leben eben. Und wie alle anderen Geschichten: NICHT frei erfunden, sondern so erlebt. Denn das Leben schreibt Geschichten ins Drehbuch, da muss die Fantasie nochmal die Schulbank drücken.

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30 Skizzen = 10 schräge Geschichten – Nr. 6:

Der rostige Heiligenschein

Mir ist übel. Nicht wegen der Schmerzen und Krämpfe im Bauch. Nicht wegen der Medikamente. Auch nicht wegen dem Essen, um das ich aktuell freiwillig und verordnet einen großen Bogen mache, weil mein Darm mir spontan die Mitarbeit aufgekündigt hat und in Stillstand getreten ist.
Mir ist übel vor mangelnder Sympathie. Besser: mir ist schlecht, weil ich zugeschwafelt werde und die Senderin der Botschaften nicht unbedingt auf Platz 1 meiner Sympathieliste rangiert.

Es gibt Liebe auf den ersten Blick. Oder zumindest Sympathie. Also das man sich sieht und denkt, ok, derdiedas ist nett und man könnte ein paar Worte oder mehr austauschen mitsammen.
Und dann gibt es das genaue Gegenteil davon und man hofft, dass der Moment der Begegnung schnell vorüber ist. In meinem akuten Fall stehen die Chancen dafür leider schlecht.

Die alte Dame, die in „mein“ Zimmer eingezogen ist, wäre rein optisch reizend. Putzig, gepflegt, korpulent bis üppig, mit den klassichen Alte-Dame-Wasserwellen am Kopf, die durch den Spitalsaufenthalt schon etwas derangiert sind. Arm ist sie auch, sehr arm. Weil leidend, sehr leidend. Die geplante Tumor-Punktion ist schief gegangen, der Darm wurde perforiert. Tragisch, so etwas kommt leider manchmal vor. Man bekommt es als mögliches Risiko zur Unterschrift vorgelegt und hofft, dass dieses Übel an einem vorübergeht. Bei der alten Dame ist es eingetreten und nun leiden wir. Sie, ich und der Rest der Station.

Sie muss ein paar Tage über die Sonde ernährt werden. Die Heilung schreitet gut voran, Schmerzen hat sie keine mehr, eine weitere Punktion wäre möglich, damit man endlich feststellt, was denn das für ein Tumor ist. Aber sie hat schon beschlossen „das“ nicht mehr machen zu lassen, denn sie wird nun sterben. Hat sie beschlossen.
Was sie mir unaufgefordert munter erzählt, inklusive ihrer Lebensgeschichte, ohne Punkt und Komma. „Stream of Consciousness“ nennt man das, wenn man so schreibt und es ist eine literarische Erzähltechnik. Spannend und leicht anstrengend zu lesen.
Unerträglich und mühsam aber, wenn man es um die Ohren gesagt bekommt und zu wenig Mut oder Kraft hat, um sich dagegen zu wehren.

Wobei nicht explizit die Lebensgeschichte mühsam ist oder das Drama der misslungenen OP. Es ist die alte Dame an sich. Ihr Leben war so toll und so schön, sagt sie, so voller Glück und schöner Momente und sie hat ja auch immer mit vielen wichtigen – nein: mit den HÖCHSTEN! – und besten Menschen zu tun gehabt, für diese arbeiten dürfen, hatte Kontakte in die HÖCHSTEN und besten Kreise und das war oberhammeraffengeil (mein Wort, nicht ihres. NIEMALS ihres.). Sie war so gesegnet, so glücklich, immer am guten Weg und darum geht sie nun gern ins Sterben, auch in den Tod, wenns sein muss..

Weil operieren lässt sie sich niemals nimmer nicht mehr. Sieht man ja, wohin das führt. Nur Qual und ihr Essen muss sie nun über den Schlauch konsumieren. ÜBER EINEN SCHLAUCH! Dass es sowas gibt! Das man das kann! Essen über die Infusion! Mit einer Maschine! Einen ganzen Beutel für zwei Tage! Und trinken darf sie nur ein paar Schlucke Wasser, für die Tabletten. Unglaublich. Und den ganzen Infusionsständer muss sie dauernd mitschleppen, wenn sie wohin geht. Sogar aufs Klo. Und in die Dusche.
Aber duschen kann sie ja nicht, denn das darf ja nicht nass werden. Was für ein Elend. Das ist gegen die Natur, so soll man nicht Essen müssen. Oder duschen. Also nicht-duschen.

Und ob ich weiß, wie man den Fernseher aufdreht. Weil nachmittags um 4 läuft ihre Lieblingsserie und am Abend die Nachrichten. Das wäre schön. Das würde sie gern sehen.

Heiligenschein 2 - Schräge G´schichten: Der rostige Heiligenschein

Ich bin platt, paralysiert und habe Ohrensausen. Das Wochenende habe ich – unfassbares Glück! – allein in diesem Zimmer verbracht. Die Geräusche des Krankenhauses gedämpft wahrgenommen, und in einem heilsamen Ruhezustand mit meinen Magenkoliken verhandeln können. Der Redeschwall, der seit dem Eintreffen der alten Dame über mich hereingebrochen ist, ist mir schlicht zu viel. Soviel Information auf einmal – ich bin noch dabei die erhaltenen Sätze von vor 5 Minuten zu verarbeiten und unterdrücke tapfer den Reflex, auf ihre flotten Aussagen betreff Sterben und aus-dem-Schlauchessen zu antworten … und werde in einem fort mit Worten weiter zugeschüttet. Langsam wird die Luft knapp. Meine Nerven wimmern panisch.

Ich will nicht reden, ich will Ruhe.  Mir tut einfach alles weh, der Bauch, die Muskeln, der Kopf … aber vor allem die Ohren, die langsam zu klingeln beginnen und das Alarmsignal der Überlastung weitergeben, weil zu viel und zu laut. Denn sie ist schwerhörig und trägt ihre Rede mit Amphietheaterstimme vor. Man kann sie auch im Nachbarzimmer noch gut hören.

Sie wurde übersiedelt, von einem 6er-Zimmer hierher, in „mein“ 2er-Zimmer. Aber glücklich ist sie nicht darüber, nein, ganz und gar nicht. Das Zimmer drüben war schön, groß, mit einem Fernseher. Aber es ging ihr nicht gut und darum hat sie die Serie nicht vermisst. Aber hier wäre das doch sicher möglich. Wo sie doch auch gegen ihren Willen hierher transferiert wurde, aus dem schönen Zimmer weg musste. Das war so toll dort, aber dann hat man ihnen die dicke Negerfrau hineingelegt. Wegen der musste sie raus aus dem Zimmer. Wegen der ist sie nun hier. Das ging einfach nicht mehr. Leider. Die dicke Negerfrau hat sie so gestört. Unglaublich war das mit der. Also weniger mit ihr, als mit ihrer Familie. Alle da. ALLE! Jeden Tag! Also die 2 Tage, seit sie eingeliefert wurde. Also seid gestern, um es genau zu sagen. Und auf die Frau eingeredet haben sie. ANDAUERND. Die ganze dunkle Familie. Einfach unglaublich. Dauernd hat wer geredet. Unerträglich war das. Da kam man ja selber kaum zu Wort.

Und was ist nun mit dem TV? Ob ich wüßte, wie man das einschaltet? Und ob ich was dagegen hätte, wenn sie ihre Serie sehen könnte, wo sie schon mal da ist und da wenigstens ein TV ist, in diesem Zimmer.

Mein inneres Helfer-Ich war mental schon am halben Weg zur Fernbedienung. Beim Wort „Negerfrau“ ist es stehen geblieben, hat umgedreht und schaut nun beim Fenster hinaus.
Da ist eine verzweifelte Wespe, die flüchten will.
Ich kann sie verstehen.
Während mein Helfer-Ich mein Ich-Ich motiviert aufzustehen, um die Wespe beim Fenster rauszulassen – „Erschlagens das grausliche Viech, dann hamma Ruh. Am Ende werden ´s noch gestochen!“ – erkläre ich sehr bedauernd, dass ich selbst keinen Fernseher mehr habe, weil zuviel Stress, Reizüberflutung, nur Schmarrn und bad News zu sehen und Ruhe brauch ich auch. Aber vor allem habe ich leider keine Ahnung, wie man das Gerät hier einschaltet. Und sorry, aber ich muss jetzt ganz schnell aufs Klo.

Den Rückweg zögere ich hinaus. Drehe eine Runde durch die Station, gehe gedankenlos den Gang hinauf, zu den großen 6er-Zimmern. Wo eine betroffene Oberärztin den Angehörigen der alten, südländischen Dame, die vor kurzem eingetroffen ist, erklärt, dass man nur noch die Schmerzen stillen könne, sie umsorgen kann und „es“ vermutlich nicht mehr lange dauern wird. Man werde versuchen, ein ruhiges Zimmer für sie zu finden.
Tränen fließen, Hände werden gerungen, umklammern andere. Eine Familie im Ausnahmezustand.

Mir ist schlecht. Richtig schlecht. Ich spüre Tränen und Magensäure aufsteigen und weiß nicht, ob aus Wut oder wegen der greifbaren Trauer.
Es tut weh hinzusehen. Es tut weh es hören zu müssen und lässt sich doch nicht vermeiden. Der Gang ist zu eng hier, ich bin schon zu nah und habe zu spät gemerkt, was das für ein Gespräch ist. Eine junge Frau blickt zu mir herüber. Tränen im Gesicht, Tränen in den Augen. Unser Blicke treffen sich und ich nicke ihr leicht zu. Sie nickt zurück, hat die Botschaft verstanden und sich bedankt. Ohne Worte.

Im Zimmer retour fürchte ich eine weitere Redelawine. Aber die Krankenhaus-Seelsorgerin ist da und bekommt die Lebensgeschichte frisch serviert. Im ausführlichen Modus, mit allen Unterkapiteln und es werden nun auch Namen genannt. Also NAMEN! Von den HÖCHSTEN! Die Seelsorgerin ist eine bessere Zuhörerin als ich, gibt an passenden Stellen bedauernde Seufzer und mitfühlende Worte von sich, wofür ich sie rückhaltlos bewundere.
Ob ein Priester gewünscht wird, ist eine Frage, die sie in einer Redepause stellen kann. Und ob man der armen Frau für die Zeit, die sie im Krankenhaus sein müsse, täglich die Kommunion bringen solle. Ein Strahlen geht über das Gesicht der alten Dame, ein Glückslaut entfleucht und sie bedankt sie überschwenglich. Denn nun geht es ja ans Sterben, das muss so sein und sie hat keine Angst, denn das Leben war so gut zu ihr, hat ihr so viel gegeben. Sie geht mit leichtem Schritt und fröhlich. Und nun auch mit priesterlichem Segen und der heiligen Kommunion, täglich frisch serviert.

Mein Sarkasmus brennt mit Magensäure in meinem Hals um die Wette. Ich würge beide hinunter, ebenso den Spruch „So schnell stirbt es sich nicht„. Sie würde es nicht verstehen, vermutlich nicht mal hören. Hier steht kein Tod am Krankenbett, auch nicht im heiligen Schatten. Er ist am Ende des Ganges beschäftigt, im großen, „schönen“ 6er-Zimmer, wo eine Familie weinend die Hände ringt.

Ich nehme meine Kopfhörer raus und suche im Internet ein bestimmtes Lied, dass ich in Gedanken seit ein paar Minuten in Gedanken immer wieder höre – rostige Flügel. Alt und absolut „not my kind of town“, aber ich brauch das jetzt.
Und während die ersten Klänge meinen Gehörgang gegen den Redeschwall der alten Dame abdichten, überlege ich, ob auch ein Heiligenschein Rost ansetzen kann und was es braucht, damit er das tut.

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Schräge G´schichten: Der traurige Haken

Die fünfte schräge G´schicht in der Kategorie … aber das ist eine andere Geschichte, inkl. zweier dazugehöriger Zeichnungen für die#30SkizzenimNovember, die Zeichenaktion der Freiraumfrau. Und es ist eine philisophische Geschichte rund um sich auf seltsame Weise offenbarende Erkenntnisse.
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30 Skizzen = 10 schräge Geschichten – Nr. 5:

Der traurige Haken

Das Leben ist manchmal ungerecht und Monsieur Karma kann sich fallweise als echte Bitch erweisen. Nicht nur bei Menschen, Tieren oder Pflanzen. Auch für Dinge gibt es Schicksale, die man nur als traurig bezeichnen kann. Ob die Dinge das auch so sehen, ist eine andere Sache.

Bei dem kleinen Haken am WC sieht es jedenfalls so aus, als hätte er ein sehr trauriges Los im Lebenstopf gezogen. Ich sehe in täglich mehrmals, aus crohnischen Gründen. Denn Handyempfang und Wlan sind am Krankenhausklo mager bis gering. Abgesehen davon soll man sich ja hier aufs Wesentliche konzentrieren, unhygienisch ist es auch usw. usf.

Also schweift der Blick umher und wenn man dank lieben Herrn Crohn viel Zeit an solchen Orten verbringt, registriert Frau auch die kleinen Dinge. Wie eben den grauen, ehemals silbrigen Haken, der rechts von der Klomuschel und in seltsamer Höhe montiert ist. Nicht oben an der Wand, damit man Bademantel oder Tasche aufhängen kann. Nicht in Waschbeckenhöhe, für allfällige Toilettebeutel. Nein, er hängt ca. einen halben Meter vom Boden entfernt optisch sinnlos rum.

Tagein, tagaus, bei jedem Klobesuch grübel ich, was er für einen Sinn im Dasein hat. Und verfluche zugleich den, der ihn montiert hat, denn mein pedantisches Monkauge kreischt jedesmal auf: die Fliesenfuge ist nicht mittig. Bzw. der Haken ist nicht mittig auf ihr montiert.
Das. geht. gar. nicht.
Entweder mittig in die Fuge oder mittig in die Fliese oder zumindest in einem gefälligen Abstand zur Fuge, idealerweise im goldenen Schnitt.
Aber verdammt nochmal doch nicht einfach so! Es tut weh, es verursacht mir Stress, mehr als man an diesem Ort haben sollte. Aber es passt auch zum Rest der hakenden Erscheinung.

Er wurde sichtlich schon lange nicht genutzt. Vielleicht weil keiner eine Ahnung hat, wofür er gedacht ist. Die obere Schraube wirkt wie ein Zyklopenauge, dass schon viel zu viel gesehen hat. Was auf Krankenhaustoiletten schnell passiert. Die untere Schraube sieht aus wie ein verschlossener Mund, einsilbig, resigniert, mit müde hängenden Mundwinkeln.

Ich habe ihn zuerst für eine Einzelerscheinung gehalten. Im Sinne von: „Da war noch ein Haken über, Chef, ich hab ihn einfach irgendwo montiert.“ – „Passt, alles klar. Nun hängen Sie noch die Klopapierrollen verkehrt auf und Feierabend.
Aber der traurige Haken hat Kollegen in den anderen Toiletten. Neben jeder einzelnen Stationsmuschel ist ein trauriger, mattsilbriger Haken montiert und alle blicken resigniert, als hätten sie mit ihrem Hakendasein abgeschlossen. Es muss also einen Sinn geben für diese Metalloktopusse, die mit zwei wartenden Armen auf etwas Unbekanntes warten, um es sicher zu halten.

Das Rätsel um den Sinn dieses Hakens beschäftigt mich – ich habe allerdings auch nicht viel anderes zu tun hier. Lesen, Videos schauen, Untersuchungen absolvieren, Infusionen inhalieren, aufs nächste Essen (und eine entsprechende Verbesserung desselben) warten … und über den traurigen Haken am Klo nachdenken.
Die großen Rätsel der Menschheit sind im Krankenhaus weit weg. Brainfog und Fatigue sorgen dafür, dass man sich mit tieferer Philosophie in kleinem Ausmaß beschäftig und trostlose Haken bieten ausreichend Raum dazu.

Des Rätsels Lösung, der Sinn der Hakenexistenz erhellt sich mir ein paar Tage später per Zufall und wie so oft liegt die Antwort näher, als man denkt.

So gnä Frau, jetza gemma aufs Klo. Bring Sie gleich rüber, den Katheterbeutel nemma mit, ja klar. Schaugns, da simma schon, gleich sitz ma am Thron – Ha Ha – und daaaaa häng ma das Sackerl auf. Wenns fertig sind läutens bidde!

Ich stehe im Gang, am Weg zu meinem Thron und werde unfreiwillig Ohrenzeugin dieses Dialogs.

Man sagt, dass die Erleuchtung oft wie ein Sonnenaufgang über einen kommt. Manche erleben diesen Moment in einer Art mentalem Cinemascope, mit konzertanter Musik. Ein Vorhang hebt sich, Wolken lösen sich auch, die Nebel des Geistes lichten sich und man sieht die Lösung, erkennt die Antwort, versteht das Unverständliche, ist dem ultimativen Wissen einen Schritt näher. Ohm.

Ich steh einfach nur mitten am Gang, eingefroren in der Bewegung, und blicke blicklos eine mausbeige Wand an, während in meinem Inneren der Groschen fällt und das auch noch hämisch kichernd. Die Reinigungskraft winnert den Boden um mich herum und wundert sich nicht über die Statue im Weg – solche katatonische Erkenntisstarren dürften hier öfter passieren.

Haken 2 - Schräge G´schichten: Der traurige Haken

Klar, ganz klar – der Haken hält den Katheterbeutel für die, die den Rest des Stoffwechsels am Locus erledigen wollen und können. Er ist der Pissbeutelhalter. Darum die Höhe, darum der Eindruck, dass der Haken kaum bis nie genutzt wird. Darum der frustrierte, traurig-resignierte Gesichtsausdruck mit dem unsichtbaren Motto, dass sowieso schon alles egal ist, man nicht tiefer sinken kann.

Weil der kleine trostlose Haken sich in seinen Nicht-Mal-Scheiß-Job drein gefunden hat.
Aber immerhin hat er für manche eine tragende Funktion inne.

Cartoons, Kranke Geschichten - Strange Stories

Schräge G´schichten: Der herrliche Einhornschwamm

Die vierte schräge G´schicht in der Kategorie „… aber das ist eine andere Geschichteist ein wenig, nun ja, schlüpfrig. Was normal ist, denn sie spielt in der Dusche. Mit dabei die beiden Skizzen 10 und 11, was in Summe nun schon 12 Skizzen für die#30SkizzenimNovember sind, die Zeichenaktion der Freiraumfrau .
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30 Skizzen = 10 schräge Geschichten – Nr. 4:

Der herrliche Einhornschwamm

Badezimmer im Spital – ein bittersüßes Drama, mal Komödie, mal Tragödie. Ich vergleiche das temporäre „Wohnen“ in Krankenhaus gern mit einem Campingurlaub. Es ist alles ein bisserl provisorisch, eher unbequem und man muss es mit anderen teilen. Zumindest wenn man auf Kasse logiert.

Wichtig ist unter anderem auch die Wahl des passenden Zeitpunkts für die Körperreinigung und der dazugehörigen Location. Dafür braucht es Taktik, abgestimmt auf den Reinigungsplan der Station, den internen Ablauf und das, für diesen Tag geplante, eigene Untersuchungsprogramm. Sonst steht man üppig eingeschäumt in der Dusche wenn die Visite anklopft oder der Pfleger einen für die Untersuchung holt. Beides erlebt, das kann nix und kaum wer ist dann bereit einem den Rücken einzuschmieren, damit es schneller geht.
Ein passendes Zeitfenster zu finden ist also nicht einfach, schließlich will man (=ich) ja zudem dann ins Bad, wenn die nächtlichen Katastrophen entfernt sind und die tagsüber eintretenden noch schlafen. Ein Wunsch, den alle teilen, die nicht auf Fremdhilfe bei der Morgentoilette angewiesen sind.

So steh ich nun da, meinen Waschbeutel in der einen, das dicke, flauschige Handtuch in der anderen Hand und überlege, welche Dusche ich ansteuern soll. Die Visite ist noch gut eine Stunde entfernt, das Frühstück ist für mich heute nicht wichtig – ich muss für eine Untersuchung nüchtern sein. Einzig das Eintreffen des mich abholenden Pflegers ist ein Risikofaktor, weil unkalkulierbar. Aber ich gehe davon aus, dass mein Platz in der Koloskopiereihenfolge nicht der erste sein wird und nach einer entsprechend intensiven Vorbereitung für das darmspiegelnde Ereignis ist es nun Zeit, sich das Elend der Nacht aus dem Geist und vom Körper zu spülen, damit zumindest der erste kehrseitige Eindruck ein positiver ist.

Aber meine bevorzugte Dusche ist besetzt.
Was eine Katastrophe und Sauerei zugleich ist.
Mein Zeitbudget ist labil und selbst wenn die duschende Lady da drin in nullkommanix fertig sein sollte: ich mag dann da nicht gleich rein. Das ist … zu intim. Und dampfig. Und es riecht nach Unmengen von ungewohntem Deo, Duschzeug und Dings. Und es gibt kein Fenster zum Lüften. Und überhaupt: Nein.

Die nächste Damendusche ist nur ein paar Schritte entfernt, aber sinnlos. Da hat dieser Tage jemand den Duschkopf abgeschraubt. Keiner weiß wer, keiner weiß warum, alle sind sauer, doch es nützt nix. Diese Dusche ist zwar sauber, leer und trocken. Doch zugleich unverwendbar.

Badeschamm 2 - Schräge G´schichten: Der herrliche Einhornschwamm

Mit meinem Toilettebeutelchen in der Hand stehe ich unschlüssig vor der Tür, die für den unweiblichen Teil der Menschheit vorgesehen ist, der ja auch duschen will und soll.
Aus Gründen, über die ich (und man) nicht lange nachdenken mag, sind die männliche Spitalsduschen hier meist blitzsauber, weil selten verwendet, oder komplett versifft und unter Quarantäne. Das klingt nach Geschlechtervorurteil, liegt aber darin begründet, dass meist weniger Männer als Frauen auf dieser internen Station liegen, und wenn, dann sind sie zum Ausnüchtern da oder haben diverse heftige Inkontinenzprobleme. Da es gleich viele männliche wie weibliche Duschen gibt, ist die Chance, als Mann eine freie zu finden, höher.

Die Herren im Zimmer nahe dieser Dusche schlafen noch. Was kein Wunder ist, sie haben die Station die halbe Nacht mit abwechselndem Schreien wach gehalten. Es ist kein Pappschild an der Tür, das auf eine Dusch-Sperre hindeuten würde, und es ist auch niemand drin.
Es ist meine Chance, den Zeitplan einzuhalten.

Ich bin bei solchen Dingen nicht schüchtern. Wenn Not bei der Frau ist, dann besetze ich auch ohne langes Nachdenken das Männerklo. Schließlich sind wir ja alle irgendwie gleich, vor allem beim Stoffwechsel.
Nun denn, rein in die herr-liche Dusche (Füße hoch, der Witz kommt flach). Nach einem schnellen Rundumblick schlüpf ich durch die Tür, verriegle sie und freu mich: Sie ist sauber, als wäre sie gerade erst gefliest worden.
Einziger Hinweis darauf, dass sie bereits zielführend verwendet wurde: In der Dusche hängt ein Badeschwamm.
Was heißt „ein“ – es ist DER ultimative Badeschwamm! In kreischpink, aus Tüll ähnlichem Material, an einer zarten Kordel aufgehängt und ich schwöre: ich kann sehen, dass im Inneren Einhornglitzer nur darauf wartet, sich über einen einzuschäumenden Körper zu verteilen.
Ein Badeschamm wie aus einem Barbiemärchen.
In der Männerdusche.

Ich atme erleichtert auf und interpretiere die pinke Präsenz als Zeichen, dass auch schon eine andere Frau hier geduscht hat. Und sich dazu den Badeschwamm ihrer lieber mit Matchboxautos spielenden Tochter geliehen hat. Oder es war eine Werbebeigabe. Oder … keine Ahnung.
Es ist ein pinker Badeschamm, das ist die Männerdusche, ich bin eine Frau und es könnte sein, dass wir beide füreinander bestimmt sind.
Oder besser wären: denn so verführerisch er auch da hängt – ich lass ihn wo er ist.
Es ist ein ungeschriebenes Gesetz: Badeschwämme sind monogam. Sie beginnen ihre Beziehung jungfräulich und bleiben ihrem Duschpartner treu bis ans Lebensende.
Da wird nicht geswitcht, geteilt oder geborgt.
Auch wenn er noch so punkig pink leuchtet und verführerisch einsam da hängt.

Abgesehen davon: ich hab nur Seife da, kein nach Kaugummi duftendes Duschschaumzeug. Ich bin am Ökotrip, mein aktuelles Duschding ist eine vollbiogische, schlichte Olivenölseife. Schon rein optisch ist da an keine mögliche Verbindung zwischen ihr und dem pinken Bademonster anzudenken. Sie würde aus Prinzip das Schäumen verweigern, das ist unter ihrer Würde. Leider.

Also machen wir, die Seife und ich, einen Bogen um den Schwamm bzw. halte ich Abstand. Körperlich.
Denn – Gedankenfreiheit, Baby! – mein Kopf hat nun denkfrei und findet sogleich eine passende Geschichte, bei deren Erinnerung ich grinsen muss. Der restliche Körper ist im automatischen Duschmodus.
Die Geschichte habe ich irgendwann mal auf englisch im Netz gefunden. Wenn sie nicht wahr ist, ist sie zumindest gut erfunden:

Eine Mutter hat mal wieder die jährliche Gyn-Kontrolle am Programm. Sie kommt diesen Kontrollen brav nach, der Termin für die nächste wird immer gleich ausgemacht, bei ihrem langjährigen Gynäkologen. Der aktuelle Termin fällt auf einen hektischen Tag. Keine Ahnung mehr was und wie alles passierte, aber es ging sich einfach keine Dusche mehr aus vor dem Gyn-Termin. Eine schnelle Katzenwäsche musste reichen.

Also ab ins Bad und hier passiert der Fehler: weil es schnell gehen muss, schnappt sie sich den Badeschwamm ihrer jüngsten Tochter. Alles sauber, alles gut, ab zum Arzt.

Bei der Untersuchung das übliche Prozedere – Augen zu, einatmen, ausatmen, in Gedanken das Thanksgiving-Dinner planen. Der Doktor tut, was er immer tut. Lediglich zu Beginn stutzt er und meint dann lächelnd: „Da hat sich aber heute wer Mühe gegeben.“
Die Frau hat keine Ahnung was er meint, murmelt etwas und konzentriert sich wieder auf die mögliche Truthahnfüllung.

Wieder daheim räumt sie flott das Bad auf, der töchterliche Schwamm wandert in die Waschmaschine und sie beginnt sich ums Dinner zu kümmern. Kurz darauf kommen die Kinder heim, werden zum Händewaschen nach oben geschickt.

„Mama?! Wo ist denn mein Schwamm?!!“ – „Liebes, der ist grad in der Wäsche, muss auch mal sein, nimm einen anderen.“ Gepolter, das Kind rennt die Stiege runter, steht mit entsetzten Augen in der Küche und sagt „Aber da hab ich doch heut morgen meinen ganzen Einhornglitter und Feenstaub hinein getan …!“

Ja, so kanns gehen, wenn man das ungeschriebene Gesetz der Badeschwammmonogamie missachtet. Ich kichere bei der Erinnerung wie ein listiger Idiot. Automatisch scannt mein Blick den Boden und die Umgebung, auf der Suche nach möglichem Einhorn- oder Feenstaub.
Nichts zu finden.

Mein Duschvorgang ist schnell vorbei. Eincremen, Haare ins Handtuch gewickelt, schnell in die frische Kleidung – das unsäglich hässliche Spitalshemd und mein maigrüner Bademantel – alles zusammenpacken und raus hier. Als ich die Tür öffne, steht ein junger Mann mit erhobener Hand vor mir – er wollte eben anklopfen.
Unsere Blicke treffen sich, Erkenntnis und Absolution treffen sich (Frau, Männerdusche, aha, egal, alles ok) und er sagt: „…‘tschuldign, meine Frau holt mich schon ab und ich hab hier irgendwo meinen Duschschwamm vergessen.

Ich starre ihn an, sprachlos, trete zur Seite, so dass er die Dusche sieht, wo der barbiepinke Schwamm unschuldig hängt.
Er sieht ihn und ein Leuchten erscheint auf seinem Gesicht. Die Sonne geht auf, Sphärenklänge erklingen, der Boden bebt, eine Horde Einhörner wiehert in der Ferne …
„Da ist er ja! Was hab ich den gesucht. Hätte mich sehr geärgert, wenn ich den verloren hätte.“
Mit einem glücklichen Seufzen ergreift er sein verlorenes Schwämmchen, winkt mir grüßend zu und geht zu seiner wartenden Frau.
Ein Topf, der seinen Deckel gefunden hat.

Ich stehe verdattert da und schäme mich. Bin in die Genderfalle getappt, wie ein Anfänger. Habe auf Grund einer Farbe auf die Zugehörigkeit geschlossen. Depp ich.

Langsam drehe ich mich um und werfe einen letzen Blick auf die nun sehr leer und trostlos wirkende Dusche. Vielleicht täusche ich mich ja und es ist Wunschdenken, aber ohne Brille sieht es so aus, als würde da, wo der pinke Schwamm hing, etwas glitzern.
Egal.
Not my circus, not my Glitzer.
Ich muss weiter, zu meinem Date mit Schläuchen. Ohne pink und ganz sicher ohne Feenstaub. Aber dafür mit einer Schlafspritze, die mir in die Regionen verhilft, wo ich die Horde Einhörner wiedersehe.

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Schräge G´schichten: Das mürbe Kipferl der Auferstehung

Die dritte schräge G´schicht in der Kategorie „… aber das ist eine andere Geschichteund zugleich die Skizzen 7-9 für die#30SkizzenimNovember, einer Zeichenaktion der Freiraumfrau . Ich weiß, ich bin einen Tag zu spät mit dieser geschriebenen „Skizze“. Aber besser spät als gar nicht 😉
Alles Skizzen, meine und die von anderen, findet ihr auch auf Instagram, Facebook oder Twitter unter dem Hashtag #30SkizzenimNovember folgen, meiner ist zusätzlich #schrägeGschichten.

30 Skizzen = 10 schräge Geschichten – Nr. 3:

Das mürbe Kipferl der Auferstehung

Sie liegt in ihrem Bett, so gut wie bewegungslos. Mehrmals am Tag kommen die Schwestern, um sie zu „mobilisieren“. Dann wird sie in eine andere Liegelage gebracht, das Kopfende höher oder tiefer gestellt und an ganz besonders guten Tagen setzt man sie schon mal in den Stuhl, damit sie die Lage der Welt aus halbwegs aufrechter Position wahrnehmen könnte. Ob sie es tut, weiß keiner.
Jede Nacht sägt sie halb Canada um, mit schwerem Gerät – zumindest klingt es so.
Tagsüber und zwischen den Schnarchattacken wird ihre Matraze unregelmäßig und halbrhythmisch bepumpt, damit sie es halbwegs bequem hat. Tagsüber ist das ein leidlich angenehmes Geräusch, das sanft einschläfernd wirkt. Nachts nervt es tierisch.
Also mich, nicht sie.
Ich habe mein Bett einen Platz weiter und kenne nun die Schnarchlautgrenze meiner Ohrenstöpsel. Sie liegt neben mir.

Meine Gefühle ihr gegenüber sind tagsüber sanft, nächtens am Limit, in Summe herrscht bedauerndes Mitgefühl vor. Wir haben unterschiedliche Ziele. Meines heißt soweit fit zu werden, dass die neue Therapie beginnen kann und ich hier bald rauskomme.
Ihres geht in die andere Richtung.

Hin und wieder spricht sie. Nicht mit mir und wenn, dann sieht sie wen anderen in mir. Auch ihre Besucher nehmen andere Gestalten in ihrer Sicht ein. Das macht das Kommunizieren schwierig und gibt ungewollt tiefere Einblicke in ihr Leben und Leiden, als es mir, einer quasi Außenstehenden, zustehen würde zu wissen.
Aber wir sind hier im Krankenhaus, da herrschen andere gesellschaftliche Normen und die erste Regel des Fight Club: Was hier passiert, bleibt hier.

So liegen wir Tag für Tag, jede in ihrem Bett. Sie wird bewegt, ich kanns selber und nutze das, um tagsüber mein Gesichtsfeld zu wechseln und mir in besonders intensiven Holzfällernächten eine ruhige Bleibe im großen Krankenhaus zu suchen. Die Onkologieambulanz ist mein Geheimtipp. Da gibt es leidlich bequeme Sitzbänke, kein Mensch weit und breit und das Licht ist nicht zu grell. Mit meinem Polster unterm Arm finde ich hier 2-3 Stunden Ruhe. Die Nachtschwestern verstehens und lassen mich ziehen, bedauernd, denn da, wo ich hingehe, ist es still und friedlich. Sie haben keine solche Nacht auf der 1. Internen.

Die tägliche Routine sieht vor, dass die Schwestern am Morgen denen, die nicht mehr gehfähig sind, das Frühstück ans Bett bringen. Ein kleiner Wagen mit allem, was man hier so kredenzt, wird hereingeschoben, die Bestell-Dialoge gleichen sich und sind die wenigen Gespräche, wo meine canadische Prinzessin, wie ich sie für mich nenne, wirklich voll und ganz da ist. Denn die Frage nach dem gewünschten Frühstücksgebäck wird ohne zögern beantwortet.
Das Teil wird geschnitten, bebuttert, mal mit, mal ohne Marmelade versehen. Der milde Kaffee wird in ein Schnabelhäferl gefüllt und täglich gibt es den Versuch, sie alleine essen zu lassen. Was täglich dazu führt, dass sie eine Stunde später kalten Kaffee gefüttert bekommt.

Mein Frühstück hole ich mir selbst, aus dem Spezialeck, wo die glutenfreien, laktosefreien, geschmacksneutralen Seltsamkeiten aufbewahrt werden. Gebäck, dass den Namen nicht verdient und für das man drei Hände zum Essen braucht: eine, um das Teil zum Mund zu führen, und zwei, um sich die Ohren zuzuhalten, damit es beim Kauen nicht rausstaubt.
Immerhin gibt es genug Tee, womit man alles in die Richtung spült, aus der es crohnbedingt kurze Zeit später wieder weiterwandert.

Bei diesem morgendlichem Ritual schließen die Prinzessin und ich täglich stillschweigend Frieden für all das, was Nächtens passiert ist. Ich verzeihe ihr die Fällarbeiten, sie hat weiterhin keine Ahnung wer ich bin und hält mich für eine ihrer Töchter. Was an manchen Tagen nett ist.
Still und friedlich mümmeln wir aktiv (ich) und passiv (sie) an unserem Frühstück. Tagein, tagaus die gleiche Prozedur.

Bis zu dem Tag, wo der Supergau eintritt: Es wurden zuwenig Mürbteigkipferl geliefert. Dieses traditionelle Gebäck, das in deutschen Landen nur sehr unzulänglich übersetzt als „Hörnchen“ betitelt wird, ist der Anker, der die Langzeit-PatientInnen auf der Station ruhig hält und ihnen hilft, die Lage hier zu überstehen. Man hält viel aus, wenn man weiß, dass man am nächsten Tag sein resch-mürbes Kipferl kredenzt bekommt.

Doch an diesem schlimmen Tag gibt es zuwenig Durchhaltehörnchen und die Schwestern wissen es. Und sie wissen, dass es zu einer Revolte kommen kann, nein: WIRD! Ich bin mir sicher, sie haben einen roten Knopf in der Station, mit direkter Leitung zum nächsten Bäcker, der sofort den Ofen anschmeißt und mit herkulischer Anstrengung das Unmögliche zu vollbringen versucht: die fehlenden Kipferl in Rekordzeit zu produzieren, ehe Krücken, Rollatoren und Bettpfannen fliegen.

Ich wusste nichts von all dem. Mein bröseliges Frühstück liegt vor mir, eine traurige Reiswaffel, die sich am Ende ihres Seins deutlich mehr Freude verdient hatte, als ich bereit war zu geben.

Der Frühstückswagen wird sanft herangeschoben, die Schwestern betreten den Raum – anders als sonst, vorsichtig, die Lage mit jedem Schritt sondierend. Die Spannung ist spürbar: Alarmbereitschaft. Eine schlimme Botschaft musste zugestellt werden und die Botinnen wissen, dass sie mit Kollateralschäden rechnen müssen.
Gute Morgen Prinzessin! Wie geht´s uns denn heute, gut geschlafen? Na, heut schaun wir aber viel besser aus, so frisch und rosig …“ Der Singsang, die Worte, der Auftritt: alles strahlt Beruhigung, Harmonie, Sonnenschein aus. Falsch, ganz falsch. Denn damit werden lang nicht genutzte Synapsen geweckt, die misstrauisch schnüffelnd registrieren, dass Angst den Raum betreten hat, das etwas in der Luft liegt, das man versucht etwas zu verbergen.
Heut hamma besonders frische Semmerl bekommen oder wollens lieber mal einen Kornspitz? Mit Butter? Und Marmelade …?
Die Semmel in der Hand, das Brotmesser gezückt, der Kaffee (vom Geruch her heute vieeel besser – ein Friedensangebot?) ist eingeschenkt, die beiden Schwestern stehen erwartungsfroh am Bett der Prinzessin und schon bewegt sich die Messerhand zur Semmel …

„Kipferl. Ich will mein Kipferl. Wie immer.

Die Hölle friert zu, die Schwestern vibrieren … „Ja, also, … heut hamma leider zuwenige bekommen. Aber morgen wieder. Schauens, so eine schöne frische Semmel ..
Kipferl.“
„…. ja, aber …“
KIPFERL!
„… äh …“

Und nun passiert das Unglaubliche, nicht Vorstellbare: eine mumiengleiche Hand erhebt sich, greift den Haltegriff am „Galgen“, eine andere stützt sich auf der Matraze auf, der Kopf hebt sich, der ganze Oberkörper hebt sich – *die Prinzessin richtet sich auf.* Der Kopf ist hoch erhoben, der Blick klar, das Gesicht eisig, die Brauen gerunzelt und der folgende Schrei erschüttert die Station bis ins Mark:

„K.I.P.F.EEEEEEEEEE.R.L!!!“

Kipferl 2 - Schräge G´schichten: Das mürbe Kipferl der Auferstehung

Die Schwestern flüchten in verschiedene Richtungen, eine andere betritt den Raum, versucht die Lage zu deeskalieren, der Notfallplan wird aktiviert – im Geist sehe ich ein rotes Licht in der Backstube leuchten.
Man würde sofort auf den anderen Stationen anrufen, ob die noch Kipferl hätten und bitte, nicht aufregen, man tue alles, damit man das Mürbgebäck auftreibt. Eine Schwester ist schon am Weg zur nahen Bäckerei. Eine andere hängt am Telefon, die dritte ist auf Verdacht in die Nachbarstation eingedrungen, um dort mal schnell eines „zu borgen“ …

Die Prinzessin ist wach, voll da, die eine Hand am Galgen, die andere stützt den mageren Körper, der Blick geht zwischen der Beruhigungsschwester und der Tür hin und her und es ist klar: wenn das versprochene Kipferl nicht in den nächsten Minuten durch die Tür kommt, wird sie aufstehen und dafür sorgen, dass viele Menschen diesen Tag in schlechter Erinnerung behalten werden. Es wird Krieg geben, die Apokalypse wiehert in den Startlöchern. Ich höre den Wind am Fenster rütteln, verfluche meine Entscheidung das Bett beim Fenster zu nehmen, denn damit bin ich weit weg von der Tür, kein Fluchtweg.
Verdammt, auch durchs Fenster keine Chance. Denn ein Sprung aus dem der dritten Stock würde nur in die Notaufnahme führen, was angesichts der Lage nicht sicher oder weit weg genug von hier wäre.
Ich mache mich klein, verkriech mich in meinem Eck, unter der Decke, werde soweit als möglich unsichtbar. Meine Reiswaffel zittert, will mit mir fliehen und wir klammern uns händeringend (also ich sie würgend) aneinander.

Schon sehe ich, wie sich die Hand der Prinzessin löst um die Bettdecke zurückzuschlagen. Die Füße erinnern sich an vor langer Zeit geführte Schlachten und zucken, um sich dieser neuen Herausforderung zu stellen, wollen aufstehen … die Schwester hat sichtlich Angst, die Hände sind erhoben, beschwichtigend nach vorne gestreckt: „Alles gut, ich bin sicher, wir haben gleich ein wunderschönes Kipferl für Sie. Bitte regen Sie sich nicht auf, wir sind wirklich bemüht, alle tun ihr Bestes. Bleiben Sie bitte liegen …
Ich kann ihre Angst hören, man riecht es, auch die Prinzessin spürt es und weiß, das sind nur Beruhigungsfloskeln. Der Blick wird hart, die Hand entschlossen und ich spüre, wie ein Wimmern in meiner Kehle hochsteigt.

In diesem Moment stürzt die kleine rothaarige Praktikantin herein, vollkommen aufgelöst, eine Winterjacke über der Uniform, die Haare stehen wirr in alle Richtungen, aber in der Hand – IN IHRER HOCH ERHOBENEN HAND! – hat sie ein Kipferl. Ein wunderschönes, frisches, goldbraunes Mürbteigkipferl.

Auf-der-drüberen-Station-hams-no-eins-ghabt-i-bin-so-schnell-wie-möglich ...“ weiter kommt sie nicht. Das Kipferl wird ihr aus der Hand gerissen, plötzlich sind drei Leute auf einmal da, zusätzlich ein großer, starker Pfleger (von der Männerabteilung ausgeborgt, für schwere Fälle). Es wird geschnitten, geschmiert und in Null-Komma-Nix liegt das bebutterte, mit Marmelade versehene Kipferl auf einer rosa Serviette bereit. Die Prinzessin hat ihre Position nicht verändert, der stählerne Blick beobachtet die hektische Aktion. Gnadenlos.

Erst als die netteste und jüngste Schwester sich ihr zitternd mit dem Teller nähert, entspannt sie sich ein bisschen. Den Teller nach vorn gestreckt, kommt die kleine Schwester näher und sagt sanft „Schauns, da ist es ja schon, ganz frisch, extra für Sie. Alles ist gut …„. Die Augen der Prinzessin senken sich, erblicken das Kipferl. Das Gesicht entspannt sich, der Rücken wird wieder rund, die Hand lässt los und in Zeitlupe versinkt die Apokalypse wieder in ihrer Lethargie.
Das Kipferl ist da.
Die Welt ist gerettet.
Zumindest für heute.

Ich wage mich unter meiner Decker heraus. Die Reiswaffel habe ich vor Anspannung zerbröselt.
Ich atme langsam aus, die restliche Station mit mir. Heute gibts nur Tee zum Frühstück und Brösel im Bett.
Das Kipferldrama ist vorbei.

Cartoons, Kranke Geschichten - Strange Stories

Schräge G´schichten: Frau Doktor der dunklen Strümpfe

Die zweite schräge G´schicht in der Kategorie „… aber das ist eine andere Geschichteund zugleich die Skizzen 3-6 für die#30SkizzenimNovember, einer Zeichenaktion der Freiraumfrau .

Es geht ums Dranbleiben, ums tägliche Zeichnen, Malen, Skizzieren. Ich habe für mich das Format „2 Zeichnungen + 1 Geschichte“ gewählt. Weil man ja auch mit Worten Bilder zeigen kann. Wen es interessiert: einfach auf Instagram, Facebook oder Twitter dem Hashtag #30SkizzenimNovember folgen, meiner ist zusätzlich #schrägeGschichten.

30 Skizzen = 10 schräge Geschichten – Nr. 2:

Frau Doktor der dunklen Strümpfe

„Sie ist eine wirklich tolle Ärztin, eine hervorragende Diagnostikerin. Ein bisschen harsch im Ton, sehr direkt. Aber du bist bei ihr in guten Händen, sie wird dir helfen können.“
„Fein, vielen Dank für den Kontakt.“

„Ja und … äh, also wenn du bei ihr bist, dann schau bitte, ob sie dunkle Strümpfe trägt.“
„… ?“

„Weil das tut sie immer, dunkelgrau oder schwarz. Ist nicht nur mir aufgefallen. Haben mir auch schon andere erzählt, die ich hingeschickt habe. Ein einziges Mal, als mein Freund bei ihr Kontrolle hatte, hat sie helle getragen. Da war er so perplex, dass er sie darauf angesprochen hat.“
„… Aha?“

„Sie hat nur schallend gelacht. Also bitte, wenn du Termin hast, dann achte darauf.“
„… ja …ok, mach ich.“

„Nur wegen der Statistik, gell :)“
“ … ohkäh.“

Ich rufe an, bekomme meinen Termin so schnell wie erwartet (der übliche Wahlärztebonus, je teurer, desto flotter) und bereite mich darauf vor. Befunde und so sind sortiert und griffbereit. Ich bereite mich mental vor: Wie werfe ich einen beiläufig investigativen Blick auf die möglicherweise dunkel bestrumpften Beine der Frau Doktor? Wenn sie einen Rock trägt, ist das kein Problem und sofort ersichtlich. Aber bei einer Hose? Vielleicht mit Sportschuhen? Da kann es schwierig werden. Ich könnte was fallen lassen, mich bücken und himmelwärts, Richtung Knöchel, blinzeln. Oder mir die Schuhe im Knien zubinden. Da muss ich aber auch enstprechende Schuhe anziehen, mit Schlüpfern sieht das seltsam aus und könnte meiner Diagnose eine andere Wendung geben.

Ich plane also, richte mir die passenden Schuhe her, trainiere am Weg zur Ärztin auf der Straße, im Bus und in der Tram, den investigativen Sockenerkennungsblick und erlebe spannende Einblicke in menschliche Bereiche, die vermutlich außer mir nur der oder die Socken-StrumpfträgerIn so gehabt hat. Es ist Ende des Sommers, noch immer relativ warm und die Strumpfdichte ist entsprechend gering. Aber das, was man sieht, rangiert zwischen kaum sichtbar und „schreckliche Hautkrankheit“. Bei den Socken und Sneackers sieht es besser aus – also von der Tragedichte her. Rein optisch ist noch Luft nach oben und ich beginne mich langsam um mein eigenes Sockenerscheinungsbild zu sorgen. Heute sind sie oft-gewaschen-weiß, mit einem zart-rosa, ehemals leuchtend pinken Logo am Bündchen. Es sind liebgewonnene Sneackersocken, alt in Sockenjahren und noch immer sehr robust. Sie halten sich aufrecht, auch an langen Tagen und wandern deswegen oft mit mir durchs Leben.

Endlich bei der Ordi angekommen, merke ich, dass ich mehr als üblich aufgeregt bin. Ich habe ja Routine mit Erstordinationen, aber die heutige hat eine besondere Komponente. Vielleicht bin ich aber auch nur zu rasch den Hügel hinauf gestapft und habe deshalb leicht erhöhtes Herzklopfen.

Die beiden Damen bei der Anmeldung sind stoisch routiniert, mit weißen Socken in bequemen Pantoffeln. Ich nehme Platz und warte. Gehört habe ich Frau Doktor schon, gesehen noch nicht. Das Warten ist bequem, der Sessel gemütlich und langsam beginne ich in ihm zu versacken … kurz vorm Einchillen wird mein Name gerufen – Frau Doktor ist bereit für mich und wartet bereits in der Tür. Ich blicke erschreckt auf und ehe ich meinen Blick wieder pflichtschuldig in Fußnähe absenken kann, dreht sie sich um, mir bedeutend ihr zu folgen.

Sie trägt eine lange Hose und ist schnell aus  meinem Blickfeld verschwunden. Zu schnell. Ich springe auf, schnappe meine Tasche mit den Befunden, richte meine Brille (Kurzsichtigkeit ist ein Handicap beim externen Sockensichten) und haste hinterher.

Sie erwartet mich an der Tür zu ihrer Ordination, reicht mir die Hand und ich habe zum Glück eine freie zur Verfügung, um ihr meine zurückreichen zu können. Und dann, als sie sich schon wieder umdrehen will, um zum Schreibtisch zu gehen, kann ich endlich einen Blick auf ihr Fußwerk werfen.

dunkleStruempfe 2 e1573038255499 - Schräge G´schichten: Frau Doktor der dunklen Strümpfe

Die Füße sind nackt.
Sockenlos, strumpflos.
Nackt. NACKT!
Mit roten Zehennägeln, in weißen Birkenstocks.

Ich schnappe hörbar nach Luft, höre bereits den mentalen Aufschrei derer, die auf meinen ärztlichen Fußbericht warten und sich vor Erschütterung nimmer einkriegen werden. Ich spüre ein heftiges Kichern in mir, ein beginnender Lachkrampf, und kann einen sehr breiten Grinser und ein belustigtes Schnauben nicht unterdrücken. Frau Doktor dreht sich zu mir, hebt irritiert die Braue und blickt mich fragend-streng an. Mit aller Kraft würge ich mein Kichern bauchwärts, zwinge mein Gesicht Richtung angebrachter Contennance und versuche meine übliche Patientenrede zur Begrüßung. Die Worte kommen so, als würde ein Frosch versuchen eine Arie zusingen: halb gequackt, halb gekrächzt. Dazu eine leicht breitmaulfroschige Grimmasse und sanfte Lachtränen in den Augen.

Ich hatte schon bessere Erstordinationen. 

Aber ich hatte noch nie so ein dringendes Bedürfnis, eine SMS in Richtung meines wartenden Freundes zu schreiben, der gemeinsam mit anderen Interessierte auf das Ergebnis meines Arztbesuches wartete:

„KEINE Strümpfe!!!
Ich wiederholen: KEINE Strümpfe!
Nicht hell, nicht dunkel, die Füße sind NACKT!
In weißen Latschen!“

Der ärztliche Befund war übrigens ok.
Nichts besonderes, alles gut.

Die wirklich wichtige Frage konnte hingegen nicht geklärt werden:
Wo sind die Strümpfe hingekommen? Und warum?

Cartoons, Kranke Geschichten - Strange Stories

Schräge G´schichten: Das ungeklärte Mysterium der orangen Ananas-Socken

Es gibt eine neue Kategorie im Blog: Kranke Geschichten – Strange Stories. Hier sammle ich kurze und längere Erlebnisse, die mir am Weg mit dem lieben Herrn Crohn begegnet sind. Der Beginn hier ist zugleich auch der Start der #30SkizzenimNovember, einer Zeichenaktion der Freiraumfrau (Angelika Bungert-Stüttgen), die um diese Zeit Interessierte zum Malen, Zeichnen, Skizzieren aufruft. Die Aktion läuft hauptsächlich auf Instagram, einfach dem Hashtag #30SkizzenimNovember folgen, meiner ist zusätzlich #schrägeGschichten.

Man kann nach eigenen Themen mitmachen oder Angelikas Vorschläge nutzen. Ich habe mich heuer dafür entschieden, meine „anderen“ Geschichten zu verzeichnen und beschreiben. Jeweils zwei Zeichnungen und eine Erzählung (weil man ja auch mit Worten etwas darstellen, in die Vorstellung zeichnen kann). Das sind dann Ende November 2019 (hoffentlich) insgesamt 10 ganze Geschichten.

Die Erlebnisse sind aus den letzten Jahren, einige liegen schon länger zurück, einige sind noch sehr frisch. Den Anfang machen bunte Socken, die mich fasziniert, begeistert und vor allem dazu motiviert haben, diese Geschichtenreihe zu beginnen.

30 Skizzen, 10 schräge Geschichten – Nr. 1:

Das ungeklärte Mysterium der orangen Ananassocken

Blass und hager, bekleidet mit dem unsäglich häßlichen Krankenhaushemd, das perfekte Modell für das Sinnbild eines leidenden Kranken, wandelt er gemessenen Schrittes durch den Flur. Manche Schritte tun sichtlich weh und es kostet ihn Kraft bis zum Endes des Ganges durchzuhalten. Er geht dennoch – trotzig, gefasst und tapfer. Am Ende dreht er um, die Hände am Rücken verschränkt, retour ans andere Ende. Wie ein Bahnenschwimmer, der sein Becken verloren hat und nun am Trockenen seine Runden abarbeiten muss. 

Er wandert den Flur auf und ab, mit mehr Kraft, als seine Erscheinung vermuten lässt.
Er geht langsam, stetig und immer allein, äußerlich schwach, innerlich zuversichtlich.
Mit dunklen Ringen unter den Augen, einem traurigem Zug um den Mund, wenig Zukunft in seinem Schatten.
Aber er geht. 

Und zu seinen braunen Birkenstock-Latschen trägt kreischorange Socken, mit lachend gelben Ananansmotiven.
Er ist mein Held des Tages.
Seine Sockenwahl versichert mir, dass er es überleben wird.
Was auch immer „es“ ist. 

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Aber vielleicht sind es in Wahrheit ja die Ananassocken, die gehen wollen? Ihn dazu zwingen, ihn aufrechthalten und Kraft zum Leben, zum Gehen geben? Möglicherweise sind es ja Supersocken, aus einem Geheimlabor oder einem Paralleluniversum, dazu da um Sonnenschein, Glück und einen Hauch Genesung zu verbreiten? Oder die Kontrolle über schwache Menschen zu übernehmen, um die Lage für eine zukünftige Weltherrschaft auszukundschaften: Die Regentschaft der kreischorangen Pinapple-Socks. 

Nachdenklich betrachte ich meine eigenen Socken: rosa-weiß, mit etwas türkis und großen Einhörnern. Jede Socke ist anders, es gibt keine zwei gleichen, nicht wie bei den Ananassocken. Vielleicht stehe ich ja unter ihrer Kuratel, bin Teil des Einhornuniversum?
Und diese Begegnung am kranken Hausflur war die Schnittstelle zum Pinapple-Universum. Weil es im Flur des Krankenhauses nicht so schnell auffällt, wenn sich die Schleier zwischen den Paralleluniversen öffnen. Hier gibt es ohnehin schon genug Seltsamkeiten, über die man sich nicht mehr wundert.

Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich übernächtigt bin, erschöpft und vor allem Hunger habe, weil ich nüchtern sein soll und meine krausen Gedanken mich für den Kalorienentzug auf ihre phantasievolle Art trösten wollen. 

Wer weiß das schon.

Vielleicht der alte Mann mit seinen mutigen Socken, der mir vormacht, wie man zu gehen hat: Aufrecht und mit Würde, egal wie die Füße gekleidet sind, wie beschissen die Lage ist, wie schwer der Tag. Er geht tapfer, er geht aufrecht, er geht immer weiter.
Zumindest bis zum Ende des Flures.

Allgemein

Welt-CED-Tag & 40 Fakten über Morbus Crohn

Jedes Jahr am 19.05. wird der Welt CED Tag gefeiert. Einer der Gedenktage, die man nur kennt, wenn man aktiv oder passiv davon betroffen ist. In diesem Fall von CED – Chronisch entzündlicher Darmerkrankung, wie Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa. Das sind auf der aktiven Seite in Österreich mindestens 80.000 Menschen. Passiv, also in Form von Angehörigen, Zugehörigen, Freunde und Kollegen sind es viel, viel mehr. Denn chronische Erkrankungen betreffen immer auch das Umfeld der Erkrankten.

Also wird gefeiert. Damit auch die, die dieses „CED“ nicht kennen, etwas darüber wissen und mehr erfahren.
Was die wenigsten wollen.
Weil den meisten Menschen Erkankungen, die sie nicht betreffen, naturgemäß (…PARDON…) am Arsch vorbei gehen. Was in Bezug auf chronisch entzündliche Darmerkrankungen auch wieder etwas philosophisch Heiteres hat.

InfografikCED MyTherapyBRD 300x193 - Welt-CED-Tag & 40 Fakten über Morbus CrohnDie lieben Leute von MyTherapieApp.com haben mir übrigens die nette Grafik oben und links zur Verfügung gestellt.
Darum ein Disclaimerchen: Es könnte sich um Werbung handeln, wenn man es so sehen will. Ist jedenfalls unbeauftragt und auch unbezahlt. Inhaltlich aber dennoch wichtig.
Nochmal, in Worten:

ACHTZIG.TAUSEND ÖSTERREICHERINNEN leben mit dem lieben Herrn Crohn oder seiner hässlichen Schwester Colitis Ulcerosa.
Ungewollt, unbeauftragt, unbestellt und bis an ihr Lebensende.

In Deutschland sind es um die 440.000.
In Worten:
VIER.HUNDERT.VIERZIG.TAUSEND Menschen.

Damit bekommt ein Gedenktag für dieses Darmgedöns ein ziemliches Gewicht.
Und es ist irre wichtig darüber zu reden.
Es ist wichtig, Bescheid zu wissen, dass es DAS gibt.
Es ist wichtig, weil es Leben retten kann – denn die Diagnose braucht oft noch immer länger, als für die Betroffenen gut ist.
Es ist auch wichtig, um Verständnis aufzubauen – beim Umfeld, bei den Dienstgebern, in der Gesellschaft und nicht zuletzt bei den Behörden und Medizinern. Denn die Wartezeiten für wichtige Untersuchungen sind noch immer viel zu lang (außer man leistet sich das privat), die Zugänge zu Therapien, Reha und Kur brauchen noch immer viel zu viel Papierkram, Zeit, Kraft und nicht zuletzt Geld. Alles Dinge, die man als chronisch Kranker nicht in dem Ausmaß zur Verfügung hat, wie es nötig wäre.

Es reicht, wenn die Krankheit selbst Kraft kostet und man mit dem Wissen leben muss, dass man sie bis an sein Lebensende nimmer los wird, sie immer wieder aufflammen kann. Das ist eine Belastung, die man erst als solche vollends realisiert, wenn man ein paar Schübe und Jährchen mit dem Bauchschmerzdings verbracht hat.

Weil es noch immer soooo viel Unwissen und Mythen über CED gibt, gibt es anlässlich des Welt-CED-Tages nachstehend ein paar Fakten speziell über den lieben Herrn Crohn, die einen kleinen, wichtigen Einblick geben sollen – für alle, die es nicht zu einer Infoveranstaltung schaffen.
Die Aufzählung ist naturgemäß unvollständig und subjektiv. Denn um alle Fakten aufzuzählen, braucht man ein oder mehrere Bücher. Wovon eines, nämlich meines ;-), by the way, im Jänner 2020 erscheinen soll. Siehe: Der liebe Herr Buch.

40 Fakten über Morbus Crohn

  1. Morbus Crohn ist eine chronisch entzündliche Darmerkrankung (CED), die den gesamten Verdauungstrakt betreffen kann.
  2. Der Verdauungstrakt beginnt im Mund und endet da, wo der Südpol seinen Ausgang hat. Der Darm, Dünn- und Dickdarm, ist ein wichtiger Teil des Verdauungstraktes und als am häufigsten vom Crohn betroffen.
  3. Der Darm ist der Motor unseres Körpers und unter anderem zuständig für die Verdauung der Nahrung. Auch damit wir mit den Vitaminen und Nährstoffen, die wir zu uns nehmen, gut versorgt werden. Speziell der Dünndarm ist immens wichtig. Ohne Dickdarm kann man leben, zum Beispiel mit einem Stoma. Aber ohne Dünndarm geht gar nix. Leider ist bei Crohn besonders der Dünndarm häufiger betroffen.
  4. Morbus Crohn verläuft in Schüben. Die Dauer und Schwere dieser Schübe ist bei jedem anders. Der Grund, wann und warum sie auftreten, variiert bzw. ist er meistens komplett unbekannt.
    Manche haben einen Schub und den Rest ihres Lebens Ruhe. Andere crohnen immer wieder, mal mehr, mal weniger.
    Und dann gibt es die, die im wahrsten Sinne die Arschkarte gezogen und einen Dauerschub haben.
  5. Die Zeit zwischen den Schüben nennt man Remission. Das bedeutet, dass der Crohn „schläft“, keine Probleme macht und kaum bis gar nicht im Blut oder histologisch nachweisbar ist. Von vielen New-Crohnies und noch öfter von „Ich-hab-von-wem-gehört“-Tippgebern wird dieser Zustand dann als „geheilt“ bezeichnet.
    Sorry Leute, das zu glauben ist der größte Fehler, denn man machen und das Dümmste, was man verbreiten kann (speziell mit null Ahnung vom Thema). Der „Geheilte“ hat eine stabile Remission und das bedeutet: der Crohn gibt Ruhe, ist aber nicht weg – und ich wünsche allen und am meisten mir selbst, dass diese stabile Remission bis ans Ende aller Tage anhält.
    In diesem Sinne: Viva la Remission!
    VivaLaRemission 997x1024 - Welt-CED-Tag & 40 Fakten über Morbus Crohn

    Das T-Shirt ist übrigens vom Verein Chronisch glücklich e.V und man bekommt es aktuell gegen eine Spende. Ich war schockverliebt in das Teil und will es nimmer ausziehen. Auch damit der liebe Herr Crohn sich davon beeindrucken lässt.
    Ach ja, Disclaimerchen mal wieder, weil möglicherweise Werbung und so. Ist aber selbst gespendet/bezahlt und unbeauftragt.

  6. Morbus Crohn ist mit heutigen Mitteln nicht heilbar. Die Therapie geht dahin, dass man versucht die Symptome in den Griff zu bekommen.
  7. Morbus Crohn ist eine Autoimmunerkrankung. Das bedeutet, dass sich das Immunsystem gegen den eigenen Körper richtet und falsch bzw. überreagiert.
  8. Die Ursachen und Auslöser von Morbus Crohn sind, bis auf eine, nach wie vor unbekannt.
  9. Diese eine, bekannte Crohn-Ursache liegt in den Genen und geht vermutlich auf den Neandertaler zurück (kein Scherz). Homo Sapiens und Homo neanderthaliensis hatten erwiesenermaßen mehr als nur beiläufigen Kontakt. Sehr selten kam es zu Nachwuchs aus den beiden Menschen-Arten Diese paar haben dafür aber einen sehr nachhaltigen Gen-Print hinterlassen, der gute und schlechte Seiten hat. Eine der weniger guten wird mit der Entstehung von Morbus Crohn in Zusammenhang gebracht. Eine andere begünstigt Diabetes. Auch nicht lustig.
    Die guten Dinge betreffen unter anderem Sachen wie helle Haut (damit man die wenige Sonne im Norden der Halbkugel besser aufnehmen kann, Stichwort Vitamin D), robustere Knochen und mehr Haarwuchs – was in kälteren Klimazonen durchaus von Vorteil ist.
  10. Die Symptome von Morbus Crohn sind sehr unterschiedlich, jeder hat quasi seinen eigenen, spezifischen Crohn. Auch was die Diagnose und Behandlung betrifft. Klassisch gilt anhaltender Durchfall, mit 10 bis 30 und mehr Stuhlgängen pro Tag, als eines der häufigsten und bekanntesten Symptome.
    Es gibt aber auch Crohnies, die kaum bis keinen Durchfall haben und dennoch einen akuten Schub. Andere Symptome sind Bauchkrämpfe bzw. -koliken, Unwohlsein, ungewollte Gewichtsabnahme, chronische Müdigkeit bis hin zu heftiger Fatigue, Appetitmangel, Entzündungen im Mund, Rachenraum, Magen oder Speiseröhre, Eisenmangelanämie und Vitaminmangel, heftige und schmerzhafte Blähungen, Übelkeit bis hin zum Erbrechen …
  11. Laut Statistik haben 70-75% aller Morbus Crohn Erkrankten mindestens eine crohnbedingte OP zu erwarten. Ich habe mittlerweile sechs hinter mir (und vielleicht einigen anderen, noch nicht Operierten, ihre statistische Bürde abgenommen. You are welcome 😉 Jede einzelne war immens wichtig bzw. lebensrettend, besonders die Hemikolektomie, und ich bin froh, sie gemacht zu haben. Auch wenn ich bis kurz davor gehofft hatte, zu den 25-30% zu gehören.
  12. Der Grund für Crohn-OPs sind Komplikationen, die sich durch Entzündungen und durch den Crohn ausgelöste, akute Situationen ergeben. Das sind zum Beispiel Abszesse, Fistel („falsche“ Gänge zwischen Organen, zum Beispiel Darm und Hautoberfläche, oder zwischen zwei Darmschlingen oder zwischen Darm und Vagina oder Blase), Stenosen (Engstellen im Darm, können heftige Schmerzen bis hin zum akuten Darmverschluss auslösen), heftige, großflächige Entzündungen, die sich nicht so schnell medikamentös behandeln lassen, um ihre Ausbreitung und Wirkung zu verhindern … und andere Unschönheiten, die weh tun und rasch entfernt werden müssen.
  13. Man operiert heute so wenig wie möglich, so schonend als möglich und so, dass man nur das entfernt, was unbedingt entfernt werden muss.
  14. Auch die beste Operation kann den Crohn nicht heilen, nur die Symptome einschränken und mit Glück für eine stabiles Remission sorgen.
  15. Der Darm wächst nicht nach und man kann ihn auch (noch) nicht transplantieren. Dieses immens wichtige System des Körpers ist so komplex und sensibel und in vielen Teilen noch viel zu wenig erforscht.
  16. Es gibt eine direkte Verbindung vom Darm ins Gehirn: der Vagus-Nerv und die Verbindung von unten nach oben ist intensiver, als die von oben nach unten. Der Darm hat zudem mehr Nervenzellen als das gesamte periphere Nervensystem zusammen und die Zusammensetzung des Mikrobioms im Darm (die hilfreichen Bakterien) ist laut neuester Forschung auch zum größten Teil für unsere Emotionen verantwortlich. Mit anderen Worten: Das Hirn denkt, der Darm lenkt.
  17. Mit CED im Bauch hat man weniger Darmbakterien als gesunde Menschen. Was das für Ursachen und Auswirkungen hat und wie man das für Therapien nutzen kann, ist nach wie vor Forschungsgegenstand.
  18. Neben den klassichen Crohnsymptomen hat man auch eine unschöne Tendenz zu crohnbedingten Nebenerkrankungen, wie
    • Gelenkschmerzen (rheumatoide Beschwerden)
    • Augenentzündungen (Entzündung der Lederhaut, Regenbogenhautentzünding, …)
    • Hautproblemen (Fissuren im Rektum, Erythema nodosum, Pyoderma gangraenosum, trockene/athopische Haut …)
    • Leber-, Nieren- und Gallenprobleme
    • erhöhtes Risiko für Osteoporose
    • Entwicklung von Inkontinenz …
      Diese Zusatzfeatures können im Schub und während einer Remission auftreten. Beachte bitte den Konjunktiv: es ist möglich, aber muss nicht passieren.
  19. Die Diagnose von Morbus Crohn erfordert einen Spezialisten. Meist einen Gastroenterologen – das ist ein Internist, der sich auf den Bauchbereich spezialisiert hat – oder einen Chirurgen, der auf den gastrointestinalen Bereich spezialisiert ist und sich auch mit CED auskennt.
  20. Als Crohn-Diagnosemittel werden Blutabnahmen, Stuhlproben, das Abtasten des Bauches, die Aufnahme aller aktuellen Symptome, Ultraschall, MRTs und CTs gemacht. Aber am wichtigsten ist nach wie vor die Koloskopie, die Darmspiegelung, und das Enteroklysma, ein spezielles MRT oder CT des Dünndarms.
  21. Die Koloskopie ist eine Untersuchung, auf die man als Crohnie Zeit seines Lebens ein Dauerabo abgeschlossen hat, weil sie außer zur Diagnose auch zur Bewertung des Therapieverlaufs gemacht wird und eine wichtige Kontrolluntersuchung während einer Remission ist.
  22. Mit einer Koloskopie kann nur der Dickdarm untersucht werden. Mit viel Glück gelangt man bis an sein Ende (die Bauhin´sche Klappe oder Ileozäkalklappe) und kann noch einen Blick in den unteren Dünndarm werfen, das sog. terminale Illeum –  laut Statistik der bevorzugte Rückzugsort von Morbus Crohn.
  23. Eine Koloskopie ist keine Therapie – man wirft nur einen Blick in den Darm, den Ort des crohnischen Geschehens, damit man weiß, ob es Crohn oder Colitis Ulcerosa ist. Außerdem werden Gewebeproben entnommen, die dann histologisch ausgewertet werden und die fachliche Diagnose des koloskopierenden Arztes ergänzen bzw. bestätigen. Dieser Arzt muss ein CED-Fachmann sein, was nicht jeder Arzt ist, der Koloskopien anbietet. Weswegen es immens wichtig ist, dass man sich für diese Untersuchung in die richtigen Hände begibt.
  24. Die Schlafspritze, die man zu Beginn der Koloskopie bekommt, ist meiner Meinung nach das Schönste an dieser nicht zu vermeidenden Untersuchung.
  25. Die zwingend notwendige Darmreinigung gehört zu den Dingen, für die ich mir persönlich eine Spritze wünsche – damit ich sie nicht miterleben muss. Das geht aber nicht, denn man muss fit und wach bleiben, damit man rechtzeitig aufs Klo sausen kann.
  26. Darmreinigung und Schlafmittel vertragen sich nicht. Nicht aus medizinischen Gründen, sondern weil man eventuell so tief schläft, dass man den Ruf des Darmes überhört und dann … ihrwisstschonwas.
  27. Bei einem Enteroklysma wird der Dünndarm untersucht. Dazu muss man Kontrastmittel in den Dünndarm bringen – entweder mittels Schlauch via Nase, Speiseröhre, Magen, Zwölffingerdarm, Dünndarm.
    Oder indem man das Zeug trinkt.
    Beides bietet wenig Aussicht auf Frohsinn, aber darum geht es bei dieser Untersuchung auch nicht.
  28. Man bekommt beim Enteroklysma keine Schlafspritze. Braucht aber dafür auch keine Darmreinigung. Die man meist im Anschluss an die Untersuchung dennoch gratis dazu bekommt, denn das Kontrastmittel wirkt leicht abführend. Womit sich Inkontinenzhöschen zu einem unverzichtbaren Utensil während und nach der Untersuchung sehr bewährt haben.
  29. Die Therapie von Morbus Crohn setzt bei den Symptomen an und versucht zusätzlich das Überschießen des Immunsystems in den Griff zu bekommen.
  30. Klassisches „Einstiegsmittel“ ist nach wie vor Cortison, dicht gefolgt von Immunsuppressiva – Medikamente, die das Immunssystem schwächen, was im Crohn/Colitisfall falsch und überreagiert.
  31. Die nächste Therapiestufe, fallweise auch in Kombination mit anderen Medikamten, sind sog. Biologika, die ursprünglich für andere, häufigere Erkrankungen entwickelt wurden, sich aber bei der CED-Therapie bewährt haben.
  32. Es gibt mittlerweile auch darmspezifische Biologika, die gezielt für CED entwickelt wurden.
  33. Biologika haben nichts mit Bio oder Öko zu tun. Es sind biotechnologisch hergestellte Medikamente. Man bekommt sie als Infusion oder Spritze und muss sie regelmäßig, alle paar Wochen, über einen langen Zeitraum nehmen.
  34. Eine kontroverse Therapieform sind Stuhl-Infusionen: Man leitet also den Darminhalt von gesunden Menschen in den von darmkranken Menschen ein. Diese Therapie zeigt sehr interessante Effekte, ist aber noch in der Studienphase und naturgemäß auch umstritten. Bei denen, die sich der Prozedur unterzogen haben, hat man zum Teil spontane Verbesserungen gesehen – aber auch leichte Veränderungen in der Persönlichkeit und im Stoffwechsel.
  35. Bei der Crohn/Colitis-Therapie unterscheidet man zwischen Akut- und Kurzzeittherapie und Langzeittherapie. Cortison ist ein Akut/Kurzzeitmedikament, wirkt sehr schnell, wenn es wirkt, wie es wirken soll, und sollte nicht zu lange genommen werden.
    Immunsuppressiva und Biologika sind hingegen Langzeittherapien und erfordern Geduld, denn sie wirken erst nach ein paar Wochen bzw. Monaten.
  36. Morbus Crohn sieht man als Laie nicht von außen – was zu Meldungen wie „… aber man sieht es dir nicht an!“ führt.
    Bedenkt bitte: Man sieht einem anderen auch nicht an, ob er dumm ist. Darum bitte nicht vorschnell urteilen. Man kann auch krank und behindert sein, ohne das man auf Krücken geht, Verbände hat oder im Rollstuhl sitzt.
    LookFeel 1000 - Welt-CED-Tag & 40 Fakten über Morbus Crohn
  37. Mit Morbus Crohn hat man Anspruch auf den Schlüssel zur Behindertentoilette. Und das ist ein Ding, was man neben Reserveunterwäsche, weichen Taschentüchern und anderen Toiletteartikeln immer bei sich haben sollte.
    Man kann auch einen Behindertenpass beantragen, was ein paar finanzielle Vergünstigungen bringt. Aber keinen Anspruch auf einen Behindertenparkplatz.
  38. Das Tragen von Inkontinezhöschen sollte weniger stigmatisiert sein. Ebenso wäre es gut, wenn man offener über Bauchprobleme, wie Blähungen, imperativer Stuhldrang und anderes Down-Under-Gedöns reden könnte. Ist nicht sexy, aber verhindert Missverständnisse und Peinlichkeiten.
    Als Crohnie verliert man diesbezüglich ohnehin schnell alle falsche Scham und lernt flott, fachlich kompetenten Scheiß über seinen Scheiß zu erzählen. Denn genau das ist ein Teil, der bei Diagnose, Therapie und Verlauf immer wieder besprochen werden muss.
  39. Neben dem körperlichen Bereich hat Morbus Crohn, wie jede chronische Erkrankung, massive Auswirkungen auf das Umfeld, in dem man lebt.
    Abgesehen von den psychische Belastungen, wie zum Beispiel Trauer, Depression, Burn out, Erschöpfungszustände, Brainfog … dringt der Crohn auch in die Beziehung ein und fordert Familie und Freunde auf, sich mit ihm auseinanderzusetzen, weil die Person, die man liebt, es alleine nur schwer schafft.
    Hinzu kommen Einschränkungen der Arbeits- und Leistungsfähigkeit, finanzielle Engpässe, bürokratische Irrwege  (die schon für Gesunde kaum zu durchblicken sind), ein leicht zu weckendes schlechtes Gewissen (was nichts bringt, aber sag das dem Biest mal) und endlose, unerwünschte Tipps und Ratschläge von Menschen, die keine Ahnung von CED haben, aber immer wissen, was man gerade falsch gemacht hat und wie man „das“ heilt. Womit aus diesen „Ratschlägen“ schmerzhafte Hiebe werden, die man auch noch mit einem Lächeln entgegenzunehmen hat. Auch wenn man am liebsten den Zaunpfahl oder volle Höschen als Antwort schleudern möchte.
  40. Für diese Probleme gibt es keine Medikamente – man muss auf Verständnis hoffen, es fallweise klar einfordern, Grenzen setzen, andere nimmermüd aufklären, Mut haben und ihn auch in dunklen Zeiten immer wieder finden. Lächeln hilft, fällt aber oft schwer.
    Außerdem muss man lernen, sich durchzusetzen, die Kraftreserven gut einzuteilen, Schwächen einzugestehen und Stress zu vermeiden, konstruktive Hilfe zu erbitten und sie annehmen lernen.
    Womit aus einer chronischen Darmerkrankung eine Lebensaufgabe wird.

Darum braucht es den Welt-CED-Tag.

Kommt. Alle. Bitte.
Zum Beispiel zu einer von diesen Veranstaltungen anlässlich des Wolrd IBD Day / Welt-CED-Tag 2019.

WorldIBDDay 1000 - Welt-CED-Tag & 40 Fakten über Morbus Crohn

#maketheinvisiblevisible #butyoudontlooksick #weltCEDtag2019

Allgemein, Briefe aus dem Leben mit CED

Liebes Leben, wir müssen reden.

Liebes Leben,

die letzten Wochen hatten wir so etwas wie eine on-off-Beziehung: Du bist mir unterm Arsch davon galoppiert und ich dir mühsam hinterher gehechelt. Habe ich dich eingeholt oder hast du an einer Ecke, ungeduldig zappelnd, auf mich gewartet, sind wir uns kurz begegnet, auf ein paar Minütchen, selten Stunden. Ich hechelnd, atemlos und froh, mal wieder einen Zipfel von dir zu erhaschen. Du schon wieder am Sprung wohin, wo ich dir nur in Gedanken folgen konnte.

Gerne wäre ich mitgelaufen, in dieses „wohin“. Hätte Neues entdecken, Altes belebt, dies und das mitgemacht. Aber du warst mir einfach zu schnell. Mir geht grad flotter die Puste aus, als ich „Halt, warte auf mich!“ rufen kann. Wobei das Rufen Kraft erfordern würde und die ist zur Zeit auf Urlaub. Also würde es eher ein Flüstern werden.

So habe ich versucht, dir aus der Ferne zuzusehen. Aus meinen vier Wänden heraus, fallweise vom Garten, über den Zaun spickend. Selten, sehr selten im Geschehen außerhalb dieser geschützten Werkstätte, wie ich meine heimelige Komfortzone auch betiteln könnte.
Ein wenig habe ich dann und wann auch via Internet bei dir vorbei geschaut. Ok, war fallweise mehr als nur ein wenig und eher öfter täglich, als dann und wann. Zumindest an den Tagen, wo mein Kopf kein migränegrantiges Veto eingelegt hat und meine Kraft nicht schon vorher für anderes drauf gegangen ist. So oft, wie mir die in den letzten Wochen flöten ging, hätte ich eigentlich schon ein mehrstimmiges Konzert mit vollem Orchester geben können.

Zum Spuren hinterlassen oder selber mitzwitschern, instagrummeln oder fazebucken hat es nicht gereicht. Im Gegenteil: Allein der Gedanke, was zu posten oder zu kommentieren, war absurd weit weg – K. e. i. n. e. Kraft dafür.
Nur das riesengroße Bedürfnisse, mir eine dunkle Höhle zu suchen, um drei Jahre Winterschlaf auf einmal nachzuholen. Leider gibts kaum noch Bären, also auch keine entsprechenden Höhlen, die nun, im Frühling, für so eine Aktion frei geworden wären. Abgesehen davon sind wir Menschen keine Winterschlafianer. Leider. Würde viele Probleme gar nicht erst entstehen lassen.

Madame Fatigue war das alles herzlich wurscht. Die hat sich ohne Höhle, ohne Einladung und ohne Scham bei mir ausgebreitet und es gar nicht gern gesehen, wenn ich mit dir geliebäugelt habe.
Eifersüchtige Trutschn.
Habe ich mich einmal unter ihrer Fuchtel wegstehlen können, hat sie mir die Folgetage gemeinsam mit Mrs. Migraine zur Hölle gemacht. Das war keine Szene mehr, dass war ein 72 Stunden-Blockbuster, mit Zugaben.
Diese migränige Bissgurn hat ja nicht alle Tassen im Schrank, mit Verlaub. So hysterisch, besitzergreifend und mit derart lang anhaltendem Kopfgezetter, wie diese Funsen sich die letzten Monate ausgetobt hat ! Einfach unpackbar, kein Benehmen, nicht mal Ansätze von Contenance und nur mit massiven Hämmern in den Griff zu bekommen. Uff.

Aber ich komme schon wieder ins Sudern*. Dabei will ich dir doch nur sagen, dass ich es schön fände, wenn wir wieder mal was gemeinsam machen würden. Eisessen, Kino gehen, Kulturelles beäugen, Nasenbohren oder eine Runde wandern. Nicht alles auf einmal, nicht unbedingt allein (außer dem Nasenbohren), mit ausreichend Erholzeit davor, dazwischen und danach.

Aber irgendwie bist du einfach zu schnell für mich. Kaum habe ich den Gedanken einer Idee, was ich mit dir gerne zusammen machen würde, bist du schon wieder drei Tage weiter oder hast mir zwischen Tür und Angel eine Rede im Schnellsprech dagelassen, die ich mir erst noch fertig anhören muss, ehe ich mich daran machen kann, ihren Inhalt zu verstehen. Bis ich eine Antwort darauf gefunden habe, ist die Sache verjährt. Sofern ich es zwischendurch nicht wieder vergesse.

Das liegt nicht an mir, sondern am Dings, dem … du weißt schon was … liegt mir auf der Zunge … warte, gleich hab ichs … ja, so zappel doch nicht rum! Und Augen verdrehen hilft auch nix, da fällt mir das Dings ja nie ein! Ah, jetzt hab ichs, schnell raus damit: Wortfindungsstörung. So nennt man das. Ist aber auch ein schweres Dings. Also Wort.

Ausgelöst vom berüchtigten Brainfog: Nebel im Oberstübchen, durch Fatigue, chronische Erschöpfung, Überlastung, Crohn, Sjögren, Eisenmangel, Migräne, Medikamente, was-auch-immer-Dings hervor gelockt.
Der Nebelzwerg hockt zwischen den Ganglien und zieht hämisch kichernd die Synapsenstecker, wodurch es mir mitten im Satz den Strom abdreht und ich nur noch „Dings“ stottern kann oder PunktPunktPunkt. Immerhin gut, dass es das Dingswort gibt. Müsste man sonst erfinden. Stress und zappelnde Gegenüber machen das Dings größer und wer dann noch versucht,  mir mit Worten auszuhelfen, der drückt damit auf die „delete anything“-Taste.

Ja, so schauts aus.
Aber was wollt ich dir eigentlich sagen?
Also schreiben? …?

Ah, ja, genau: Ich sitz an der Ecke, wo du vor drei Tagen vorbeigekommen bist, als du auf dem Weg zum Tanz in den Mai warst, und ich nur mal kurz noch aufs Klo wollte-musste, aber du schon weg warst, als ich Stunden später wieder rauskam. Ich hab dann auch nicht gleich nachkommen können. Musste erst noch zu einem Kopfdoktor nach Wien, was auch Sidney oder der Mann im Mond hätte sein können, weil: Weltreise.

Dem hab ich dann das Dings, also die Migräne, auf die Couch gelegt, damit er mit ihr ein ernstes Wort spricht. Hat er dann aber mehr mit mir getan, weil die olle Trulla nicht zuhören wollte und stattdessen Stepptanz in meiner Stirnhöhle trainiert hat.
Jedenfalls haben der Herr Doktor und ich mal gründlich alle Fakten auf den Tisch gelegt und diskutiert, was es – außer Rübe ab – für Möglichkeiten gibt, mir die Oberhoheit über Hirn, Kopf und Synapsen wieder zurück zu erobern.
Der langen Rede kurzer Dings: nicht viele. Eigentlich nur zwei.
Und die eine davon hab ich mir nun auf die Stirn geklebt. Ein elektronisches Dings, dass die Oberstübchennerven mittels Strom daran erinnert, dass es noch andere Schönheiten gibt, abseits der migränischen Funsen, auf die sie hören könnten.

Klingt ein bisserl nach elektrischem Stuhl und Folter, nur am oberen Ende des Körpers. Tut aber gar nicht mal sehr weh, nur ein bisschen und das eher von der guten Sorte. Schaut dafür sehr spacig aus und ich hoffe, ich vergesse nicht es regelmäßig nach der Behandlung abzunehmen. Denn wenn ich damit auf die Straße gehe oder dem Postboten so die Tür öffne, könnte eine kleine Massenpanik im Sinne von „SIE sind unter uns! Die Aliens! Die Androiden! Die Körperfresser! Die Steuereintreiber!“ ausbrechen.
Oder jemand versucht das Dings zu hacken und übernimmt meinen Kopf mittels Fernsteuerung. Was in manchen Momenten vielleicht gar nicht so schlecht wäre.

Egal.

Jedenfalls: ich britzel mir also nun meine Trigeminusnerven auf Vorderfrau und versuche so die Migränische aus dem Kopf zu vertreiben. Weil das immer noch besser ist als die zweite Methode, die der Hirn & Nervenprofessor in Wien vorgeschlagen hat.

HerreSjoegren 219x300 - Liebes Leben, wir müssen reden.Und darum schreib ich dir, damit du weißt, dass ich noch immer daran interessiert bin, mit dir zusammen zu sein. Zwar werde ich auch ohne Kopfgewitter nicht mehr die Flotteste werden und auf Dauer nur schwer bis selten mit dir Schritt halten können. Zuviel Gedöns, Trubel, Hektik und mehr Menschen, als Finger an meinen Händen, sind nicht mehr so mein Dings. Da hüpft schnell die Panik ins Nervenkostüm und bettelt schnappatmig darum abgeholt zu werden.
Dazu hab ich einfach zu viel anderes im Rucksack, wie den lieben Herrn Crohn und den alten Schweden Herre Sjögren. Aber wenn du ein bisserl langsamer rennst und ich an manchen Tagen ein bisserl schneller unterwegs bin, dann könnten wir uns ja mal treffen und gemeinsam was machen. Was meinst du, liebes Leben, wäre das eine Idee?

Ich warte dann mal weiter an der Ecke von vor drei Tagen und wandere langsam hinter dir her. Zwischen den Britzeltherapien, mit meinen ungeliebten BegleitgenossInnen und dem schweren Rucksack. Vielleicht sehen wir uns bald mal wieder und bis dahin: habs gut und vergiss mich nicht!

Alles Liebe liebes Leben,
MiA

P. S.: Falls du vor hast umzukehren und mich an der Ecke abholen willst, gib bitte Bescheid. Denn falls ich am Weg eine leere Bärenhöhle finde, probiere ich die Idee von oben aus und versuch den Winterschlaf ins Menschendasein hinein zu evolutionieren.

*Sudern: Klassisches Ostösterreichisch für raunzen, jammern, mieselgranteln. Nur mit mehr Geknautsche.

Allgemein

Der liebe Herr Buch

So.
Nun hab ichs getan.
Ich habe unterschrieben.
Was? Den Vertrag.

Und damit ist es fix: Das, was ich in den letzten Monaten und Jahren an Infos zusammengetragen, an Erlebnissen überlebt, an Begebenheiten erfahren und vor allem das, was ich gelernt habe und von dem ich mir gewünscht habe, dass ich es anders erfahren hätte … all das wird nunTADAAA!!!ein Buch.

Ein richtiges, mit Deckel, Rücken und Seiten dazwischen, mit ISBN Nummer, meinen Texten und mit meinen Zeichnungen. Und mit einem Verlag, der mich so herzlich charmant gefragt und motiviert hat, dass ich eine Woche lang nur mit „OhmeinGottOhmeinGottOhmeinGott…!“ neben der Spur herumgelaufen bin.

Hach 🙂

Erscheinungstermin ist Jänner 2020 und wer nun meint, dass da noch jeeede Meeenge Zeeeit hin ist, dem*der sei gesagt: Das Manuskript muss-darf-soll bis zum Sommer (2019!!!) fertig sein. Mit allen Punkten, Buchstaben, Kommas und Zeichnungen.

SO.
Und Sinn soll es auch machen, sonst wärs ja sinnlos 😉

Offizieller Arbeitstitel ist „Leben mit Morbus Crohn“ – mein interner Hashtag ist „Der liebe Herr Buch“ #ausGründen.

Wie es schlussendlich dann wirklich heißen wird, wird sich noch herausstellen. Das ist ähnlich wie bei einem Kind: da hat man auch jede Menge Namen in peto, um dann nach der Geburt festzustellen, dass keiner passt und das fertige Produkt nicht wie Sybilla, Toniette oder Gurkbert aussieht.

Der Verlag, der mich gefunden hat (was ich ein, zwei gaaanz lieben zukünftigen VerlagskollegInnen verdanke – HACH!), ist der wunderbare Humboldt Verlag – was meine Synapsen zusätzlich zu übereuphorischen Glückspurzelbäumen motiviert hat, neben dem hypereuphorischen „OhMeinGott„-Ausnahmezustand.

Hach hoch ganz viel <3

Und nun Tachles:
So ein Buch, das schreibt sich nicht von selbst und so ein Buch, das will-muss-soll gut bedacht, durchdacht und auch erdacht werden. Und so ein Buch braucht Zeit, Liebe, Lektorat, gnadenlose ProbeleserInnen und daaaannn, DAAANNNNN braucht es auch Leute, Menschen, Erdenwesen, die bereit sind, es zu kaufen, zu lesen, sich darüber mehr oder weniger zu amüsieren, aber vor allem: davon zu profitieren. Das wär der Punkt, wo ich ganz viel auf all jene setze, die hier mitlesen … ich meine damit dich, DICH und natürlich ganz besonders Dich 🙂

Leben mit Morbus Crohn betrifft nicht nur die PatientInnen, die zum ersten Mal vom Herrn Crohn hören. Der Crohn begleitet einem ja ab dann bis zu dem Punkt, wo sich alle Wege final trennen. Es wird somit ein Buch für Newbies, Inbetween-Crohnies und CED-VeteranInnen.

Bei einer chronischen Erkrankung ist aber auch das Umfeld immer mitbetroffen. Sei es als Angehörige, FreundIn, PartnerIn oder im weiteren Umfeld als Arbeitskollegen, Vorgesetzte und MitarbeiterInnen. Darum wird es auch Infos, Tipps und Tricks für Seit-Betroffenen geben. Als Unterstützung, wie man den lieben Herrn Crohn verstehen lernt und seine unerwünschte Anwesenheit so ins Leben integriert, dass sich seine Belästigungen nicht zu mehr als nur gesundheitlichen Probleme auswirken.

Zusätzlich ist es mir wichtig, auch denen ein paar Einblicke geben, die sich auf medizinischer Seite um Crohn-Betroffene kümmern: das medizinische Personal, Ärzte, TherapeutInnen, Pflegepersonal …
Da der Crohn das Leben meist sehr umfassend umkrempelt, kann es hilfreich sein, wenn die, die bei der medizinischen Betreuung an vorderster Front stehen, auch einen Blick auf jene Bereiche erhalten, die neben der Gesundheit das Leben ihrer Patientinnen betreffen.

Und das alles soll natürlich leicht lesbar, in weiten Teilen heiter und vor allem motivierend rüberkommen. Weil fürs Trübsal blasen, Jammern und Rumraunzen braucht man bekanntlich keine Bücher, sondern Taschentücher und Klopapier.

SO.

Das wäre dann mein Programm für die nächsten Wochen und Monate: ein Mehrfach-Spagat, zwischen dem, was unbedingt gesagt werden muss und dem, was man darüber nicht vergessen sollte, garniert mit dem, was gut daran ist. Alles so aufbereitet, dass es verständlich ist und einem auch an besch***eidenen Tagen ein Grinsen hervorlockt.

Falls ich mich also in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten in meinen Blogs und auf Social Media ein wenig rar mache, dann wisst ihr nun, dass ich auf der Suche nach einem hübschen roten Faden bin und mich in gedanklichen Yoga-Übungen trainiere, um oben genannten Spagat geschmeidig in Worte zu fassen. Ich werde aber auf jeden Fall versuchen, euch auf dem Laufenden zu halten!

Es kann auch sein, dass ich laut und überdeutlich um Hilfe brülle, weil mir der Tunnelblick die Sicht trübt und ich Unterstützung brauche, wenn es um Einblicke von Außen geht. Dann wärs supernetttollfein, wenn ich mich an euch, liebste Leser*Innen wenden dürfte!

Wenn ihr eine Idee habt, was UNBEDINGT und auf jeden Fall in diesem Buch über das Leben mit Morbus Crohn reingehört, dann teilt es mir BITTE mit! Entweder unten als Kommentar oder als Mail an michaela@schara.at

Ich danke jedenfalls schon jetzt allen, die mich immer wieder und jetzt ganz besonders bei dieser Idee unterstützt haben und es auch gerade aktiv tun!

Und ganz besonders danke ich dem Humboldt-Verlag, für das nette Willkommen und die tolle Unterstützung.

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